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Veröffentlicht am 26.04.2024

Leichtfüßige Unterhaltung, ohne platt zu sein

Eine halbe Ewigkeit
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Vorweg – ich war Ildikó von Kürthy Neuling und skeptisch, als mir das Buch in die Hand gedrückt wurde. Sehr skeptisch. Aber was soll ich sagen? Ich habe „Eine halbe Ewigkeit“ entgegen meiner Erwartungen ...

Vorweg – ich war Ildikó von Kürthy Neuling und skeptisch, als mir das Buch in die Hand gedrückt wurde. Sehr skeptisch. Aber was soll ich sagen? Ich habe „Eine halbe Ewigkeit“ entgegen meiner Erwartungen sehr gemocht, hab laut gekichert und sogar ein bisschen geweint, sei es vor Lachen oder aus rührseliger Sentimentalität. Cora Hübsch, Protagonistin aus „Mondscheintarif“, ist mittlerweile 54 Jahre alt und buchstäblich am Ende. Ihre Ehe ist in die Jahre gekommen, die drei Kinder sind quasi aus dem Haus und der Altpapiercontainer ist voll. Da kann man schon mal zusammenbrechen und genau das tut sie auch. Doch es naht Rettung in Form eines sabbernden Hundes und einer Seele von Mensch namens Wanda hintendran, die Cora direkt in ihre Küche verfrachtet, wo diese nun sitzt, überrumpelt und trunken vor Glück über diese liebenswerten Menschen, die wie ein kleines Wunder in ihr Leben gepoltert sind, als sie sie am dringendsten brauchte.

Das Buch hat einen fiesen Nerv bei mit getroffen, sind es doch genau die auf mich zurollenden Themen, die die Autorin hier berührt. Cora ist 15 Jahre älter als ich, aber wir haben vieles gemein. Drei Kinder auf der Schwelle zum Erwachsenenalter, eine langjährige Ehe, die tiefe Verwurzelung mit einem Ort. Alltag und Beständigkeit bis in die letzte Pore. Und ja, manchmal spüre ich es auch, dieses leichte Ziehen im Bauch bei dem Gedanken an die bevorstehende Leere der Wohnung, die Stille wo vorher Trubel war. Eine Zweisamkeit, die neu erlernt werden möchte.

Von Kürthys Roman ist leichtfüßig, ohne platt zu sein. Die Figuren sind mit viel Herz und Humor gezeichnet, bisweilen ein kleines bisschen drüber, aber das ist gar nicht weiter schlimm. Erdal würde ich gerne vom Fleck weg adoptieren, welch ein herrlicher Mensch einfach. Viele Lebensmodelle finden hier ihren Platz, ohne bewertet zu werden, und auch wenn ich Cora im Verlauf der Geschichte nicht immer folgen konnte, habe ich das Buch mit großer Befriedigung zuklappen können. Eine fröhliche Feier der Freundschaft, der (Wahl-)Familie und eine große Hommage an die Beständigkeit.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Ein ambivalenter Text

Geordnete Verhältnisse
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Faina ist zehn als sie in den 90er-Jahren ihre Heimat, die Ukraine, verlässt und mit ihrer Familie nach Deutschland umsiedelt. Auf der neuen Schule lernt sie Philipp kennen, der sich mit Freundschaften ...

Faina ist zehn als sie in den 90er-Jahren ihre Heimat, die Ukraine, verlässt und mit ihrer Familie nach Deutschland umsiedelt. Auf der neuen Schule lernt sie Philipp kennen, der sich mit Freundschaften schwer tut, und doch nichts sehnlicher wünscht als einen Freund. Und hier ist sie nun, Faina, mit ihren ebenfalls roten Haaren sein perfektes Gegenstück. Erst werden die „Oladuschkis" geteilt, russische Zucchinipuffer, bald die gesamte freie Zeit. Philipp beginnt langsam, das Mädchen zu vereinnahmen, ihm die Welt zu erklären, es von den anderen abzuschotten. Er bringt Fainas Unordnung in Ordnung, sortiert die Dinge für sie, sorgt für klar geordnete Verhältnisse. Nach der Schule trennen ihre Wege sich, zu unterschiedlich sind ihre Erwartungen an das Leben und aneinander. Philipp ist ehrgeizig und baut sich eine finanziell sichere Existenz auf: seine sozialen Beziehungen bleiben vage, während er sein grundsätzlich fehlendes, sexuelles Interesse an anderen Menschen zu verbergen versucht. Faina dagegen ist ein Freigeist, leichtfüßig tanzt sie durch die Welt, lässt sich einmal hierhin, einmal dorthin treiben. Und als sie ein paar Jahre später in Schwierigkeiten gerät, ist es Philipp, der ihr sofort in den Sinn kommt, der ihr freimütig aushilft und sie wieder in seinem strukturierten Leben aufnimmt, ihr einen festen Platz darin einräumt und Sicherheit (an)bietet. Doch zu welchem Preis?

Uff, definitiv keine leichte Kost, Lana Lux 'neuer Roman, diese Anatomie eines Femizids. Ziemlich schnell ist klar, dass das hier nicht gut enden wird, wenngleich der große Knall bis zum Ende auf sich warten lässt und dann irgendwie gar nicht so laut knallte, wie erwartet. Mir nicht so um die Ohren flog, wie er es angesichts der Thematik eigentlich sollte. Die Geschichte entwickelt einen starken Sog, ist sprachlich und erzählerisch top. Der Autorin gelingt es, den Tater nicht zu dämonisieren und das Opfer nicht zum wehrlosen Opfer zu machen. Diese Ambivalenz empfand ich als große Stärke des Textes, doch gleichzeitig löste irgendetwas daran ein diffuses Unwohlsein in mir aus, fühlten sich Form und Inhalt disharmonisch an, leicht verzerrt, ohne, dass ich genau benennen könnte, woran es liegt.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Ein Leuchtfeuer des Erzählens

Leuchtfeuer
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Die Division Street liegt in einem Vorort mit gepflegten Rasenflächen, Schaukeln auf den Veranden und Kinderfahrrädern auf den Auffahrten. In der Nr. 18 leben Ben und Mimi Wilf mit ihren beiden Kindern ...

Die Division Street liegt in einem Vorort mit gepflegten Rasenflächen, Schaukeln auf den Veranden und Kinderfahrrädern auf den Auffahrten. In der Nr. 18 leben Ben und Mimi Wilf mit ihren beiden Kindern und genau hier steht auch eine majestätische Eiche. Seit Jahrhunderten schon wacht sie über alles, sieht Paare zu Familien, umsorgte Kinder zu leichtsinnigen Teenagern, Häuser wieder leer werden. So manches Geheimnis bewahrt er in seiner dicken Rinde, der Zauberbaum, wie die Kinder der Straße ihn seit jeher nennen, und auch die Wilfs haben ein tragisches Ereignis in sein Innerstes gebannt und nie wieder ans Tageslicht geholt. Bis sich in dieser Nacht die Seelen eines einsamen kleinen Jungens und einer alten Dame begegnen, der Kreis sich schließt.

„Leuchtfeuer“ ist wahrhaftig ein Leuchtfeuer des Erzählens, eine bildgewaltige, lebensbejahende Familiengeschichte, wie nur die Amerikaner sie so tiefgründig wie leichtfüßig aufs Papier oder die Leinwand bringen können. Die Autorin Dani Shapiro adaptiert den Roman dieser Tage höchstpersönlich als Serie für das Fernsehen und ich unterstelle ihr ganz frech, dass sie das bereits während des Schreibens wusste. Die in mehreren Zeitebenen und von unterschiedlichen Stimmen erzählte Geschichte eignet sich nämlich ganz hervorragend dafür, und ich bin richtig gerne hineingetaucht, hab mit Waldo die Sterne bewundert und ihren Trost gespürt, die Sicherheit, die ihre bloße Anwesenheit bietet.

Das hier ist das Leben und alles ist verbunden. Wir werden geboren und wir sterben und dazwischen lachen wir und weinen, erkennen, dass wir einander so nah und gleichzeitig unfassbar fremd, mit Glück gesegnet und dabei tieftraurig sein können. Dass Kinder von dem Moment an, wo sie den Mutterleib verlassen, eigene Wesen sind, unmöglich zu formen und festzuhalten. Unmöglich sie nicht mit jeder Faser zu lieben. Dass Geheimnisse nie geheim bleiben, dass sie wachsen und wuchern und an die Oberfläche drängen. Dass aus den dunkelsten Augenblicken größte Schönheit entwachsen kann.

„Er versucht gar nicht erst, das alles zu verstehen. Er weiß nur, dass er einem Muster folgt, das er nicht immer klar erkennt. Es ist nicht fassbar, chimärisch, voller Sackgassen und jäher Brüche. Man vergisst leicht, danach zu suchen. Aber wenn es sichtbar ist, so wie jetzt, erhellt es seinen Weg wie ein Komet, der durch den Nachthimmel schießt. Er muss ihm nur vertrauen und folgen. Und das wird für sein ganzes Leben gelten. Er wird diese Strömung in sich wahrnehmen, ein Kraftfeld, das ihn mit der Welt verbindet, die er als fast elfjähriger Junge wahrnahm. Er wird nicht wissen, wer ihn da durch Zeit und Raum berührt, aber er wird wissen, dass er nicht allein ist.“ S. 277

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Etwas zwiegespalten

Die Optimisten
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„Die Optimisten“ von Rebecca Makkai (übersetzt von Bettina Abarbanell) haben mich in mancherlei Hinsicht heraus gefordert. Meine Erwartungen waren aufgrund der extrem positiven Bewertungen hier bei Bookstagram ...

„Die Optimisten“ von Rebecca Makkai (übersetzt von Bettina Abarbanell) haben mich in mancherlei Hinsicht heraus gefordert. Meine Erwartungen waren aufgrund der extrem positiven Bewertungen hier bei Bookstagram sehr hoch, was selten eine gute Voraussetzung ist. Bereits nach den ersten Seiten fühlte ich mich ganz arg an die Männergruppe rund um Jude in Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“ erinnert, was mich dann eine ganze Weile beschäftigt und leider auch ein bisschen von dieser Geschichte distanziert hat, weil sie dem direkten Vergleich mit diesem Herzensbuch von mir einfach nicht standhalten konnte. Die erste Hälfte des recht umfangreichen Romans verging dann unspektakulär und ohne, dass ich mich nennenswert mit den Figuren identifizieren oder tiefere Sympathien entwickeln konnte, was auch daran lag, dass mir manches Verhalten nicht nachvollziehbar oder geradezu irrational erschien (wie auch Yales Entscheidungen gegen Ende des Romans). Doch irgendwann merkte ich plötzlich, dass ich weiterlesen wollte; wissen wollte wie es den Protagonisten weiterhin ergeht. Sehen, ob der Kunstdeal mit der interessanten, alten Nora klappt oder doch noch von ihrem unsympathischen Sohn verhindert wird; erfahren, ob Yale und Charlie sich trotz der furchtbaren Diagnose und dem Vertrauensbruch wieder annähern können; dabei sein, wenn Fiona (hoffentlich) ihre Tochter wieder findet und ihr Leben eine neue Wendung nimmt. Doch, ich begann diese Geschichte und ihre Protagonisten zu mögen, sie als eigenständig wahrzunehmen und nicht mehr im direkten Vergleich zu Jude und seinen Freunden; sie nabelte sich quasi ab und konnte aus deren Schatten treten. „Die Optimisten“ ist mitunter wirklich harte Kost, thematisiert es doch den Ausbruch von AIDS in den 80er Jahren in Amerika und die daraus resultierende Konfrontation mit der eigenen Existenz und Vergänglichkeit; den Umgang mit unfassbarem Verlust und Schmerz, den besonders Fiona ertragen muss und der ihr weiteres Leben stark prägen soll. Über ein paar Längen und die mir persönlich etwas zu arg sexualisierte (Beziehungs-)Ebene der Protagonisten habe ich einfach beherzt hinweg gelesen und der Abschluss der Geschichte hat mich dann doch sehr berührt zurück gelassen. Abschließend kann ich sagen, dass es mir große Freude gemacht hat, dieses Buch zu lesen, dem enormen Hype kann ich mich wegen der oben genannten Kritikpunkte aber nicht ganz anschließen.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Tolle Sprache, unsympathische Figuren.

Heiße Milch
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Deborah Levys Roman „Heiße Milch“ erzählt von einer jungen Frau, deren Dasein sich von Kindesbeinen an um die Leiden ihrer egozentrischen Mutter dreht. Vom Vater früh verlassen und alleine aufgewachsen ...

Deborah Levys Roman „Heiße Milch“ erzählt von einer jungen Frau, deren Dasein sich von Kindesbeinen an um die Leiden ihrer egozentrischen Mutter dreht. Vom Vater früh verlassen und alleine aufgewachsen mit dieser von unzähligen diffusen Krankheitssymptomen geplagten Frau, ist Sofia nicht in der Lage, sich abzunabeln und auf eigenen Beinen zu stehen; sie muss im wahrsten Sinne des Wortes die ihrer lahmen Mutter ersetzen. In einer Spezialklinik in Spanien versuchen die beiden Frauen endlich Hilfe zu bekommen und der Ortswechsel, sowie die interessanten Methoden des etwas spleenigen Chefarztes, haben bald deutliche Auswirkungen auf die krankhaft symbiotische Beziehung von Mutter und Tochter. Sofia beginnt Stück für Stück ihre neu gewonnene Freiheit auszukosten und ist gleichzeitig heillos von ihr überfordert; sie gerät von einer problematischen, von Abhängigkeit geprägten, Verbindung in die nächste, verliebt sich in die undurchschaubare Ingrid und beginnt verschiedene Affären auf der Suche nach... ja, nach was überhaupt? Einem eigenen Leben? Eigenen Entscheidungen? So ganz erschließt es sich mir nicht; Traumhaftes vermischt sich mit der Realität, die Grenzen verlaufen unscharf und lassen mich etwas unbefriedigt zurück. Trotz vieler wirklich interessanter Ansätze und Gedanken wird mir der Sinn des Ganzen nicht ganz klar; teils allzu abstruse Ausschmückungen, seltsame Dialoge und gedankliche Ausschweifungen der Protagonistin begannen mich im Laufe der Geschichte leider zunehmend zu nerven. Obwohl ich Levys Sprache als sehr angenehm empfunden habe, konnte sie doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mir die Figuren fast durchweg unsympathisch und fremd blieben; zumeist unverständlich in ihren Verhaltensweisen und (toxischen) Beziehungen zueinander. Übersetzt von Barbara Schaden.

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