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Veröffentlicht am 23.07.2024

Eine poetische Reise in eine rumänische Familie und die Vergangenheit des Landes

Das Pfauengemälde
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Ein Brief mit zahlreichen Stempeln reißt die junge Ana aus ihrer Lethargie und Verdrängung, die ihr Leben nach dem Tod des geliebten Vaters Nicu vor zwei Jahren prägt.

Nicus Lebensaufgabe war es das Unrecht ...

Ein Brief mit zahlreichen Stempeln reißt die junge Ana aus ihrer Lethargie und Verdrängung, die ihr Leben nach dem Tod des geliebten Vaters Nicu vor zwei Jahren prägt.

Nicus Lebensaufgabe war es das Unrecht und die damit verbundenen Enteignungen im kommunistischen Rumänien, die der Familie angetan wurden, anerkannt zu wissen und das Eigentum der Familie zurückzuerhalten. Prominent sind dabei nicht nur Immobilien sondern auch ein Gemälde, dass ihn seit seiner Kindheit geprägt und tief beeindruckt hat - das Pfauengemälde. Dieses soll mit der Restitution des Familienhauses, dem finalen Gerichtsurteil von dem der Brief berichtet, nun an Ana gehen.

Eher widerwillig macht sich Ana auf den Weg nach Rumänien und damit auch in das Leben ihres verstorbenen Vaters, der Erinnerung an ihre Zeit dort mit ihm, zu ihrer großen Familie und nicht zuletzt auch einem entscheidenden Teil in sich selbst.

Mit viel Liebe und Feingefühl beschreibt die Autorin die Eigenheiten und Gepflogenheiten des Landes, seine Architektur und ganz besonders die Menschen. So legt die Autorin die Lebensrealität und die erstaunliche Anpassung der Menschen an diese offen, beschreibt die wechselvolle und oft schmerzhafte Geschichte des Landes und welche Auswirkungen diese auf Anas Familie und Vorfahren hatte. Anas große, zuweilen liebenswert verrückte Familie mit Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen, ist wundervoll porträtiert und jedes Mitglied zeigt einen Weg wie ein Individuum mit den äußeren Umständen umgehen kann und oft schlicht muss, aber auch wie eine ganze Familie durch diese getrennt werden kann.

In den Erinnerungen Anas an ihren Vater und das Leben mit ihm, thematisiert die Autorin auch immer wieder die Hürden und fehlende Anerkennung, die er trotzt Promotion in Deutschland, erfahren hat. Für die komplexe und bewegte Geschichte des Vaters, und damit auch Anas, war in der normierten deutschen Mehrheitsgesellschaft kein Platz. Dieses Leben im Dazwischen fern der alten Heimat, in der ihm und der Familie so viel Unrecht und Leid angetan wurde, und dem gewählten Exil in Deutschland mit seiner eigenen kleinen Familie, jedoch trotzdem seltsam fremd, ist etwas, das oft unbewusst auch Anas Leben mitbestimmt hat. Eben dieser Zerrissenheit stellt sie sich auf ihrer Reise, die so viel mehr werden wird als die Abholung eines Bildes.

In Ana mischen sich so viele Emotionen, denen zu stellen sie sich lange nicht gewagt hat, Trauer über den Vater, Scham, darüber dass sie ihre rumänische Seite und damit die Geschichte ihres Vaters so lange verdrängt hat, aber auch Verbundenheit, die sie im Kreise ihrer Familie und dem Heimatland ihres Vaters fühlt.

Der Inhalt eines Briefs und seine Folgen bringen Ana so letztlich nicht nur zum rumänischen Teil ihrer Familie, sondern auch näher an ihren Vater und damit auch sich selbst.

Besonders macht diesen Roman insbesondere auch seine Sprache. Langsam, sensibel und mit dem Fokus auf Zwischentöne entwickelt Bidian die Geschichte Anas und ihrer Familie. So entstehen teilweise wunderschöne poetische Bilder, in denen sich die Autorin jedoch für meinen Geschmack auch manchmal verliert, dies zu Lasten der eigentlichen Handlung.

Ein vielversprechendes Debüt, das mich schon freudig weitere Werke der Autorin erwarten lässt!

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Ein Roman über internalisierte weibliche Schuld und Scham

Ich stelle mich schlafend
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Yasemin ist Mitte 30 und steht in einer Hochaussiedlung vor der abgebrannten Ruine, die einmal ihr Zuhause war. Was ist passiert? Behutsam und in poetischer Sprache entwirft Deniz Ohde eine Erzählung über ...

Yasemin ist Mitte 30 und steht in einer Hochaussiedlung vor der abgebrannten Ruine, die einmal ihr Zuhause war. Was ist passiert? Behutsam und in poetischer Sprache entwirft Deniz Ohde eine Erzählung über eine Frau, die schon seit ihrer Kindheit ein bestimmtes Frauenbild internalisiert hat. Die Frau als nettes, gefälliges Wesen, das Übergriffe geschehen lässt, auch gegen die eigenen Bedürfnisse, gegen den eigenen Willen. So sieht sie es bei ihrer Mutter, so erlebt sie es bei ihrer Freundin Lydia. Doch wo bleiben in solch einem Entwurf ihre eigenen Wünsche, Träume und Bedürfnisse. Wie ist, ist überhaupt unter diesen Bedingungen eine gesunde Partnerschaft möglich? Diese Frage verhandelt Ohde mit dem Eintritt Vitos in Yasemins Leben.

Körperlichkeit, Verletzlichkeit und auch Übergriffigkeit wie sie Yasemin durch Männer erfährt spiegelt die Autorin auch immer wieder über die Skoliose Yasemins und deren Behandlung wider. Diese Parallelen und Referenzen sind sehr gelungen, wie auch die Beschreibung Yasemins Behandlung.

Phasenweise hat der Roman für mich einen echten Sog entwickelt, was ist passiert? Wie wird sich Yasemin entwickeln? Leider kann er für mich nicht vollständig an Streulicht anschließen. Sprachlich wirkten auf mich einige Bilder, gerade im ersten Drittel zu gewollt. Stark wird der Roman, wenn er innere Beweggründe und Widersprüche aufzeigt. Hier taucht die Autorin tief in die menschliche Psyche und sozialen Beziehungen ein. Doch auch in der Handlung wirkte der Roman auf mich in einigen Abschnitten zu gewollt und konstruiert, sodass sich die absolute Begeisterung leider bei mir nicht einstellen konnte.

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Veröffentlicht am 22.06.2024

Botanisch angehauchter Cosy-Roman an der englischen Küste

Forgotten Garden
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Luisa ist Mitte 30 und doch fühlt sich ihr Leben an, als wäre es schon einmal gelebt. Ihr Mann Reuben ist nur wenige Jahre nach der Hochzeit verstorben, und mit ihm hat sie nicht nur ihre große Liebe sondern ...

Luisa ist Mitte 30 und doch fühlt sich ihr Leben an, als wäre es schon einmal gelebt. Ihr Mann Reuben ist nur wenige Jahre nach der Hochzeit verstorben, und mit ihm hat sie nicht nur ihre große Liebe sondern auch ihre Passion für Gärten und Gartenarchitektur verloren. Denn dies war es, was beide verbunden und im gemeinsamen Studium ursprünglich zusammengeführt hat. Ein gemeinnütziger Gemeinschaftsgarten war immer ihrer beider Vision, scheiterte jedoch an fehlenden Investoren. Viele Jahre nach Reubens Tod arbeitet Luisa nun als Sekretärin für eine menschlich scheußliche Chefin einer Gartenfirma, verschwendet ihr Talent und überlebt mehr als dass sie wahrhaftig lebt. Bis ein Anruf von Reubens Patenonkel diese selbst verordnete Lethargie ins Wanken bringt. Er möchte Luisa ein Grundstück überschreiben, um den Traum zu verwirklichen, den sie und Reuben immer hatten. Luisa ist hin und her gerissen, bedeutet doch der Garten sich nicht nur ihren eigenen Träumen sondern auch ihrer Trauer um Reuben auf andere Art zu stellen, als sie es in den vergangenen Jahren getan hat.

Ihre Schwester ist sofort begeistert von der Idee und drängt Luisa es zu versuchen, und obwohl, oder vielleicht gerade weil, das Grundstück ein verlassenes Industriegelände in einer deindustrialisierten Küstenstadt mit vielen sozialen Problemen ist, lässt sich Luisa schließlich darauf ein. Der Garten, wird schnell klar, ist mehr als ein Projekt, er ist Luisas Weg zurück zu sich selbst. Und da ist vor Ort auch noch der sozial engagierte Lehrer Cas, mit dem Luisa nicht nur das soziale Engagement zu verbinden scheint…

Besonders gut hat mir gefallen, dass die Autorin für den Ort des Gartens eine deindustrialisierte Region Großbritanniens wählt, und so auch sozial-politisch relevante Probleme, allen voran Armut und Hoffnungslosigkeit in diesen Regionen, mit all ihren Folgen thematisierst.

Sowohl Luisa, als auch die Nebenfiguren, allen voran Cas und die toughe junge Harper aus seinem Jugendprojekt sind authentisch gezeichnet und versetzen beim Lesen direkt in die Handlung. Sprachlich ist dieser Cosy-Roman, der durchaus auch ernste Themen, wie Verlust, Trauer, Armut, Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen anspricht, sehr flüssig geschrieben, und die perfekte Lektüre für ein paar Stunden ganz eigenen Leseurlaub.

Mit Forgotten Garden zeigt Sharon Gosling wie echte Gemeinschaft, aber auch nur echtes Interesse und Zuwendung, Menschen wie Orte zum Blühen bringen können und wie man so zusammen etwas schaffen kann, das größer ist, als die Summe seiner Teile.

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Veröffentlicht am 09.06.2024

Vom Aufwachsen im Ruhrpott hinein in die Theaterwelt

Der Lärm des Lebens
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Der Schauspieler Jörg Hartmann gibt in der Lärm des Lebens sehr persönliche Einblicke in die Anfänge seiner Schauspielkarriere Anfang der 90er Jahre und das Aufwachsen in einem klassischen Arbeiterhaushalt ...

Der Schauspieler Jörg Hartmann gibt in der Lärm des Lebens sehr persönliche Einblicke in die Anfänge seiner Schauspielkarriere Anfang der 90er Jahre und das Aufwachsen in einem klassischen Arbeiterhaushalt der 70er Jahre im Ruhrpott.

Sehr informativ sind nicht nur die Einblicke in die Theaterwelt, die Hürden und Erfolge als Jungschauspieler und das aufregende Berlin nach dem Mauerfall. Der Schauspieler erzählt ebenso über das Aufwachsen im Deutschland der 60er und 70er, noch geprägt von der Schuldfrage des Nachkriegsdeutschlands, dem Wiederaufbau und zeichnet so eine kleine Sozialstudie des klassischen Arbeitermilieus in seiner Heimat Herdecke zu dieser Zeit.

Berührt haben mich die Begegnungen mit und Reflexionen über seinen Vater, der mittlerweile an Demenz erkrankt ist. Hier zeigt Hartmann, dass er nicht nur ein hervorragender Schauspieler, sondern auch ein aufmerksamer und emphatischer und nicht zuletzt sozialkritischer Beobachter der Gesellschaft, seiner Mitmenschen und Angehörigen ist.

Die Struktur ist für mich nicht vollständig gelungen. Auch wenn die Geschichte von Anekdoten lebt, hätte ich mir oft eine deutlichere zeitliche und geographische Verortung, sei es im Text oder durch Überschriften gewünscht.

In der Gesamtschau ist der Lärm des Lebens ein gelungenes Debüt mit berührenden Reflexionen über das Leben und Aufwachsen des Schauspielers im Ruhrpott mit all seinen (auch sprachlichen) Eigenheiten und interessanten Einblicken in die Theater- und Schauspielwelt.

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Veröffentlicht am 08.06.2024

Vida, Marie und die Insel

Was das Meer verspricht
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Eine einsame, unwirtliche Insel im Norden. Ein Leuchtturm, ein Aussichtspunkt, eine zerfallende Kirche, aus nicht mehr besteht das Eiland, das man ohne weiteres zu Fuß umrunden kann. Das Leben wird von ...

Eine einsame, unwirtliche Insel im Norden. Ein Leuchtturm, ein Aussichtspunkt, eine zerfallende Kirche, aus nicht mehr besteht das Eiland, das man ohne weiteres zu Fuß umrunden kann. Das Leben wird von der Natur, dem Meer, den Winden bestimmt, Schafzucht und Fischerei und eine Spinnerei dienen dem Lebensunterhalt. Hier lebt Vida, 27 Jahre jung, verlobt mit dem gleichaltrigen Jannis, ein Freund seit Kindertagen, ihre Eltern betreiben das einzige Ladencafé auf der Insel. Während ihr Bruder die Insel verlassen hat und schon lange auf dem Festland lebt, hat Vida ihr Leben auf der Insel nie in Frage gestellt. Ebensowenig wie sie ihre Zukunft und Hochzeit mit Jannis nie hinterfragt hat. Sie war scheinbar glücklich und zufrieden, führte das Leben, das sie möchte.

Diese vermeintliche Gewissheit gerät erst ins Wanken als die etwa gleichaltrige Marie das Nachbarhaus übernimmt. Und damit Vidas Leben, Denken und Fühlen gänzlich auf den Kopf stellt. Gefühle in ihr weckt, von deren Existenz sie nie zu träumen gewagt hätte, überhaupt die Fähigkeit echte Träume zu haben. Während Verantwortung, Bodenständigkeit, Verpflichtung Vidas Leben bisher bestimmt haben, beginnt sie durch Marie neue Horizonte zu sehen. Doch die Distanz zu ihrem bisherigen Leben könnte kaum größer sein. Was bedeutet dies? Wo wird es hinführen? Was wird es mit ihr machen? Mit der Rückkehr ihres Bruders auf die Insel und in Vidas neues Fühlen brechen auch alte Familienkonflikte auf, die Vida im Innersten kaum mehr zu kontrollieren vermag.

Die Beschreibungen der Kargheit der Insel und des Lebens auf dieser sind sehr gelungen. Ebenso wie Vidas Gefühlswelt, der Kontrast ihres bisherigen Lebens und Fühlens, hin zu neuen Emotionen und Gedanken und Vidas Unbeholfenheit wie Unfähigkeit diese zu kontrollieren, überhaupt mit diesen umzugehen. Wie ein Sturm sich anbahnt, so spürt man auch in der Geschichte etwas herannahen und wird dadurch in Bann gezogen. Alexandra Blöchl zeigt an Vida auf welche Macht Strukturen haben und auch welche Ambivalenz, die Sicherheit, die einem vorgezeichneten Leben inne liegt, die Freiheit und all die anderen Möglichkeiten und Lebenswege auf die man dafür verzichtet. Gleichzeitig zeigt die Familie Vidas was verborgene Konflikte und Verletzungen innerhalb von Familien mit uns machen, wenn wir keinen Weg finden darüber zu sprechen und diese zu lösen und zu verarbeiten.

Was das Meer verspricht ist eine karge und emotionale Geschichte zugleich, die beim Lesen in ihren Bann zieht! Lediglich das Ende der Erzählung kam mir letztlich etwas zu abrupt und bruchstückhaft.

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