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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.06.2024

Keegan setzt jedes Wort gezielt!

Reichlich spät
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Nach Ende der Arbeit nimmt macht Cathal sich auf den Heimweg. Im Bus setzt sich ihm gegenüber eine Frau auf den freien Platz. Er atmet ihren Duft ein, und die Erinnerung führt ihn direkt zurück zu Sabine. ...

Nach Ende der Arbeit nimmt macht Cathal sich auf den Heimweg. Im Bus setzt sich ihm gegenüber eine Frau auf den freien Platz. Er atmet ihren Duft ein, und die Erinnerung führt ihn direkt zurück zu Sabine. Sabine, die er fast geheiratet hätte. Aber eben nur fast.
Der Ehering ist bereits gekauft, und dann ist es diese eine feindselige Haltung zu viel gegenüber dem Plural Frauen, der dafür sorgt, dass Sabine endgültig geht.

Claire Keegan gelingt es, auf gerade einmal knapp 50 Seiten einen intensiven Blick von der Alltagsmisogynie eines Mannes zu zeichnen. Ihre Sprache ist so klar und präzise, jedes Wort gezielt gesetzt. Cathal wünscht sich die Verbindlichkeit einer festen Partnerschaft, erträgt gleichzeitig aber die Anwesenheit der Frau nicht, die er besitzen will und die er in Person als auch in ihren Zuwendungen, als selbstverständlich hinnimmt. Keegan lässt ihren männlichen Protagonisten wie einen feinen Sprühregen auf die Szenerie rieseln, seine Aussagen und Handlungen so mikroskopisch, in der Masse dann aber doch antifeministisch. Ihre erdachte Figur ist das schon viel zu oft erlebte reale Pendant zu Männern, die sich vom Feminismus drangsaliert fühlen, ohne genau zu wissen, warum eigentlich. Großartiges Buch!

Veröffentlicht am 09.06.2024

Geht uns alle an

Obdachlosigkeit – Warum sie mit uns allen zu tun hat
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Sie gehören zum Stadtbild wie dm und sind doch so unsichtbar, weil keiner hinschauen will: obdachlose Menschen.
Viele Städte werben mit einem Image der inklusiven Stadt, die allen Menschen zur Verfügung ...

Sie gehören zum Stadtbild wie dm und sind doch so unsichtbar, weil keiner hinschauen will: obdachlose Menschen.
Viele Städte werben mit einem Image der inklusiven Stadt, die allen Menschen zur Verfügung steht, doch nichts straft diese Selbstdarstellung so sehr Lügen wie Parkbänke mit Metallgittern, auf die man sich nicht legen kann. Die Städteplanung richtet sich zunehmend an bezahlkräftige Bevölkerungsgruppen und der öffentliche Raum wird stark von politischen sowie ökonomischen Interessen beeinflusst. Wohnungslose Menschen, die sich fast ausnahmslos nur im öffentlichen Raum aufhalten können, werden von zentralen Orten wie Parks, Bahnhöfen, Einkaufspassagen vertrieben und verlieren damit Schutz, denn gerade wo viele Menschen verkehren, sind Obdachlose eher vor Übergriffen geschützt.
Es gibt neue sozialpolitische Ansätze, wie in den USA entwickelte Housing-First-Programme, bei denen im Vordergrund steht, nicht allein die Symptome wie schlechte Gesundheit zu bekämpfen, sondern Obdachlose zunächst in ein festes Wohnen zu bekommen, aus dem alle anderen Probleme wie Schulden angegangen und begleitet werden. Denn mit einer Wohnung kommt auch die Bürokratie zurück ins Leben und es werden Kompetenzen benötigt, die auch vor der Obdachlosigkeit nicht ausgeprägt waren.

Dieses kurze und dennoch sehr informative Buch mit seinen Infografiken lässt sich innerhalb von drei Stunden durchlesen. Und das macht es gut, denn sich ab und zu bewusst zu machen, wie schnell ein:e jede:r von uns in die Lage kommt, die wir beim Stadtbummel auf Kniehöhe lieber ignorieren ist nur angemessen. Ich kann dieses Büchlein eigentlich nur allen empfehlen; man muss sich ja nicht erst zur Weihnachtszeit wieder rührselig Gedanken um die Ärmsten unserer Gesellschaft machen, denn obdachlos sind jene Menschen das ganze Jahr.

Veröffentlicht am 09.06.2024

Ich bin begeistert, mehr davon!

Peanut Jones und die Stadt der Bilder
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Eine Protagonistin namens Peanut mit ihrer kleinen Schwester Little-Bit? - Die Geschichte kann ja nur gut werden! Ich bin froh, dass der ein Bekannter auf Instagram mir „Peanut Jones und die Stadt der ...

Eine Protagonistin namens Peanut mit ihrer kleinen Schwester Little-Bit? - Die Geschichte kann ja nur gut werden! Ich bin froh, dass der ein Bekannter auf Instagram mir „Peanut Jones und die Stadt der Bücher“ nahegelegt hat.

Bei Peanut läuft, gelinde gesagt, alles gerade richtig scheiße: Ihr Vater hat vor einem Jahr die Familie verlassen und seitdem hat ihr großer Bruder Leo sich zu einem mürrischen Einsiedlerkrebs entwickelt. Zudem musste Peanut auf eine neue Schule wechseln, auf der Genauigkeit und Geradlinigkeit jede Kreativität töten.
Ihrem traurigen Alltagsleben entflieht Peanut, indem sie unablässig malt. Bereits ihr Vater hat Peanut immerzu Bilder auf Post-its gemalt, die sie wie einen Schatz in einer eigens dafür von ihrem Paps gebastelten Kiste hütet. Eines Tages findet Peanut in genau dieser Kiste ein Geheimversteck, das einen Bleistift hütet. Der Graphit dieses ganz besonderen Bleistifts öffnet Peanut den Weg in die Stadt Chroma, einen erschaffenen und gemalten Ort, an dem die Zeit anders vergeht. Eigentlich hofft sie, dass der Bleistift sie zu ihrem Vater führt, denn dass er freiwillig verschwunden ist, glaubt Peanut nicht mehr, doch sie erfährt von einer Bewohnerin Chromas, dass die Stadt und ihre Kreativität von einem farbenzerstörenden Bösewicht bedroht wird. Gemeinsam mit Little-Bit und ihrem Schulkameraden Rockwell stürzt sich Peanut auf ins Abenteuer.

Warum hab ich so lange damit gewartet, dieses humorvolle und genial illustrierte Kinderbuch zu lesen? Weiß ich nicht, aber jetzt kann es mir eigentlich nicht schnell genug gehen, den zweiten und anschließend dritten Band aus der Feder von Rob Biddulph in die Finger und vor die Augen zu bekommen! Besonders Little-Bit mit ihrer forschen und manchmal vorlauten Art hat es mir angetan, und ich fiebere mit, ob die Geschwister ihren Vater endlich finden werden. Eine himmelhochjauchzende Buchempfehlung von mir!

Veröffentlicht am 09.06.2024

Für Interessierte alternativer Beziehungsmodelle fernab von Monogamie

Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen
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Jeder dritte in Deutschland lebende Mensch kann sich eine Freundschaft+ vorstellen, und warum auch nicht? Für viele Bedürfnisse unseres Lebens haben wir unterschiedliche Menschen, mit denen wir unsere ...

Jeder dritte in Deutschland lebende Mensch kann sich eine Freundschaft+ vorstellen, und warum auch nicht? Für viele Bedürfnisse unseres Lebens haben wir unterschiedliche Menschen, mit denen wir unsere größten Geheimnisse teilen, mit denen wir gerne bestimmten Hobbies nachgehen, die wir einmal im halben Jahr sehen - da ist es doch eigentlich nur natürlich, dass wir uns nicht bei der dem Sprichwort nach schönsten Sache der Welt auf einen einzigen Menschen beschränken.

Und so setzt Ole Liebl eigentlich schon lange durch seine TikToks und Reels, aber jetzt vor allem mit seinem Buch "Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen" einen Aufruf in die Gesellschaft, der romantischen Norm mit Besitzansprüchen zu entsagen und freiere Beziehungen zu gestalten.
Liebl orientiert seine Leser:innen auch anhand seiner eigenen Erfahrungen durch freie Beziehungskonzepte, ohne dabei einen Seelenstriptease hinzulegen. All das bettet er ein in einen lesenswerten Exkurs durch die gesellschaftliche Entwicklung von Ehe, Monogamie und 150 Jahre sexuelle Kommerzialisierung.

Liebls Buch kam für mich wie gerufen, denn (spicy 🌶 detail) auch ich erkunde gerade Freundschaft+ für mich und stoße mit meinen langjährig einstudierten/gelebten Denkmustern manchmal an die Wand einer noch diffusen Vorstellung davon. Ich erprobe also gegenwärtig, was für mich funktioniert und was eher nicht. Denn so einfach wie in Gedanken, mit abgesteckten Grenzen und unter Verschluss gehaltenen Gefühlen, funktioniert es dann offenbar doch nicht, und da hat mir "Freunde lieben" geholfen, Eindrücke zu sortieren und emotionale Verwirrungen besser zu verstehen.

Veröffentlicht am 09.06.2024

Dicht und atmosphärisch!

Die Narayama-Lieder
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In einem japanischen Bergdorf ist es Brauch, dass sich die Alten in ihrem 70. Lebensjahr auf zum Narayama begeben und dort zu bleiben. Die Winter sind hart, die Alten müssen weichen für die Jungen.
Nun ...

In einem japanischen Bergdorf ist es Brauch, dass sich die Alten in ihrem 70. Lebensjahr auf zum Narayama begeben und dort zu bleiben. Die Winter sind hart, die Alten müssen weichen für die Jungen.
Nun ist es an der Zeit für die zähe Orin, noch in diesem Jahr will sie sich auf die Reise begeben. Bevor sie sich auf den Weg machen kann, muss sie noch einige Dinge erledigen. Ihrem verwitweten Sohn muss eine neue Frau gefunden werden, also lässt sie aus dem anderen Dorf eine geeignete Frau kommen. Wenn Orin doch nur noch die Zähne ausfallen würden... so kann das nicht gehen, dass man mit einem intakten Gebiss den letzten Gang zum Narayama antritt – was sollen die Leute denken?!
Hoffentlich schneit es am Tag ihrer Reise, denn das bedeutet, dass ihr Aufbruch vom Schicksal geleitet ist...

Zieht man von diesem ohnehin schon überschaubaren Büchlein den üppigen Anhang ab, kommt man auf eine Länge von knapp 80 Seiten. Übrig bleibt ein kurzes Buch, dessen Inhalt sich dicht und atmosphärisch über die eigene Vorstellungskraft legt. Ein kurzer literarischer Abstecher in das ländliche Japan – hat mir sehr gut gefallen!