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Veröffentlicht am 22.06.2024

Keine skandinavische Massenware

Wenn die Nacht endet
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Es ist kurz vor dem Jahrtausendwechsel, eine strukturschwache Region im Niedergang. Null Perspektiven für Jugendliche. Sie kennen sich seit Kindertagen, hängen miteinander ab, langweilen sich. Manche sind ...

Es ist kurz vor dem Jahrtausendwechsel, eine strukturschwache Region im Niedergang. Null Perspektiven für Jugendliche. Sie kennen sich seit Kindertagen, hängen miteinander ab, langweilen sich. Manche sind auf dem Sprung, andere wie festgenagelt. Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Ablenkung bieten einzig die kollektiven Treffen aka Besäufnisse an den Wochenenden, bei denen sich mehr oder weniger regelmäßig die Frustration in Prügeleien entlädt.

Als der 18-jährige Mikael an dem Morgen nach einer solchen Party tot aufgefunden wird, stellt sich für die Polizei natürlich die Frage, ob der Täter in der Clique zu finden ist. Sie machen zwar zwei Verdächtige aus, können ihnen aber nichts nachweisen.

Zwanzig Jahre später wird Mikaels Bruder ermordet. Vidar Jörgensson ermittelt und stößt natürlich auf den ungeklärten Mord an Mikael.

„Wenn die Nacht endet“ ist der abschließende Band der Halland-Trilogie des Schweden Christoffer Carlsson (nicht nur Schriftsteller, sondern auch promovierter Kriminologe), der für diesen Roman sowohl mit dem Schwedischen als auch mit dem Skandinavischen Krimipreis ausgezeichnet wurde.

In seinen Romanen gibt es zwar immer Gewaltverbrechen, aber im Gegensatz zu den meisten Krimiautoren legt Carlsson wenig Wert auf die detaillierte Beschreibung der Ermittlungsarbeit. Vielmehr versucht er aufzuschlüsseln, weshalb jemand zum Täter wird und welche Auswirkungen die Tat schlussendlich sowohl für dessen persönliches Umfeld als auch für Familie und Freunde des Opfers hat. Er stellt die alte Frage nach Schuld, nach persönlicher Moral, aber auch nach dem Versagen einer Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung nicht stellt.

Zwar nicht ganz so herausragend wie der Vorgänger, aber mit seinem feingezeichneten Figurenensemble sowie dem hohen sprachlichen Niveau des Autors, hebt sich auch dieser Roman von der üblichen skandinavischen Massenware ab und wird allen empfohlen, die auch in Kriminalromanen literarische Qualität zu schätzen wissen.

Veröffentlicht am 10.06.2024

Drei Frauen und deren Wunsch nach Selbstbestimmung

Unter dem Moor
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Drei Frauenleben in unterschiedlichen Zeitebenen, deren Schicksal miteinander verknüpft ist. Auf den ersten Blick scheint das verbindende Element ein Dorf am Stettiner Haff zu sein. Gine, 14-jährig aus ...

Drei Frauenleben in unterschiedlichen Zeitebenen, deren Schicksal miteinander verknüpft ist. Auf den ersten Blick scheint das verbindende Element ein Dorf am Stettiner Haff zu sein. Gine, 14-jährig aus Berlin, absolviert 1936 dort ihr Landjahr und muss Schreckliches erleben. Sigrun, lebt 1979 mit Mann und Kind in dem Ort, der damals noch zur DDR gehört. Und schließlich Nina, die junge Ärztin mit Burn Out, die dort Ruhe und Frieden sucht, aber mit ihrem grausigen Fund im Moor längst Vergessenes zurück in die Gegenwart holt.

„Unter dem Moor“ ist eine Melange aus Historie, Krimi und Zeitgeschichte, denn bei allen drei Protagonistinnen steht Wunsch und Wille nach Selbstbestimmung, Herrin über die eigenen Entscheidungen zu sein, sich nicht von äußeren Zwängen bestimmen zu lassen, im Vordergrund. Die Perspektiven wechseln sich ab, und durch die alternierende Erzählweise bleiben sowohl das Tempo hoch als auch das Interesse der Leserin erhalten, denn natürlich möchte man wissen, was es mit Ninas Fund auf sich hat.

Ein lesenswerter, berührender und spannender Roman mit interessanten Protagonistinnen, den ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 02.06.2024

Empfehlenswerte Fortsetzung der Reihe

Blutstunde
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In der Vielzahl der Skandinavien-Krimis, die seit Jahren den Buchmarkt fluten und leider meist nach Schema F konstruiert sind, gibt es bei genauerem Hinsehen dennoch immer wieder besondere Perlen zu entdecken. ...

In der Vielzahl der Skandinavien-Krimis, die seit Jahren den Buchmarkt fluten und leider meist nach Schema F konstruiert sind, gibt es bei genauerem Hinsehen dennoch immer wieder besondere Perlen zu entdecken. Die Blix/Ramm-Reihe ist eine solche, was in erster Linie wohl daran liegt, dass die beiden Autoren wissen, worüber sie schreiben. Jørn Lier Horst war, bevor er zum Schreiben kam, lange Jahre in leitender Stellung bei der norwegischen Kripo beschäftigt, während der studierte Publizist Thomas Enger den Journalistenalltag aus seiner eigenen Redakteurstätigkeit kennt. Beste Voraussetzungen also für glaubwürdige Kriminalromane, die sich an der Realität orientieren.

Im fünften Band der Reihe zeichnet sich für die beiden Protagonisten ein Neuanfang ab. Emma Ramm hat ihren Job aufgegeben, Alexander Blix, nach einem achtmonatigen Gefängnisaufenthalt freigesprochen und aus der Haft entlassen, fühlt sich unter den ehemaligen Kollegen bei der Polizei nicht mehr wohl und kündigt ebenfalls. Doch dann erhält Blix auf dem Handy eine mysteriöse Nachricht und weniger später ein Kuvert mit dem Bild einer Toten, bei der es sich um eine seit über zwei Jahren spurlos Verschwundene handelt. Ganz klar, dass Alexander Blix und Emma Ramm der Sache nachgehen, schließlich gilt es, einen Mörder dingfest zu machen und der Familie des Opfers Gewissheit zu verschaffen…

„Blutstunde“ ist ein sorgfältig geplotteter, glaubwürdiger Kriminalroman mit sympathischen Protagonisten, denen jegliches Superheldentum abgeht. Dank der Berufserfahrung von Jørn Lier Horst werden die einzelnen Ermittlungsschritte akribisch genau und authentisch beschrieben, langweilen dadurch aber nicht, sondern fördern die gespannte Erwartungshaltung der Leserin/des Lesers. Und auch das Privatleben der beiden Hauptpersonen kommt nicht zu kurz, wobei aber auch hier die Dosierung stimmt und der eigentliche Fall nicht in den Hintergrund gedrängt wird.

Eine spannende, unterhaltsame Krimireihe, die ich guten Gewissens empfehlen kann.

Veröffentlicht am 01.06.2024

Das Leben drehen

Bonjour Agneta
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Ich höre schon die eine oder andere Stimme sagen: „Wieder so ein Buch, das eine Frau in der Midlife Crisis beschreibt, die einen Neuanfang wagt“. Ja, dem kann ich nicht widersprechen, aber wie Emma Hambergs ...

Ich höre schon die eine oder andere Stimme sagen: „Wieder so ein Buch, das eine Frau in der Midlife Crisis beschreibt, die einen Neuanfang wagt“. Ja, dem kann ich nicht widersprechen, aber wie Emma Hambergs Protagonistin Agneta ihr Leben dreht, das andere für sie vorgesehen und in dem sie sich widerwillig eingerichtet hat, versprüht schon einen ganz besonderen Charme…wenn man den Mittelteil außen vor lässt. Zwar ist die Person Einar ohne Frage wichtig für Agnetas Entpuppung, aber die gesamten und in aller Ausführlichkeit beschriebenen Details zu dessen Liebesleben hätte ich mir gerne erspart.

Natürlich verwendet die Autorin jede Menge Klischees, die man so schon oft gelesen hat (siehe Fabien), aber sie verpackt diese in eine unterhaltsame und spritzig geschriebene Story mit einem sympathischen Personentableau (siehe Bonnibelle). Das alles dann noch in einem detailliert beschriebenen, ursprünglichen Dörfchen in der Provence angesiedelt…da kommen unweigerlich Urlaubserinnerungen hoch.

Falls ihr eine unterhaltsame Lektüre für den Urlaub sucht, vorzugsweise unter südfranzösischer Sonne, dann solltet ihr hier zugreifen.

Veröffentlicht am 31.05.2024

Ein Wiedersehen mit alten Freunden

Jenseits des Grabes
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Lange war es still um Jean-Baptiste Adamsberg, Kommissar der Brigade Criminelle des 13. Pariser Arrondissements. Jetzt ist er zurück, um gemeinsam mit seinem Team einen mysteriösen Fall in der Bretagne ...

Lange war es still um Jean-Baptiste Adamsberg, Kommissar der Brigade Criminelle des 13. Pariser Arrondissements. Jetzt ist er zurück, um gemeinsam mit seinem Team einen mysteriösen Fall in der Bretagne zu untersuchen, die mit ihren megalithischen Dolmen den perfekten Hintergrund für den von seinen Intuitionen geleiteten Adamsberg bietet.

In Louviec, einem kleinen Dorf nahe Combourg in der Bretagne, ist ein Wildhüter gewaltsam zu Tode gekommen, und er wird nicht das einzige Opfer sein. Es gibt zwei Besonderheiten, die allen Opfern gemeinsam ist: Das Ei in der Hand und die Flohbisse an fast allen Körpern. Und da ist sie wieder, die besondere Vorliebe der Autorin für kleine Tiere, die von Haus aus unter anderem eine Qualifikation als Archäozoologin vorzuweisen hat. Erinnert ihr euch auch noch an die Spinnen im Vorgänger?

Und natürlich kommt auch während der Ermittlungen Vargas‘ Faible für Mythen und Legenden zum Tragen, sind die Dorfbewohner doch davon überzeugt, dass in dem kleinen Ort ein hinkender Geist umgeht, der nahendes Unheil verkündet. So greift die Vergangenheit in die Gegenwart, wird Altes lebendig gehalten. Und bald ist ein Verdächtiger gefunden. Josselin de Chateaubriand, ein Nachfahre von François de Chateaubriands, der gerne dessen perfekten Doppelgänger gibt…

„Jenseits des Grabes“ ist nicht der beste Band der Reihe. Die Krimihandlung wird fast in den Hintergrund verbannt, dafür werden permanent weitgehend sinnfreie Gespräche geführt, während das Team gefühlt permanent mit der Essensaufnahme beschäftigt ist. Aber wenn sie sich dann vom Tisch losreißen können, gleichen ihre Aktionen denen der Superhelden.

Adamsberg hingegen hat sich die Ruhe bewahrt und sinniert in bewährter Manier, in diesem Fall inspiriert von den Kraftfeldern der Dolmen, bis ihm schwuppdiwupp die Eingebung kommt und das Rätsel gelöst ist. Eigentlich für Krimileser höchst unbefriedigend, wenn der Täter praktisch aus dem Hut gezaubert wird. Aber dennoch habe ich das Wiedersehen mit den skurrilen und sympathischen Protagonisten genossen, was in erster Linie den vielen kleinen Nebenerzählungen sowie den historischen Verweisen geschuldet ist, die die Autorin passgenau in die eigentliche Handlung einflicht. À bientôt, mon commissaire.