Vielseitig, ungeschönt, bewegend und spannend – Eine Achterbahn der Gefühle
Die Bahnhofsmission„Eines Menschen Leben“ ist der zweite Teil der Dilogie um die Bahnhofsmission von Veronika Rusch.
Die gute Nachricht direkt vorab: Dieser zweite Teil ist ohne Vorkenntnisse über Teil 1 lesbar und in sich ...
„Eines Menschen Leben“ ist der zweite Teil der Dilogie um die Bahnhofsmission von Veronika Rusch.
Die gute Nachricht direkt vorab: Dieser zweite Teil ist ohne Vorkenntnisse über Teil 1 lesbar und in sich abgeschlossen. Über die relevanten Aspekte aus dem Vorgängerband wird der Leser sehr gut abgeholt.
Für all diejenigen, die Teil 1 gelesen haben, gibt es in diesem Roman ein Wiedersehen mit einigen Charakteren, aber auch viele Überraschungen. Allem voran einen großen Zeitsprung: seit Teil 1 sind 37 Jahre vergangen!
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Worum geht’s?
Berlin, Ende April 1945. Die Truppen der Alliierten haben Berlin erreicht und die Bevölkerung harrt in Luftschutzbunkern aus – der Krieg ist verloren. Mit Angst, aber auch vorsichtiger Zuversicht sehen die Berliner der Besatzung entgegen. Die Entbehrungen sind groß, ein hohes Maß an Flexibilität und Einfallsreichtum gefragt – doch Durchhaltevermögen ist eine der größten Tugenden dieser Zeit.
Am Schlesischen Bahnhof im sowjetischen Sektor herrscht größtes Elend: Kriegsrückkehrer und Flüchtlinge stranden dort entkräftet, traumatisiert oder verletzt.
Da Alice wagt einen kühnen Versuch: Sie will die Bahnhofsmission wiedereröffnen. Ein Versuch sich dem Elend und der Hilflosigkeit mit Menschlichkeit und Barmherzigkeit entgegenzustellen.
Ein scheinbar aussichtsloser Kampf…
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Meine Eindrücke:
Dieser Roman hat mich von der ersten Seite an mitgenommen. Nicht nur mit dem Kopf, sondern vor allem auch mit dem Herzen. Der Hunger, die Entbehrung, die Hoffnung auf bessere Zeiten, das Streben nach Veränderung, die Auseinandersetzungen mit Anhängern des gefallenen Regimes, die Ambivalenz der Besatzungsmächte - mal Bedrohung, mal Hilfe. Dies alles wird so bildhaft und emotional beschrieben, dass ich mehrfach schlucken, jedoch auch immer wieder lächeln musste.
Es ist ein ergreifender Roman über das Ende des zweiten Weltkriegs, der viele persönliche Schicksale aufzeigt. Dem es allerdings gelingt, das perfekte Gleichgewicht zu finden: Die kleinen, feinen Hoffnungsschimmer und Momente der Freiheit und des Glücks strahlen in die Dunkelheit des schweren Alltags. Veronika Rusch betont sie auf wunderbare Weise und mit einer gefühlten Leichtigkeit. Ihr Schreibstil hat Sogwirkung, ließ mich durch die Seiten fliegen und besticht durch seine Klarheit.
Die Mischung aus bekannten und neuen Charakteren finde ich wunderbar und ich gönne Alice ihre Protagonistinnen Rolle von Herzen. Neben dem Kampf um die Bahnhofmission kämpft sie auch einen ganz eigenen, inneren Kampf.
Die Handlung ist durch Seitenstränge und Geheimnisse spannend gestaltet und lädt zum mitfiebern, rätseln und hoffen ein. Das Tempo ist gut, nimmt mit vorschreitender Handlung sogar zu.
Die Handlungsstränge werden zwar sehr gut miteinander verbunden, für mich jedoch nicht immer überzeugend genug aufgelöst.
Ich hätte sehr gern noch ein- bis zweihundert Seiten weitergelesen, wenn dafür der Endspurt etwas entschleunigt, dafür aber ausführlicher ausgearbeitet gewesen wäre.
Und doch bleibt am Ende die Wehmut, dass mit diesem Roman die Dilogie um die Bahnhofsmission wohl beendet ist.
Mein Fazit:
Dieser Roman erinnert uns daran: Mit Menschlichkeit, Hoffnung und Durchhaltevermögen können Grenzen überschritten werden!
Er ist eine gelungene Fortsetzung, die mich über weite Strecken sehr begeistert hat, aber leider nicht vollständig. Ich bin sehr froh, ihn gelesen zu haben.