Feststecken in der Aquariumwand
Als wir Schwäne warenBehzad Karim Khanis neuer Roman „Als wir Schwäne waren“, erschienen 2024 bei Hanser Berlin, schließt von der poetischen Wucht her nahtlos an „Hund, Wolf, Schakal“ an, lässt aber auch viele Lücken und kommt ...
Behzad Karim Khanis neuer Roman „Als wir Schwäne waren“, erschienen 2024 bei Hanser Berlin, schließt von der poetischen Wucht her nahtlos an „Hund, Wolf, Schakal“ an, lässt aber auch viele Lücken und kommt so aus einer einseitig wirkenden Betrachtungsweise nicht ganz heraus.
Das Buch startet mit einem Paukenschlag von Prolog, gerichtet an ein 5-jähriges Kind, von dem wir nicht entschlüsseln werden, ob es sich hier um den Autor selbst handelt. Direkt der erste Absatz hat mich mitten ins Herz getroffen, hier steckt schon so viel drin! Lieblingssatz daraus: „Und ich, tausend Lügen klüger, sagte nicht, dass fair ein so einfaches Wort ist, und Gerechtigkeit ein so schwieriges“. Um diese Gerechtigkeit wird es viel gehen auf den knapp 200 Seiten die folgen und um das Konzept von Heimat, und die Suche nach einer solchen, nach einem Ankommen, sie treibt den Protagonisten Reza den ganzen Roman lang um. Sehr berührend und auch bedrückend die Kindheitsschilderung angekommen in Deutschland, in Bochum, abgeschieden vom Rest der Stadt, das Fremde, die Versuche, Gemeinschaft zu finden, die sich schnell immer wieder im Keim ersticken, aber auch die eigene, selbstgewählte Abgrenzung. Die Diskriminierung und der Alltagsrassismus bis hin zur offenen Provokation. Gewalt als einziger Weg nicht unterzugehen. Mit wenigen klaren und sprachspielerisch großartigen Sätzen schafft der Autor es immer wieder, Kulturunterschiede deutlich zu machen. Ich liebe dabei seinen Humor, mit dem er immer so viel Leichtigkeit in die Schwere bringt. Viel Zeitkolorit der 90er Jahre, dass er auch mit wenigen Informationen greift. Der Stolz der Perser als wichtiges Thema, etwas, dass unsere Gesellschaft immer wieder einfach ignoriert, aber auch die Sanftmut, die unendliche Geduld, die große Gastfreundschaft, das immer helfende Herz, die ausgeprägte Höflichkeit, die leisen Stimmen.
Behzad Karim Khani schreibt episodenhaft und fragmentarisch, er erzählt ein schnelles Aufwachsen, das sich immer mehr mit Gewalt und Verachtung füllt, ohne dass man lesend den Finger darauf legen kann, worin diese fußen. Reza hat einen starken Hang, sich unbeteiligt zu geben, wirkt emotional abgekoppelt, fast dissoziiert teilweise, wie er zwischen hoher Gewaltbereitschaft und der absoluten Unlust auf Gewalt und Konflikt pendelt. Gefühleanhalten nennt er selbst diesen Zustand. Da wir nichts über seine Reise nach Deutschland erfahren, ist es schwer zu sagen, ob es ein zugrundeliegendes Trauma gibt. Das ist ein nicht wegzuredendes Manko des Romans, der Autor gibt uns keinerlei Hintergrundinformationen zu seinem Protagonisten. So wird die Gewalt- und Abstiegsspirale, in die er sich aktiv begibt, schwer nachvollziehbar, die Anklagehaltung findet keine lesbaren Wurzeln. Reza fühlt sich in seiner Würde stark verletzt, es wird jedoch nicht identifizierbar, wann und wodurch das geschah.
Was aber sehr deutlich wird, ist das Gefühl, nicht mehr heilen zu können und keinen wirklichen Platz auf der Welt zu haben. Hierfür findet der Autor ein starkes Bild, wenn er von einem Aquarium spricht, wo er immer unter Beobachtung steht, aber auf der anderen Seite der Wand ist kein Leben möglich. Und so wird er sich in die Wand bohren – wie er das macht, das erfährt man im Buch.
„Hier gibt es nichts für dich, wofür es sich zu brennen lohnt.“ Sagt Rezas Mutter und sie trifft für mich den Nagel auf den Kopf. Aus diesem Zustand gibt es viele Auswege, einer ist Adrenalin. Was können wir tun, gegen die Leere, in die viele Geflüchtete geraten?
Behzad Karim Khani findet durchweg eine starke Sprache für dieses Gefühl, unfassbar schöne Bilder, man möchte jeden Satz unterstreichen, ausschneiden, aufhängen. Doch es bleiben auch sehr viele Fragen offen, was der lesenden Person oft die Möglichkeit zur Empathie nimmt.
Seinen Frieden nur zu finden, indem man versucht, sich im Dazwischen einzurichten, weil das das Beste ist, was man überhaupt erreichen kann – das finde ich persönlich ganz furchtbar. Damit dürfen wir uns auseinandersetzen, um Alternativen zu finden zum Adrenalin. Vielleicht durch das Lesen dieses Buches.