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Veröffentlicht am 24.10.2024

Übung in Empathie

White Lives Matter
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Als ich das Cover und den Titel dieses Romans zuerst sah, dachte ich sofort an den Slogan der White-Power-Bewegung aus den USA und wollte mich schon aufregen - und dann sah ich, dass die großartige Jasmina ...

Als ich das Cover und den Titel dieses Romans zuerst sah, dachte ich sofort an den Slogan der White-Power-Bewegung aus den USA und wollte mich schon aufregen - und dann sah ich, dass die großartige Jasmina Kuhnke den Roman geschrieben hat, deren ersten Roman „Schwarzes Herz“ fand ich sehr gut fand: eindringlich, intensiv und emotional mitnehmend. Diesen Roman MUSSTE ich also auch lesen.

Kuhnke dreht hier den Spieß um: Anna ist eine der wenigen Weißen in ihrem Studiengang, als erste in ihrer Familie hat sie es an die Uni geschafft. In Annas Welt werden Weiße aufgrund ihrer Hautfarbe seit Jahrhunderten diskriminiert. Nach und nach entdeckt Anna in ihrem Geschichtsstudium und in ihrem Alltag, dass die Diskriminierung auf koloniale Verbrechen zurückgeht und sie selbst durch besonders angepasstes Verhalten nicht verhindern kann, strukturell und im Alltag diskriminiert zu werden. Als Anna gerade beginnt, selbstbewusster zu werden, wird ihr Bruder Opfer rassistischer Polizeigewalt gegen Weiße. Ihr Leben kann nicht mehr so weitergehen wie vorher.

Insgesamt greift Kuhnke mit dieser kreativen Idee das wichtige Thema der empathy gap auf: Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass Schwarzen gegenüber weniger Empathie empfunden wird, was schmerzhafte und tödliche Folgen haben kann. Insgesamt ist der Roman dennoch relativ einfach erzählt, sodass er mir insgesamt eher wie ein Jugendbuch vorkam. Manche Stellen waren für mich sprachlich nicht ganz so eindringlich und kraftvoll wie im Debütroman: Einige Dialoge wirkten durch die Verwendung von eher pubertärer Jugendsprache auf mich unpassend für das studentische Milieu. An vielen Stellen wird, um Annas Entwicklung unmissverständlich klarzumachen, das Prinzip „Show, don‘t tell“ verletzt, wenn z.B. am Ende eines Kapitels darauf hingewiesen wird, dass Anna sich nun selbstermächtigt habe. Ich persönlich hätte es besser gefunden, die Leser:innen das aus Annas Verhalten interpretieren zu lassen, für jugendliche oder unerfahrene Leser:innen ist das aber bestimmt hilfreich. Mir haben die fiktiven historischen Rückblicke daher viel besser gefallen, die sehr eindringlich geschrieben sind und zahlreiche berührende literarische Leerstellen offen lassen.

Insgesamt würde ich den Roman daher als guten Einstieg ins Thema auch für Jugendliche sehen, dem dann aber weitere Lektüre folgen sollte. Denn auch die empathy gap wird im Roman explizit, aber sehr vereinfacht erklärt: Diese besage, dass Menschen ohne Diskriminierungserfahrungen nicht in der Lage seien Empathie für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen zu haben - das greift aber meines Wissens ein bisschen zu kurz, da es Studien gibt, die zeigen, dass auch Schwarze Menschen weniger Empathie mit Schwarzen haben und dass deshalb dieser internalisierte Rassismus aktiv von allen verlernt werden muss, um gesellschaftliche Änderungen zu bewirken. Wenn dies passiere, ist es jedoch auch für Menschen ohne Rassismuserfahrung möglich Empathie für rassifizierte Menschen zu empfinden. Kuhnke versucht mit ihrem Roman ja sogar selbst, diese anzuregen - und schafft das aus meiner Sicht auch!

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Veröffentlicht am 22.09.2024

Geschichte war nicht für mich

Das Wohlbefinden
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Ulla Lenzes Roman „Das Wohlbefinden“ bietet auf den ersten Blick ein vielversprechendes Setting: eine historische Begegnung in den Heilstätten Beelitz im Jahr 1907, eingebettet in die okkulte Szene jener ...

Ulla Lenzes Roman „Das Wohlbefinden“ bietet auf den ersten Blick ein vielversprechendes Setting: eine historische Begegnung in den Heilstätten Beelitz im Jahr 1907, eingebettet in die okkulte Szene jener Zeit, und verknüpft mit einer Rahmenhandlung in Berlin 2020. Das Potenzial, eine packende Geschichte mit Tiefgang zu entwickeln, ist also eindeutig vorhanden. Doch trotz dieser faszinierenden Prämisse konnte mich der Roman letztlich nicht vollständig überzeugen.

Im Mittelpunkt steht die ambivalente Beziehung zwischen der angeblich hellsichtigen Fabrikarbeiterin Anna und der großbürgerlichen Schriftstellerin Johanna Schellmann. Beide Frauen scheinen voneinander zu profitieren, doch gleichzeitig bleibt unklar, welche Absichten wirklich dahinterstecken: Ist Anna ein echtes Medium oder eine geschickte Betrügerin? Nutzt Johanna sie lediglich als Inspiration für ihr neues Buch? Diese Spannung zieht sich durch den Roman, blieb jedoch für mich zu blass, um wirklich zu fesseln. Besonders Annas religiös-okkulte Äußerungen erschwerten es mir, ihre Anziehungskraft auf Johanna nachzuvollziehen. Auch die Figur von Johannas Enkelin Vanessa, die im modernen Berlin auf die Spuren ihrer Familiengeschichte stößt, bleibt für meinen Geschmack zu oberflächlich. Ihre Nachforschungen und die Entdeckungen über das wahre Ende von Johannas und Annas Geschichte fügen der Handlung zwar eine interessante Meta-Ebene hinzu, konnten mich emotional jedoch ebenfalls nicht erreichen.

Trotz dieser Kritikpunkte schätze ich Lenzes Sprache und den geschickten Aufbau des Romans. Ihre Fähigkeit, verschiedene Zeitebenen miteinander zu verknüpfen, zeugt von einer literarischen Raffinesse, die mich durchaus beeindruckt hat. Auch wenn „Das Wohlbefinden“ mich nicht vollkommen in seinen Bann ziehen konnte, würde ich dennoch weitere Romane von Ulla Lenze lesen, denn ihre stilistische Eleganz und die sorgfältige Konstruktion ihrer Geschichte sind unbestritten. Insgesamt lässt sich sagen, dass „Das Wohlbefinden“ trotz seiner gelungenen sprachlichen und erzählerischen Elemente letztlich für mich daran scheitert, die Tiefe seiner Figuren und die Dynamik ihrer Beziehungen überzeugend zu vermitteln. Wer sich jedoch für die Themen Okkultismus und historische Frauenfiguren interessiert, könnte in diesem Roman trotzdem eine lesenswerte Geschichte finden.

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Veröffentlicht am 17.06.2024

Anders als gedacht

Agatha Christie
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Der historische Roman „Agatha Christie“ zeigt das frühe Leben der weltberühmten Krimiautorin, die uns Detektive wie Hercule Poirot und Miss Marple geschenkt hat. Der Roman beginnt mit Agatha Christies ...

Der historische Roman „Agatha Christie“ zeigt das frühe Leben der weltberühmten Krimiautorin, die uns Detektive wie Hercule Poirot und Miss Marple geschenkt hat. Der Roman beginnt mit Agatha Christies Kindheit und Jugend, geprägt von ihrem Wunsch, Pianistin zu werden, ein Traum, der jedoch nicht in Erfüllung geht. Stattdessen findet sie im Schreiben eine neue Leidenschaft, die ihr späteren Weltruhm bescheren wird.

In weiten Teilen des Romans wird Agatha vor allem als unsicheres Mädchen und verliebte Verlobte dargestellt. Ihre Ängste und Unsicherheiten, auch nach dem Tod ihrer Mutter, nehmen einen großen Teil der Erzählung ein. Dieser Fokus auf ihre Jugend und inneren Konflikte zieht sich durch die ersten drei Viertel des Buches und lässt die eigentliche Faszination für ihre Schriftstellerkarriere etwas in den Hintergrund treten.

Erst im letzten Teil des Romans gewinnt die Geschichte an Fahrt und zeigt Agatha Christie als entschlossene Abenteurerin und leidenschaftliche Schriftstellerin. Dieser Abschnitt, in dem sie ihre Rolle als Krimiautorin annimmt und sich in ihrer neuen Identität festigt, ist deutlich spannender und unterhaltsamer zu lesen. Leider endet der Roman gerade an dem Punkt, an dem Agathas Leben und Werk richtig interessant werden.

Der Schreibstil des Romans neigt insgesamt zum Kitschigen, was besonders in den romantischen und dramatischen Passagen der ersten drei Viertel deutlich wird. Diese Tendenz lässt im letzten Teil des Buches nach, wo die Erzählung realistischer und mitreißender wird. Ein weiteres Manko ist, dass Agatha Christies schlagfertige und humorvolle Seite, die in vielen ihrer eigenen Zitate und Anekdoten zum Ausdruck kommt, nicht deutlich wird. Dies kommt erst im Nachwort der Autorin zur Sprache.

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Veröffentlicht am 17.05.2024

Nett, aber nicht weltbewegend

Das Gegenteil von Erfolg
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Ich muss zugeben, dass ich mir mehr von diesem Roman erhofft habe. Der Roman wird angekündigt als „irre komischer […] schlauer Roman […] über Arbeit, Mutterschaft, Freundschaft, Kapitalismus und den Mutzu ...

Ich muss zugeben, dass ich mir mehr von diesem Roman erhofft habe. Der Roman wird angekündigt als „irre komischer […] schlauer Roman […] über Arbeit, Mutterschaft, Freundschaft, Kapitalismus und den Mutzu scheitern“. Ein unterhaltsamer Roman über eine sympathisch chaotische Protagonistin, der dann aber auch noch Kapitalismuskritik übt? Das musste ich lesen!

Der erste Drittel hat mich dann tatsächlich auch nicht enttäuscht. Der Schreibstil ist locker und unterhaltsam, die beiden Freundinnen Lorrie und Alex sind jeweils nicht zu perfekt und deshalb sympathisch, dennoch haben eine Vorgeschichte, die den Figuren Tiefe gibt. Außerdem sind beide richtig kluge Frauen. Anschließend verlor der Roman aus meiner Sicht allerdings zunehmend an Tempo, es gab zu weitschweifige Überlegungen der beiden Frauen, die jedoch kaum irgendwohin führten oder dazu führten, dass die beiden ihre Handlungen anpassten.

Gestört hat mich dann am Roman in der Gesamtschau, dass mit wichtigen Themen dann doch zu unkritisch umgegangen wird. Das fat shaming, dem z.B. Lorrie ausgesetzt ist, von dieser zwar reflektiert wird, aber dennoch bis zum Schluss nichts dagegen unternommen wird - da wird auch eine ernste Krankheit von Lorries Mutter noch als gute Abnehmmaßnahme kommentiert. Das wird zwar von Lorrie als unmöglich wahrgenommen, sie tut allerdings nichts dagegen. Auch die Kapitalismuskritik fällt lahm aus - Lorrie betont, dass sie am liebsten als Hausfrau bei ihren Töchtern bleiben würde anstatt zu arbeiten. Vielleicht möchte sie auch noch einmal studieren. Das blendet sicher viele Schwierigkeiten, die damit einhergehen aus, wie z.B. die finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann, in die Lorrie sich begeben würde. Auch die Klimaaktivisten werden vom Roman als zu radikal dargestellt, Alternativen dazu scheint es nicht zu geben. Und als wären das nicht schon genug Themen, gibt es auch noch ein Eifersuchtsdrama zwischen Alex und Lorrie und weiteren Figuren. Mein Fazit also: Kann man lesen, muss man aber vielleicht auch nicht.

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Veröffentlicht am 31.03.2024

Zu offensichtlich

Weiße Wolken
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Leider hat mich dieser Roman nicht überzeugen können. Zu oft wird für mich das Erzählprinzip „show, don‘t tell“ verletzt. Sicher, anfangs ist es ganz amüsant, den sozialen Stand der älteren Schwester Dieo ...

Leider hat mich dieser Roman nicht überzeugen können. Zu oft wird für mich das Erzählprinzip „show, don‘t tell“ verletzt. Sicher, anfangs ist es ganz amüsant, den sozialen Stand der älteren Schwester Dieo an ihrem gelben Fjällräven-Rucksack ablesen zu können, während ihre jüngere Schwester Zazie mit Signalwörtern postkolonialer Theorie um sich wirft und auf social media nachschaut, wie sie sich möglichst antifaschistisch schick machen kann. Allerdings wirken viele Beschreibungen, z.B. regelmäßig von Männern mit Apple Watches, dadurch unauthentisch und oberflächlich, auch wenn dadurch die oberflächliche Welt kritisiert werden soll. Ähnlich ging mir das mit einigen Dialogen: Warum erzählt Zazie vorweg, dass sie in letzter Zeit über transgenerative Traumata nachgedacht hat anstatt dieses einfach nach und nach deutlich werden zu lassen?

Ich hatte oft das Gefühl, dass einerseits viel Vorwissen über postkoloniale Theorie und auch Fremdsprachen wie Französisch vorausgesetzt wurde (interessanterweise wurde aber Wolof als Sprache nicht unübersetzt zitiert, was ich dann gut gefunden hätte), andererseits zu viel erklärt wurde, was auch so deutlich geworden wäre oder wo eine Leerstelle vielleicht auch interessant gewesen wäre. Ich denke, mir hätte ein Sachbuch der Autorin besser gefallen.

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