Falsch verpackt
Ich wollte das Buch lesen, weil ich bereits ein Buch über die Geschichte deutscher Queers gelesen hatte - überwiegend männlicher Menschen. Das eher geometrische Cover sprach auch dafür, dass es ein Sachbuch ...
Ich wollte das Buch lesen, weil ich bereits ein Buch über die Geschichte deutscher Queers gelesen hatte - überwiegend männlicher Menschen. Das eher geometrische Cover sprach auch dafür, dass es ein Sachbuch ist. Leider ist es das nicht.
Der Text ist sehr umgangssprachlich geschrieben und liest sich wie ein Comedy-Beitrag auf einer OpenStage - über ca. 150 Seiten. Das muss man mögen. Meins war's gar nicht.
Worum geht es?
Der rote Faden sind Beziehungen queerer Frauen beginnend mit Sappho bis in die Neuzeit. Ab 70 % gewinnen People of Color und die Bürgerrechtsbewegung der 50er bis 70er mehr Raum, auch die AIDS-Epidemie wird behandelt, was ich interessant fand. Am Ende gibt es noch Hinweise zu den Quellen.
Wie hat mir das Buch gefallen?
Es war eine Quälerei und ich war froh, als es vorbei war. Es ist eine satirsche Darstellung lesbischer Frauen in all ihren Klischees. Selbst der Krieg gegen das Patriachat wird ständig auf's Korn genommen. Das Buch ist voller Verallgemeinerungen. Was wahr ist und was nicht, was der Erzählerin überhaupt wichtig ist, weiß ich nicht. In den letzen 30 % klingt das Buch weniger humorvoll, sondern (endlich!) wahrhaftig.
Übertrieben formuliert: Vielleicht ist das Buch für Lesben gedacht, die die Nase voll haben von all den Bewertungen, dem ständigen Kampf, und die einfach mal lachen wollen. Und natürlich für alle anderen, die damit klarkommen.
Ein eher dezentes Beispiel: "Die NUWSS war gechillt. Ihre Mitglieder standen nicht so auf Gewalt und glaubten an die Macht der Worte." (49 %). Ein Beispiel, wo der Inhalt einfach untergeht: "The Ladder erhielt einerseits viel Zuspruch, wurde andererseits aber auch heftig kritisiert. Viele queere Frauen konnten nicht verstehen, wieso die DOB so besessen davon waren, das Gleiche haben zu wollen wie Heteros. Wollten sie wirklich heiraten dürfen, nur um sich zehn Jahre später wieder scheiden zu lassen? Wollten sie wirklich im Partnerlook herumlaufen und Urlaubsfotos in Alben kleben? Wollten sie sich wirklich chinesische Schriftzeichen auf den Rücken tätowieren lassen?" (68 %)
In einem belletristischen Roman oder einer Essay-Sammlung wäre das nett gewesen, aber in einen Buch, das mir als Ratgeber oder Sachbuch verkauft wird, finde ich das deplatziert.
Vor allen, weil der Inhalt untergeht. Die Erzählerin greift einige bekannten Persönlichkeiten auf und viele unbekannte. Das ist löblich! Aber sie stellt oft die sexuelle Freizügigkeit bzw. das Liebesleben der Figuren in den Vordergrund. Denn es geht überwiegend um lesbische Frauen - und die wurden selbst innerhalb des Feminismus kritisch gesehen. Ab den 1950er Jahren, als erste Zeitschriften für lesbische Frauen entstanden, wird das Buch sachlicher, doch man wird mit Namen überflutet, vieles kurz angerissen und oft ist es wichtiger, mit wem die Herausgeberin Sex hatte. Es ist so schade, dass bei den meisten Frauen um Buch nicht im Vordergrund steht, was sie für die Gesellschaft geleistet hat.
Es wird, wie im zweiten Beispiel ersichtlich, auch nicht unterschieden, welche Strömungen, welche Fragestellungen es innerhalb der lesbischen Communitys gab. Auch, wie sich die erste und zweite Welle des Feminismus entwickelt haben, war nicht ganz klar. Es gibt im Buch soviele Aspekte, die man hätte ansprechen können - und soviel Klatsch und Tratsch soviele retorische Mittel, die nicht nötig gewesen wären.
Für mich war es auch befremdlich, dass jede Frau als "lesbisch" einsortiert wird, die körperliche Zuneigung zu einer Frau gespürt hat. Selbst Anne Frank. Obwohl es auch Frauen gibt, die sich aus emotionalen Gründen körperlich zu Frauen hingezogen fühlen oder die Frauen begehrten, aber sich nicht als "lesbisch" definierten. Virginia Woolfe hatte wahrscheinlich eine Affäre mit Vita Sackville-West, aber ob sie ein generelles Bedürfnis nach körperlichen Beziehungen hatte, kann bezweifelt werden.
Übrigens ist das Buch mit "queer" überschrieben, es geht aber meist um lesbische Frauen. TransMänner kommen vor, TransFrauen weniger, People of Color ein bisschen. Bisexuelle werden manchmal mit-eingeschlossen, aber bei keiner der Frauen, die erwähnt werden, stand das im Mittelpunkt.
Ich finde es aber gut, dass queere People of Color erwähnt werden, leider zuwenig. Denn diese Gruppen haben aufgrund der Mehrfachdiskreminierung einen anderen Blick auf das Thema und ihren eigenen Teil der Geschichte.
Es gibt auch kaum direkte Zitate, vieles ist nacherzählt und oft phantasiert die Erzählerin darüber, wie etwas stattgefunden hat oder hätte stattfinden sollen. Was wahr ist und was hinzugedichtet wurde, ist nicht ersichtlich.
Allerdings liegt das auch an der Quellenlage. Das Buch erwähnt das nur am Rande, aber schriftliche Aufzeichnungen über queere Liebe gibt es vergleichsweise selten, am ehesten in der Literatur. Queerness wurde zu vielen Zeiten verurteilt, aus der Geschichte gelöscht. Schriftverkehr von queeren verheirateten Frauen wurden später von deren Ehemännern oder Erben vernichtet oder verändert herausgegeben.
Trotzdem ärgert es mich, dass die Erzählerin ihre Glaubwürdigkeit zusätzlich herabsetzt, in dem sie kaum Zitate und Quellenangaben verwendet.
Fazit
Für war das Buch leider nicht schön. Wenn man es als satirische Abrechnung mit queeren Klischees versteht und sich darüber freut, dann ist es nett zu lesen. Wenn man dagegen ein Sachbuch erwartet, sollte man zu einem anderen Werk greifen.