Familienbande in Kriegs- und in Friedenszeiten
Und dahinter das MeerHitler und Göring und die deutsche Luftwaffe führten einen gnadenlosen Krieg gegen England. Zahlreiche Städte wurden niedergebrannt. Familien, die es konnten, schickten ihre Kinder in Sicherheit, nach ...
Hitler und Göring und die deutsche Luftwaffe führten einen gnadenlosen Krieg gegen England. Zahlreiche Städte wurden niedergebrannt. Familien, die es konnten, schickten ihre Kinder in Sicherheit, nach Übersee. Leider begnügte sich die deutsche Marine nicht nur Schiffe aus den USA nach Großbritannien zu torpedieren, die ja Truppen, Kriegsausrüstung und Verpflegung für die Armee transportierten, sondern auch Schiffe, die aus England Richtung USA ausliefern, mit Kindern an Bord.
In dem wunderschön geschriebenen Roman wird solch eine Verschickung beschrieben. Aus der Sicht der Eltern, des elfjährigen Mädchens und aus der Sicht der Mitglieder der Gastfamilie in den USA. Dieser ständige Perspektivenwechsel macht deutlich, wie die einzelnen Familienmitglieder, die aus England und aus den USA, mit der neuen Situation zurechtkommen. Am schwersten war es wohl für Beatrix, die plötzlich aus ihrer Familie und ihrem Umkreis herausgerissen wurde. Auf der Überfahrt freundet sie sich mit den anderen Mädchen auf dem Schiff an, nur um sie nach 2 Wochen wieder zu verlassen und von der Gastfamilie abgeholt zu werden. Wieder ein neuer Lebensabschnitt für Beatrix, der fünf Jahre dauern wird.
Die Idee zu dieser Verschickung hat Beatrix Vater, Reginald. Aber um in den Augen seiner Tochter besser dazustehen, erklärt er ihr, das wäre die Idee ihrer Mutter gewesen. Damit treibt er einen Keil zwischen Mutter und Tochter, der erst viele Jahre später heilen wird. Es ist eine spontane Eingebung Reginalds, die weitreichende Folgen haben wird.
Die Lücke, die Beatrix bei ihren Eltern hinterlässt, und Reginalds Lüge treibt auch die Eheleute auseinander. Sie werden beide aktiv aber getrennt in der Kriegshilfe, Lösch- und Räumkommandos der Vater, Buchhalterin in mehreren Geschäften und Krankenwagenfahrerin Millie.
Die amerikanische Gastfamilie besteht aus Vater Ethan, Lehrer, Nancy ist Hausfrau und die treibende Kraft der Familie, die Söhne William und Gerald. Beatrix ist altersmäßig zwischen den Söhnen, sie passt genau in diese Familie, trotz ihrer anfänglichen Angst und Scheu. Und ohne es zu merken, gewichtet sie die Familie um: “Doch Bea hat, ohne es zu ahnen, alles durchgerüttelt. Es ist, als hätte ihre Gegenwart das Gleichgewicht innerhalb der Familie verändert. Selbst Ethan hat sie ins Herz geschlossen.” (S. 63)
Die fünf Jahre, die Beatrix in den Staaten verbringt sind eigentlich ihre formativen Jahre. Als sie als 17jährige zurückkehrt, als junger Mensch, lässt sie einen Teil ihrer Seele in den Staaten. Sie wird William 1951 erklären: “Meine Lieblingsmannschaft? Die Red Sox. Mein Lieblingsort? Maine. Mein Lieblingsessen? Die Muffins von deiner Mutter. Trotzdem bin ich hier. Das ist mein Zuhause. Meine Mutter ist hier. Ich gehöre hierher, und dennoch hänge ich in der Luft, zwischen zwei Welten. Irgendwie komme ich nirgends richtig an.” (S. 194). Doch letzten Endes entscheidet sie sich für Gerald und den USA, denn “das hier fühlt sich wie mein Zuhause an, egal, was ich mir einrede oder wie sehr ich mich bemühe, mir drüben [in England] ein Zuhause zu schaffen.Das was ich bin, bin ich hier geworden.” (S. 351)
Mit viel Feingefühl und Sensibilität beschreibt Spence-Ash die Situation, in der sich alle Beteiligten befinden: Beatrix wird entwurzelt, findet eine neue Heimat in den USA, um nach fünf Jahren gezwungen zu sein, in London wieder eine Heimat zu finden. Reginald und Millie, die zurückgebliebenen Eltern, die an diesem Verlust des einzigen Kindes fast zerbrechen und in den Kriegsanstrengungen ihres Landes aufgehen. Ethan und Nancy, die Gasteltern und die beiden Söhne, die Beatrix von ganzem Herzen willkommen heißen, sich so herzlich bemühen, den Einstieg des Mädchens in das neue Leben so einfach wie möglich zu machen. Die Empathie, die einem auf jeder Seite des Buches entgegenschlägt, ohne je ins Sentimentale abzudriften, die Sensitivität und das Verständnis, die alle Beatrix entgegenbringen, unaufdringlich aber ständig präsent, all dies und die interessante Geschichte, eigentlich schon ein Stück Zeitgeschichte, machen das Buch so lesenswert.