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Veröffentlicht am 01.10.2024

Wenn dich die Vergangenheit einholt

Stalker – Er will dein Leben.
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Eric Sanders ist Schauspieler und hat ein festes Engagement am Münchner Residenztheater. Er will mehr, er will berühmt werden und im Rampenlicht stehen. Dieser Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen, als ...

Eric Sanders ist Schauspieler und hat ein festes Engagement am Münchner Residenztheater. Er will mehr, er will berühmt werden und im Rampenlicht stehen. Dieser Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen, als er die Hauptrolle im neuen Münchner Tatort angeboten bekommt.

Die Rolle wird ein Erfolg. Die schauspielerische Leistung wird allseits gelobt. Die Zahl seiner Follower auf Facebook steigt rasant. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite. Nicht jeder gönnt ihm den Erfolg. Das muss er sehr schnell erfahren.

Ein Fremder schleicht sich in Erics Identität ein und postet fiese Kommentare in Erics Namen, was einen regelrechten Shitstorm auslöst. Der Fremde gibt sich damit allein aber nicht zufrieden. Er droht damit, seiner Frau Paula und seinem Sohn Leon Gewalt anzutun, wenn er nicht öffentlich im Netz einen Mord gesteht, den er als elfjähriger Junge begangen haben soll.

Aufgrund der Ereignisse ist Erics Leben völlig aus dem Ruder gelaufen. Er kann sich nicht vorstellen, weitere Rollen als Schauspieler zu übernehmen. Eine Produktionsfirma wollte ihn eigentlich für Filmaufnahmen engagieren. Das zerschlägt sich ebenfalls. Wie sich diese einschneidenden Ereignisse auf die Psyche eines Menschen auswirken, hat Strobel sehr deutlich und nachvollziehbar beschrieben.

Eric durchlebt in immer wieder auftretenden Alpträumen ein Déjà-vu, das sich zunehmend konkretisiert. Man wird den Gedanken nicht los, dass die Alpträume einen realen Bezug zu Erics Vergangenheit haben. Er ist verzweifelt und will Licht in seine Vergangenheit bringen. Dafür ist er zu allem entschlossen und das kommt auch sehr gut rüber.

Was wäre gewesen, wenn Eric Sanders nicht so ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt wäre? Hätte der Fremde ihn dann auch gestalkt? Und geht es hier nicht auch um eine gestohlene Identität? Diese Fragen sind rhetorisch, aber für mich gibt es keine kausalen Zusammenhänge. Der gespannte Bogen zur Vergangenheit und die damit verbundenen Ursachen wirkten mir etwas überzeichnet.

Das Ende ist völlig unerwartet. Strobel hat es mit Twists geschickt verstanden, die Auflösung und Begründung bis zum Schluss verdeckt zu halten.

Fazit:

Die Handlung beginnt zügig mit einigen Spannungselementen und man ist schnell im Geschehen. Das ändert sich nach der Hälfte des Buches. Eric will endlich wissen, was in der Vergangenheit passiert ist. Zu diesem Zeitpunkt war er elf Jahre alt. Dies wird sehr ausführlich auf ca. 50 Seiten beschrieben. Das war mir zu langatmig, zumal hier die Spannung gefehlt hat. Danach wird es wieder konkret und die Dynamik nimmt zu.
Die einzelnen Kapitel haben eine angenehme Länge ohne Cliffhanger. Wenn man die Abschnitte mit Erics Alpträumen mit einbezieht, gibt es einen durchgängigen Handlungsstrang.
Es ist authentisch und erschreckend zugleich, was einem widerfahren kann, wenn man sich auf Social-Media einlässt und seine Gedanken mit anderen teilt. Wir erfahren außerdem, wie Stalking die physische und psychische Unversehrtheit eines Menschen schädigen kann.
Mir hat die Herangehensweise und Umsetzung des Themas Stalking gut gefallen. Abstriche gibt es von mir für die Ursachenforschung und die damit verbundenen Ereignisse aus der Vergangenheit sowie für die Langatmigkeit im Mittelteil. Wie schon bei seinem vorherigen Psychothriller »Der Trip« konnte mich auch dieser Stand Alone nicht ganz überzeugen. Ich ziehe daher einen von fünf Sternen ab.

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Veröffentlicht am 15.07.2024

Nur die Zeit ist unser

Hast du Zeit?
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»Alles ist fremdes Eigentum, nur die Zeit ist unser«. Dieses so flüchtige, so leicht verlierbare Gut ist der einzige Besitz, in den uns die Natur gesetzt hat, und doch verdrängt uns daraus, wer da will.« ...

»Alles ist fremdes Eigentum, nur die Zeit ist unser«. Dieses so flüchtige, so leicht verlierbare Gut ist der einzige Besitz, in den uns die Natur gesetzt hat, und doch verdrängt uns daraus, wer da will.« (Zitat aus den Schriften des römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca – 1-65 n.Chr.).

In dem Thriller »Hast du Zeit?« befasst sich Andreas Winkelmann sehr intensiv mit dem Thema »Zeit«. Der Täter beschwert sich darüber, dass ihm die Zeit »gestohlen« wurde. Er will sich rächen und ist bereit, dafür zu töten. Nach welchen Kriterien wählt er die Personen aus? Das ist aus meiner Sicht ein skurriler Ansatz. Bei einigen ist es offensichtlich, warum er sie ausgewählt hat. Bei anderen vermissten Personen kann ich keine Verbindung herstellen. Hierzu haben mir die Beweggründe des Täters gefehlt.

Lars Erik Grotheer, ehemaliger Bundestagspolizist und mittlerweile in Rente, sowie Lilly Costanzo lernen wir im weiteren Verlauf näher kennen. Diese beiden Figuren sind die Protagonisten in diesem Thriller. Sie vermissen einen lieben Menschen. Lars Erik, der zu seiner Tochter Michelle Burghardt nach langer »Sendepause« wieder Zugang gefunden hat. Lilly vermisst ihre Lebenspartnerin Felicitas Möller.

In Deutschland werden täglich 200 bis 300 Vermisstenfälle registriert. In den meisten Fällen sucht die Polizei nicht nach diesen Menschen, da kein konkreter Verdacht vorliegt. Daher ermitteln Grotheer und Costanzo zunächst auf eigene Faust und stoßen dabei auf weitere Vermisstenfälle. Kein Motiv und keine Verbindung zu den vermissten Personen sind erkennbar.

Bei Angehörigen von einigen Vermissten tauchen Sanduhren auf. Was hat das für eine Bedeutung? Die Angehörigen sind irritiert und haben kein gutes Gefühl.

In eingeschobenen Kapiteln, die immer mit der Überschrift »Hinter der Zeit« beginnen, erzählt der Täter in Monologform über seine Gefühlslage. Es dreht sich dabei alles um ein und dieselbe Person: Hannah. Wer ist das – eine Verwandte oder Bekannte? Warum hat er sich immer um sie gekümmert und ihr seine Zeit geopfert? Ist sie krank? Nach und nach kommen wir der Lösung näher. Und plötzlich ist sie nicht mehr da. Ein sehr starkes Setting.

Nicht nur die Gefühle des Täters können wir im weiteren Verlauf besser verstehen und einordnen, auch in die Psyche der Entführten lässt uns der Autor tief blicken. Wir erfahren ein grausames Finale, was auf einen tief traumatisierten und psychopathischen Menschen schließen lässt.

Fazit:

Winkelmann hat als Grundlage für seinen Thriller ein Thema (Zeit) gewählt, dass zum Nachdenken anregt.
Einmal drin in der Handlung – und das geschieht schon auf den ersten Seiten – »fliegt« man durch den Inhalt. Verschiedene Erzählperspektiven sorgen zusätzlich für Spannung, die zum richtigen Zeitpunkt auf die Spitze getrieben wird.
Von Beginn an hat Winkelmann in seinen Kapiteln bei der Leserschaft für Verwirrung gesorgt. Das trifft insbesondere auf das Mitwirken vieler Figuren zu, wobei die meisten keinen Bezug zueinander haben. Das macht es nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten.
Bei der Kapitellänge setze ich mehr auf Kontinuität, was hier nicht gegeben ist. Einmal sind sie überschaubar kurz, dann wieder lang. Endet ein Kapitel mit einem Cliffhanger, wünsche ich mir kurze Kapitel zur Fortsetzung des Handlungsstrangs.
Der Schreibstil ist leicht verständlich, flüssig und spannend. Unter Abwägung aller Pluspunkte und der verhalten angebrachten Kritik vergebe ich vier Sterne.

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Veröffentlicht am 04.07.2024

Ene, mene, meck – und du bist weg

NACHT
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Nicht nur dieses grausame Verbrechen auf einem ehemaligen Landgut einige Kilometer außerhalb von Reykjavík lässt einem beim Lesen frösteln. Auch die karge Landschaft in einem eisigen Winter mit viel Schnee ...

Nicht nur dieses grausame Verbrechen auf einem ehemaligen Landgut einige Kilometer außerhalb von Reykjavík lässt einem beim Lesen frösteln. Auch die karge Landschaft in einem eisigen Winter mit viel Schnee und langen Nächten. Das bringt uns die isländische Schriftstellerin Yrsa Sigurðardóttir eindrucksvoll näher. Überhaupt die Dunkelheit ist ein Thema in diesem Thriller.

Die fünfundzwanzigjährige Studentin Sóldís wird als Haushaltshilfe angestellt. Sie ist die eigentliche Protagonistin in diesem Thriller. Zunächst macht sie sich keine großen Gedanken darüber, dass zwei Haushaltshilfen vor ihr nach kurzfristiger Tätigkeit wieder gegangen sind. Zu den Eheleuten Ása und Reynir findet sie keinen richtigen Zugang. Ása behandelt sie zuweilen wie eine Leibeigene. Sie bleibt eigentlich nur wegen der beiden Mädchen Íris und hauptsächlich Gígja. Die kleine Gígja fühlt sich gleich zu Sóldís hingezogen.

Was geht vor in diesem gruseligen Anwesen? Dinge verschwinden, verschlossene Türen stehen plötzlich offen, obwohl sie abgeschlossen waren, eine finstere Gestalt steht vor dem Fenster, ein Motorschlitten verschwindet und sogar ein Pferd ist plötzlich nicht mehr im Stall. Sóldís kämpft mit ihren Ängsten und obwohl sie die beiden Mädchen nicht allein zurückzulassen möchte, beschließt sie, zu kündigen und diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Aber da ist es schon zu spät.

Ziemlich früh erfahren wir in diesem Thriller, was auf dem Anwesen passiert ist. Mutter Ása, die beiden Töchter Íris und Gígja sowie die Haushaltshilfe Sóldís werden regelrecht hingerichtet. Wir wissen lange nicht, wer dahintersteckt und warum dies alles geschehen ist. Zunächst verdächtigt die Polizei den Vater Reynir, da er sich nicht unter den Opfern befindet und verschwunden ist.

Ein operativ entfernter Hirntumor hat die Persönlichkeit von Reynir entscheidend verändert. Er ist seitdem unberechenbar und trifft abstruse Entscheidungen. Haben ihn diese Umstände zum Mörder werden lassen?

Die Polizei von Akranes erhält bei der Aufklärung Unterstützung von der Mordkommission in Reykjavík. Týr Gautason, der Neue im Team aus Reykjavík hat ganz eigene Probleme und wird im Laufe der Ermittlungen von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt.

In zwei verschiedenen Zeitebenen erfahren wir in einem chronologischen Ablauf den Stand der Ermittlungen in der Zeit danach. In der Zeit vor den Gräueltaten auf dem Anwesen erfahren wir hauptsächlich aus der Sicht der Haushaltshilfe Sóldís die Geschehnisse.

Die Autorin hat die einzelnen Figuren wunderbar charakterisiert. Das reiche Ehepaar Ása und Reynir hat viele Probleme untereinander, aber auch mit ihren Töchtern Íris und Gígja. Das Verhalten von Ása und Reynir wird immer merkwürdiger und undurchschaubarer. Die Darstellung von Sóldís und Gígja hingegen hat mir diese beiden Figuren sehr sympathisch gemacht und ich habe mit ihnen mitgelitten.

Fazit:

Ein düsterer Thriller mit sehr viel Potential und einem sehr starken Setting. Ich habe allerdings einige Zeit benötigt, um mich an den Schreibstil von Sigurðardóttir zu gewöhnen. Das wurde im weiteren Ablauf aber immer besser.
Die Beschreibung der einzelnen Figuren ist ein großes Plus der Autorin. Dass auch Polizisten ihre eigenen persönlichen Probleme haben, wird bei dem jungen Kommissar Týr sehr eindrucksvoll wiedergegeben.
Einige Kommentare oder Vergleiche blähen die Handlung unnötig auf - denn wen interessiert es, dass z.B. die Isländer später zu Bett gehen als die Schweden!? Das bringt keinen Mehrwert für den Plot.
Wer nicht auf eine dynamische Schreibweise oder eine hohe Taktung setzt und trotzdem Spannung erwartet, der kann dieses Buch bedenkenlos lesen. Von mir gibt es vier Sterne.

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Veröffentlicht am 26.06.2024

Hass – Leid – Liebe

Wenn sie lügt
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Waldesroda ist ein kleiner trister Ort in Thüringen, wo ein verschlossener Menschenschlag lebt. Dort ist damals vor neunzehn Jahren ein unfassbares Verbrechen geschehen, das das Leben komplett verändert ...

Waldesroda ist ein kleiner trister Ort in Thüringen, wo ein verschlossener Menschenschlag lebt. Dort ist damals vor neunzehn Jahren ein unfassbares Verbrechen geschehen, das das Leben komplett verändert hat. Diese Vergangenheit hat Auswirkungen auf die Gegenwart.

In zwei verschiedenen Zeitebenen erzählt der Autor abwechselnd aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Zum besseren Verständnis sind die Kapitel jeweils mit »NORAH«, »GORAN« und »ER« übertitelt. Cliffhanger an den Kapitelenden dienen dazu, zum Weiterlesen anzuspornen. Das hat Geschke sehr gut umgesetzt.

Rolaf, Peggy, Marcel, Lisa, Daniel, Norah und Goran sind eine eingeschworene Teenager-Clique. Als sich Norah in den vier Jahre älteren David verliebt, bekommt die Clique erste Risse. David will nicht, dass Norah sich weiter mit ihren Freunden trifft. Aus unerklärlichen Gründen ermordet David ein Liebespärchen und wird kurz nach der Tat und seiner Flucht von der Polizei für tot erklärt. Norah ist fortan nur noch die »Freundin des Killers«. Schweigen nach der Tat bringt die Clique endgültig auseinander.

Weil beide der Vergangenheit entfliehen wollen, zieht Norah nach Dresden und Goran nach Berlin.

Neunzehn Jahre später – Norah ist längst wieder in ihre Heimat zurückgezogen – brechen die alten Wunden wieder auf. Mysteriöse Drohbriefe tauchen plötzlich bei Norah auf. Dort werden Dinge erwähnt, die außer ihr nur noch David wissen konnte. Zudem nennt sie der Briefeschreiber »Äffchen«, so wie David sie liebevoll genannt hatte. Ist es ein Indiz dafür, dass er bei seiner Flucht nicht ums Leben gekommen und jetzt zurückgekehrt ist? Ein spannendes Element, das der Autor hier eingebaut hat.

Auch Goran kehrt aus Berlin zurück. Norahs Mutter Elisabeth, zu der Goran immer ein besonderes Verhältnis hatte, erzählt ihm von den Drohbriefen und bittet ihn, zurückzukommen. Norah und Goran hatten schon immer eine engere Beziehung zueinander, wollten sich dies aber nie eingestehen.

In einer auktorialen Erzählweise wird uns das Leben der Protagonisten Norah und Goran vor neunzehn Jahren und in der Gegenwart als Erwachsene mit Mitte dreißig geschildert. Dazwischen erfahren wir aus den Kapiteln, die mit »ER« beginnen, von einer Person voller Wut und Hass, die sich rächen will. Aber an wem und für was?

Im Laufe der Handlung wird »ER« immer mehr zum zentralen Thema. Norah und Goran versuchen, sie oder ihn ausfindig zu machen. Es kann sich nur um jemanden im näheren Umfeld von Norah handeln. Im Ausschlussverfahren derer, die es sein könnten, wird der Kreis immer kleiner.

Wenn man als aufmerksamer Leser die richtigen Schlüsse zieht, kommt man der Lösung schon bald auf die Spur. Es gibt nur eine Person, die die Drohbriefe geschrieben haben kann, auch wenn Geschke versucht, immer wieder andere Fährten zu legen.

Fazit:

Nach »Das Loft« (2022) und »Die Verborgenen« (2023) ist dies der dritte Stand Alone-Thriller von L. Geschke. Wie man hört, will der Autor sich demnächst wieder einer neuen Reihe widmen.
Die Charaktere der einzelnen Figuren sind sehr gut ausgearbeitet. Das trifft in erster Linie auf Norah und Goran zu.
Was in diesem Thriller weiterhin auffällt, ist die Tatsache, dass wir keine polizeilichen Ermittlungen haben, geschweige denn ein Ermittlerteam – lediglich ein oder zweimal wird ein Polizeieinsatz am Rand erwähnt.
Eingefügte Absätze mit Fallzahlen aus der Kriminalstatistik sind interessant und aufschlussreich. Das hat mir sehr gut gefallen.
Leider konnte mich das Setting nicht ganz überzeugen. Eingefügte Plot-Twists hätten die Handlung bereichert. Von der Dynamik her ist »Wenn sie lügt« nicht der stärkste Stand-Alone des Autors.

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Veröffentlicht am 14.05.2024

Ein Experiment mit verheerenden Folgen

Der dreizehnte Mann
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Wer könnte so eine Geschichte besser in Szene setzen als der ehemalige Strafverteidiger Florian Schwiecker und der Rechtsmediziner Michael Tsokos. Sie lassen dabei tief hinter die Kulissen des deutschen ...

Wer könnte so eine Geschichte besser in Szene setzen als der ehemalige Strafverteidiger Florian Schwiecker und der Rechtsmediziner Michael Tsokos. Sie lassen dabei tief hinter die Kulissen des deutschen Rechtssystems blicken. Der spannende Fall um ein Tötungsdelikt vor dem Hintergrund eines Missbrauchs-Skandals ist in Anlehnung an ein reales Experiment entstanden. Die beiden Autoren legen allerdings Wert darauf, dass die hier vorkommenden Charaktere und die Handlung fiktiv und frei erfunden sind.

Pflegekinder wurden Anfang der 1970er-Jahre über einen längeren Zeitraum an pädophile Männer vermittelt. Dies alles geschah mit Duldung, Unterstützung und Ermöglichung von sexualisierter Gewalt durch die Jugendämter.

Jörg Grünwald und Timo Krampe leben beide in zerrütteten Familienverhältnissen, so dass sich das Berliner Jugendamt einschaltet und die beiden Jungen in die Obhut von Olaf Haarmann gibt. Da Haarmann pädophil ist, kann man erahnen, welchen seelischen und körperlichen Qualen die beiden Jungen ausgesetzt sind. Mit achtzehn verlässt Jörg diese Umgebung, und als Timo sechzehn ist, entzieht er sich der Obhut durch Flucht. Danach verlieren sich die beiden zunächst aus den Augen.

Jahre später treffen sich die beiden Freunde wieder und beschließen, mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit zu gehen. Nachdem sie weder bei der Polizei noch beim Jugendamt oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen Gehör finden, wenden sie sich an die Journalistin Anja Liebig, die ihre Geschichte als Artikel in der Zeitung veröffentlichen will.

Ab da nimmt das Schicksal seinen Lauf, und plötzlich ist einer der beiden Männer tot. Handelt es sich um Mord? Will jemand die Veröffentlichung des Missbrauchs-Skandals verhindern oder was steckt dahinter?

Ein renommierter Strafverteidiger und sein Freund sowie Privatermittler, eine Staatsanwältin, eine Journalistin, ein Rechtsmediziner, ein Hacker und die Leiterin des Jugendamtes Berlin-Nord versuchen gemeinsam Licht in diesen vertrackten Fall zu bringen.

Im letzten Drittel des Buches werden wir viel über das deutsche Rechtssystem erfahren. Es wird ausführlich und präzise erklärt. Erst ab diesem Zeitpunkt ist die Handlung für mich zu einem wahren Justiz-Krimi geworden.

Nachdem die Spannungskurve deutlich zunimmt, ist die Auflösung ein wahrer Paukenschlag, mit dem ich nicht gerechnet habe.

Fazit:

Ein solches Experiment wie das hier Geschilderte finde ich abartig und pervers. Wie kann man auffällig gewordene Kinder auf Vermittlung der Jugendämter in die Obhut von pädophilen Männern geben?
Kurze Kapitel, die zum Teil als Cliffhanger enden, sind immer ein gutes Stilmittel. Einige Male waren mir die Kapitel allerdings zu kurz (manchmal nur eine Seite). Diese jeweils mit Ortsangabe und Uhrzeit zu betiteln ist eine Geschmacksfrage – mich hat es nicht gestört.
Die Schreibweise ist flüssig, die Handlung nimmt einen spannenden Verlauf und zum Ende hin eine überraschende Wende. Ich vergebe vier Sterne.

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