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Veröffentlicht am 29.06.2024

Verlobt

Kafka und Felice
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Man schreibt das Jahr 1912, als Felice Bauer und Franz Kafka zum ersten Mal aufeinandertreffen. Die Entfernung zwischen Prag und Berlin überbrücken die beiden jungen Leute fortan mit zahllosen Briefen, ...

Man schreibt das Jahr 1912, als Felice Bauer und Franz Kafka zum ersten Mal aufeinandertreffen. Die Entfernung zwischen Prag und Berlin überbrücken die beiden jungen Leute fortan mit zahllosen Briefen, persönliche Treffen finden nur sporadisch statt. Eine besondere Liebe, die Unda Hörner hier wieder zum Leben erweckt.

Chronologisch und übersichtlich gestaltet die Autorin diesen Roman, der aufgrund der Briefe sehr authentisch ist und durch fiktive Szenen abgerundet wird. Treffende Überschriften weisen dem Leser den Weg und heben jene Begebenheiten hervor, welche die eklatanten Unterschiede zwischen Felice und Franz aufzeigen. Sie, eine lebenslustige junge Dame, aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit bereits mitten im Berufsleben und hoch oben auf der Karriereleiter, einem Tanzabend nie abgeneigt, er, ein verdrossener, schweigsamer, unzufriedener Mensch, der am liebsten ganze Nächte durch beim Schreiben sitzen möchte. („Nur die Nächte mit Schreiben durchrasen, das will ich. Und daran zugrundegehn oder irrsinnig werden.“ Kindle, Pos. 2079)

Hörner versteht es, die Atmosphäre ab 1912 und in den darauffolgenden Kriegsjahren bis 1917 einzufangen. Berlin, Prag, Karlsbad oder Marienbad sind klar beschrieben, die wenigen Male, die Felice und Kafka tatsächlich aufeinandertreffen und nicht nur per Brief miteinander parlieren, sind bildhaft in Szenen gesetzt. Wie auch manche Figur im Buch, so fragt man sich beim Lesen, was denn so besonders ist an diesem Kafka, der sich alsbald mit dem Fräulein Bauer verlobt, dann aber immer wieder einen Schritt zurück tut, wenn es um die Hochzeit geht. Bisweilen gerät der Text etwas spröde und langatmig, dem Charakter Kafkas allerdings dürfte das wie ein Spiegelbild gut entsprechen – ein Hin und ein Her, ein Zögern, ein Umentscheiden, in der Realität wohl ein eher schwieriger Zeitgenosse. Und 1917 ist Felice immer noch – nur verlobt.

Interessante Einblicke in die damalige Zeit und in eine eigenwillige Liebe bietet dieser biografische Roman, der eine Realität ohne süßliche Romantik wiedergibt. Vier Sterne für Felice und Franz.

Veröffentlicht am 26.06.2024

Hoffnung

Anna O.
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Hoffnung ist es, was Psychologe Dr. Benedict Prince wecken möchte, um eine Patientin aus ihren vierjährigen Schlaf zu holen. Er geht von einem Resignationssyndrom aus, das behandelbar ist. Allerdings steckt ...

Hoffnung ist es, was Psychologe Dr. Benedict Prince wecken möchte, um eine Patientin aus ihren vierjährigen Schlaf zu holen. Er geht von einem Resignationssyndrom aus, das behandelbar ist. Allerdings steckt er in einer Zwickmühle: denn wenn Anna O. zu Bewusstsein kommt, wird sie wegen Doppelmordes vor Gericht gestellt, immerhin ist sie mit einem blutigen Messer in der Hand aufgefunden worden, während ihre beiden Freunde tot im Blut gelegen sind. Aber ist sie überhaupt schuldig? War sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte? Oder war sie als Schlafwandlerin unterwegs?

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln wird diese Geschichte erzählt, vorwiegend von Ben in der Ich-Form, der Rest aus Sicht eines neutralen Dritten. So wechseln die kurzen Kapitel rasch und fachen des Lesers Neugierde an. Was ist das Resignationssyndrom? Warum sind Schlafwandler nicht oder nur bedingt schuldfähig? Interessante Themen kommen zur Sprache, während das wichtigste natürlich unter den Nägeln brennt: was hat Anna in besagter Nacht getan?

Blakes Schreibstil ist flott und nimmt den Leser mit, die Figuren sind teilweise schwer durchschaubar und auch die Handlung selbst ist komplex. Leider wird es im letzten Drittel dann ein wenig langatmig, aber wo man sich im Grunde schon ein Ende erwartet, kommt nochmals Spannung auf mit überraschenden Wendungen - diese Auflösung habe ich keinesfalls vorhergesehen.

Das angesprochene Thema ist überaus interessant, wer Lesen ohne überschwängliche Dramatik und barbarisches Blutvergießen liebt, wird hier gut bedient sein.

Veröffentlicht am 22.06.2024

Beharrliche Bertha

Bertha Benz und die Straße der Träume
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Auf den ersten Blick verliebt sich Bertha Ringer in Carl Benz. Trotz anfänglicher Bedenken ihres Vaters wird einige Jahre später geheiratet. Als Erfinder und Idealist ist der Ingenieur brillant, an Geschäftssinn ...

Auf den ersten Blick verliebt sich Bertha Ringer in Carl Benz. Trotz anfänglicher Bedenken ihres Vaters wird einige Jahre später geheiratet. Als Erfinder und Idealist ist der Ingenieur brillant, an Geschäftssinn mangelt es allerdings gewaltig, wodurch die Familie immer wieder in große Geldnot gerät. Aber Bertha hält zu Carl und beweist, dass Perfektionismus nicht alles ist. Sein Zögern könnte Konkurrenten zugutekommen, also schreitet Bertha entschieden zur Tat.

In leichtem romanhaften Stil präsentiert Alexander Schwarz diese interessante Romanbiografie über eine entschlossene junge Frau, die sich nicht in die Rolle als Köchin und Wäscherin für die Familie pressen lassen will. Schon ihrem Vater, einem Zimmermann, ist sie als Kind gerne zur Hand gegangen und hat sich erfreut an den entstandenen Bauten. Ihr beschwingtes Gemüt lässt es zu, dass Bertha die Schwächen ihres geliebten Ehemanns insofern kompensiert, als sie seinem unerschütterlichen Forscherdrang Planung und Organisation entgegensetzt. Beide Charaktere sind wunderbar getroffen und sehr lebensnah dargestellt. Auch die politische und wirtschaftliche Lage im ausklingenden 19. Jahrhundert ist gut dargestellt, knapp, ohne den Roman zu stören, werden beispielsweise die Einflüsse des deutsch-französischen Kriegs und der Börsenkrach in Wien in die Handlung eingeflochten. „Beharrlichkeit führt zum Ziel“ (kindle, Pos. 2836), das ist Berthas Lebensmotto, welches sie auch an ihre Kinder weitergibt, das gerade zur damaligen Zeit gewiss nicht einfach war.

Ein schönes Zeitzeugnis, ein interessantes Portrait von Bertha Benz, das durch detaillierte Recherche in diesem Buch lebendig werden darf.

Veröffentlicht am 21.06.2024

Badespaß

Beachdating - Herz verloren, Glück gefunden
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Da die Fluggesellschaft in Konkurs gegangen ist, fällt die Reise nach Zypern für Annabell aus. Wo soll sie nun auf die Schnelle ihren Urlaub verbringen? Es wird ein Campingplatz an einem See in der Oberpfalz, ...

Da die Fluggesellschaft in Konkurs gegangen ist, fällt die Reise nach Zypern für Annabell aus. Wo soll sie nun auf die Schnelle ihren Urlaub verbringen? Es wird ein Campingplatz an einem See in der Oberpfalz, wo die junge Singlefrau eine Menge lustiger Leute trifft, auch Männer im passenden Alter sind dabei – ein Abenteurer, einer mit flotten Sprüchen, ein anderer mit hübschen blauen Augen. Einem Urlaubsflirt ist Annabell nicht abgeneigt, der Spaß kann beginnen.

Ganz persönlich in der Ich-Form erzählt Annabell von ihrem ersten Zelturlaub. Schon der Kauf der Ausrüstung ist ein Spektakel, denn sie hat überhaupt keine Ahnung von all den Dingen, welche ihr der Mitarbeiter im Geschäft aufdrängen will. Am See angekommen, muss Annabell erst einmal ein Plätzchen finden. Aber damit ist noch keine Erholung in Sicht, die Ereignisse beginnen sich zu überstürzen. Eine illustre Gesellschaft trifft sich am Platz und am See, kunterbuntes Treiben hält Annabell auf Trab. Gut, dass sie über ihre eigene Tollpatschigkeit auch selbst lachen kann, der Humor kommt jedenfalls nicht zu kurz.

Eher einfache Sätze sorgen für ein flottes Tempo, das den Ereignissen am Badesee perfekt entspricht. Unglaublich, aber überaus unterhaltsam sind die Erlebnisse Annabells, sei es mit Merle aus der Kindergruppe, dem Männerquartett oder dem Kreis rund um den Platzwart. Dass das alles in eine einzige Woche passt, ist kaum zu fassen. Die Liebesgeschichte ist ein zartes Pflänzchen, dem oft der Raum genommen wird, dennoch – bis hin zum gelungenen Ende – eine schöne. Vielleicht kommen ob der Turbulenzen die Gefühle ein wenig zu kurz, der Badespaß bietet gleichzeitig aber auch viel Lesespaß.

Ich habe mich jedenfalls recht gut unterhalten mit Annabell in der Oberpfalz. Wer Humor und Selbstironie sucht, wird hierin eine (Urlaubs)Lektüre für entspannte Stunden finden.

Veröffentlicht am 20.06.2024

Mystisches Inselleben

Bretonische Sehnsucht
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Bei seinem bereits dreizehnten Fall ermittelt Kommissar Georges Dupin auf der rauen Atlantikinsel Ouessant, etwa zwanzig Kilometer westlich des französischen Finistère. Ein junger Mann wird an den Strand ...

Bei seinem bereits dreizehnten Fall ermittelt Kommissar Georges Dupin auf der rauen Atlantikinsel Ouessant, etwa zwanzig Kilometer westlich des französischen Finistère. Ein junger Mann wird an den Strand der Insel geschwemmt, wobei unklar ist, ob es sich um einen Unfall oder um Mord handelt. Begleitet von Mythen und Mysterien rund um das Eiland stochert Dupin lange im Dunklen und muss sich mit augenscheinlichen Nebensächlichkeiten, wie dem Unterschied zwischen Meerjungfrauen, Nixen und Sirenen, beschäftigen.

Die malerische Kulisse der wildschönen Insel begleitet den Leser quer durch den Krimi, immer wieder erwähnt Jean-Luc Bannalec die Besonderheit der Natur- und Tierwelt, holt aus zu geschichtlichen Informationen und lässt gerne das wandelnde Lexikon namens Kommissar Riwal zu Wort kommen, wenn es um Mythen, Riten und Brauchtum geht. Insbesondere die Musik und landestypische Instrumente spielen eine Rolle, aber auch Zeremonien rund um den Tod werden Dupin und den Lesern nahegebracht. Bisweilen schweift dadurch der Text weit von der Handlung ab, die eigentlichen Ermittlungen rücken häufig in den Hintergrund. Es dauert also eine ganze Weile, bis es irgendeine Idee zur Todesursache des Angeschwemmten gibt. Unterhaltsam ist der Krimi trotzdem, denn anders als gewohnt, steht Dupin auf der Insel kein Dienstwagen zur Verfügung, als Ersatz hat Riwal Fahrräder organisiert – ebikes, mit denen der leitende Kommissar sich erst anfreunden muss. Außerdem unternimmt er aufgrund fehlender Beweise auch noch einen waghalsigen Alleingang, der ihm nicht gut bekommt.

Der flüssige Schreibstil vermag den Leser auch diesmal mitzunehmen, die ungewöhnlichen Hintergründe hätten gerne etwas kürzer ausfallen können. Dennoch bietet das mystische Inselleben gute Unterhaltung, auf die man sich gerne einlassen kann.