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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.07.2024

Jahreshighlight

Die schönste Version
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Was für ein Roman! Sprachlich mühelos intensiv und leicht zugleich, die Handlung packend und nebenbei inhaltlich unfassbar intelligent - kurz: Ich bin restlos überzeugt.

Im Zentrum der Geschichte steht ...

Was für ein Roman! Sprachlich mühelos intensiv und leicht zugleich, die Handlung packend und nebenbei inhaltlich unfassbar intelligent - kurz: Ich bin restlos überzeugt.

Im Zentrum der Geschichte steht die Beziehung zwischen Jella und Yannick, deren erste große Liebe damit endet, dass Yannick Jella fast erwürgt und diese zurück in ihr Kinderzimmer fliehen muss. Hier erinnert sie sich, wie ihr Aufwachsen sie zu diesem Punkt in ihrem Leben geführt hat: die Jugend in einer trostlosen Kleinstadt in der Lausitz, die ersten Erfahrungen, was es bedeutet, männlichem Begehren schutzlos ausgeliefert zu sein, die Rollen, die sie als Frau erfüllen soll, die Unsicherheit über eigene Bedürfnisse, kunstseidenes Verdecken dieser, aber auch Freundinnen, die zu ihr halten. Das klingt zwar nach schwerer, bedrückender Thematik, dennoch liest sich der Roman unglaublich leicht.

Für mich ist dieser Roman bereits jetzt ein moderner Klassiker und hat einen Ehrenplatz neben „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun verdient, auf die es zahlreiche Anspielungen gibt. Ich habe den Roman atemlos gelesen, zugeklappt und erst einmal geweint, so intensiv werden Jellas Gefühle transportiert. Durch die zugespitzte Schilderung von Jellas Leben als Frau, das immer wieder an alltäglichen Beispielen verdeutlicht wird, hat der Roman mir ermöglicht, auch eigene Verhaltensmuster in der Jugend und im Erwachsenenalter zu reflektieren, die zwar nicht so extrem waren, aber dennoch Züge der Muster aufwiesen, denen Jella ausgesetzt ist. Ich bin überzeugt, dass sich fast alle Frauen in den patriarchalen Strukturen, die Thomas so präzise beschreibt, wiedererkennen können. Gleichzeitig zeigt die Erzählerin, wie bedeutsam Solidarität von Freundinnen und Familie ist. Daher: Lest dieses Buch! Alle!

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Veröffentlicht am 07.07.2024

Faszinierend

Das Pfauengemälde
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„Das Pfauengemälde“ von Maria Bidian ist mir zuerst aufgefallen, weil es einem anderen gerade erschienen Roman vom Cover her erstaunlich ähnlich sieht. Nachdem ich angefangen hatte, zu lesen, wusste ich ...

„Das Pfauengemälde“ von Maria Bidian ist mir zuerst aufgefallen, weil es einem anderen gerade erschienen Roman vom Cover her erstaunlich ähnlich sieht. Nachdem ich angefangen hatte, zu lesen, wusste ich aber schnell, dass dies hier ein einzigartiges Debüt ist.

Zwei Jahre nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters beschließt Ana im Sommer nach Rumänien zu fahren, um ihre rumänische Familie zu unterstützen, enteigneten Familienbesitz zurückzubekommen. Im Gegensatz zu ihrer Verwandtschaft, die hauptsächlich an der großen alten Familienvilla interessiert ist, möchte Ana das „Pfauengemälde“ finden, ein Erbstück, von dem ihr Vater oft geredet hatte. Vor Ort taucht sie einerseits in die Geschichte ihrer Familie und ihres Vaters im Kommunismus ein, andererseits gerät sie in die aktuellen Proteste für Demokratie.

Der Roman thematisiert so Fragen von Erinnerung, Identität, Wahrheit und Verantwortung. Bidian gelingt es dabei, diese Fragen in eine fesselnde Handlung einzubetten und diese in einer Weise zu erzählen, die einfühlsam, melancholisch, komisch, politisch und sehr persönlich ist.

Insgesamt war „Das Pfauengemälde“ ein überraschend packendes Debüt, das mich nicht nur sehr gut unterhalten und gefesselt hat, sondern auch sprachlich überzeugt und neugierig auf die Geschichte und aktuelle Politik Rumäniens gemacht hat, mit der ich mich noch nie beschäftigt habe. Eine klare Leseempfehlung für alle, die Anas Reflexionen über ihre rumänische Familie folgen möchten und Lust auf schöne Sprache haben!

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Veröffentlicht am 06.07.2024

Zeitlos, grandios, erschütternd

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
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Endlich, endlich, endlich habe ich diesen Roman gelesen, der seit Nicole Seiferts Empfehlung in „Frauenliteratur“ auf meiner Wunschliste stand – und ich wurde nicht enttäuscht. Dank der Neuauflage des ...

Endlich, endlich, endlich habe ich diesen Roman gelesen, der seit Nicole Seiferts Empfehlung in „Frauenliteratur“ auf meiner Wunschliste stand – und ich wurde nicht enttäuscht. Dank der Neuauflage des Reclam Verlags konnte ich nun in Agathes Leben eintauchen. Mein Fazit: Ich bin restlos begeistert! Was für ein toller, mitreißender, tiefgründiger, zur Diskussion anregender Roman!

Gabriele Reuters „Aus guter Familie“ erzählt die Geschichte der jungen Agathe, die in der Enge der bürgerlichen Gesellschaft um 1900 aufwächst. Es handelt sich dabei um einen ganz ungewöhnlichen Entwicklungsroman, denn Agatha wird von außen beständig an ihrer Entwicklung gehindert. Der Roman schildert dabei eindrucksvoll ihre innere Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Zwängen und den Erwartungen an Frauen ihrer Zeit. Agathes Entwicklung und ihr Schicksal werden so lebendig dargestellt, dass man tief in ihre Welt eintaucht und einerseits mit Agathe leidet und hofft, andererseits durch ihr Schicksal und das anderer geschilderter Frauenfiguren immer wieder wütend wird. Auch Reuters Schreibstil beinhaltet für mich schon alles, was die Moderne um 1900 so anziehend macht. Wie kann es sein, dass eine solch kraftvolle und bedeutende Stimme der Literaturgeschichte bisher so wenig Beachtung gefunden hat? Ich kann kaum nachvollziehen, warum ich im Studium der Literaturwissenschaft nicht von der Autorin gehört habe, auch in Material zu Literatur um 1900 kommt sie nicht vor.

Diese liebevoll gestaltete Neuauflage des Reclam Verlags kommt aber nicht nur inhaltlich, sondern auch äußerlich wunderbar daher. „Aus guter Familie“ wird definitiv einen Ehrenplatz bei mir finden. Insgesamt ist dieser Roman ein Muss für alle Literaturfans. Er fordert heraus, regt zur Diskussion an und bleibt lange im Gedächtnis. Gabriele Reuter verdient es, aus der Vergessenheit hervorgeholt und neu entdeckt zu werden. Ich kann „Aus guter Familie“ nur wärmstens empfehlen.

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Veröffentlicht am 02.07.2024

Mehr als Harry und Sally

Man sieht sich
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Frie und Robert sind seit der Schulzeit gute Freunde und auch immer mal wieder ineinander verliebt, aber sie finden einfach nicht zueinander. Klingt erst einmal nach Harry und Sally, allerdings bietet ...

Frie und Robert sind seit der Schulzeit gute Freunde und auch immer mal wieder ineinander verliebt, aber sie finden einfach nicht zueinander. Klingt erst einmal nach Harry und Sally, allerdings bietet „Man sieht sich“ von Julia Karnick sehr viel mehr als eine romantische Geschichte. Der Autorin gelingt es, die Entwicklung der Charaktere im Laufe ihres Lebens darzustellen und dabei verpasste Chancen und wichtige Lebensentscheidungen zu thematisieren. Ihre Coming-of-Age-Geschichte ist dabei unterhaltsam und tiefgründig zugleich.

Besonders spannend fand ich es, Frie und Robert beim Erwachsenwerden in den 80ern und 90ern zuzuschauen, wie sie sich mit den Höhen und Tiefen des Lebens auseinandersetzen. Der Roman vermittelt hier eine große Leichtigkeit, was ich sehr mochte. Ein weiterer Pluspunkt sind die zahlreichen Bezüge zu Hamburg, die dem Roman eine authentische Note verleihen.

Je älter die Charaktere werden, desto weniger handlungsgetrieben und reflexiver werden die Kapitel. Anfangs hat mich das langsame Tempo etwas vom Weiterlesen abgehalten, da eben auch unangenehme Themen wie verpasste Chancen und unerfüllte Träume angesprochen werden, aber rückblickend scheint mir dieser Aufbau sehr stimmig zu sein und den Charakteren mehr Tiefe zu verleihen. Die letzten Kapitel haben mich deshalb emotional sehr berührt und mitgenommen. Ich kann deshalb den Roman allen empfehlen, die gerne nachdenkliche Coming-of-age-Geschichten und Liebesgeschichten mit sehr viel Tiefgang lesen. Ich freue mich auf jeden Fall auf weitere Bücher von Julia Karnick.

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Veröffentlicht am 30.06.2024

Einfühlsame Geschichte einer Insel

Mattanza
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Als auf der Insel Katria Nora Greco geboren wird, bricht eine neue Zeit an: Die Tunfischjagd wird, wenn ihr Großvater zurücktritt, erstmals von einer Frau angeführt werden. Ihr Leben lang wird Nora darauf ...

Als auf der Insel Katria Nora Greco geboren wird, bricht eine neue Zeit an: Die Tunfischjagd wird, wenn ihr Großvater zurücktritt, erstmals von einer Frau angeführt werden. Ihr Leben lang wird Nora darauf vorbereitet, dann übernimmt sie, als sie gerade volljährig geworden ist. Aber die Zeiten auf Katria ändern sich auch in anderer Hinsicht: Tourismus, moderne Tunfischjagd und schließlich auch die Ankunft vieler Geflüchteter über das Mittelmeer bedrohen die traditionelle Lebensweise und Tunfischjagd auf Katria, was Nora als Anführerin vor große Herausforderungen stellt.
Der Roman ist einfühlsam geschrieben, die poetischen Beschreibungen des Meeres passen wunderbar zum Mare Verlag, die Menschen im Dorf werden liebenswert aber komplex dargestellt. Ich habe die fiktive Geschichte der kleinen Insel gerne mitverfolgt. Nur das Titelbild passt für mich nicht gut - Noras Augen werden ganz anders beschrieben und die gesamte Insel spielt eine viel größere Rolle im Roman. Nur aufgrund des Titelbilds wäre ich am Roman vorbeigegangen.

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