Herz und Hirn
Pi mal DaumenIm Zentrum von Alina Bronskys neuem Roman stehen zwei Menschen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Oscar ist ein hochbegabter, sechzehnjähriger Überflieger mit einem ausgeprägten Mangel an sozialer ...
Im Zentrum von Alina Bronskys neuem Roman stehen zwei Menschen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Oscar ist ein hochbegabter, sechzehnjähriger Überflieger mit einem ausgeprägten Mangel an sozialer Kompetenz - im Schwäbischen würde man ihn als „Käpsele“ bezeichnen - der die Geduld der Menschen in seinem Umfeld permanent auf die Probe stellt. Ihm gegenüber steht Moni, eine dreiundfünfzigjährige Spätberufene, die sich, als hätte sie privat nicht genug um die Ohren, mit ihren 53 Jahren der Herausforderung des Mathe-Studiums stellt und dabei immer wieder an ihre Grenzen stößt.
Sie lernen sich bei der Einführungsverlesung per Zufall kennen, als Moni den freien Platz neben Oscar besetzt, bilden gezwungenermaßen eine Arbeitsgruppe und kommen mehr oder weniger miteinander, zuerst fachlich, später aber auch persönlich, ins Gespräch. Und ja, sie sind sehr verschieden, und gerade bei Oscar ist diese an den Tag gelegte emotionslose Überheblichkeit oft grenzwertig, aber das gleicht Moni mit ihrer warmherzigen Art immer wieder aus. Aber auch Oscar lernt dazu, so dass sich aus dieser Gegensätzlichkeit peu à peu eine von Verantwortungsgefühl und Verständnis geprägte Beziehung entwickelt, die beide verändert. Oscar wird sensibler, empfänglicher für die zwischenmenschlichen Signale, Moni hingegen gewinnt an Selbstvertrauen und lernt, auf ihre Bedürfnisse zu hören und diese zu artikulieren.
Was Alina Bronskys Romane immer wieder so besonders macht, ist die tiefe Empathie, mit der sie Personen zeichnet, die mit ungewohnten Situationen konfrontiert werden, sich damit zurechtfinden müssen und schlussendlich daran wachsen. Mit Leichtigkeit und einer Portion Humor schafft sie es, wichtige und gesellschaftlich relevante Themen zu transportieren. In diesem Fall kritisiert sie zum einen zu Recht unser Bildungssystem, insbesondere dessen fehlende Durchlässigkeit, moniert aber auch die Rolle der Frauen im Wissenschaftsbetrieb, im Speziellen in den MINT-Fächern. Zwar bemängeln einige Besprechungen eine unglaubwürdige Darstellung des Uni-Betriebs, aber wenn ich an meine Studienzeit zurückdenke, muss ich dem widersprechen, denn genauso habe ich es auch erlebt.
„Pi mal Daumen“ ist ein unterhaltsamer Roman mit kritischen Untertönen, in dem Herz über Hirn triumphiert. Und nein, um ihn genießen zu können, ist kein besonders ausgeprägtes Verständnis für die höhere Mathematik vonnöten.