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Veröffentlicht am 01.09.2021

Die Bilanz einer jahrzehntelangen Ehe

Der Brand
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30 Jahre nach ihrer Hochzeit müssen sich Rahel und Peter der Frage stellen, ob sie sich noch immer lieben. Die Gelegenheit dazu erhalten sie, als ihr geplanter Urlaub in den Bergen kurzfristig abgesagt ...

30 Jahre nach ihrer Hochzeit müssen sich Rahel und Peter der Frage stellen, ob sie sich noch immer lieben. Die Gelegenheit dazu erhalten sie, als ihr geplanter Urlaub in den Bergen kurzfristig abgesagt wird und sie stattdessen einige Wochen im Haus einer guten Bekannten verbringen, die ihren kranken Ehemann zur Reha begleitet. Während sich Rahel und Peter um den kleinen Hof und die Tiere kümmern, versuchen sie zwischen hektischen Besuchen ihrer beiden Kinder und der entspannenden Zeit in der Natur zu ergründen, was sie heute noch füreinander empfinden und ob diese Gefühle stark genug sind, ihrer Ehe eine Zukunft zu schenken.

Aus der Innensicht Rahels wird der dreiwöchige Aufenthalt auf dem Hof beschrieben. Peter verbringt viel Zeit mit den Tieren, sucht Ruhe in der Natur und fühlt sich mit der Zeit immer wohler hier in dem Haus auf dem Land, wo es so ganz anders ist als in ihrer gemeinsamen Wohnung in Dresden. In Rahel dagegen drängt alles danach, in Erfahrung zu bringen, wie es nach dem Urlaub weitergehen soll - sind ihre und Peters Vorstellungen noch miteinander vereinbar? Als dann Tochter Selma mit ihren beiden kleinen Söhnen zu Besuch kommt und die Ruhe und das vorsichtige Gleichgewicht zerstört, das zu finden sich das Ehepaar gerade bemüht, wird dieses Thema für sie immer wichtiger. Und wie nebenbei beginnt sie sich zu fragen: wie viel haben sie selbst und Selma, die gerade das Zusammenleben mit dem Vater ihrer beiden Kinder anzweifelt, mit ihrer Mutter gemeinsam, die sich nie fest an einen Mann binden konnte?

Nach und nach bemüht Rahel sich, der Probleme ihrer Tochter mehr Beachtung zu schenken, und wird sich dabei auch immer mehr über ihre eigenen Gefühle für Peter klar.

Der Roman setzt nicht darauf, mit sympathischen Protagonisten zu überzeugen. Sowohl Peters und Rahels als auch insbesondere Selmas Verhalten ist nicht immer so, wie man es sich vielleicht wünschen würde - das muss es aber auch gar nicht, denn auf diese Weise gelingt es der Autorin, sehr authentisch wirkende Protagonisten zu schaffen. Und da ist es vollkommen in Ordnung, auch mal in einigen Szenen nur genervt oder ungläubig den Kopf schüttel zu können. Umso mehr haben mich beim Lesen der bildgewaltige, unaufgeregte Schreibstil und die feinfühligen Beschreibungen einer in die Jahre gekommenen Ehe für den Roman eingenommen. Die Hoffnungen und Ängste der Figuren, der Widerstreit der noch immer tiefen Gefühle füreinander einserseits und das Bedürfnis nach Überwindung eines jahrzehntelang einstudierten Alltags andererseits, all das wird in diesem Roman spürbar. Die Atmosphäre balanciert dabei gekonnt zwischen entspanntem Sommerurlaub am See und der bedrückenden Frage danach, ob die Liebe weiterhin Bestand haben kann im Leben von Rahel und Peter.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen; ich mochte die Ruhe darin und die Nachdenklichkeit des Schreibstils, der doch auch eines gewissen Humors nicht entbehrt. Das Buch wird mir sicher noch eine Weile im Gedächtnis bleiben.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2020

Auf der Spur des Lächelnden Drachen

Das Lächeln des Drachen
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Nach dem Tod ihres Vaters reist Olivia im Jahre 1859 auf dessen letzten Wunsch hin nach England, um dort ihre Patentante zu treffen. Als sie dort ankommt, muss sie jedoch erfahren, dass diese bereits verstorben ...

Nach dem Tod ihres Vaters reist Olivia im Jahre 1859 auf dessen letzten Wunsch hin nach England, um dort ihre Patentante zu treffen. Als sie dort ankommt, muss sie jedoch erfahren, dass diese bereits verstorben ist. Da draußen ein Unwetter tobt, bleibt Olivia auf Drängen des Butlers hin dennoch eine Nacht auf dem Anwesen in Devonshire, welches inzwischen von Simon, dem Sohn von Olivias Patentante, alleine geführt wird. Bei Simon lässt der Aufenthalt Olivias längst vergessen geglaubte Erinnerungen und Gefühle aus Kindheitstagen auferstehen, doch nicht jeder scheint erfreut zu sein über den Besuch der jungen Lady...

Mehr als 150 Jahre später, im Jahr 2013: Nachdem vor vielen Jahren bereits ihre Eltern kaltblütig vor ihren Augen ermordet wurden, entgeht die Studentin Junia nur knapp wiederholten Entführungsversuchen. Sie flieht nach Sable Island, einer kleinen Insel vor der Küste Kanadas, wo sie bei Forschern unterkommt. Diese rufen ihren Sohn Falk zur Hilfe, um Junia zu beschützen und das Geheimnis um den Tod ihrer Eltern zu lüften. Es beginnt eine Suche voller Gefahren, die Junia, Falk und dessen Freunde schließlich bis ins England des 19. Jahrhunderts führt...


Die Geschichte ist zweigeteilt: Der erste, etwas längere Teil handelt von Olivia und Simon, der zweite von Junia und Falk. Dadurch, dass beide Geschichten nacheinander erzählt werden, kann man jeweils sehr gut darin eintauchen, da nicht ständig Ort und Zeit gewechselt werden. Beide Geschichten könnten zudem theoretisch unabhängig voneinander gelesen werden, sind hier jedoch auch wunderbar miteinander verknüpft worden! Der Wechsel fiel mir dabei relativ leicht, nach ein paar Seiten konnte ich mich bereits gut auf die neue Situation umstellen. Besonders gelungen finde ich auch, dass sich ganz klar eine Veränderung im Schreibstil feststellen lässt, sodass die Sprache jeweils sehr gut zu den Geschichten passt und beide Male auch wirklich angenehm und flüssig zu lesen ist.

Die Charaktere sind durchweg sehr gut gezeichnet, tiefgründig, individuell. Das wird auch toll an der jeweiligen sprachlichen Ausgestaltung deutlich: Wo beispielsweise Simon seinen Zweifeln, Ängsten und zurückgehaltenen Gefühlen mittels innerer Monologe Ausdruck verleiht, lässt Falk entsprechend seiner sehr offenen Art seine Freunde und den Leser ungefiltert an allen Emotionen teilhaben, indem er - man muss es einfach so sagen - wirklich sehr viel spricht. Damit gelingt es ihm mehr als einmal, angespannte Situationen zu lösen und neuen Mut zu machen. Und auch abgesehen von Falk und Simon fällt es nicht schwer, Sympathie für die verschiedenen Figuren zu verspüren.

An Spannung fehlt es in keiner der beiden Geschichten, und so lässt sich das Buch wirklich sehr gut lesen. Ich hatte eine wirklich sehr schöne Lesezeit, daher gibt es von mir 4,5 Sterne.

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Veröffentlicht am 03.07.2024

CoA zum Abtauchen

Die Sache mit Rachel
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Mit Anfang 30 blickt Rachel zurück auf ihre frühen 20er. Damals hat sie neben dem Literatur-Studium unterbezahlt in einem Buchladen gejobbt, in dem sie auch James kennenlernt. Die beiden werden schnell ...

Mit Anfang 30 blickt Rachel zurück auf ihre frühen 20er. Damals hat sie neben dem Literatur-Studium unterbezahlt in einem Buchladen gejobbt, in dem sie auch James kennenlernt. Die beiden werden schnell beste Freunde und gehen gemeinsam durch dick und dünn; dass es in der gemeinsamen Wohnung etwas chaotisch zugeht und vor allem meistens ziemlich kalt ist, spielt keine Rolle - sie sind jung, die ganze Welt steht ihnen offen. Als Rachel und James gemeinsam eine Lesung mit Rachels Literaturprofessor Dr. Fred Byrne organisieren, in den sie schon seit einer ganzen Weile mehr oder weniger heimlich verliebt ist, kommt alles ganz anders als geplant. Denn es ist nicht Rachel, die Dr. Byrne näherkommt - sondern James.

"Die Sache mit Rachel" ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, die sich besonders in der ersten Hälfte regelrecht verschlingen lässt. Einmal kurz das Buch aufgeschlagen, und plötzlich sind 2 Stunden vergangen. Gegen Ende verliert das Ganze dann leider etwas an Fahrt und droht mehrmals, ins Belanglose abzudriften - sehr schade, denn das Tempo des Anfangs war klasse. Trotzdem kann man problemlos eintauchen in Rachels und James' Geschichte und möchte den Roman am liebsten am Stück verschlingen. Es geht um die klassischen Fragen und Themen des Erwachsenwerdens, um die Ausbildung der eigenen Identität, um Liebe, Geldnot, Angst vor der Zukunft, Hinter-Sich-Lassen der Kindheit und um Freundschaft. Trotz der ein oder anderen Länge hätte ich den Roman noch eine ganze Weile weiterlesen können, denn er ist wunderbar einfühlsam geschrieben und porträtiert sehr authentisch das Leben zweier junger Menschen, die zwar nicht immer sympathisch in ihren Entscheidungen sein mögen, mit denen man aber trotzdem sehr gut mitfühlen kann.
Ein schöner Roman mit ein paar kleineren Schwächen, der sich super zum Abtauchen eignet!

Veröffentlicht am 12.06.2024

Philosophische Dystopie

Die Stimme der Kraken
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Rund um das Archipel Con Dao wurde ein Fangverbot verhängt. Schiffe, die dies ignorieren, laufen Gefahr, abgeschossen zu werden, denn vor kurzem wurde in den Gewässern nahe der Insel eine außergewöhnliche ...

Rund um das Archipel Con Dao wurde ein Fangverbot verhängt. Schiffe, die dies ignorieren, laufen Gefahr, abgeschossen zu werden, denn vor kurzem wurde in den Gewässern nahe der Insel eine außergewöhnliche Krake entdeckt - eine Tatsache, die der Großkonzern Dianima lieber geheimhalten möchte und das Fangverbot daher mit dem Plädoyer für mehr Naturschutz begründet. Nur sehr wenige Personen haben Zutritt zur Insel: unter ihnen der beste Android, der je gebaut wurde, eine skrupellose Sicherheitsbeamtin und die Meeresbiologin Dr. Ha Nguyen. Der Fokus des Romans liegt mal auf ihnen und ihrer Forschungsarbeit, mal auf Hacker Rustem und mal bei Eiko, der mit einer handvoll anderer Menschen als Sklave auf einem KI-gesteuerten Fangschiff festgehalten wird.

Klingt düster? Ist es auch. Der Roman ist eine Mischung aus Sci-Fi und Dystopie, im Zentrum steht die Frage danach, was intelligentes Leben ist und was dessen Existenz für den Menschen bedeutet. Die Technik in der Welt, die hier gezeichnet wird, ist unserer weit voraus; beispielsweise gibt es Androiden, die als eine Art "imaginärer Freund" bzw. Partnerersatz fungieren und individuell angefertigt werden, und die in ihrem Verhalten und Denken (Denken??) so echt wirken, dass kaum jemand mal ihre Grenzen offenlegt. Drohnen, die mit einem Menschen verbunden sind und von diesem durch bloße Gedanken oder minimale Muskelanspannungen äußerst präzise ferngesteuert werden können. Schiffe, die eine Art eigenes Bewusstsein haben und selbst entscheiden, wo gefischt werden soll; die sogar aus Eigeninitiative heraus ihre Besatzung - bestehend aus menschlichen Sklaven, versteht sich - einfach so töten können.

Dann wäre da noch jener eine Android, der sich durch nichts von einem Menschen unterscheidet. Der jeden Turing-Test spielend besteht. Dessen Gefühle so echt sind, dass er selbst an sie glaubt. Bei dem man sich unweigerlich zu fragen beginnt: Wo verläuft die Grenze zwischen Mensch und Maschine? Was definiert einen Menschen, wenn auch eine Maschine dazu in der Lage sein kann, wie ein Mensch zu denken, zu empfinden, zu sprechen? Wenn sie Humor hat und tiefe Trauer empfinden kann, wenn sie Freundschaften schließen und verletzt werden kann? Wenn ihre Haut sich warm anfühlt? Was ist dann noch der Unterschied, wo ist die Grenze, was macht uns als Menschen aus?

Und dann haben wir: eine Krakenart, die möglicherweise gerade den nächsten Evolutionsschritt bewältigt hat. Die beginnt, zu kommunizieren. Die eine Sprache entwickelt. Die Erlerntes an ihre Nachfahren weitergibt. Die Kunst schafft, die eine Kultur aufbaut. Die mit einem Mal unser Monopol auf Herrschaft infragestellt.

Obwohl der Roman also dystopische Sci-Fi ist, ist er zugleich auch zutiefst philosophisch. Von der ein oder anderen Länge abgesehen, war ich sehr angetan von dieser Geschichte, die einerseits düster und beängstigend, stellenweise beinahe beklemmend ist, andererseits aber auch faszinierend, spannend und überraschend tiefgründig. Zwar entsteht zu keiner der Haupt- oder Nebenfiguren ein engeres Verhältnis (vielleicht auch einfach, weil der Roman ein sehr breites Themengebiet abdeckt; die Charaktere leiden darunter ein wenig, vermutlich hätte das Buch etwa doppelt so dick sein müssen), trotzdem liest es sich ausgesprochen gut. Die Hintergründe der Welt, in der die Geschichte spielt, bleiben zu großen Teilen im Dunkeln; das hätte gerne noch etwas ausführlicher beschrieben werden können. Wie gesagt hätte das Buch dann aber wohl auch spürbar dicker sein müssen, von daher ist das wohl akzeptabel. Eine spannende Lektüre ist "Die Stimme der Kraken" auch so allemal - gerade angesichts der sich heute immer schneller entwickelnden Technik und auch der Frage danach, wer wir als Menschen sind, sein wollen, sein können, und weshalb genau wir eigentlich davon überzeugt sind, die "Krone der Schöpfung" zu sein.

Veröffentlicht am 19.04.2024

Meerliebe

Was das Meer verspricht
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Landflucht gibt es auch auf Inseln, und so ist Vidas Bruder Zander nur einer von vielen, die nach dem Abitur die kleine norddeutsche Insel hinter sich lassen und sich ein Leben in der Stadt aufbauen. Vida ...

Landflucht gibt es auch auf Inseln, und so ist Vidas Bruder Zander nur einer von vielen, die nach dem Abitur die kleine norddeutsche Insel hinter sich lassen und sich ein Leben in der Stadt aufbauen. Vida stattdessen bleibt mit ihren Eltern zurück, ihre Rolle ist mit dem Fortgang des Bruders geklärt - irgendwer muss immerhin den kleinen Laden übernehmen. Nicht nur, weil es ohnehin schon kaum mehr Bewohner gibt und der Laden einen wichtigen Versorgungspunkt darstellt, sondern auch, weil die Arbeit der Eltern fortgeführt werden soll. Das war von Anfang an klar für Vida, nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, ihre Zukunft zu hinterfragen; wäre da nicht eines Tages Marie aufgetaucht, denn einsame Orte mögen zwar viele Menschen vertreiben, ziehen andere jedoch wie magisch an.

Und Magie und Marie scheinen überhaupt nah zusammenzuhängen, was nicht nur an dem merkwürdigen Meerjungfrauenkostüm liegt, mit dem Marie zum Entsetzen der Inselbewohner (die keine 10 Seepferdchen ins Wasser bekommen würden) selbst im Winter das Meer unsicher macht; sie übt außerdem schon bald eine merkwürdige Faszination auf Vida aus. Vida, die gute, brave, niemals aufbegehrende, niemals hinterfragende Vida, die mit einem Mal erahnt, dass es da vielleicht doch noch mehr gibt als das ihr vorherbestimmte Inselleben an der Seite ihres Verlobten Jannis. So schnell sich ihre Gefühle für Marie vertiefen, so rasant steuert die Beziehung der beiden jungen Frauen jedoch auch schon auf ihr Ende zu.

Von Anfang an ist klar, dass Vida und Marie keine gemeinsame Zukunft haben können, lässt sich doch häufig eine gewisse Bitterkeit und Melancholie aus Vidas rückblickender Erzählung herauslesen. Trotzdem kommt schnell Spannung auf und es fällt leicht, sich mitziehen zu lassen von Blöchls einfühlsamem Schreibstil. Man fühlt sich Vida nah, deren Leben innerhalb der nichtmal 300 Seiten mehr als einmal aus den Fugen gerät. Ihr Verliebtsein, die Leidenschaft, das Glück, der Schmerz - all das ist wunderbar nahbar beschrieben und lässt Vidas Entwicklung gespannt verfolgen. Ein sehr schöner Roman!