Profilbild von Viv29

Viv29

Lesejury Star
offline

Viv29 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Viv29 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2024

Tolle Sprache, aber langatmig und oft klischeehaft

Unsere Jahre auf Fellowship Point
0

Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in ...

Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in der Wohnung der Protagonistin Agnes und ich konnte es geradezu vor mir sehen, ganz in die Szene eintauchen. Außerdem sprach mich an, dass mein ehemaliger Wohnort Philadelphia einer der Handlungsorte und Agnes eine Autorin ist. In vielerlei Hinsicht also ein höchst vielversprechender Anfang. Die Einblicke in Agnes‘ Autorenleben waren spannend und ich freute mich auf mehr davon. Auch auf die Geschichte der beiden ungleichen Freundinnen Agnes und Polly war ich gespannt.

Das Buch ist hochwertig und ansprechend gestaltet – der farbenfrohe Einband ist ein Hingucker und das herrliche Papier ist auch haptisch eine Freude. Ich habe bei Romanen selten eine so schöne Papierqualität erlebt. Auch die Übersetzung ist fast durchweg gelungen. Allerdings konnte ich es kaum fassen, dass eine der zwei erfahrenen Übersetzerinnen den sehr plumpen Fehler begangen hat, „overhear“ mit dem absolut nicht zutreffenden „überhören“ zu übersetzen, und es dann weder ihr noch irgendjemandem beim Korrektorat oder Lektorat aufgefallen ist, dass der so übersetzte Satz „Mrs. Blundt hatte Telefonate mit Ärzten überhört …“ im Zusammenhang keinerlei Sinn ergibt. Auch war ich etwas befremdet, wie oft „Sie“ als Anrede fälschlich klein geschrieben wurde, und dass man beim Insel Verlag die Regeln, wann man „Oh“ und wann „O“ schreibt, entweder nicht kennt oder nicht beachtet, denn das wurde dort, wo ein „O“ anstelle eines „Oh“ hinkommt, konsequent falsch gehandhabt.

Während ich es anfänglich genoss, Agnes und Polly sowie ihre sehr unterschiedlichen Welten kennenzulernen, begann mich etwa ab Seite 100 der berichtartige, langatmige Erzählstil zu enervieren. Farbige Szenen, bei denen wir so unmittelbar dabei sind wie am Anfang, sind in diesem Buch ausgezeichnet, aber leider eher selten. Das meiste wird leider auf diese dialoglose, berichtartige Art herunterzählt, die Szenen die Unmittelbarkeit und das Leben nimmt. Die Autorin schreibt zwar durchweg in der gekonnten Sprache, die mir gleich gefiel, und dieser Aspekt blieb auch eine Freude, aber ansonsten konnte ich ihrem Schreibstil mit jeder Seite weniger abgewinnen. Das Buch hat über 700 Seiten und ich fand etwa die Hälfte davon entbehrlich. Es wird ausgesprochen detailreich erzählt und auch gerne sinniert. Agnes erwähnt am Ende, sie würde so gerne mal ein Buch schreiben, in dem sie der Welt ihre Meinungen zu diversen Themen mitteilen könnte, und ich glaube, genau das hat die Autorin mit diesem Buch getan – leider nicht zu dessen Gewinn. Man merkt immer wieder den leicht erhobenen Zeigefinger, und auch eine ziemlich männerfeindliche Version des Feminismus (in der die Frauen genau das machen, was sie den Männern so gerne vorwerfen) scheint ständig unangenehm durch; so bei herablassenden Sätzen wie „Er will Aufmerksamkeit, wie alle Männer“ oder „Männer haben die schlechte Angewohnheit, sich ohne Fakten eine Meinung zu bilden. (…) Sobald sie das Wesentliche verstanden haben, wollen sie mitreden“ oder der allgemeinen Darstellung der meisten männlichen Charaktere. Was insbesondere dann ein gewisses Glashaus-und-Steine-Gefühl wachruft, wenn Polly ihrem Mann vorwirft, er habe eine „beschränkte Wahrnehmung von Frauen“. Auch dass Agnes im Amerika des 21. Jahrhunderts mehrfach nervös wird, weil Frauen für manche Meinungen/Wahrnehmungen „schon verbrannt worden“ waren, mutet überzogen und konstruiert an.

Die Geschichte selbst schleppt sich ziemlich zäh dahin. Es gibt gleich mehrere interessante Handlungsstränge, so die Überlegung, wie Fellowship Point nun „gerettet“ wird; Agnes‘ Autorenleben und ihre Zusammenarbeit mit der jungen Lektorin Maud, Pollys innere Entwicklung und Selbstbehauptung. Diese fließen träge durch das Buch, versickern zwischendurch immer mal wieder, werden von anderen Dingen überlagert und wirken manchmal regelrecht ziellos. Interessante Aspekte werden oft kurz abgehandelt, Irrelevantes dagegen breit ausgewalzt. Es werden so viele Charaktere hineingeworfen, dass z.B. bei Pollys Familie viele Namen auch bloß das blieben – Namen, die nicht mit Leben gefüllt wurden. Andere Charaktere waren mir zu klischeehaft, was leider auch Agnes und Polly betrifft. Agnes fand ich zudem größtenteils so unangenehm arrogant, besserwisserisch und schroff, dass es mir irgendwann keine Freude mehr machte, über sie zu lesen. Auch Polly blieb lange Zeit hindurch eine reine Schablone (wurde dann aber interessanter) und ihr ältester Sohn ist ein eindimensionales Klischee.

Durch diesen langatmigen, mäandernden Erzählstil interessierte mich das Buch mit jeder Seite weniger, es verlor sich einfach zu sehr in sich selbst. Zum – ebenfalls leblos berichtartig geschilderten – Ende hin baut die Autorin dann eine völlig absurde Wendung ein, die mich nur noch den Kopf schütteln ließ und zudem reichlich süßlich daherkam. Das Buch überzeugt durch gekonnte Sprache und vielversprechende Ansätze und Themen, aber die Umsetzung sagte mir leider nur in sehr geringen Teilen zu.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.08.2024

Der vielversprechende Anfang verpufft in zäher Langatmigkeit

Und dahinter das Meer
0

Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von ...

Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von der geruhsam erzählten Geschichte treiben zu lassen. Ich habe dies in der ersten Hälfte des Buches genossen – jedenfalls überwiegend. Leider bedient sich Spence-Ash eines der unangenehmsten Stilmittel überhaupt: sie benutzt keine Anführungszeichen bei wörtlicher Rede. Nur in einem Abschnitt in der Mitte des Buches werden diese benutzt und es ist erstaunlich, wie viel angenehmer und lebendiger dieser Abschnitt dadurch wirkt. Im restlichen Buch wird die wörtliche Rede lediglich durch kursive Schrift gekennzeichnet, auch auf neue Zeilen beim Wechsel des Sprechers verzichtet die Autorin unerklärlicherweise. So fließen die Dialoge ohne Unterscheidung ineinander und man liest in einer Zeile z.B.: Fang nicht wieder an. Was denn. oder: Versuch nicht, auf Teufel komm raus erwachsen zu werden. Ich bin kein Junge mehr. In beiden Fällen soll das einen Dialog darstellen.
Zwar ist der Text nicht so komplex, daß man lange grübeln muß, wo eine wörtliche Rede aufhört und die Antwort anfängt, aber nichtsdestotrotz beeinträchtigt es den Lesefluss. Ich werde nie verstehen, warum Autoren zu diesem überflüssigen und albernen Mittel greifen, und ich habe noch keinen einzigen Text gesehen, der dadurch gewonnen hätte. Dieser Text hat dadurch in mehrerlei Hinsicht gewaltig verloren. Abgesehen von der Beeinträchtigung des Leseflusses und der Lesefreude wirkt die Erzählung dadurch leblos, blass. Das wirkt sich auch auf die Charaktere aus, denen es so ebenfalls an Leben und Eindringlichkeit fehlt. Ich habe immer wieder gemerkt, wie viel stärker die Szenen ohne Dialoge wirken und wie sehr die Dialogszenen durch die fehlenden Anführungsstriche abfallen.

Und so bleiben die Charaktere leider auch größtenteils blass, was sicher auch an dem allgemein eher berichtsartigen Schreibstil liegt. Dieser ist zwar keineswegs unangenehm, abgesehen von den fehlenden Anführungsstrichen hat er etwas erfreulich Eigenes, beschwört außerhalb der Dialogszenen die Szenen oft gelungen herauf. Er ist leise und auf diese leise Art oft sehr berührend. Leider aber gleitet das Geschehen meistens emotionslos an den Lesern vorbei. Gefühle werden beschrieben, nie gezeigt (Spence-Ash scheint kein Fan von „show, don’t tell“ zu sein), die Charaktere werden oft nur angerissen, Konflikte nur angedeutet, um dann zu verpuffen. Wir erleben die Charaktere nur selten, sondern sie werden uns berichtet. Trotzdem liest sich diese leise Erzählung durch ihr interessantes Sujet in der ersten Hälfte des Buches meistens erfreulich. Wir erfahren recht vignettenhaft über Beatrix‘ Jahre in den USA, fern von ihren Eltern, und wir sehen, wie sich diese lange Trennung während solch prägender Jugendjahre auf sie und ihre Eltern auswirkt, erleben auch, wie sie ihrer Gastfamilie immer näher kommt. Sogar die Elternpaare nehmen auf eine ungewöhnliche Weise mittels eines Schachspiels Kontakt zueinander auf, und so spinnt die Autorin ein zartes Geflecht aus allerlei Beziehungen und man ist gespannt, wie es sich entwickeln wird.

Dann kommt ein zeitlicher Sprung in die 1950er. Dadurch werden leider einige interessante Aspekte, die im ersten Teil angerissen wurden, nicht mehr aufgegriffen und Dinge, deren Auflösung ich gespannt erwartete, verpufften einfach. Dafür wurde dieser 1950er-Abschnitt auf andere Weise spannend (und gewann durch die hier verwendeten Anführungszeichen bei wörtlicher Rede enorm an Echtheit und Unmittelbarkeit). Hier fühlte ich am meisten mit, war am meisten involviert und genoss die Lektüre am meisten.

Und dann … fällt das Buch für mich erheblich ab. Wir springen erneut, in die 1960er, und es folgt Seite auf Seite zäher Alltäglichkeit. Es passiert so gut wie nichts und die wenigen Entwicklungen versinken in langatmigen, unendlich wirkenden Erzählungen über Alltagsroutine. Hier machte sich auch bemerkbar, daß einige der Charaktere schlichtweg nicht ausreichend angelegt waren – sie interessierten mich nicht genug, um ihnen bei ihrer täglichen Routine zu folgen. Die Beziehung zwischen Beatrix und der amerikanischen Familie wird hier etwas künstlich weitergeführt, der gesamte Abschnitt wirkt eher gequält, als ob die Autorin nicht so richtig wüßte, womit sie die Seiten füllen solle, bis das nächste relevante Ereignis eintritt. Alles zieht sich dermaßen, daß das einschneidende Ereignis mich kaum noch berührte. Ich konnte auch die Handlungen der Charaktere immer weniger nachvollziehen. Und so verlor mich das Buch in der zweiten Hälfte mit jeder Seite mehr. Das Ende überzeugte mich nicht – die vielversprechenden Ansätze der ersten Hälfte wurden meiner Meinung nach leider einfach verschenkt.

Die erste Hälfte hatte etwas Besonderes und war angenehme Lektüre, die zwar leicht ist, aber dennoch Substanz hat. Die zweite Hälfte war für mich ein Beispiel dafür, wie man eine vielversprechende Idee ins Nichts zerfließen lassen kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.07.2024

Aktuelles Thema in langatmiger Erzählweise

Julie: Fluchtpunkt Paris
0

Der Klappentext zu „Julie“ ist sehr vage gehalten: „Der Roman erzählt höchst bewegend die Geschichten mehrerer Charaktere, welche sich in Paris begegnen und Zeugen aufregender Ereignisse werden.“ So wusste ...

Der Klappentext zu „Julie“ ist sehr vage gehalten: „Der Roman erzählt höchst bewegend die Geschichten mehrerer Charaktere, welche sich in Paris begegnen und Zeugen aufregender Ereignisse werden.“ So wusste ich nicht genau, was mich erwartete, und ich muß gestehen, Klappentext und Einbandgestaltung hatten in mir sehr andere Erwartungen erweckt. Thema des Buches ist eine düstere Sozialkritik am überlasteten französischen Gesundheitssystem und der daraus resultierenden Automatisierung vieler Prozesse, was wiederum zu Fehlern führt und außerdem dazu, daß viele Menschen letztlich von effektiver Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind, darunter Flüchtlinge. Ein hochaktuelles und sicherlich relevantes Thema, aber auch eines von solcher Schwere, daß der Klappentext darauf nicht vorbereitet. Auch der Untertitel „Fluchtpunkt Paris“ läßt mehrere Interpretationen offen. Ich hatte mir ein weniger verbissenes, weniger düsteres Thema erwartet und finde die Präsentation des Buches nicht zum Sujet passend.

Daß das Thema nicht mein Fall ist, lasse ich bei der Bewertung (die für mich persönlich geringer ausfällt als drei Sterne) außer Acht, denn dies ist kein Fehler des Buches. Die zu vage Darstellung halte ich allerdings durchaus für ein Manko, da sie an interessierten Zielgruppen eventuell vorbeigeht und bei anderen Lesern falsche Erwartungen weckt.

Auch wenn ich das Buch bei genauerer Kenntnis des Themas nicht gewählt hätte, bergen die Schicksale der Charaktere verschiedener Herkunft und mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen durchaus Potential. Anfangs war ich beim Lesen neugierig und interessiert. Die kurzen Kapitel werden aus wechselnden Perspektiven erzählt und anfänglich laufen die Erlebnisse der jeweiligen Charaktere noch ziemlich nebeneinander her, so daß man verschiedene Geschichten liest und sich immer wieder neu einfinden muß. Das ist an sich gut gemacht, anhand der ersten sich bald knüpfenden Verbindungen bekommt man schon eine Ahnung des gesamten Zusammenspiels.

Allerdings ist die Erzählung sehr langatmig und oft auch trocken. Es werden viele Alltagsbegebenheiten in großer Ausführlichkeit erzählt und Hintergrundinformationen, insbesondere über das Gesundheitswesen, werden trocken und vortragshaft vermittelt. Dazwischen finden sich immer wieder gelungene Beschreibungen, auch wird die Tristesse des Umfelds gelungen dargestellt, aber überwiegend fand ich die Schilderungen langweilig, da die Betonung stark bei irrelevanten Details lag und zudem generell sehr leblos erzählt wird. Es gibt nur wenige Dialoge, das meiste wird uns berichtsartig und trocken geschildert. Das führte dazu, daß mir die Charaktere fremd blieben. Relevante Dinge werden oft nur angedeutet, bewusst vage gehalten, gerade am Anfang tappt man hinsichtlich vieler Aspekte im Dunkeln. Das ist teilweise nötig und sinnvoll, wird aber sehr übertrieben und zieht sich auch letztlich durch das ganze Buch. Die Gewichtung stimmte für mich nicht. Dinge, die mehr Detail vertragen hätten, werden summarisch angerissen, während Uninteressantes ausgewalzt wird. So verlor ich auch zunehmend das Interesse an den Charakteren und damit die Motivation zum Weiterlesen. Das Buch ist sehr kurz, erschien mir aber ausgesprochen lang.

Auch vom Stil war ich eher enttäuscht. Der Klappentext spricht von einer literarischen Entdeckung und weckt damit natürlich entsprechende Erwartungen an den Stil. Dieser ist leicht lesbar, hat aber die o.e. Mängel. Literarisch ansprechend fand ich ihn nicht, Freude an der Sprache hatte ich auch nicht. Vielmehr fielen mir gelegentlich unbeholfene Satzstellungen auf, wie z.B. „Ich habe schon viel zu viel jetzt über mich geredet“.

So kann „Julie“ zwar mit gesellschaftlicher Relevanz und einem interessanten, auf verschiedenen Perspektiven basierenden Aufbau punkten, auch wirkte der Inhalt gut recherchiert und durchdacht. Allerdings weiß die Geschichte aufgrund ihrer distanzierten, langatmigen Erzählweise nicht zu berühren und konnte mich auch literarisch leider nicht überzeugen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.07.2024

Zähe Geschichte in teils holpriger Übersetzung

Eve
0

Nachdem „A Gentleman in Moscow“ eines der hinreißendsten Bücher ist, das ich je las, war ich auf Amor Towles‘ neues Werk schon gespannt. Der Charakter der „Eve“ hat mir im (ansonsten wenig überzeugenden) ...

Nachdem „A Gentleman in Moscow“ eines der hinreißendsten Bücher ist, das ich je las, war ich auf Amor Towles‘ neues Werk schon gespannt. Der Charakter der „Eve“ hat mir im (ansonsten wenig überzeugenden) Vorgänger „Rules of Civility“ gut gefallen, was sich in dem nun ihr gewidmeten Buch aber leider nicht fortsetzte.

Der Anfang des Buches ist herrlich – Towles‘ elegante Sprache erfreut, die Handlung macht neugierig, wir tauchen in die späten 1930er ein, erleben farbig geschildert eine Zugfahrt, das Beverly Hills Hotel und Einblicke in die damalige Welt Hollywoods. Das ist ein leserisches Vergnügen und ich war neugierig, wie es weitergehen würde und was wir über Eve erfahren würden. Nach den ersten Kapiteln fiel das Buch für mich dann aber sehr stark ab und gefiel mir bis zum Ende hin mit jeder Seite weniger.

Das liegt überwiegend daran, daß sich die Handlung sehr zäh dahinschleppt. Nun ist Towles nicht für eine rasante Erzählweise bekannt, sein Metier sind die atmosphärisch dichten Gesellschaftsschilderungen, und im „Gentleman“ wird es nie langweilig, weil das Eintauchen in diese Welt so faszinierend ist. Hier in „Eve“ aber hat sich dieser gesellschaftliche Einblick recht schnell abgenutzt, auch wird er nicht mehr so gekonnt dargeboten wie im „Gentleman“. Ähnlich wie in „Rules of Civility“ wiederholt sich vieles und schleppt sich gar zu sehr dahin. Der Charme reicht nicht, um das Buch zu tragen.

Auch die Sprache überzeugte mich weitaus weniger, als ich es am Anfang noch gedacht hatte. Das kann natürlich auch an der Übersetzung liegen (die anderen Bücher las ich im Original). Anfangs erschien mir die Übersetzung gut, wies aber dann zunehmende Fehler auf. Immer wieder stutzte ich über falsche Wörter und seltsame, am Englischen klebende, Satzstellungen – beides ein Zeichen für einen wenig sprachvertrauten Übersetzer oder eine KI. Ich war überrascht, zu lesen, daß die Übersetzerin bereits Preise gewonnen hat, denn die Übersetzung ist häufig holprig und eben teilweise falsch. Das eklatanteste (aber leider keineswegs einzige) Beispiel ist die Übersetzung des englischen „pest control“ (Schädlingsbekämpfer) mit „Pestkontrolle“. An der Stelle kam ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, denn eine solche Übersetzung ist so offensichtlich völlig falsch (und textlich unsinnig), daß es mir ein Rätsel ist, wie diese überhaupt entstand und dann offensichtlich von keinem Korrektorat entdeckt wurde.

Der Inhalt überzeugte mich leider auch nur wenig. Die schleppenden Beschreibungen Hollywoods im ersten Teil haben ihre unterhaltsamen Momente, aber leider nicht mehr. Es wird aus der Perspektive mehrerer Charaktere erzählt, von denen die meisten mit ihrer eigenen Hintergrundgeschichte daherkommen. Das ist manchmal interessant, manchmal eher zäh und wirkt insgesamt eher zusammengestückelt als wie eine Geschichte aus einem Guss. Über Eve erfahren wir nur sehr wenig und das bleibt auch bis fast am Ende so. Das ist intendiert, ließ sie aber leider sehr farblos wirken, was für eine namensgebende Protagonistin weniger günstig ist.
Im zweiten Teil geht es dann um eine Art Krimihandlung, mit der ich wenig anfangen konnte. Mehrere Szenen (wie die der Geldübergabe) schwappten leider ins Alberne über – von Towles‘ leichtfüßiger Eleganz war gerade da nichts mehr spürbar. Auch zog sich die Handlung sehr, was u.a. daran liegt, daß wir mehrere Ereignisse mehrfach erfahren – aus verschiedenen Perspektiven, aber trotz vereinzelter neuer Einblicke sehr wiederholend. Ich empfand diese Geschichte außerdem als zunehmend überzogen und zu plump, auch hier fehlte mir Towles‘ sonstige Finesse.

Die Idee eines Blicks in das Hollywood jener Zeit, auf seine sehr unterschiedlichen Charaktere, auf eine Enthüllung der dortigen Falschheit und mit Einblicken ins Filmgeschäft ist eigentlich ausgezeichnet. Die letzte Szene des Buches schildert, wie beim Drehen von „Vom Winde Verweht“ die Tara-Kulisse verändert wurde, um die kriegsbedingten Veränderungen der Plantage zu zeigen. Das waren spannende Einblicke, ebenso wie die Gedanken des ehemaligen Schauspielers – davon hätte es gerne mehr sein können. Das Material für eine elegant-tiefgründige Geschichte wäre vorhanden gewesen und eigentlich hat Towles das Können, es zu nutzen. Aber gelungen ist ihm das meiner Meinung nach leider nur in wenigen Ansätzen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.04.2024

Recht unterhaltsam, aber auch sehr konstruiert und handwerklich mittelmäßig

The Hike
1

„The Hike“ (warum werden Buchtitel eigentlich vermehrt nicht mehr ins Deutsche übersetzt?) reizte mich als begeisterte Wanderin; der Blick in die traumhaft-einsame Landschaft Norwegens machte mich ebenfalls ...

„The Hike“ (warum werden Buchtitel eigentlich vermehrt nicht mehr ins Deutsche übersetzt?) reizte mich als begeisterte Wanderin; der Blick in die traumhaft-einsame Landschaft Norwegens machte mich ebenfalls neugierig, gerade auch, weil diese Landschaft für eine solche Geschichte wunderbar geeignet ist. Der Klappentext versprach zudem psychologisch Interessantes – vier Freundinnen in der Natur, auf sich gestellt, mit aufbrechenden alten Konflikten. Klingt nach einer guten Mischung.
Ganz wurden meine Erwartungen letztlich nicht erfüllt. Das Buch braucht sehr lange, bis es in Fahrt kommt. Die eigentliche Wanderung fängt erst irgendwann um Seite 100 herum an. Bis dahin trottet die Geschichte recht zäh dahin. Das liegt vor allem daran, daß die Autorin sich mit allerlei irrelevanten Details aufhält und auch vieles wiederholt. Gerade, wenn es darum geht, die Charaktere der vier Frauen darzustellen, greift Clarke immer wieder auf dieselben Sätze zurück. Maggie ergeht sich regelmäßig darin, wie sehr sie ihre Tochter vermisst, von Liz wird etwa sechs- oder siebenmal betont, wie sehr sie Joni immer zur Seite stand, Helena befühlt regelmäßig ihren Bauch und gibt sich einer wiederholenden Gedankenschleife hin und Joni reflektiert vorhersehbar darüber, welche Schatten ein schillerndes Starleben hat (und wem da einiges bekannt vorkommt: ja, was die Frauencharaktere und ihre Gedanken betrifft, hat Lucy Clarke in mancherlei Hinsicht ihr letztes Buch recyclet – die stereotypen vier Freundinnen und ihre Gedanken entsprechen in etwa denselben Schubladen wie in „One of the Girls“). Der Pathos der ständigen Freundschaftsbeschwörung war etwas anstrengend, genau wie das arg zuckrige Ende.
Der Schreibstil ist durchschnittlich. Es gibt einige gelungene Formulierungen, die ich mehrmals gelesen habe, auch die Naturbeschreibungen sind ausgezeichnet und bildhaft. Diese habe ich genossen. Manche Formulierungen sind etwas unbeholfen, sonst liest sich alles gut weg, bleibt nicht weiter in Erinnerung. Für einen Krimi ist das ausreichend.
Die Geschichte wird überwiegend durch die wechselnden Perspektiven der vier Freundinnen erzählt. Das ist eine gute Idee, denn so lernen wir die vier Frauen sowohl durch ihre eigenen Gedanken wie auch durch die Augen der anderen kennen und auch verschiedene Schauplätze und Geschehnisse können durch die Wechsel geschmeidig dargestellt werden.
Sobald die Wanderung losgeht, steigt das Erzähltempo und ist gerade in der Mitte des Buches angenehm. Es passiert genug, daß man weiterlesen möchte und gespannt ist, aber es überschlägt sich nicht unangenehm. Das passiert dann aber leider im letzten Drittel. Hier nutzt die Autorin, die ohne große Innovationen die üblichen kommerziell erfolgreichen Bestandteile des Genres abarbeitet, dann das Stilmittel zahlreicher sehr kurzer Kapitel, die jedes mit einem kleinen Cliffhanger enden – ein Stilmittel, das mir schon bei Fitzek so auf die Nerven fiel, daß ich seine Bücher nicht mehr lese. Hier und da ein Spannungsmoment, das Ganze verbunden mit einem Perspektivwechsel, um die Spannung zu halten, ist an sich eine gute Idee, aber wenn es derart überbenutzt und zum Selbstzweck wird, dann nutzt es sich enorm ab und nach einer Weile wollte ich einfach nur, daß das Buch endlich zu Ende ist. Dies auch, weil zwischen den Cliffhangern dann häufig Passagen folgten, die reines Füllmaterial waren. Auch schon zu Anfang der Wanderung versucht die Autorin, ständig Spannung zu erzeugen, geht da aber ebenfalls keine kreativen Wege und so folgt ein falscher Alarm dem anderen – unheilvolle Schritte, das Gefühl des Beobachtetseins, ein ungewöhnliches Geräusch wechseln sich beständig ab und verlieren schnell an Bedeutung. Wie bei den Charakteren wird hier zu viel in Schubladen gegriffen, zu viel wiederholt – das ist handwerklich leider nur durchschnittlich.
Doch legt Clarke auch durchaus gelungene falsche Fährten und schafft es, die anderen Charaktere undurchschaubar zu gestalten. Auch baut sie einige überraschende Wendungen ein und konnte zumindest mich mehrere Male erfolgreich hinters Licht führen. Die Geschichte selbst ist an sich gut ausgedacht – nur leider auch sehr konstruiert. Das fängt schon damit an, dass es kaum glaubhaft ist, dass diese vier Frauen, von denen nur eine halbwegs wandererfahren ist, all die beschriebenen Strapazen überhaupt bewältigen. Sie tragen neue, nicht eingelaufene Schuhe, sind kaum sportlich, eine betreibt seit Jahren heftigen Alkohol- und Drogenmissbrauch, eine ist übergewichtig – im wirklichen Leben hätten sie nicht mal den ersten Tag durchgestanden. Als diese vier Frauen dann nach einer durchwachten Nacht und einem zermürbenden Tag völlig ausgehungert mal eben tausend Höhen(!)meter an einem gefährlichen Berg hinter sich bringen, konnte ich nur den Kopf schütteln. Das ist komplett unglaubwürdig. Als sie dann noch die Muße fanden, auf diesem Weg zwischendurch stehenzubleiben und sich erst einmal wegen einer Nebensächlichkeit - mal wieder - ausgiebig anzuzicken, obwohl sie auf der Flucht vor einem gefährlichen Menschen waren, mußte ich schon ein wenig schmunzeln. Auch sonst ist vieles unrealistisch und konstruiert.
Insofern bot „The Hike“ leidlich gute Unterhaltung und einige schöne Naturbeschreibungen, hat einige gelungen überraschende Momente, ist aber durch Wiederholungen, inhaltliche Längen und einer Überbenutzung abgenutzter Stilmittel zum Spannungsaufbau sowie der äußerst konstruierten Geschichte nicht wirklich überzeugend.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere