Tolle Sprache, aber langatmig und oft klischeehaft
Unsere Jahre auf Fellowship PointDer Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in ...
Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in der Wohnung der Protagonistin Agnes und ich konnte es geradezu vor mir sehen, ganz in die Szene eintauchen. Außerdem sprach mich an, dass mein ehemaliger Wohnort Philadelphia einer der Handlungsorte und Agnes eine Autorin ist. In vielerlei Hinsicht also ein höchst vielversprechender Anfang. Die Einblicke in Agnes‘ Autorenleben waren spannend und ich freute mich auf mehr davon. Auch auf die Geschichte der beiden ungleichen Freundinnen Agnes und Polly war ich gespannt.
Das Buch ist hochwertig und ansprechend gestaltet – der farbenfrohe Einband ist ein Hingucker und das herrliche Papier ist auch haptisch eine Freude. Ich habe bei Romanen selten eine so schöne Papierqualität erlebt. Auch die Übersetzung ist fast durchweg gelungen. Allerdings konnte ich es kaum fassen, dass eine der zwei erfahrenen Übersetzerinnen den sehr plumpen Fehler begangen hat, „overhear“ mit dem absolut nicht zutreffenden „überhören“ zu übersetzen, und es dann weder ihr noch irgendjemandem beim Korrektorat oder Lektorat aufgefallen ist, dass der so übersetzte Satz „Mrs. Blundt hatte Telefonate mit Ärzten überhört …“ im Zusammenhang keinerlei Sinn ergibt. Auch war ich etwas befremdet, wie oft „Sie“ als Anrede fälschlich klein geschrieben wurde, und dass man beim Insel Verlag die Regeln, wann man „Oh“ und wann „O“ schreibt, entweder nicht kennt oder nicht beachtet, denn das wurde dort, wo ein „O“ anstelle eines „Oh“ hinkommt, konsequent falsch gehandhabt.
Während ich es anfänglich genoss, Agnes und Polly sowie ihre sehr unterschiedlichen Welten kennenzulernen, begann mich etwa ab Seite 100 der berichtartige, langatmige Erzählstil zu enervieren. Farbige Szenen, bei denen wir so unmittelbar dabei sind wie am Anfang, sind in diesem Buch ausgezeichnet, aber leider eher selten. Das meiste wird leider auf diese dialoglose, berichtartige Art herunterzählt, die Szenen die Unmittelbarkeit und das Leben nimmt. Die Autorin schreibt zwar durchweg in der gekonnten Sprache, die mir gleich gefiel, und dieser Aspekt blieb auch eine Freude, aber ansonsten konnte ich ihrem Schreibstil mit jeder Seite weniger abgewinnen. Das Buch hat über 700 Seiten und ich fand etwa die Hälfte davon entbehrlich. Es wird ausgesprochen detailreich erzählt und auch gerne sinniert. Agnes erwähnt am Ende, sie würde so gerne mal ein Buch schreiben, in dem sie der Welt ihre Meinungen zu diversen Themen mitteilen könnte, und ich glaube, genau das hat die Autorin mit diesem Buch getan – leider nicht zu dessen Gewinn. Man merkt immer wieder den leicht erhobenen Zeigefinger, und auch eine ziemlich männerfeindliche Version des Feminismus (in der die Frauen genau das machen, was sie den Männern so gerne vorwerfen) scheint ständig unangenehm durch; so bei herablassenden Sätzen wie „Er will Aufmerksamkeit, wie alle Männer“ oder „Männer haben die schlechte Angewohnheit, sich ohne Fakten eine Meinung zu bilden. (…) Sobald sie das Wesentliche verstanden haben, wollen sie mitreden“ oder der allgemeinen Darstellung der meisten männlichen Charaktere. Was insbesondere dann ein gewisses Glashaus-und-Steine-Gefühl wachruft, wenn Polly ihrem Mann vorwirft, er habe eine „beschränkte Wahrnehmung von Frauen“. Auch dass Agnes im Amerika des 21. Jahrhunderts mehrfach nervös wird, weil Frauen für manche Meinungen/Wahrnehmungen „schon verbrannt worden“ waren, mutet überzogen und konstruiert an.
Die Geschichte selbst schleppt sich ziemlich zäh dahin. Es gibt gleich mehrere interessante Handlungsstränge, so die Überlegung, wie Fellowship Point nun „gerettet“ wird; Agnes‘ Autorenleben und ihre Zusammenarbeit mit der jungen Lektorin Maud, Pollys innere Entwicklung und Selbstbehauptung. Diese fließen träge durch das Buch, versickern zwischendurch immer mal wieder, werden von anderen Dingen überlagert und wirken manchmal regelrecht ziellos. Interessante Aspekte werden oft kurz abgehandelt, Irrelevantes dagegen breit ausgewalzt. Es werden so viele Charaktere hineingeworfen, dass z.B. bei Pollys Familie viele Namen auch bloß das blieben – Namen, die nicht mit Leben gefüllt wurden. Andere Charaktere waren mir zu klischeehaft, was leider auch Agnes und Polly betrifft. Agnes fand ich zudem größtenteils so unangenehm arrogant, besserwisserisch und schroff, dass es mir irgendwann keine Freude mehr machte, über sie zu lesen. Auch Polly blieb lange Zeit hindurch eine reine Schablone (wurde dann aber interessanter) und ihr ältester Sohn ist ein eindimensionales Klischee.
Durch diesen langatmigen, mäandernden Erzählstil interessierte mich das Buch mit jeder Seite weniger, es verlor sich einfach zu sehr in sich selbst. Zum – ebenfalls leblos berichtartig geschilderten – Ende hin baut die Autorin dann eine völlig absurde Wendung ein, die mich nur noch den Kopf schütteln ließ und zudem reichlich süßlich daherkam. Das Buch überzeugt durch gekonnte Sprache und vielversprechende Ansätze und Themen, aber die Umsetzung sagte mir leider nur in sehr geringen Teilen zu.