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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.09.2024

Keine Wohlfühllektüre und teilweise sehr herausfordernd, aber trotzdem scharf beobachtet

Das Leben keiner Frau
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"Das Leben keiner Frau" ist wirklich absolut kein Wohlfühlbuch. Mit einer ziemlich unsympathischen Protagonistin sowie einer sehr direkten, zynischen und manchmal vulgären Sprache ist es ein Werk, das ...

"Das Leben keiner Frau" ist wirklich absolut kein Wohlfühlbuch. Mit einer ziemlich unsympathischen Protagonistin sowie einer sehr direkten, zynischen und manchmal vulgären Sprache ist es ein Werk, das polarisiert. Nichts von alledem finde ich zwangsläufig schlecht, bin in meiner Besprechung aber hin- und hergerissen.

Ich fand das Buch phasenweise bei aller Frustration von Mel wirklich auf den Punkt. Es wird immer wieder beschrieben, wie die patriarchale Gesellschaft und der strukturelle Sexismus Frauen nicht nur benachteiligt, sondern sie auch gegeneinander ausspielt. Mehrfach habe ich beim Lesen geschwankt zwischen Verständnis und Wut über das, was Mel so von sich gibt. Während sie manchmal messerscharf beobachtet und mir damit Impulse in Bezug auf Ageismus/Abhängigkeiten mitgibt, fand ich einige ihrer Gedanken in Bezug auf jüngere Frauen/Mädchen einfach nur schrecklich.

Die komplette Handlung ist eher frustrierend, macht wütend und zieht irgendwie runter. Aber trotzdem habe ich es richtig schnell durchgelesen. Manche Monologe fand ich zwar etwas langatmig, aber insgesamt hat mich das Buch erstaunlich gut unterhalten. Es wurden doch recht viele Themen angeschnitten (u. a. auch Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern, Alkoholismus, Pflegekrise), sodass manche für mein Empfinden etwas untergegangen sind. Ein wenig mehr Fokus hätte der Geschichte vielleicht gut getan, andererseits ist die Realität natürlich auch genau so komplex.

Eine Empfehlung für Menschen, die weder Zynismus noch eine Sex-offene Handlung scheuen und unsympathische Hauptfiguren bevorzugen.

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Veröffentlicht am 29.08.2024

Ein anspruchsvoll-ambivalenter Beziehungsroman mit historisch interessantem Setting

Samtene Scheidung
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[TW: Alkoholismus, Fehlgeburt, Unfalltod]

In „Samtene Scheidung“ bin ich erstmalig mit der Slowakei und ihrer Geschichte besonders nach dem Ende der Tschechoslowakei in Berührung gekommen. Das vermittelte ...

[TW: Alkoholismus, Fehlgeburt, Unfalltod]

In „Samtene Scheidung“ bin ich erstmalig mit der Slowakei und ihrer Geschichte besonders nach dem Ende der Tschechoslowakei in Berührung gekommen. Das vermittelte Wissen über die Erfahrungen und gefühlten Ambivalenzen der Slowak:innen besonders mit Blick auf Tschechien fand ich hervorragend und organisch in die Handlung eingearbeitet.

Der Titel bezieht sich jedoch nicht nur auf die Trennung der beiden Länder, sondern auch auf die Beziehungen der Protagonistin Katarína, deren Ehemann sie (vorübergehend?) verlassen hat und die deshalb für das Weihnachtsfest alleine von Prag zu den Eltern nach Bratislava fährt. Sie reflektiert dort unter anderem über ihre frühe Heirat, Erlebnisse mit ihren Eltern und die veränderte Beziehung zu ihrer Schwester Dora.
In kurzen Sequenzen begleiten wir zudem Katarínas Kindheitsfreundin Viera, die eine Beziehung mit ihrer Dozentin Barbara eingeht und innerhalb dieser mit eigenen Problemen konfrontiert ist.

Ich mag die Bücher des Nonsolo-Verlags vor allem für ihre ganz besonderen und anspruchsvollen Beziehungsgeschichten. Solche finden wir auch in diesem Roman - Jana Karšaiová hat ein Händchen für Ambivalenz sowie das Zerbrechen und Neuzusammenfügen von Beziehungen jeglicher Art. Aufgrund der sehr fragmentarischen Erzählweise sowie der nicht klar abgegrenzten Zeitsprünge und Perspektivwechsel war ich für ein echtes Einfühlen aber leider etwas zu oft im Lesefluss irritiert. Das machte die Geschichte an einigen Stellen langatmig, an denen es nicht hätte sein müssen.

Die vermittelten Gefühle der Slowak:innen sowie die Abwertung derer durch Tschech:innen fand ich wiederum hervorragend dargestellt und hatte direkt den Impuls, mich mit der Geschichte der Tschechoslowakei zu beschäftigen.

Insgesamt habe ich die Geschichte in ihrer Vielschichtigkeit gerne gelesen und besonders das Ende fand ich auf Protagonistinnenebene stark, ich hätte mir aber ein wenig mehr Stringenz gewünscht. „Für uns gibt es keinen Namen“ hat mir aus dem Verlagsprogramm ein wenig besser gefallen, daher vergebe ich hier 3,5 Sterne.

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Veröffentlicht am 22.07.2024

Eine Essaysammlung mit radikalen Gedankengängen, vielen Anekdoten und wichtiger Systemkritik

Potenziell furchtbare Tage
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Dieses Sachbuch ist sicherlich nicht jedermenschs Geschmack, dafür ist die direkte Art Jankovskas wohl einfach zu unkonventionell. Wer in der Lage ist, die persönlichen Erfahrungen und Gedanken der Autorin ...

Dieses Sachbuch ist sicherlich nicht jedermenschs Geschmack, dafür ist die direkte Art Jankovskas wohl einfach zu unkonventionell. Wer in der Lage ist, die persönlichen Erfahrungen und Gedanken der Autorin von sich selbst zu trennen, kann hier aber gute Anstöße bekommen.

Ich mochte die etwas rotzige Schreibweise der Autorin, ebenso wie ihre fundamentale Systemkritik - auch, wenn ihre Lösungsvorschläge und -ideen sicherlich diskutiert werden können (nichts anderes sagt sie allerdings auch). In essayistischer Art schreibt Jankovska über Leistungsdruck im Kapitalismus, die Benachteiligung von Menstruierenden und über mögliche Gegenmaßnahmen. Die vielen radikalen Ansätze zu Anti-Work fand ich sehr interessant und wohltuend. Mit ihrer grundlegend antikapitalistischen Einstellung trifft sie bei mir auch einen Nerv und ich denke, eine derartige sollte auch gegeben sein, damit das Buch ein angenehmes Leseerlebnis wird.

Rückblickend finde ich den Titel, der ein Werk über den Zusammenhang von Menstrual Health, Anti-Work und das gute Leben suggeriert, nicht so gut gewählt. Alle Themen werden zwar behandelt, aber oft unabhängig voneinander. Lesende sollten kein Problem mit Essays haben, die sich lose aufeinander beziehen. Denn einen roten Faden habe ich oft vergeblich gesucht.

Auch das Thema Mutterschaft/Abtreibung wird emotional recht intensiv behandelt. Mich persönlich hat das positiv angesprochen, ich kann mir aber vorstellen, dass Mütter bzw. Eltern gewisse Dinge persönlich nehmen. Das kann bei diesem Buch aufgrund der direkten Schreibart immer mal wieder passieren. Wer das nicht trennen kann, wird hier eher nicht glücklich werden.

Ich verstehe das Buch als ein persönliches mit vielen radikalen Ideen, die Aushandlungsprozesse anstoßen sollen und nicht den Anspruch haben, eine Lösung für alle Probleme darzustellen. Als ich mich von meiner Erwartung einer klaren Struktur getrennt hatte, habe ich die essayistischen Texte sehr gern gelesen. Aufgrund der anekdotischen Art lässt sich das Buch schnell lesen und ist dadurch auch kein klassisches Sachbuch. Ich konnte einige Impulse mitnehmen und habe mich phasenweise sehr verstanden gefühlt. Viele Sachen waren mir allerdings auch nicht neu, weshalb ich es in großen Teilen einfach als Unterhaltung gelesen habe.

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Veröffentlicht am 16.07.2024

Sommerliche RomCom, die mir phasenweise zu seicht, unlogisch und emotional einseitig war

The Summer of Broken Rules
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Wer nach einer seichten Geschichte für den Sommer sucht, ist hier an der richtigen Stelle. Ich hatte mit dem Buch auch ein gutes Leseerlebnis, doch es kann für mich nicht mit anderen RomComs mithalten.

Das ...

Wer nach einer seichten Geschichte für den Sommer sucht, ist hier an der richtigen Stelle. Ich hatte mit dem Buch auch ein gutes Leseerlebnis, doch es kann für mich nicht mit anderen RomComs mithalten.

Das sommerliche Setting auf Martha’s Vineyard, wo die Autorin selbst viele Sommer verbrachte, ist super schön. Auch die beschriebenen Figuren sind eigentlich alle liebenswert, respektvoll und einfach nett. Sehr gut gefallen hat mir das Spiel „Killer“, in dem sich die Teilnehmenden gegenseitig mit Wasser „umbringen“ müssen. Da das Spiel 24 h am Tag läuft, entsteht eine spannende, aber gleichzeitig auch harmlose Dramatik.

Ich habe aber auch einige Punkte, die „The Summer of Broken Rules“ für mich einfach nicht zu einer perfekten RomCom machen. Zum einen hätte die Liebesgeschichte deutlich tiefer sein können. Klar, die beiden sind noch nicht einmal 20, aber das Buch ist ja kein YA und da hätte es für mich ruhig expliziter sein können. Und obwohl ich die liebevolle Familiendynamik sehr mochte und sogar heilsam fand, waren mir die Charaktere damit irgendwie auch zu eindimensional. Außer der Liebe zwischen den Figuren habe ich emotional nicht wirklich viel greifen können. Selbst die beschriebene Trauer Merediths um ihre verstorbene Schwester konnte ich nicht so richtig fühlen. Und Wit blieb mir bis zum Ende mehr oder weniger ein Rätsel. So richtig viel habe ich nicht von seinem Charakter mitbekommen, außer dass er sanft zu sein scheint.
Auch die Handlung fand ich nicht so ganz rund. Ich brauche nicht zwangsläufig enormes Drama, aber die Geschichte plätscherte teilweise zu doll vor sich hin. Außerdem hatte ich einige Stolpermomente, in denen die Figuren etwas gemacht haben, das für mich recht unlogisch erschien. Ich hatte da den Eindruck, die Autorin wollte bestimmte Dinge einfach reinschreiben, auch wenn es nicht so richtig passte.

Trotz meiner Kritik lässt sich das Buch super schnell und leicht lesen. Ich empfehle es Menschen, die Drama nicht wirklich brauchen und stattdessen einen Sommer-Roman über eine funktionierende, liebevolle Familie lesen wollen.

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Veröffentlicht am 03.07.2024

Mitreißend, emotional und vielschichtig - jedoch nicht mit der erhofften Objektivität

Scheidung
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Ich finde die Idee, einen Scheidungsprozess aus beiden Perspektiven heraus zu betrachten, wirklich spannend und so liest sich "Scheidung" auch. Es hinterfragt kontinuierlich das eigene Urteil und lässt ...

Ich finde die Idee, einen Scheidungsprozess aus beiden Perspektiven heraus zu betrachten, wirklich spannend und so liest sich "Scheidung" auch. Es hinterfragt kontinuierlich das eigene Urteil und lässt viel Raum für Ambivalenz. Dennoch hätte ich mir insgesamt noch mehr Objektivität gewünscht.

In diesem Roman wird zuerst Bea, dann Niklas begleitet. Beide haben unterschiedliche Gefühle zur Scheidung, die von Niklas nach 32 Jahren scheinbar urplötzlich eingeleitet wird. Während im ersten Abschnitt Beas Schock und Unverständnis greifbar sind, setzt sich das Gesamtbild im zweiten Abschnitt mit Niklas' Eindrücken zusammen. Im letzten Abschnitt laufen beide Perspektiven dann direkt nebeneinander, was dem Roman enorm viel Tempo gibt. Die Situation spitzt sich gegen Ende hin auch zu und wird um verschiedene zusätzliche Dramen innerhalb der Familie verstärkt.

Wirklich sehr gut gefallen haben mir die beiden Sichtweisen! Ich mag es, dass meine selbst gefällten Urteile immer wieder herausgefordert und neu geformt wurden. Emotional war der Roman äußerst vielschichtig und die Figuren mit ihren Hintergrundgeschichten interessant. Das Setting in Schweden fand ich als völlig Unkundige zu Beginn schwierig, weil so viele Orte eine Rolle gespielt haben, die ich nicht kannte. Das werte ich aber nicht als expliziten Kritikpunkt.

Was ich hingegen deutlich kritisiere, ist die ingesamt dann doch mangelnde Objektivität der Autorin. Gewünscht hätte ich mir, dass ich mit Niklas und Bea mitfühlen, sie aber auch gleichermaßen kritisieren kann. Herausgekommen ist meiner Meinung nach aber vielmehr ein subtiles, aber doch recht deutliches Framing von Bea als die egoistische, bevormundende Böse und Niklas als den bemitleidenswerten unterdrückten Ehemann. Während ich in Beas Abschnitt noch extrem mit ihr mitgefühlt habe, kippte das direkt in Niklas' Abschnitt. Er wirkte viel nachvollziehbarer und Beas Handlungen meistens völlig drüber. Dass Niklas aber schlichtweg nicht weiß, was er will und entsprechend quasi gar nicht kommuniziert, geht dabei fast unter. Während Niklas' Überforderung ob Lohnarbeit und finanziellem Druck nachvollziehbar geschrieben sind, wirken Beas Wünsche nach einem schönen Zuhause und familiären Miteinander irgendwie übertrieben. Mir wurde zudem eine andere weibliche Figur zu sehr als die bessere Variante von Bea geschrieben, so sehr ich die Figur menschlich auch mochte.

Besonders gegen Ende bekommt der Text für mich fast Mobbing-Dynamiken, die mich emotional extrem aufgewühlt haben. Ich konnte im letzten Abschnitt so einige Reaktionen, vor allem von der Schwiegerfamilie Bea gegenüber, nicht nachvollziehen und auch das Ende kam mir zu plötzlich und gewollt versöhnlich. Ein anderer Schluss wäre zwar unfassbar schlimm, aber vom Handlungsverlauf schlüssiger gewesen.

Ich fand den Roman trotzdem wirklich gut und hätte 4 Sterne gegeben, weil er sich gut lesen lässt und die Geschichte mitreißend ist. Aber für diese doch deutlich spürbare Gut-Böse-Dichotomie ziehe ich noch einmal einen halben Stern ab und gebe 3,5 Sterne.

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