Über das Leben danach
„Wenn dein Leben nur im Glück einen Sinn hatte, dann hatte es nie einen Sinn.“
Seit ihre siebzehnjährige Tochter Sonja beim Überqueren einer Straße von einem Lkw erfasst wurde und Linda selbst kurze Zeit ...
„Wenn dein Leben nur im Glück einen Sinn hatte, dann hatte es nie einen Sinn.“
Seit ihre siebzehnjährige Tochter Sonja beim Überqueren einer Straße von einem Lkw erfasst wurde und Linda selbst kurze Zeit später an Krebs erkrankte, zieht sie sich vor der Welt zurück. Ihrem vordem beschaulichen, privilegierten und in jeder Hinsicht erfüllten Leben kehrt sie den Rücken zu, um in einem trostlosen Dorf auf einem Hof mit Hühnern und der Hündin Kaja ein karges Leben voller Entbehrungen zu führen. Nur die Arbeit im Garten lenkt Linda von ihrer Trauer ab und schenkt ihr eine Art Zufriedenheit. „Je einfacher die Arbeit, umso besser. Je erdnaher, umso besser. Je körperlicher, umso besser.“ Nur Natascha, die Musiklehrerin und ihre autistische Tochter Nine sowie ihre Nachbarn Klaus und Bruni lässt Linda zuweilen in ihr Leben hinein. Als die Hündin Kaja stirbt und Linda auch der Hof genommen wird, muss sie sich nach und nach wieder an ein Leben unter Menschen gewöhnen. Schrittweise öffnet sie sich ihrem Ehemann, den sie vorher aus ihrem Leben gestrichen hatte, und weiteren Familienmitgliedern. Als eine erneute Katastrophe hereinbricht, merkt Linda wie stark sie doch ist und dass sie weiterleben und weiterkämpfen möchte.
„Mein drittes Leben“ ist ein Roman, den ich nicht mehr aus den Händen legen konnte. Einmal angefangen, hat er mich sofort gefesselt. Daniela Kriens wunderbaren Schreibstil voller Klarheit habe ich bereits durch den gefeierten Roman „Die Liebe im Ernstfall“ kennen und lieben gelernt. Lindas Alltag mitzuerleben, ihren (ausgesprochenen und nicht ausgesprochenen) Gedanken zu lauschen, ihren Schmerz zu fühlen und ihren Retrospektiven beizuwohnen, war ein überaus intensives und bewegendes Leseerlebnis. Daniela Krien besitzt die besondere Gabe, Dinge so in Worte zu fassen, dass das Wesentliche erfasst wird: „Vor Sonja bin ich ein eigenständig fühlender, doch unvollendeter Mensch gewesen, ein Individuum ohne Zusammenhang. Ab ihrer Geburt war mein Lebensglück ihrem unterworfen. [...] Wenn ein Kind geht, nimmt es dich mit. Es lässt nicht mehr von dir zurück als eine welke Hülle.“ Virtuos verbindet die Autorin Beschreibungen, die das Innere der Figur widerspiegeln, mit Reflektionen und Retrospektionen. Je mehr Erinnerungen Linda heimsuchen, desto detaillierter wird das Bild der Mutter-Tochter-Beziehung und es treten auch Worte und Entscheidungen zu Tage, die sich Linda selbst schwer verzeihen kann. „All das Unerledigte, Unterlassene, Ungesagte in unserem Leben verschwindet nicht. Es sammelt sich in uns, gärt und brodelt, und manchmal bricht es heraus.“ Linda muss sich ihren Erinnerungen stellen und entscheiden, wohin ihr Weg in Zukunft führen soll. Und so endet der knapp 300 Seiten lange Roman „Mein drittes Leben“ mit einem Ausblick auf eine seelische Heilung und ein Leben ,danach’.