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Veröffentlicht am 10.11.2018

Ende gut, alles gut?

Die Tote im Pfarrhaus
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Ende gut, alles gut. Ob dieses Zitat auch für „Die Tote im Pfarrhaus“ gilt, im Original zwei Jahre vor dem Tod Ruth Rendells, der britischen Lady of Crime, erschienen; ist die Frage. Ohne vorwegzugreifen, ...

Ende gut, alles gut. Ob dieses Zitat auch für „Die Tote im Pfarrhaus“ gilt, im Original zwei Jahre vor dem Tod Ruth Rendells, der britischen Lady of Crime, erschienen; ist die Frage. Ohne vorwegzugreifen, dieser Roman sollte nach 25 Bänden der Reihe mit Inspector Wexford den Schlusspunkt markieren. Obwohl routiniert heruntergeschrieben wie eh und je, merkt man diesem Krimi doch deutlich eine gewisse Ideenlosigkeit an. Ein Phänomen, das auch in den Venedig-Krimis von Donna Leon zu beobachten ist.

Im Gegensatz zu Brunetti befindet sich der ehemalige Inspector zwar bereits im Ruhestand, verbringt aber ebenso wie dieser seine Tage/Freizeit mit dem Studium der Klassiker, in diesem Fall dem mehrbändigen Werk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“. Der Zusammenhang mit der Handlung erschließt sich mir jetzt nicht wirklich, es sei denn, es ginge der Autorin um den Werteverfall und die fehlende Moral der heutigen Zeit. Ein bisschen Philosophie, so sie nachvollziehbar im Bezug zu Plot oder Personen ist, schadet mit Sicherheit nicht. Aber die Langatmigkeit und permanenten Reflexionen derselben, in die sich Wexfords Gedankengänge über weite Teile verstricken, und die daran erzwungene Teilnahme des Lesers – man will nichts verpassen, es könnte später ja noch wichtig werden – haben mir recht früh die Freude an dem Buch genommen, zumal dies massiv auf Kosten der Spannung und des Tempos geht.

Obwohl alle Zutaten für einen spannenden Kriminalroman vorhanden sind, konnte mich die Story nicht packen. Natürlich gibt es einen Mordfall, die Personen, selbst die nervige Zugehfrau, sind interessant und gut gezeichnet und das in Rendells Krimis wiederkehrende Thema Rassismus ist gesellschaftspolitisch relevant. Alles korrekt, und dafür gibt es Pluspunkte, aber dennoch wirkt „Die Tote im Pfarrhaus“ über weite Strecken wie einer jeder klassischen britischen „cozy crimes“ von Agatha Christie – allerdings nicht zeitlos elegant, sondern einfach nur behäbig und langweilig.

Veröffentlicht am 10.11.2018

Story nicht schlecht, aber leider emotionslos und distanziert erzählt

Endstation Tokio
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Die verschiedenen Länder Europas sowie die Vereinigten Staaten bildeten jahrzehntelang den geografischen Hintergrund für Kriminalromane und Thriller. Dann erweiterte sich das Spektrum um Südafrika, in ...

Die verschiedenen Länder Europas sowie die Vereinigten Staaten bildeten jahrzehntelang den geografischen Hintergrund für Kriminalromane und Thriller. Dann erweiterte sich das Spektrum um Südafrika, in den vergangenen Jahren kam noch Australien dazu. Die asiatischen Länder waren bisher eher schwach vertreten. Seit einiger Zeit nun kann man beobachten, dass Japan der neueste Trend ist. Vermehrt tauchen japanische Autoren in diesem Genre auf und rücken Japan samt seiner kulturellen Eigenheiten in den Fokus. Im Gegensatz dazu gibt es die englischsprachigen Autoren, die ihre Protagonisten im „Land der aufgehenden Sonne“ mit der Gewalt der organisierten Kriminalität konfrontieren, ansonsten aber Land und Leuten, und noch weniger dieser Kultur, Beachtung schenken.

Zu dieser Gruppe gehört auch der englische Autor James Buckler, der für seinen Erstling „Endstation Tokio“ die japanische Hauptstadt als Kulisse verwendet: nach einem tragischen Ereignis kehrt Alex Malloy seinem Heimatland den Rücken und versucht einen Neuanfang in Japan. Dort lernt er die ehrgeizige Kuratorin Naoko kennen, verliebt sich in sie und geht mit ihr eine unheilvolle Beziehung ein, denn Naoko hat ihre eigenen Pläne, die Alex das Leben kosten könnten.

Buckler hat nicht nur für Film und Fernsehen sondern auch einige Zeit als Englischlehrer in Japan gearbeitet. Ersteres schlägt sich in seinen bildhaften Schilderungen sowie seiner gut lesbaren Art des Schreibens nieder. Welche Eindrücke seine japanischen Jahre bei ihm hinterlassen haben, kann nur vermutet werden. Er zeigt uns in seinem Roman das Land und die Menschen durch die Brille des Europäers, der sich einigermaßen verunsichert, wenn nicht sogar verstört in einer für ihn fremden Kultur zurechtfinden muss. Auf mich hat das leider eher emotionslos und distanziert gewirkt, obwohl die Story an sich eigentlich nicht schlecht war. Schade!

Veröffentlicht am 25.10.2018

Leben am Rand der amerikanischen Gesellschaft

Gun Love
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Ein Szenario, das in den Vereinigten Staaten gang und gäbe ist. Vierzehn Jahre leben Mutter und Tochter in ihrem Auto, abgestellt auf dem Parkplatz eines heruntergekommenen Trailerparks in Florida, eine ...

Ein Szenario, das in den Vereinigten Staaten gang und gäbe ist. Vierzehn Jahre leben Mutter und Tochter in ihrem Auto, abgestellt auf dem Parkplatz eines heruntergekommenen Trailerparks in Florida, eine Zwei-Zimmer-Wohnung sozusagen. Pearl, der mittlerweile vierzehnjährigen Tochter, sind die Vordersitze zugeteilt, die Mutter macht es sich nach Feierabend auf der Rückbank bequem. Im Kofferraum lagern die Schätze für schlechte Zeiten, kostbare Porzellanteller und Familienschmuck.

So, jetzt habe ich mich natürlich gefragt, was das für eine Familie ist, vor der Pearls Mutter kurz nach deren Geburt davongelaufen ist. Sie scheinen wohlhabend zu sein, haben ihrer Tochter eine was man so „gute“ Erziehung nennt angedeihen lassen, kümmern sich aber ansonsten wohl nicht weiter um sie. Denn wie lässt es sich sonst erklären, dass die Schwangerschaft sowie die Geburt im Badezimmer nicht bemerkt werden? Einzig der Vater fällt aus dem Rahmen, der auf Kleingetier mit einer Fliegenklatsche einschlägt, was schlussendlich den Anlass für die Flucht der hypersensiblen Tochter aus dem Elternhaus bietet. Aber welche Eltern setzen nicht Himmel und Hölle in Bewegung, wenn ihre Tochter spurlos verschwindet? Sehr seltsam, aber sei’s drum. Jetzt zieht sie also ihr Kind mit Unterstützung der Freunde aus dem Trailerpark groß, redet ihr dieses White Trash-Leben mit romantisierenden Phrasen schön, die doch nur den Zweck haben, den allgegenwärtigen Mangel zu kaschieren.

Waffen sind allgegenwärtig, mal nur eine, dann wieder ein ganzes Arsenal. Sie werden gereinigt, benutzt, um ein missgebildetes Alligatorjunges zu erschießen oder von dem geschäftstüchtigen Priester eingesammelt und über die mexikanische Grenze verschoben. Und sie killen, töten Pearls Mutter und katapultieren diese schlagartig in die reale Welt der Waisen.

„Gun Love“ ist ein Buch, mit dem ich hadere. Keine Frage, die Sprache ist brillant, poetisch (wunderbare Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner) verklärt aber letztlich damit nur dieses Leben in einer Parallelwelt, das dem Mädchen Pearl keinerlei Perspektive für die Zukunft bietet. Und das geht mir wirklich nicht nur an die Nieren sondern auch auf die Nerven.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Viele glückliche Zufälle und vorhersehbare Story

Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus
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Brigitte Riebes neuer Roman nimmt uns mit in das Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Drei Schwestern: Rike, die Älteste, die Vernünftige. Silvie, die Mittlere, die Lebenshungrige und begnadete Schwarzhändlerin. ...

Brigitte Riebes neuer Roman nimmt uns mit in das Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Drei Schwestern: Rike, die Älteste, die Vernünftige. Silvie, die Mittlere, die Lebenshungrige und begnadete Schwarzhändlerin. Und schließlich Florentine, das Nesthäkchen, die künstlerisch Begabte. Der familiäre Hintergrund ist privilegiert, stammen sie doch aus der ehemals wohlhabenden Familie des Berliner Kaufhauskönigs Thalheim. Wobei „ehemals wohlhabend“ so nicht stimmt, da es dem Patriarch der Familie gelungen ist, rechtzeitig eine nicht unbeträchtliche Menge an Barvermögen (Geld, Schmuck, aber auch wertvolle Stoffe für die Prodiktion von Kleidern) zur Seite zu schaffen und somit dem Zugriff der plündernden Besatzungsmächte zu entziehen. Zeitlicher Rahmen sind die Jahre zwischen Mai 1945 und Sommer 1951, in denen Rike alles daran setzt, ihren Traum zu verwirklichen: den Vorkriegsstatus wieder herzustellen und das Kaufhaus Thalheim wieder aufzubauen.

Die Story an sich ist, wie es sich für einen historischen Frauenroman gehört, auf ein Happy End hin konzipiert. Zwar müssen die Protagonistinnen mit den Widrigkeiten kämpfen, die die Nachkriegsjahre bereithalten – Hunger, Kälte, Mangel an Lebensnotwendigem – aber mit dem notwendigen finanziellen Polster in der Hinterhand klappt das schon irgendwie. Und wenn alle Stricke reißen, ist da ja immer noch Onkel Carl, der, anders als der typische Mitläufer Friedrich, nicht in die Partei eingetreten ist, und nun seine Beziehungen spielen lassen kann.

Was ich an den Büchern von Brigitte Riebe schätze, ist die gründliche Recherche, die ihren historischen Romanen zugrunde liegt. Und was das angeht, hat sie auch hier nicht enttäuscht. Unzählige Fakten über das besetzte Berlin sind hier in die Handlung eingearbeitet, oft nur in einem Nebensatz, manchmal aber auch etwas ausführlicher. Eine detaillierte Zeittafel am Ende des Buches rundet dies ab und kann Leserinnen, die mit dieser Periode nicht vertraut sind, zusätzliche Informationen bieten. Das ist allemal fünf Sterne wert!

Gestört haben mich allerdings die vielen glücklichen Zufälle und die daraus resultierende Vorhersehbarkeit der Geschichte, die auf mich im Endeffekt dann doch sehr unrealistisch gewirkt hat (dafür deshalb nur zwei Sterne), weshalb ich mir den Rest der Reihe – konzipiert ist die Geschichte der Schwestern auf drei Bände, in der jeweils eine von ihnen im Mittelpunkt stehen wird – sparen werde.

Veröffentlicht am 23.07.2024

Vier heimliche Witwen und ihre „Pakete“

Ein Mann zum Vergraben
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England 2020. Covid und der verordnete Lockdown hat das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht. Im Privaten wächst sich die Frustration zu aggressivem Verhalten aus. Kam es schon vor der Pandemie in vielen ...

England 2020. Covid und der verordnete Lockdown hat das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht. Im Privaten wächst sich die Frustration zu aggressivem Verhalten aus. Kam es schon vor der Pandemie in vielen Beziehungen zu körperlichen Übergriffen und Misshandlungen, steigen sie während dieser Zeit sprunghaft an. In ihrem Nachwort weist die Autorin, die ehrenamtlich bei einer Hilfsorganisation arbeitet, darauf hin, dass zum einen die Zugriffe auf deren Website während des Lockdowns immens angestiegen sind, zum anderen aber auch die telefonischen Hilferufe um zwei Drittel zugenommen haben. Nicht zu vergessen, die Morde an Frauen haben sich in dieser Zeit in England verdoppelt.

Die Gewalt der Männer eskaliert und gepaart mit der räumlichen Isolation suchen die Frauen Hilfe, oder nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. So auch Sally, seit 23 Jahren mit Jim verheiratet, dem äußeren Anschein nach ein perfektes Paar. Was man allerdings nichts sieht, sind die physischen und psychischen Misshandlungen, die Sally seit vielen Jahren ohne Gegenwehr über sich ergehen lässt. Die Gewalt seitens Jim nimmt im Lockdown zu, Sally fürchtet um ihr Leben und so greift sie sich, als die Situation wieder einmal zu eskalieren droht, die gusseiserne Bratpfanne und schlägt ihm den Schädel ein. Und damit fangen die Probleme an, denn wird ihr jemand glauben, dass sie in Notwehr gehandelt hat? Wohl nicht, weil äußerer Schein und so. Aber was soll sie bloß mit der Leiche anfangen? Das Internet rät im ersten Schritt zu Katzenstreu, Plane, Gaffertape und Bleichmittel, und dann wird man schon weitersehen. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, was noch zwei weitere Frauen aus der Nachbarschaft plus eine alte Freundin von Sally feststellen müssen.

Und jetzt wird die Story leider ziemlich märchenhaft. Bei ihren Ausflügen in den Heimwerkermarkt trifft Sally nämlich Frauen aus der Nachbarschaft. Man kennt sich zwar vom Sehen, aber erzählt man dem Gegenüber nach ein paar nichtssagenden Sätzen, dass man seinen Mann ins Jenseits geschickt hat? Never ever. Dazu dann noch die absurde Vorstellung, man könne 4 Männerleichen, ohne Aufsehen zu erregen, spurlos verschwinden lassen.

Weibliche Solidarität und Selbstverwirklichung hin oder her, dafür ist das Thema zu wichtig, als dass man es dermaßen unglaubwürdig in einem Roman verarbeiten sollte, der sich nicht zwischen schwarzhumoriger Komik und dem gebührenden Ernst entscheiden kann. Schade!