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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.08.2024

Das Dornröschen und der Prinz

Anna O.
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In der Nacht auf den 30. August 2019 auf einer Farm in Oxfordshire (England): Die Leichen von Douglas Bute (26) und Indira Sharma (25) werden tot in ihren Betten aufgefunden. Die Spuren auf dem blutbeschmierten ...

In der Nacht auf den 30. August 2019 auf einer Farm in Oxfordshire (England): Die Leichen von Douglas Bute (26) und Indira Sharma (25) werden tot in ihren Betten aufgefunden. Die Spuren auf dem blutbeschmierten Tatmesser weisen auf deren beste Freundin Anna Ovigly (25) hin. Ist sie die Täterin? Doch die junge Frau fällt kurz nach den Morden in einen Tiefschlaf und kann keine Auskunft geben. Der Londoner Schlafforscher Dr. Benedict Prince soll die Verdächtige vier Jahre nach der Tat wecken und so die Aufklärung des Falls unterstützen…

„Anna O.“ ist ein Psychothriller von Matthew Blake.

Die durchdachte Struktur des Thrillers ist nicht unkompliziert: Er besteht aus 82 kurzen Kapiteln, die sich über fünf Teile erstrecken. Erzählt wird aus mehreren Perspektiven: der von Ben, Lola, Bloom, Emily und Clara. Dazwischen eingestreut sind Einträge aus Annas Notizbuch, Chatverläufe, E-Mails und Auszüge aus Akten. Die Handlung umfasst insgesamt etwa fünf Jahre und spielt an unterschiedlichen Orten.

In sprachlicher Hinsicht ist der Thriller unspektakulär, aber anschaulich und dank vieler Dialoge lebhaft. Fachbegriffe werden erklärt. Leider sind die verschiedenen Perspektiven stilistisch so ähnlich, dass es nicht authentisch wirkt.

Das Personal ist recht umfangreich, aber dennoch nachvollziehbar. Die Figuren bleiben, dem Genre angemessen, undurchsichtig und geheimnisvoll. Die Charaktere sind recht klischeefrei und interessant angelegt.

Inhaltlich ist der Thriller sehr facettenreich und komplex. Das Resignationssyndrom und die Schlafforschung bilden einen originellen und interessanten Hintergrund. Diesbezüglich wird die fundierte Recherche des Autors immer wieder deutlich. Medizinische, juristische und politische Zusammenhänge werden gut erklärt. Diese Themen machen die Geschichte besonders. Auch aktuelle Bezüge werden aufgegriffen.

Während mich die Grundidee des Thrillers sehr angesprochen hat, empfinde ich die Umsetzung als weniger gelungen. Erstens: Die Story ist inhaltlich überfrachtet. Das sorgt dafür, dass die Auflösung nicht alle losen Fäden wieder aufnehmen kann und alle offenen Fragen beantwortet werden. Zweitens: Zwar kann die Handlung mit mehreren Wendungen punkten und ein Plottwist sorgt zum Ende hin für einen zusätzlichen Überraschungseffekt. Die vielen Zufälle machen das Geschehen allerdings unrealistisch. Zudem ergeben sich mehrere Logikbrüche.

Das kreative Cover und der prägnante Titel, der mit dem Original identisch ist, heben sich auf positive Weise von anderen Büchern des Genres ab.

Mein Fazit:
„Anna O.“ von Matthew Blake ist ein ungewöhnlicher und interessanter Thriller. Trotz inhaltlicher Schwächen in der Umsetzung hat mich die Geschichte gut unterhalten.

Veröffentlicht am 23.07.2024

Wenn ein Bär vor der Haustür steht

Cascadia
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Auf der Insel San Juan an der Grenze der USA zu Kanada: Samantha Arthur (28) lebt mit ihrer Schwester Elena (29) in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter ist schwer krank, die Arztkosten sind hoch. Seit ...

Auf der Insel San Juan an der Grenze der USA zu Kanada: Samantha Arthur (28) lebt mit ihrer Schwester Elena (29) in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter ist schwer krank, die Arztkosten sind hoch. Seit zehn Jahren wünscht sich Sam eine Zukunft fernab der Insel. Die beiden jungen Frauen wollen ihre Mutter aber nicht im Stich lassen. Da taucht plötzlich ein Bär auf, der sich bis an die Haustür der Familie traut…

„Cascadia“ ist ein Roman von Julia Phillips.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vielen kurzen Kapiteln. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge aus der Perspektive von Sam. Die Handlung spielt im nördlichen Teil des US-Bundesstaats Washington.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman komplett überzeugt. Der Schreibstil ist sehr atmosphärisch und voller eindrücklicher, bildstarker Beschreibungen.

Mit Sam und Elena stehen zwei junge Frauen im Vordergrund der Geschichte, die ich als durchaus authentisch empfunden habe. Ihre Schwächen, Ecken und Kanten machen sie nicht in jeglichem Aspekt sympathisch, aber lebensnah. Die beiden Charaktere sind psychologisch gut ausgearbeitet. Die übrigen Figuren bleiben recht blass, sind allerdings erfreulicherweise wenig stereotyp dargestellt.

Eine weitere Hauptrolle spielt der Bär. Da ich keine Biologin bin, kenne ich mich mit den Gepflogenheiten dieser Tiere nicht besonders gut aus. Dennoch glaube ich, dass die im Roman geschilderten Verhaltensweisen des Bären nicht sehr realistisch sind. Die recht märchenhaft anmutenden Szenen sind aus meiner Sicht übertrieben.

Aus inhaltlicher Sicht geht es jedoch um weit mehr als das Auftauchen des Bären. Insbesondere die Verbindung zwischen zwei Schwestern und weitere familiäre Verpflichtungen und Verflechtungen sind zentral. Dabei schwingt Gesellschaftskritik mit.

Auf den rund 270 Seiten erzeugt die Geschichte eine subtile Spannung, die sich zunehmend steigert. Die Bedrohung durch den Bären, aber auch diverse Konflikte machen den Roman kurzweilig. Gut gefallen hat mir, dass nicht alle Fragen bis ins kleinste Detail beantwortet werden.

Der deutsche Titel ist weniger passend als das prägnante Original („Bear“). Das Cover gefällt mir dagegen gut.

Mein Fazit:
„Cascadia“ von Julia Phillips ist ein ungewöhnlicher Roman, der mehrere interessante Themen in einer gelungenen Sprache bearbeitet und zum Nachdenken anregt. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die damit leben können, wenn sich die Fiktion ein paar Freiheiten erlaubt.

Veröffentlicht am 22.07.2024

Nachmittage mit Hubert

Der Bademeister ohne Himmel
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42 Jahre lang war Hubert Raichl Bademeister im Strandbad in Bregenz. Nun ist er 86 Jahre alt und dement. Ewa, die polnische Pflegekraft, kümmert sich um ihn. Und dann gibt es noch Linda (15), die ihn an ...

42 Jahre lang war Hubert Raichl Bademeister im Strandbad in Bregenz. Nun ist er 86 Jahre alt und dement. Ewa, die polnische Pflegekraft, kümmert sich um ihn. Und dann gibt es noch Linda (15), die ihn an drei Tagen in der Woche stundenweise betreut. Eigentlich würde die Jugendliche gerne sterben. Aber da ist nicht nur Hubert, der sie braucht, sondern auch noch ihr Freund Kevin….

„Der Bademeister ohne Himmel“ ist ein Roman von Petra Pellini.

Der Roman umfasst 67 kurze Kapitel, an die sich ein Epilog anschließt. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Linda.

Auf den ersten Blick wirkt der Schreibstil authentisch, flott und dank vieler Dialoge lebhaft. In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman bei genauerem Hinsehen jedoch nicht überzeugt: Die Mischung aus dem fehlerhaftem Deutsch der Polin, den österreichischen Begriffen und Formulierungen sowie den telegrammartigen Sätzen ist auf Dauer kein Genuss.

Die Zusammenstellung der ungewöhnlichen Figuren ist reizvoll und birgt viel Humor. Zwar schrammt die Darstellung der Charaktere an wenigen Stellen nahe an Stereotypen vorbei. Dennoch ist die Ausarbeitung der Personen im Großen und Ganzen gelungen.

Aus inhaltlicher Sicht sticht vor allem das Thema Demenz hervor. Dass die Autorin auf diesem Gebiet Expertise hat, kommt immer wieder zum Ausdruck. Diese Krankheit macht die Geschichte zusammen mit Aspekten wie Freundschaft, Familie und Erinnerungen berührend. Nicht ganz schlüssig dargestellt werden für mich Lindas Suizidgedanken, weshalb mich diese Passagen leider nur wenig bewegen konnten.

Auf den rund 300 Seiten ist die Geschichte unterhaltsam und kurzweilig. Das Ende ist allerdings wenig überraschend.

Der Titel des Romans gefällt mir sehr, denn er ist kreativ und passend. Auch das Cover fügt sich gut ein.

Mein Fazit:
Obwohl mich Petra Pellini nicht in allen Punkten begeistert hat, ist ihr Roman „Der Bademeister ohne Himmel“ durchaus eine lohnenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 11.07.2024

Die weite Reise eines kleinen Regentropfens

Am Himmel die Flüsse
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Was haben Arthur Smyth, der im 19. Jahrhundert in London an der Themse geboren wird und in der Gosse aufgewachsen ist, die neunjährige Narin, die im Jahr 2014 mit ihrer Großmutter in einer jesidischen ...

Was haben Arthur Smyth, der im 19. Jahrhundert in London an der Themse geboren wird und in der Gosse aufgewachsen ist, die neunjährige Narin, die im Jahr 2014 mit ihrer Großmutter in einer jesidischen Gemeinde am Tigris lebt, und die junge Hydrologin Dr. Zaleekhah Clarke, die 2018 ein Hausboot auf der Themse bewohnt, gemeinsam?

„Am Himmel die Flüsse“ ist ein Roman von Elif Shafak.

Die Struktur des Romans ist komplex. Er besteht aus fünf Teilen, die wiederum in zahlreiche Kapitel mit mehreren Abschnitten untergliedert sind. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive und in drei Handlungssträngen, die in unterschiedlichen Jahren und an verschiedenen Orten spielen. Angaben zu Beginn der Kapitel erleichtern dabei die Orientierung.

Die Sprache ist anschaulich, atmosphärisch und authentisch. Etliche Fachbegriffe und fremdsprachige Wörter machen den Text jedoch stellenweise nicht ganz so leicht zu verstehen.

Mit Arthur, Narin und Zaleekha gibt es drei sehr unterschiedliche Hauptfiguren. Die weiblichen Charaktere haben mich am meisten überzeugt.

Aus inhaltlicher Sicht spielt vor allem das Thema Wasser eine Rolle, das sich auch in mehreren gestalterischen Details im Buch wiederfindet. Dabei wird vor allem der Kreislauf des Wassers und die Art und Weise, wie dieser die Menschen verbindet dargestellt. Dadurch lässt sich beim Lesen noch einiges lernen.

Auch menschliche Nöte und Schicksale erzählt die Geschichte. Besonders berührt hat mich das IS-Massaker im Jahr 2014 an der jesidischen Glaubensgemeinschaft. Bei diesen und weiteren Aspekten des Romans zeigt sich die intensive und fundierte Recherchearbeit der Autorin.

Die rund 570 Seiten lange Geschichte weist zwar durchaus ein paar Längen auf. Dennoch hat mich die vielschichtige Handlung gut unterhalten.

Der deutsche Titel ist erfreulicherweise nahe am englischsprachigen Original („There are Rivers in the Sky“). Das farbenfrohe und künstlerisch anmutende Cover gefällt mir. Es greift das Wassermotiv auf.

Mein Fazit:
Mit „Am Himmel die Flüsse“ ist Elif Shafak ein lesenswerter, interessanter und aufschlussreicher Roman gelungen, der mich unterhalten und bewegt hat.

Veröffentlicht am 12.06.2024

Der wiederkehrende Willensbruch

Ich stelle mich schlafend
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Das Gebäude des KlickKlack steht nicht mehr. Dort, wo Yasemin einmal gewohnt hat, ist nur noch eine Brache. Die 35-Jährige ist in diesem Teil der Stadt aufgewachsen. Dort hat sie im Alter von 13 Jahren ...

Das Gebäude des KlickKlack steht nicht mehr. Dort, wo Yasemin einmal gewohnt hat, ist nur noch eine Brache. Die 35-Jährige ist in diesem Teil der Stadt aufgewachsen. Dort hat sie im Alter von 13 Jahren den drei Jahre älteren Vito kennengelernt. Eine Begegnung mit fatalen Folgen…

„Ich stelle mich schlafend“ ist ein Roman von Deniz Ohde.

Meine Meinung:
Der Roman beginnt mit einer Art Prolog, dem sich acht Kapitel anschließen. Erzählt wird aus einer personalen Perspektive, vorwiegend aus der Sicht von Yasemin. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren und spielt an verschiedenen Schauplätzen in Deutschland. Ein aufmerksames Lesen ist aufgrund vieler Zeitsprünge nötig.

In sprachlicher Hinsicht hat mich die Autorin beeindruckt. Der Schreibstil ist unaufgeregt, aber sehr atmosphärisch. Starke, teils ungewöhnliche Bilder tauchen immer wieder auf.

Yasemin, die Protagonistin, ist keine leicht zugängliche Figur, aber ein psychologisch ausgearbeiteter und lebensnaher Charakter. Ihre Gedanken und Gefühle sind bisweilen ambivalent, jedoch nachvollziehbar dargestellt. Auch Vito erscheint durchaus authentisch und nicht zu überzeichnet. Allerdings hätten sowohl er als auch die übrigen Personen ausführlicher beschrieben werden können, da so manche Hintergründe im Verborgenen bleiben.

Inhaltlich wiederholen sich mehrere Motive. Das sind beispielsweise die verlorene Unschuld, der Willensbruch, die verinnerlichte Scham und sexuelle Übergriffe. Alles in allem geht es insbesondere um sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen - in jeglicher Form. Eine schwierige, aber so wichtige Thematik. Dieser feministische Blick macht die Geschichte zeitgemäß und bietet viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.

Auf den knapp 250 Seiten baut sich eine subtile Spannung auf. Die Auflösung erschließt sich und passt ins Bild. Leider schwächeln die letzten Kapitel sehr. In pathetischem Ton steigert sich die Selbstreflexion der Protagonistin ins Unglaubwürdige und es werden Verknüpfungen hergestellt, die ich als zu verallgemeinernd und überzogen empfunden habe. Die Umsetzung ist alles andere als elegant. Zum Schluss drängt sich der Eindruck auf, die Autorin wollte auf den wenigen verbleibenden Seiten noch möglichst viele ähnliche Aspekte unterbringen.

Das aussagekräftige Cover sticht aus der Masse hervor und passt in mehrfacher Hinsicht hervorragend zur Geschichte. Auch der Titel ist eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Ich stelle mich schlafend“ hat Deniz Ohde einen Roman zu einem gesellschaftlich bedeutsamen Thema geschrieben, dem eine große Aufmerksamkeit zu wünschen wäre. Zwar schmälert das letzte Drittel meinen ansonsten positiven Gesamteindruck. Dennoch eine durchaus lesenswerte Lektüre.