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Veröffentlicht am 02.08.2024

Ein Appell für den Widerstand

Das Lied des Propheten
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Ich möchte gleich mit einem Zitat von Sebastian Fasthuber aus der österreichischen „Falter“, Ausgabe 29/2024 beginnen: „Das Lied des Propheten lässt sich als Schlüsseltext über die Gefahr des allerorts ...

Ich möchte gleich mit einem Zitat von Sebastian Fasthuber aus der österreichischen „Falter“, Ausgabe 29/2024 beginnen: „Das Lied des Propheten lässt sich als Schlüsseltext über die Gefahr des allerorts erstarkenden Faschismus lesen.“

Meinen Dank an Klett-Cotta, dass Sie den Mut gefunden haben, dieses Werk auf Deutsch zu veröffentlichen.

Es fällt mir schwer, diese Rezension zu schreiben, zu stark ist noch der Eindruck, den dieser Roman bei mir hinterlassen hat.

Worum geht es? Wir befinden uns in Irland in der Jetzt-Zeit. Soeben wurde eine neue Geheimpolizei gegründet und eine Art von Notstandsgesetzen ausgerufen. Hier ist sowieso immer Vorsicht geboten, da alle – oder viele der „normalen“ Gesetze damit außer Kraft gesetzt werden. So kommen zwei Geheimpolizisten an die Tür der Protagonistin Eilish, der promovierten, tätigen Mikrobiologin, und wollen ihren Mann Larry sprechen. Er ist ein bekannter Lehrer und Gewerkschafter. Kurz danach wird Larry zum Verhör einbestellt und danach hört man nichts mehr von ihm. Niemand weiß, ob er noch lebt oder wo er sein könnte. Auch Mark, der ältere Sohn der Familie verschwindet, aber zunächst wohl aus eigenem Antrieb, er möchte sich den Rebellen anschließen. Auch bei den jungen Rebellen greift die Gier nach Macht schnell um sich. Von Mark hört man nicht mehr viel und später gar nichts mehr. Verbleiben in der Familie bei der Mutter: Molly, die Tochter, der Säugling Ben und Bailey, der Zwölfjährige. Eilishs dementer Vater lebt auch in der Nähe und wird von ihr betreut. Eilishs Schwester in Kanada möchte, dass die ganze Familie zu ihr kommt und gibt auch viel Geld und Kontakte. Wie es weitergeht, möchte ich hier nicht verraten.

Der Schreibstil ist extrem gewöhnungsbedürftig, es gibt wenig Satzzeichen, keine wörtliche Rede, die als solche erkennbar wäre, auch die Sprecher erkennt man mehr oder weniger nur aus dem Zusammenhang. Der Text ist dicht an dicht, lange Kapitel, nur ein paar Absätze.

Ein paar Zitate finde ich erwähnenswert. S. 32: „… dass alle Jungen erwachsen werden und von zu Hause weggehen, um die Welt unter dem Vorwand, sie zu richten, zugrunde zu richten, so will es die Natur.“ S. 37: „Sie sieht Polizisten mit Knüppeln, die die Demonstranten zu unterwürfigen Gestalten prügeln …“ (Kommt uns das bekannt vor?) S. 43: „Michael, sagt sie, dass du ihn nicht sehen darfst, das verstehe ich nicht, ich habe selbst im Gesetz nachgeschaut, in den Verträgen, das ist ein eklatanter Bruch internationalen Rechts, also sag mir, warum dürfen die machen, was sie wollen, warum hat niemand Stopp geschrien?“ (Das fragt man sich in diesem Land auch oft!) S. 97: „… wenn diese Proteste nichts bringen, weiß ich schlicht nicht, was ich machen soll.“ (Geht uns das hier vielleicht genauso?) S. 103: „Früher oder später wird der Schmerz zu groß für Furcht, und wenn die Menschen die Furcht verloren haben, wird das Regime weichen müssen.“

Der erstarkende Faschismus macht sich auch bei uns breit, ein wenig anders, als im Roman geschildert. Da werden Andersdenkende diskriminiert, es werden Hausdurchsuchungen (man könnte alternativ auch sagen: Raubüberfälle) angeordnet. Viele politische Gefangene sitzen derzeit ein, völlig unberechtigt, mit z. T. an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen. Da werden Magazine verboten, Geld wird gestohlen (eingefroren hört sich doch besser an) etc. Viele Widerständler sind schon ins Ausland geflohen, Firmen mussten schließen oder alternativ auch auswandern …

Fazit: Man braucht überaus starke Nerven, um diesen Roman zu verkraften. Gerade in dieser schlimmen Zeit. Sich einzufühlen, aber sich dennoch nicht unterkriegen lassen. Respekt Mr Lynch, behalten Sie Ihren Mut und Ihre Widerstandskraft!

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Veröffentlicht am 23.07.2024

Wie ein Recherchekrimi

Seinetwegen
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Von der Autorin Zora del Buono hatte ich mir vor einiger Zeit als erstrebenswerte Lektüre ihren Roman „Big Sue“ aus dem Jahr 2010 notiert. Habe aber Big Sue noch gar nicht gelesen. Jedenfalls hatte ich ...

Von der Autorin Zora del Buono hatte ich mir vor einiger Zeit als erstrebenswerte Lektüre ihren Roman „Big Sue“ aus dem Jahr 2010 notiert. Habe aber Big Sue noch gar nicht gelesen. Jedenfalls hatte ich den Namen dieser Autorin im Gedächtnis, so dass mir ihr neuer Roman „Seinetwegen“ ins Auge fiel. Von Anfang an war mir schon klar, dass es sich hier um diverse Skizzen, Nachforschungen, Zeitungsausschnitte und eben verschiedenes Recherchematerial handelt, weniger um einen Roman. Das macht aber nichts, denn spannend und vor allem unvorhersehbar sind diese Aufzeichnungen allemal. Man lernt auch allerhand über die Schweiz und das Leben der Einwohner.

Es geht also um einen Autounfall mit tödlichem Ausgang. Der Vater der Autorin starb vor sechzig Jahren, als sie noch ein Baby war. Bei der Mutter wurde darüber nie gesprochen. Den Onkel, der den VW-Käfer fuhr, traf keine Schuld. Ein Überholer eines Pferdefuhrwerks hat den Unfall verursacht. Und die Autorin möchte nun genau wissen, was damals passiert ist und was „der Töter“ für ein Mensch ist oder war.

Was mich besonders aufgeregt hat: Es muss uns klar sein, dass der Krake „Datenschutz“ nicht etwa dazu da ist, unsere Daten zu schützen. Nein, die werden schon von der Behörde „Einwohnermeldeamt“ verkauft. Dieser Krake ist eindeutig dazu da, uns das Leben schwer zu machen und z. B. private Nachforschungen zu behindern. Das Volk hat gewiss nichts davon. Die Autorin hatte auch nichts davon, im Gegenteil, wurde sie doch von einer Behörde an die nächste verwiesen. Das ist also in der gelobten Schweiz auch nicht anders als bei uns.

Seite 84 dazu, Zitat: „In Reichenburg wohnen zwei Traxlers (Anm. von mir, der Töter des Vaters hieß Traxler), aus Datenschutzgründen gibt das Statistische Amt weder Geschlecht noch Vornamen an. Im Telefonbuch findet sich keiner von ihnen. Reichenburg liegt sieben Kilometer vom Unfallort entfernt.“

Zum Cover: trifft sehr gut das Thema. Sechzig Jahre zuvor könnte dies der verunfallte Vater, der Fahrzeugführer oder ein Herr der Zeit sein. Die alten Fotos von meinem Vater sehen sehr ähnlich aus. Der Blick auf die Kurve hat es in sich. Oder ist er der Geist des jung Verstorbenen?

Der Text birgt viele Überraschungen und viele Wendungen, die sich u. a. notgedrungen ergeben. Interessant sind auch die Gespräche: „IM KAFFEEHAUS 1-9“ mit zunächst drei, später vier Teilnehmern, die sich nach dem Markt treffen. Darunter unsere Autorin. Solche Strukturen mit zwar festen, aber sich ergebenden Themen würde ich mir für so manche dahinlabernde Gesprächsrunde wünschen.

Fazit: Die Wege der Autorin durch dieses Recherchelabyrinth sind durchweg informativ und abwechslungsreich, gut nachzuvollziehen. Der Leser kommt gut mit und das Buch liest sich fesselnd. Vier verdiente Sterne.

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Veröffentlicht am 19.06.2024

Altlasten

Sei nicht so
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Im realen Leben kenne ich zwei Leute mit solchen Störungen, wie hier beschrieben. Manches habe ich also wieder erkannt. Für die tapfere Alice war es ja super schwierig, sich im Leben zu behaupten und nur ...

Im realen Leben kenne ich zwei Leute mit solchen Störungen, wie hier beschrieben. Manches habe ich also wieder erkannt. Für die tapfere Alice war es ja super schwierig, sich im Leben zu behaupten und nur so halbwegs klarzukommen. Die Schilderungen der Extreme kommen mir so wahrhaftig vor, dass ich vermuten möchte, die Autorin hat selbst solche Erfahrungen gemacht oder ist langfristig familiär oder freundschaftlich verbunden mit solchen „Patienten“.

Zunächst kam ich nicht so gut rein, in das Geschehen, aber es wurde zunehmend einfacher und auch spannender. Tja, spannender für den Leser, für involvierte Personen muss es unerträglich sein. Denn solche (gefährlichen) Tobsuchtsanfälle möchte doch niemand in natura erleben.

Ich hatte eine Freundin mit bipolarer Störung. Ihre jeweiligen Befindlichkeiten waren so unvorhersehbar, wie teilweise extrem, so dass ich nicht mehr damit umzugehen wusste. Aber in diesem Fall musste wenigstens kein Kind darunter leiden. Das ist hier anders:

Alice zwischen den Stühlen. Schlimm, wenn einem Kind eine halbwegs normale Orientierungsperson fehlt. Woran soll es sich halten? Und immer wieder die Frage: Was ist schon normal? Die Mutter in diesem Fall überschreitet so viele Grenzen und es wird aufgezeigt, wie ungeheuer schwierig es sein kann, irgendwie damit fertig zu werden. Das bezieht sich sowohl auf Familienmitglieder, wie auch auf Behörden. Obwohl ich selbst nun überhaupt kein Obrigkeitsfan bin, leben wir doch in einem völlig überregulierten Land, in dem die Bevölkerung von der Obrigkeit behandelt wird, als wäre sie nicht zurechnungs- und denkfähig.

Alice wächst in allerschlimmsten Zuständen auf. Es mangelt an wirklich Allem. An Essen & Trinken, an Obdach, an Hygiene im Innen und Außen. Da wird die nasse Wäsche nicht aus der Maschine geholt, bis sich dicke Schimmelpilze gebildet haben. Es gibt „Doppelsprech“ der Mutter, bis weder Alice weiß, noch der entfernt arbeitende Vater, was vorn und was hinten ist. Ständige Kämpfe mit dem Jugendamt, den Behörden, Gerichten und der Polizei gehören zur Tagesordnung. Auch vor dem Chef des Vaters und seinen Kollegen macht die Mutter nicht halt mit ihren extremen Anschuldigungen. Später tun sich die jeweiligen Freundinnen des Vaters schwer mit diesen Situationen und so manche hält es nur wenige Wochen aus. Auch die letzte, Irmi, benimmt sich gegenüber Alice unmöglich.

So verwundert es den Leser nicht, dass Alice sich mit seltsamen Partnern umgibt, da sie natürlich nicht unterscheiden kann, wer ihr guttut oder wer nur so tut, als ob er ihr gut täte. Denn: Ziehen nicht krasse Figuren ebenso krasse Figuren an? Die wenigen Psychologen helfen auch nicht weiter, sind sie doch meistens nur damit beschäftigt, ihr eigenes Leben in Ordnung zu bringen. Alice möchte so gern ans Theater, aber auch da geht es nur seltsam zu.

„Mama, du hast nie etwas anderes getan, als mir deine Sicht der Dinge zu erklären und was dir alle angetan haben. Aber auch du hast Fehler gemacht. Wie jeder Mensch. Du warst eben oft sehr, sehr wütend. Aber vielleicht ist Wut auch ein Rausch, der nur davon abhält, das zu fühlen, was zu schlimm ist.“ (S. 297) Aber Alice kommt nicht an, gegen die Mutter, die so offensichtlich völlig empathielos ist. Es mag wenige Ausnahmen in ihrem Verhalten geben.

Fazit: Puh, was für ein Roman! Erst gewöhnungsbedürftig, dann zunehmend brisanter & echt schräg. Bipolar vom Feinsten. Das „wackelige“ Cover wird dem Inhalt mehr als gerecht. Schwere Kost. Aber gekonnt. Die Formulierungen und die Vergleiche passen. Hut ab. 4 Sterne.







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Veröffentlicht am 12.06.2024

Pendeln zwischen den Welten

Das dritte Königreich
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Die Morgenstern-Reihe ist keine einfache Reihe, aber das soll sie ja auch nicht sein. Hier nun der dritte Band, der auch die Drei im Titel trägt. Ich überlege gerade, welche der genannten Personen die ...

Die Morgenstern-Reihe ist keine einfache Reihe, aber das soll sie ja auch nicht sein. Hier nun der dritte Band, der auch die Drei im Titel trägt. Ich überlege gerade, welche der genannten Personen die unheimlichste ist. Sicher Tove. Sie überschreitet die Grenzen am deutlichsten. Aber was ist schon normal? Und was bedeutet überhaupt der Morgenstern? Wie es wohl wäre, nur für – sagen wir mal – eine Woche in Herrn Knausgårds Haut zu stecken? Kennt er solche Figuren, wie die, die in seinen Büchern vorkommen? Oder denkt er sich die aus? Möglicherweise ist aber beides gleich schlimm.

Die Kapitelüberschriften tragen die Namen der jeweiligen Ich-Erzähler. Es beginnt und endet mit Tove, der jungen Mutter mit bipolarer Störung. Sie hat drei Kinder. Nannte man diese Störung nicht früher Schizophrenie? Aber das Wort ist wohl aus der Mode gekommen. Toves Befindlichkeiten sind jedenfalls schwer zu ertragen für ihre Umgebung. Und es gibt offensichtlich immer noch keine Medikamente, die anderes können, als dämpfen oder abschalten. (Zeitweilig.) Tove erschafft Kunst aus dem Negativen. Ihr eröffnen sich Portale, real oder irreal, das sei dahingestellt. Und sie begibt sich in Gefahr und stellt aber auch selbst eine Gefahr dar. –

Zwei andere Protagonistinnen gibt es noch: Line und Kathrine. Line, eine junge Frau, die sich mutig, aber auch naiv, auf höchst gefährliches Terrain wagt. Und Kathrine, eine gestandene Pfarrerin, die ihren Glauben an Gott verliert. Sie bleibt als Einzige seltsam blass und ihre wahren Beweggründe erschließen sich dem Leser nicht wirklich.

Ob ich Lust hätte, mal in eine der Personen zu schlüpfen, nur für kurze Zeit? Eher nicht. Denn die meisten Männerfiguren hier erscheinen mir auch nicht erstrebenswert. Gaute: Der krankhaft eifersüchtige Lehrer, Ehemann von Kathrine? Nein, danke.

Oder Helge zu verkörpern? Den Architekten, der seit drei Jahren „leer“ ist und dem nichts mehr einfällt? Ebenfalls nein danke.

Jarle, der Gedankenforscher kümmert sich um einen vegetativen Patienten. Aber auch in diese Haut möchte ich eher nicht, denn hat er nicht seine beste Zeit bereits hinter sich?

Der Polizist Geir erlebt den Wahnsinn pur und verzweifelt an seinem Auftrag. Lesen ja, gerne und ist spannend, aber drinstecken – nein!

Bleibt noch Syvert, der Bestattungsunternehmer. Er scheint unter dem Morgenstern arbeitslos zu werden. Das ginge schon! Oh ja, kaufen wir uns ein Segelboot, das schönste auf der Welt und leben dort, wo es sich ausfahren lässt. Aber, wenn niemand mehr stirbt, müsste man eben beruflich umdisponieren.

Beim Recherchieren habe ich noch Folgendes gefunden: Als »Morgenstern« wird in der Regel der Planet Venus bezeichnet. Weil er kurz vor Tagesanbruch zu sehen ist, steht er als Sinnbild für das kommende Licht Gottes, das die Dunkelheit dieser Welt überwindet. In Offenbarung 22,16 bezeichnet sich der gekreuzigte und erhöhte Christus als Morgenstern. (Quelle: Deutsche Bibel-Gesellschaft)

Fazit: Die wahre Größe dieses Romanes erschließt sich erst im Nachgang, bei der Wahl der zu vergebenden Sterne. Ich runde dreieinhalb auf vier auf. Ich bleibe auf jeden Fall dabei und ersehne den nächsten literarischen Morgenstern, wenn mir auch die beiden ersten mystischeren Teile etwas besser gefielen.




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Veröffentlicht am 11.05.2024

Gibt es ein artenübergreifendes Bewusstsein?

Die Stimme der Kraken
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Dieser Roman von Ray Nayler hat es in sich – in jeder Beziehung. Und noch dazu sieht er wunderschön aus. Das Cover fühlt sich an, als wäre es aus Stoff, ist themengemäß wunderbar gestaltet und dann der ...

Dieser Roman von Ray Nayler hat es in sich – in jeder Beziehung. Und noch dazu sieht er wunderschön aus. Das Cover fühlt sich an, als wäre es aus Stoff, ist themengemäß wunderbar gestaltet und dann der Schnitt in lila, bemerkenswert. So ein feines Buch hält man selten in der Hand.

Hier die Unterteilung der Abschnitte: 1 Qualia, 2 Umwelt, 3 Semiosphäre, 4 Autopoiesis, Epilog & Dank.

Allen – meist erfreulich kurzen Kapiteln – sind „Buchausschnitte“ vorangestellt, entweder von der Protagonistin Dr. Ha Nguyen aus ihrem Buch: „Wie Meere denken“ oder auch von der später zugereisten Wissenschaftlerin Dr. Arnkatla Mínervudóttir-Chan: „Die Mauern des Geistes“. Ergibt viel Stoff zum Nachdenken.

Am Anfang wird Dr. Ha Nguyen mit einem selbstfliegenden Hexacopter im strömenden Regen nachts auf der Insel Con Dao abgesetzt. Ein ehemaliges Militärfahrzeug – auch selbstfahrend – bringt sie dann zu einem Lost-Place-Hotel, wo sie von einer merkwürdigen Person empfangen wird. Gruselig. Ich dachte zuerst, das sei der angekündigte Android. Die merkwürdige Person ist aber eine Söldnerin namens Altantsetseg. (Wie kann man nur eine Protagonistin so nennen?)

Die Mission dieser drei Personen: Dr. Ha, Altantsetseg und Android Evrim ändert sich von Zeit zu Zeit und sie wissen nicht, woran sie sind. Später kommt noch die Wissenschaftlerin Dr. Arnkatla Mínervudóttir-Chan zu ihnen auf die Insel. Sie sollen die Kraken im Schutzgebiet erforschen und erleben Seltsames. Frau Chan hatte einmal geäußert: „Das Großartige und das Schreckliche an der Menschheit ist: Wir werden immer das tun, wozu wir in der Lage sind.“ (S. 50)

Dieser Roman birgt viel Stoff zum Nachdenken: selbstfahrende und selbstfliegende Fortbewegungsmittel aller Art, KI überall, wo man hinschaut, in unterschiedlichsten Entwicklungsstufen. Der Android Evrim, der für einen Roboter erstaunliche Gefühle und Einsichten entwickelt. Menschen auf dem Festland, die auf offener Straße geraubt werden und zwangsweise zu Sklaven auf Fangschiffen mutieren. Kraken, die durch Symbole mit Menschen kommunizieren und umgekehrt.

Wozu sind wir in der Lage? Können wir uns in Wesen hineindenken, die im Meer leben? Können sie sich in uns hineindenken, die wir an Land leben? Kann die KI sich in uns hineindenken und wir uns in sie? Was ist überhaupt Bewusstsein? Und was können wir rekonstruieren?

„Wir hingegen können jetzt das gesamte Schloss rekonstruieren, bis ins kleinste Detail: nicht nur jede Masche der Wandteppiche darin, sondern selbst jeden einzelnen Gedanken, der den Menschen, die dort gelebt haben und gestorben sind, jemals in den Sinn gekommen sind.“ (Sagt Frau Chan in ihrem o. g. „Buch“. S. 36)

Es wird viel philosophiert, über das Zusammenleben „zufällig“ zusammengewürfelter Personen, die vorher wenig oder nichts miteinander zu tun hatten. Über die Grenzen der Wissenschaft und ob es diese Grenzen überhaupt gibt und wann die rote Linie überschritten wird und ob das sein darf? Und was sich alles ändert, wenn das Ganze (die Mission, bzw. die Aufgabenstellung) eine völlig andere Überschrift bekommt, bzw. nichts von dem mehr stimmt, wovon man ursprünglich ausgegangen ist? Was ist unser Leben dann noch wert? Und könnten wir auf dieses Inselleben verzichten, wenn wir wüssten, was uns hier erwartet? Gesetzt den Fall, wir versetzen uns hinein in unsere Protagonisten.

Es kommen auch noch diverse andere Personen zu Wort – außerhalb dieser vom Technologiekonzern DIANIMA beschlagnahmten Insel. Da rätselt der Leser, was diese Personen mit „unserer“ Mission zu tun haben. Aber am Ende schließt sich der Kreis – mehr oder weniger.

Fazit: Haben wir es hier mit einem Ökothriller zu tun? Ja, es passieren Morde, Gruseliges und viel Unvorhergesehenes, aber hauptsächlich lässt uns dieser Roman sehr, sehr nachdenklich zurück. Also: Wer das Ungewöhnliche liebt, der ist hier genau richtig.


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