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Veröffentlicht am 08.08.2024

Warnung und Analyse

Rechtsextrem, das neue Normal?
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Die Nervosität im Superwahljahr 2024 kommt nicht von ungefähr. Wo man sich auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene umschaut - populistische und nationalistische Parteien und Politiker treten ...

Die Nervosität im Superwahljahr 2024 kommt nicht von ungefähr. Wo man sich auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene umschaut - populistische und nationalistische Parteien und Politiker treten nicht nur zu Wahlen an, sie sind dort auch ziemlich ergolgreich. Und in Deutschland? Die AfD ist in den Parlamenten vertreten und macht sich Hoffnungen, im Osten Deutschlands nicht nur Rathäuser und Landratsämter, sondern auch die erste Landesregierung erobern zu können. In dieser Gemengelage erscheint der Essayband "Rechtsextrem, das neue Normal?", herausgegeben von Matthias Quent und Fabian Virchow.

Für diejenigen, die sich schon länger mit der AfD beschäftigen, bietet der Band nicht allzuviel Neues oder gar Überraschendes, auch wenn es in einigen Detailbereichen Vertiefung gibt. Wer sich (warum eigentlich erste jetzt???) angesichts Umfragewerten einerseits und der immer lauteren Auftritte des rechtsextremen Flügels um Björn Höcke entscheidet, sich einmal näher mit der Partei zu beschäftigen, findet ein Kompendium unter verschiedenen Aspekten.

Die Autoren sind Politikwissenschafterinnen und -wissenschaftler, Experten aus der Extremismuspräventiion, Journalisten und andere, die meist schon seit Jahren den Blick auf die AfD, auf Rechtsextremismus und gesellschaftliche Reaktionen richten. Angesichts der einzelnen Aufsätze kommt es gelegentlich zu Überschneidungen und Wiederholungen, andererseits lässt sich dadurch auch durch das Buch "springen" und je nach besonderem Interesse schwerpunktmäßig lesen.

Die Entstehungsgeschichte der AfD mit ihren Richtungs- und Flügelkämpfen wird ebenso beschrieben wie das offene Abdriften Höckes und seiner Anhänger in rechtsextreme Positionen. Die "Remigrations"-Debatte wird ebenso beschrieben wie die Nähe zu Russland und die Haltung zu Minderheiten. Immer wieder wird auch über die Landesgrenzen geschaut, auch zur Vernetzung rechter und rechtsextremer Gruppen. Mit den Porträts bekannter Westdeutscher am rechten Rand der AfD wie der einstige Spiegel-Feuilletonist Matussek wird mit dem Mythos aufhgeräumt, die AfD sei vor allem ein ostdeutsches Problem. Auch das Wählerpotential der Partei wird unter die Lupe genommen: Wer entscheidet sich für die AfD, und warum?

Immer wieder geht es auch um das "Verstummen der Mitte" und die zunehmende Akzeptanz radikaler Positionen, aber auch die Versuche anderer Partei, mit der AfD umzugehen bzw sich klar abzugrenzen, ohne weiter Wähler zu verlieren,

Die knappen, aber keineswegs oberflächlichen Kapitel dürften gerade denjenigen den Zugang erleichtern, die einen Einstieg in die Thematik suchen.

Veröffentlicht am 05.08.2024

Es war einmal in Hollywood

Eve
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Das besondere Biotop von Menschen im Hotel hat Amor Towles bereits in seinem Roman "Ein Gentleman in Moskau" beschrieben. Mit seinem neuen Roman "Eve" ist diesmal ein Hotel in Beverley Hills in den goldenen ...

Das besondere Biotop von Menschen im Hotel hat Amor Towles bereits in seinem Roman "Ein Gentleman in Moskau" beschrieben. Mit seinem neuen Roman "Eve" ist diesmal ein Hotel in Beverley Hills in den goldenen Jahren Hollywoods einer der Schauplätze. Hierhin verschlägt es auch die geheimnisvolle Eve, die sich auf einer Zugfahrt von New York nach Chicago spontan entschließt, nach Los Angeles weiter zu fahren. Los Angeles, vor allem aber Hollywood ist die Stadt der Träume für viele, die hier auf eine Rolle im Film treffen. Blond und schön, wäre auch Eve durchaus eine Kandidatin - wenn da nicht eine Narbe wäre, die ihr Gesicht verunstaltet und über die uns der Autor bis zum Schluss grübeln lässt.

Doch während Hollywood all die Möchtegern-Starlets anlockt wie das Licht einen Mottenschwarm, ist Eve irgendwie selber eine Lichtquelle, die andere in ihren Bann zieht, dabei aber im Gegensatz zu den Sternchen niemals Objekt ist, sondern Herrin ihres Handelns. Wer und was sie ist, weiß sie geschickt zu verbergen und regt daher um so mehr die Phantasie der Menschen an, denen sie begegnet und deren Handeln sie prägt.

Das fängt schon auf der Zugfahrt an - Der einsame, frisch verwitwete Ex-Polizist Charlie fasst angesichts Eves spontaner Reiseänderung den Entschluss: Er wird nicht sein Haus in Kalifornien verkaufen, um an die Ostküste zu Sohn und Schwiegertochter zu ziehen, wo er mehr geduldet als erwünscht sein wird. Prentice, ein alternder und nicht mehr angesagter, da verfetteter Schauspieler, der sein Hotel in Beverley Hills seit Jahren nicht verlassen hat, fasst durch die Begegnung mit Eve den Entschluss, sich nicht länger der Passivität hinzugeben. Und Hollywood Darling Olivia de Havilland, bisher nur das brave Mädchen, lernt von ihrer Freundin Eve Spontaneität und für sich selbstz einzustehen.

Umtriebe und Intrigen Hollywoods, das Machtgefälle und die Allmacht der Studios über Schauspieler, ganz besonders aber über Schauspielerinnen, bekommen hier locker ihr Fett weg. Towles wirft einen ironischen Blick auf die Welt hinter dem Glamour, in der nicht immer sauber gespielt wird. Als deHavilland erpresst wird, ist es Eve, die einen kühlen Kopf bewahrt und mit Hilfe ihrer neuen Freunde einen Plan erstellt, der die Karriere ihrer Freundin, ihren guten Ruf und ihre Rolle in "Vom Winde verweht" retten soll.

Nicht nur das Setting, auch die Dialoge erinnern an die große Filmära der 30-er und 40-er Jahre mit ihren Screwball Comedies mit Witz und Intelligenz, daneben gibt es Bezüge auf Hollywood Noir. Nicht nur für Kino-Fans ist diese Gesellschaftssatire mit Flair und elegantem Witz, die geradezu nach Verfilmung schreit, empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 02.08.2024

Dorf mit Geheimnissen

Den Tod belauscht man nicht
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Für Leser*innen meiner Generation ist der Schwedenkrimi "Den Tod belauscht man nicht" von Ninni Schulman eine Rückkehr in die Jugend - er spielt in den 80-er Jahren, einer Zeit von Walkman und MixTapes ...

Für Leser*innen meiner Generation ist der Schwedenkrimi "Den Tod belauscht man nicht" von Ninni Schulman eine Rückkehr in die Jugend - er spielt in den 80-er Jahren, einer Zeit von Walkman und MixTapes - Streaming und Spotify gab es ja nicht. Mit Ingrid Wolt ist die Protagonistin eine interessante Figur: Eine Ex-Polizistin, frisch aus der Haft entlassen wegen versuchtem Totschlag.

Fernab ihrer alten Heimat Stockholm versucht sie in einem Dorf nahe der Kleinstadt Vamhus einen Neuanfang. Zum einen hofft sie auf einen Ort, an dem niemand ihre Vergangenheit kennt, zum anderen hat sie Angst, dass ihr gewalttätiger Ex-Mann Kjell, den sie damals niedergeschossen hat, sie ausfindig macht, um sich zu rächen. Vor allem aber hofft sie, wieder das Sorgerecht für ihre kleine Tochter Anna zu bekommen, die in den vergangenen Jahren in einer Pflegefamilie lebte - einer Pflegefamilie, der wenig daran gelegen scheint, dass Ingrid schnell wieder Kontakt zu dem Mädchen bekommt. Und auch die Kleine ist ausgesprochen scheu im Umgang mit Ingrid.

Auch die Jobsuche ist deutlich schwerer als erwartet. Schließlich beschließt Ingrid, sich auf das zu besinnen, was sie kann, und bietet in einer Zeitungsannonce ihre Dienste als Privatermittlerin an. Ihr erster - und bislang einziger Fall ist die Suche nach einem vermissten Zwölfjährigen, der vor einem Jahr verschwand. Der zuständige Ermittler geht davon aus, dass der Junge beim Baden in einem Fluss, wo man auch sein Fahrrad und seine Kleider fand, ertrank.

Doch eine Leiche wurde nie gefunden. Solveig, die verzweifelte Mutter, will endlich Klarheit. Das Gespräch Ingrids mit dem damaligen Ermittlungsleiter verläuft wenig konstruktiv, doch überrascht muss sie feststellen, dass ihr alter Streifendienst-Kollege Benny jetzt bei bei Polizei in Vamhus arbeitet. Er unterstützt sie, natürlich inoffiziell, während Ingrid mehr und mehr zu der Überzeugung kommt, dass ein Badeunfall auszuschließen ist. Je weiter sie nachforscht, desto mehr dunkle Geheimnisse in dem Dorf macht sie aus.

Eine zweite Erzählebene schildert die Geschehnisse ein Jahr zuvor in dem Sommer, als Matthias verschwand. Der Junge ist noch sehr kindlich, während bei seinem bisher besten Freund Kaj die Pubertät schon deutlich einsetzt. Plötzlich gibt es nicht mehr die gleichen Interessen, nur gelegentlich spionieren die beiden noch den Geheimnissen der Kleinstadtbewohner nach oder verbringen Zeit in der gemeinsam gebauten Waldhütte.

Dabei schürt die Autorin immer wieder Verdachtsmomente gegen Personen, mit denen auch Ingrid ein Jahr später zu tun hat, ohne aber zu viel zu verraten. Ein Cliffhanger-Ende macht schon jetzt neugierig auf den zweiten Band über Ingrid Wolt, der im kommenden Sommer erscheinen soll. Dabei hat die Autorin bereits genügend Themen angelegt, die auch dann eine Rolle spielen könnten. In diesem Buch hat die Schwedenidylle in der Region Dalarna Risse. Dass der Roman in den 80-er Jahren angelegt hat, macht Sinn - keine Handies, mit denen Kinder getrackt werden können, und eine Kindheit, die nicht überwiegend in sozialen Medien und auf smartphones oder tablets stattfindet. Dass Ingrid sowohl toughe Ermittlerin ist als auch als Mutter jede Menge Gefühle zeigt macht sie zu einer vielschichtigen und interessanten Ermittlerin.

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Veröffentlicht am 24.07.2024

Eskapaden eines Partygirls

Ex-Wife
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Von Ursula Parrott, der Autorin von "Ex-Wife" und ihrem fast 100 Jahre altem Roman hatte ich noch nie gehört. Die Wiederauflage ist insofern eine Entdeckung und ein gut beobachtendes, ironisch kommentierendes ...

Von Ursula Parrott, der Autorin von "Ex-Wife" und ihrem fast 100 Jahre altem Roman hatte ich noch nie gehört. Die Wiederauflage ist insofern eine Entdeckung und ein gut beobachtendes, ironisch kommentierendes Porträt einer jungen Frau im New York der 20-er Jahre zwischen Prohibition, Jazz und Lebenslust.

Die Ich-Erzählerin Patricia ist jung, hübsch, intelligent und privilegiert, hat sich mit 20 in eine ziemlich überstürzte Ehe gestürzt und findet sich mit gerade mal 24 in der Position der Ex-Frau - auch wenn sie lange versucht, die Scheidung zu verhindern.

Um über den Trennungsschmerz hinwegzukommen, stürzt sich Patricia, die als Werbetexterin arbeitet und somit zu den "modernen Frauen" gehört, in das Nachtleben und in die Arme ziemlich vieler Männer. Dabei bleiben diese One Night Stands unverbindlich und irgendwie distanziert - die Männer, die von ihrem Äußeren, ihrem Charme und ihren gewitzt-intelligenten Kommentaren fasziniert sind, nennen sie kalt und unnahbar. Dabei sucht Patricia gewissermaßen nur die Leere in sich zu überbrücken. Mit der Freiheit, die sie sowohl als nicht mehr verheiratete wie auch als berufstätige Frau hat, hadert sie immer wieder.

Bei der Erstveröffentlichung wurde das Buch anonym herausgegeben, der "unanständigen" Geschichte wegen. Hundert Jahre später ist der Skandal von damals schwer zu verstehen.

Die Autorin hat eine scharfe Beobachtungsgabe und einen lässig-ironischen Schreibstil. Trotzdem blieb mir Patricia recht fremd, da sie auch jenseits ihrer Affären oberflächlich und weitgehend an Äußerlichkeiten interessiert bleibt. Sie hat offensichtlich eine gute Bildung genossen, von zu Hause aus Geld, ist auch beruflich erfolgreich, wenn auch nicht sonderlich ehrgeizig.

Dass die Zeit für viele Menschen und vor allem für Frauen alles andere als golden war, bleibt unerwähnt, die Handlung spielt zwischen Fifth Avenue und Park Avenue, Upper West Side natürlich. Nur zum Tanzen geht es nach Harlem. Das Leben ist leicht schwerelos und im Dauerrausch zu genießen, wenn es keine Härten hat. Der Roman lässt sich ausgesprochen gut lesen, allerdings bieten mir Patricia und ihre Welt keinerlei Identifikationsfläche. Als Porträt einer Ära dagegen wirklich überzeugend.

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Veröffentlicht am 24.07.2024

Frauenpower in Attika

Aufstand der Frauen
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Beim Lesen von "Aufstand der Frauen" von Petros Markaris sollte man satt sein. Denn sein jüngst zum Kriminaldirektor von Attika ernannter Kostas Charitos muss zwar auch ermitteln, aber den Ermittler gibt ...

Beim Lesen von "Aufstand der Frauen" von Petros Markaris sollte man satt sein. Denn sein jüngst zum Kriminaldirektor von Attika ernannter Kostas Charitos muss zwar auch ermitteln, aber den Ermittler gibt es sozusagen nur mit Familienanschluss und vielen gemeinsamen Mahlzeiten. Da kann sich beim Lesen schon ein Hüngerchen einstellen, zumal die Handlung eher langsam an Fahrt aufnimmt und der Autor eher bedächtig erzählt. Freunde von Verfolgungsjagden und Cliffhangern kommen hier nicht auf ihre Kosten, das Buch lebt vom lokalen Ambiente und dem Einblick in die Mentalität und stetige, aber nicht immer aufregende Polizeiarbeit.

Für diejenigen, die die Reihe von Markaris kennen, gibt es mit der Beförderung des Mordermittlers Neuerungen: Die Mordkommission erhält erstmals eine Chefin. Erst ist Charitos ein bißchen skeptisch - er ist halt doch ein alter weißer Mann. Doch schnell ist er nicht nur von den beruflichen, sondern auch von den menschlichen Qualitäten von Antigone Ferlakis überzeugt.

Für die junge Ermittlerin gibt es schon bald eine Herausforderung: Erst sorgt der Besuch einer amerikanischen Investorengruppe zu Protesten wegen eines drohenden Ausverkaufs und der Kommerzialisierung griechischer Kultur. Vor allem eine offensichtlich geschichtskundige Frauengruppe, die sich selbst als Karyatiden bezeichnen, prägt die Proteste - und wird bald selbst angefeindet. Zum einen, weil manche von den Investoren Aufschwung und Arbeitsplätze erwarten, zum anderen, weil eine ganze Reihe offensichtlich männlicher Gegner ein Problem damit haben, wenn selbstbewusste Frauen sich zu Wort melden. In sozialen Medien werden die Frauen übel attackiert - dann gibt es eine Tote.

Dass sie sich in ihrem ersten Fall ausgerechnet mit Femiziden befassen muss, hätte Ferlakis wohl nicht gedacht. Charitos wiederum steht vor dem Dilemma, dass es ihm als langjährigen Ermittler schwer fällt, nun im Büro auszuharren und auf Ermittlungsberichte zu warten - sen Herz schlägt schließlich für die Arbeit vor Ort. Während er jede Gelegenheit nutzt, vom Büroschreibtisch zu flüchten, muss er gleichzeitig darauf achten, seine Nachfolgerin nicht zu unterminieren.

Geschlechtsspezifische Gewalt, aber auch latente Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft und die Herausforderungen, die trotz verbriefter gesetzlicher Gleichberechtigung weiterhin bestehen, sind neben dem eigentlichen Fall das Leitmotiv von "Aufstand der Frauen". Zugleich gibt es beruflich wie privat starke Frauennetzwerke.

Ein sympathischer Polizeiroman, der gerne etwas mehr Tempo vertragen hätte.

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