Cover-Bild Mein drittes Leben
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26,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: Tod, Trauer, Verlust
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 304
  • Ersterscheinung: 21.08.2024
  • ISBN: 9783257073058
Daniela Krien

Mein drittes Leben

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2024! Sie hat alles gehabt und alles verloren: Sekunden der Unachtsamkeit kosten ihre einzige Tochter das Leben. Tief sieht Linda in den Abgrund und wäre beinahe gefallen, doch da sind hauchfeine Fäden, die sie halten – die Hündin Kaja, die steten Handgriffe im Garten, das Mitgefühl für andere. Wie viel Kraft in ihr steckt, ahnt sie erst, als sie zurückfindet in einen Alltag und zu sich selbst.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.08.2024

Unter jedem Dach ein Ach

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Linda verliert ihre 17jährige Tochter Sonja durch einen Verkehrsunfall. Danach ist nichts mehr, wie es war. Schon bald kommt es zu einer Entfremdung zwischen Linda und ihrem Mann Richard. Auch Richard ...

Linda verliert ihre 17jährige Tochter Sonja durch einen Verkehrsunfall. Danach ist nichts mehr, wie es war. Schon bald kommt es zu einer Entfremdung zwischen Linda und ihrem Mann Richard. Auch Richard trauert, nur anders. Er ist irgendwann bereit, sein Leben weiterzuleben und beginnt eine Beziehung mit der attraktiven Brida, hat jedoch nicht aufgehört, seine Frau zu lieben. Linda zieht aus der Stadt aufs Land, wo sie ein Haus mietet, das sie mit Garten, Hühnern und der Hündin Kaja übernimmt, die ihr eine treue Gefährtin wird. Sie konnte weder Mitgefühl noch Mitleid der Menschen aus ihrem Bekannten- und Freundeskreislänger länger ertragen und meidet soziale Kontakte weitgehend. Fortan lenkt sie sich mit Gartenarbeit und der Versorgung der Tiere ab. Irgendwann freundet sie sich mit Natascha an, die eine autistische Tochter hat. Nine spricht nicht und benötigt intensive Betreuung. Linda sieht keine Perspektive mehr für ihr Leben. Es ist nur noch Zeit, die verstreicht – ohne jeden Sinn. Doch irgendwann findet Linda doch allmählich ins Leben zurück, trifft Freundinnen von früher wieder und lernt eine alte Frau kennen, die ihr mit ihrer Lebensklugheit hilft. Linda begreift, dass sie nicht die einzige ist, die unter Verlust und Trauer leidet, dass jeder Mensch sein Päckchen zu tragen hat: “Unter jedem Dach ein Ach“ (S. 252). Durch den Verkauf der Stadtwohnung, in der sie mit Richard und ihrer gemeinsamen Tochter gelebt hatte, hat sie mehr Geld als sie benötigt und benutzt einen Teil davon, um anderen zu helfen.
Auch der neue Roman von Daniela Krien hat mir wie die drei Vorgänger sprachlich und inhaltlich sehr gut gefallen. Es ist eine traurige, sehr bewegende Geschichte, die den Leser jedoch nicht ohne Hoffnung zurücklässt. Deshalb empfehle ich ihn ohne Einschränkung.

Veröffentlicht am 24.07.2024

Trauern muss man sich leisten können

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Linda und ihr Mann durchleben den Albtraum jeder Eltern: sie verlieren ihr Kind bei einem Unfall. Nach einer Krebstherapie zieht Linda sich dann in ein kleines Dorf auf einen alten Hof mit einer Hündin ...

Linda und ihr Mann durchleben den Albtraum jeder Eltern: sie verlieren ihr Kind bei einem Unfall. Nach einer Krebstherapie zieht Linda sich dann in ein kleines Dorf auf einen alten Hof mit einer Hündin und ein paar Hühnern zurück und ergibt sich ganz der Trauer. Lebendig begraben, so sagen es all ihre Verwandten und Freunde und können ihr Verhalten nicht nachvollziehen oder billigen. Ihr Mann gibt irgendwann auf. Er will weiterleben und eine Beziehung führen. Linda findet keinen Sinn mehr im Leben nach dem glücklichen Familiendasein, sie sucht ihn auch nicht. Sie absolviert die Tage und meidet die Nächte durch den Konsum von gedächtnisauslöschenden Schlaf- und Beruhigungstabletten. Als sie ihren Rückzugsort verlassen muss, ist sie gezwungen, sich dem alten Leben wieder ein wenig anzunähern.
Doris Krien schreibt in ihrem gewohnt unprätentiösen Stil, der unpathetisch Menschliches, Existentielles zum Ausdruck bringt und den Leser berührt. Er liest sich immer leicht, auch wenn Schweres gesagt wird. Man fliegt mit ihm über die Seiten. Ihre Figuren sind auch diesmal wieder interessant angelegt, man lässt sich gern auf ihre Geschichte(n) ein. Im ersten Teil konnte ich mich gut in die Protagonistin hineinversetzen. Man fühlt das Hineinbrechen von etwas Unaussprechlichem in ein alltägliches Glück, die Unfähgikeit, diesem zu begegnen, damit umzugehen und sich daraus zu erheben. Man erlebt die Momente mit, in denen Linda versucht, sich selbst zu spüren, indem sie sich auf das existentielle Minimum zurückwirft und sich den Einflüssen der Natur aussetzt. Man kann verstehen, dass sie die Menschen und ihre Hilflosigkeit im Umgang mit ihrer Trauer meidet. Und gleichzeitig scheint dieser Rückzug auch mutig, sich nur auf sich und seinen Schmerz zurückzuziehen. Das Leben steht still und geht doch weiter.
Im zweiten Teil wird mir die Figur etwas fremd bzw. werde ich ihrer zum Ende hin ein wenig überdrüssig. Linda kehrt in die Stadt zurück. Sie nimmt sich eine kleine Wohnung, richtet sie stilvoll, wenn auch minimalistisch ein. Sie arbeitet morgens im Schrebergarten einer Freundin, nachmittags hört sie die Klassiker der Literatur und macht lange Wanderungen. Details aus ihrem langsam erwachenden Leben werden festgehalten: ein Luxusfrühstück, ein Leinenkleid, eine Bronzefigur der Kassandra, Besuche im Museum, bei Konzerten. Der Schmerz ist noch da, aber er tritt langsam in den Hintergrund. Die Genußfähigkeit erwacht wieder. Und dabei führt sie ein privilegiertes Leben, auch wenn gegen Ende einmal der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Erwerbsarbeit fällt. Sie ist frei, sich zu tun und zu lassen. Sie dreht sich um sich, auch wenn sie gemeinnützigen Organisationen spendet und einer alten Frau vorliest. Ihr ganzes Lebensumfeld ist kultiviert: der Mann Künstler, dessen Neue Krimiautorin, die Freundin erst Stimmbildnerin, dann beim Radio, die alte Frau einst Sprachwissenschaftlerin. Per se alles nicht verwerflich, auch wenn man sich fragt, wie jemand, dem es nicht vergönnt ist, nicht arbeiten zu müssen, in seinem Alltag Trauer über einen solchen Verlust wohl unterbringen mag. Was mich aber stört, dass sie – unbewusst, vielleicht auch ungewollt – aus ihrer bildungsbürgerlichen Stellung heraus anfängt, dass Leben ringsum zu bewerten, abzuurteilen: die Konsumgesellschaft, die fettleibigen Leute in einer von Müll verunstalteten Stadt, die nur auf ihr Smartphone glotzen und schlecht gekleidet sind. Ihre alte Freundin Esther ist ihr als schönheitschirurgisch verjüngte Lifestylerin ein Parasit an ihrem Leiden. Die neue Freundin wird zunehmend als mit der behinderten Tochter überfordert und schrill dargestellt. Die Neue des Nochehemannes erscheint mit ihrer Sippschaft dominant, eigensüchtig und ichbezogen. Der Kontrast wird auch deutlich an der Darstellung der Schrebergärten der beiden Parteien, die zufällig nebeneinander liegen: während Linda ganz naturnah dem Werden und Vergehen der Natur beiwohnt, wird der Schrebergarten ihres Mannes und seiner neuen Partnerin professionell von einem Gartenbauteam binnen weniger Tage eher dekoriert und in Szene gesetzt. Danach scheint er nicht mehr interessant und verwahrlost. Wohl ein Sinnbild für die Beziehung der beiden: mehr Schein als Sein. Als der Mann krank wird, ist es nicht die neue Partnerin, die er an seiner Seite wissen will, sondern Linda. Auch wenn das Ende offen ist, deutet sich hier für Linda ein Happy End an.
Ich habe das Buch mit großen Interesse gelesen, aber irgendwie stimmt mich die Entwicklung im zweiten Teil ein wenig ärgerlich. Dieser vor sich hergetragene bildungsbürgerliche Lifestyle überdeckt für mich das allgemein menschliche Ringen dieser Figur mit dem Leben in einer existentiellen Situation. Dieses Trauern und dieses aus der Existenz Geworfensein wird somit zu etwas, was man sich erst einmal leisten können muss – genauso wie der Weg zurück ins Leben. Wie macht das einer, der finanziell nicht in der Lage ist, sich ganz aus dem Leben und ganz auf sich selbst zurücknehmen kann? Oder trauert der nicht so?

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Veröffentlicht am 18.08.2024

Schwächer als vorherige Romane

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Linda kann nicht mehr nach dem plötzlichen Tod ihrer 17-jährigen Tochter Sonja. Der Alltag ist trist und grau, nichts scheint mehr Sinn zu ergeben, und auch die Belastbarkeit ihrer Beziehung mit Richard ...

Linda kann nicht mehr nach dem plötzlichen Tod ihrer 17-jährigen Tochter Sonja. Der Alltag ist trist und grau, nichts scheint mehr Sinn zu ergeben, und auch die Belastbarkeit ihrer Beziehung mit Richard kommt an ihre Grenzen. Irgendwie gelingt es allen, weiterzumachen, nur eben Linda nicht - ihre Welt ist stehengeblieben, ein Ausweg aus der Trauer nicht in Sicht. Als sie die Möglichkeit bekommt, aufs Land zu ziehen, nimmt sie diese Chance wahr; nicht, weil sie glaubt, die Idylle des Dorflebens könne an ihrem Zustand etwas ändern, denn das große, heruntergekommene Haus mit verwildertem Garten verspricht eher Arbeit als Entspannung und liegt auch noch direkt an einer Schnellstraße. Hier ist nichts mit Hühnern und Viehweiden und malerischen Sonnenuntergängen, nichts mit Dorfgemeinschaft. Hier kommen die Leute nur abends zum Schlafen hin und brechen frühmorgens wieder auf in Richtung Stadt. Aber: Hier erinnert sie nichts und niemand an Sonja. Und das ist erstmal alles, was zählt.

Ich sage es, wie es ist: Kriens neuster Roman wird mit Sicherheit seine begeisterten Leser*innen finden - ich gehöre nicht dazu. Und das liegt nichteinmal daran, dass das Buch thematisch wirklich keine leichte Kost und Lindas Trauer über den Verlust ihrer Tochter allgegenwärtig ist; auch nicht an einer mangelnden Tiefe oder der Figurenbeschreibung. Denn all das hat der Roman, und ohne jeden Zweifel ist er einfühlsam geschrieben, zeichnet das authentische Bild einer trauernden Mutter. Dennoch konnte "Mein drittes Leben" mich nicht so abholen, wie ich gerne abgeholt worden wäre; weder in der ersten Hälfte, die sich für mein Empfinden sehr gezogen hat, noch gegen Ende, als dann doch noch eine etwas positivere Stimmung aufkommt. Berühren konnte mich das alles nicht so sehr, ich war eher froh, als sich die Geschichte dem Ende zugeneigt hat. An Kriens vorherige Romane kommt dieser hier mMn nicht heran. Ich schätze Kriens Stil jedoch und warte daher gespannt auf ihr nächstes Buch, das mich hoffentlich wieder etwas mehr überzeugen kann.