Der mühsame Weg zum Erfolg
Die Geschichten in uns»Es war alles ein Chaos, nichts passte zusammen, und nichts davon konnte ich artikulieren, eine auf stumm geschaltete Seele. Jahrelang trieb ich in meiner Wortlosigkeit und hatte keine Ahnung, ob ich mich ...
»Es war alles ein Chaos, nichts passte zusammen, und nichts davon konnte ich artikulieren, eine auf stumm geschaltete Seele. Jahrelang trieb ich in meiner Wortlosigkeit und hatte keine Ahnung, ob ich mich dabei auf das Ufer zubewegte oder mich von mir selbst entfernte.« S.35
Wenn man Wells’ Bücher »Vom Ende der Einsamkeit« und »Hard Land« gelesen hat, fragt an sich unweigerlich, wie er es schafft, so tiefe Gefühle in einem zu wecken, sich so verstanden zu fühlen, einen so tief zu berühren. Diese Fragen (von Teilnehmerinnen eines Seminars und Lesungen) legte den Grundstein für Wells’ neues Buch, in dem er uns seinen Weg des Schreibens nachzeichnet. Mit einer gewissen Distanz, jedoch mit dem ihm ganz eigenen Humor, beginnt er mit einer »Bleistiftskizze« seiner Kindheit. Ungewöhnlich persönliche Einblicke, des sonst so scheuen Autors. Er schreibt über seine bipolare Mutter, ihre Aufenthalte in der Psychiatrie, die Trennung seiner Eltern, das Chaos zu Hause, seine Kindheit in verschiedenen Heimen – »Ein Kind, das im Grunde nicht stattfindet«. Bücher werden sein Rettungsanker, seine Flucht, hier fühlt er sich verstanden, aufgefangen. Nach enttäuschender Schullektüre wird es Irvings »Das Hotel New Hampshire« sein, das in Wells den Wunsch weckt, Schriftsteller zu werden – auch wenn ihm sein Lehrer mangelndes Talent bescheinigt. Er schreibt von seinem jugendlichen ungebrochenen Glauben an seine eigene Genialität, die einsamen Jahre in Berlin, der tiefen Verzweiflung, wenn es mal wieder nur Absagen für sein Manuskript gab. Aber auch seine unbändige Freude, als plötzlich Menschen an ihn glaubten und er zum ersten Mal durch die grüne Tür des Diogenes Verlags ging.
Im 2. Teil geht es um die Entstehung von Romanen, vom ersten Funken bis zur kräftezehrenden Überarbeitung. Er spricht über Figuren, Dialoge, Tempo, Szenen u.v.m. Dabei ist es keinesfalls ein trockener Schreibratgeber mit der Garantieformel für den nächsten Bestseller, es ist eine Sammlung eigener Erfahrungen, Zitate aus Büchern anderer Autorinnen. Er arbeitet mit Beispielen, die helfen, das Theoretische dahinter zu verstehen, öffnet seine Werkzeugkiste für uns und erklärt anhand von zwei frühen Manuskriptstellen aus den o.g. Romanen, wie man an die Überarbeitung gehen kann.
Wells zeigt, dass der Weg bis zum gefeierten Ausnahmeautor und mehrfachen Preisträger mühsam und steinig war. Gepflastert mit Enttäuschung und Absagen – und doch ist er ihn gegangen. Für mich verbindet sich nach diesem Buch der Autor mit seinen wiederkehrenden Themen – Einsamkeit und Sehnsucht, es wird deutlich, wie sehr ihn seine Kindheit geprägt hat und wie lange er gebraucht hat, Worte dafür zu finden. Ich kann auch verstehen, dass er heute, mit 40 Jahren, mit dem hadert, was er als 20-Jähriger geschrieben hat, dass es der wachsende Abstand zu den Ereignissen ist, der ihn eine andere Perspektive finden lässt und er sich allmählich selbst näher kommt. Immer wieder scheint der bescheidene, selbstkritische Mensch durch, den er so gern hinter seinem leichten Ton und seinem einnehmenden Lächeln versteckt.
»Schmerz ist eine kräftige Tinte, doch oft muss sie erst erkalten.« S.317
Fazit: Nun ich bin froh, dass Wells seine schriftstellerische Pause mit einem Sachbuch durchbrochen hat. Bin dankbar für seine ehrlichen, tiefen Einblicke in seine verletzte Seele, aus der heraus so großartige Romane entstanden sind. Bin dankbar für seine zahlreichen Literaturtipps (von denen ich einige gelesen habe, andere es auf meine Wunschliste geschafft haben), für seine motivierenden Worte (es sind unzählige Post-Its im Buch). Bin dankbar für seine Erfahrungen des Scheiterns, die er so offenherzig mit uns teilt, denn die sind es doch letztlich, die zeigen, dass man mit seinem eigenen Zweifeln und Verletzungen nicht allein auf der Welt ist.
Ein Buch, das zeigt, was Literatur alles vermag, egal, ob man nun selbst zum Stift greifen will oder nicht.
»Es gibt kein Ende der Einsamkeit, sie ist in den Stoff unserer Seele gewebt und gehört zu uns. Man kann nur den Umgang mit ihr ändern. Auch das Schreiben hat kein Happy End, es kann das Loch im Inneren nicht auffüllen, ein Schritt in der fiktiven Welt ersetzt nicht den Schritt in der Wirklichkeit. Man führt seine Figuren einem logischen Ende und einer reifen Erkenntnis zu, lässt sie Bindungsängste, Verletzungen und andere Hürden überwinden, während man als Mensch weiter durch sein Leben stolpert und den Weg sucht.« S.100