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Veröffentlicht am 27.07.2024

Was für ein besonderes, kraftvolles Buch

Ein anderes Brooklyn
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Ich seh’ sie ganz genau vor mir. Vier kleine, schwarze Mädchen - eins heller, eins dunkler - einander umarmend, unbesiegbar und sich ihrer Freundschaft und Zuneigung so sicher, wie alles andere unsicher ...

Ich seh’ sie ganz genau vor mir. Vier kleine, schwarze Mädchen - eins heller, eins dunkler - einander umarmend, unbesiegbar und sich ihrer Freundschaft und Zuneigung so sicher, wie alles andere unsicher ist; eine Kindheit in den aufgeheizten Straßen Brooklyns der 70er Jahre. Die Mädchen wachsen gemeinsam im Schatten der Erinnerungen ihrer abwesenden Mütter auf und in den unruhigen Zeiten des Vietnamkrieges und der Black Power Bewegung fest zusammen; frei bewegen sie sich, sind nahezu unsichtbar bis sie in die Pubertät kommen, dann nicht mehr. Dann bietet der Schuster ihnen Geld für einen Blick in ihre Höschen an, der Chorleiter presst sich beim Singen von hinten an sie, die Jungs und Männer schauen sie mit anderen Augen an. Ihre Herkunft, Träume und Möglichkeiten, die Liebe und die Leidenschaft, einfach das Leben selbst zerrt an ihrem eng geknüpften Band, strafft es bis zum Zerreißen, bis nur noch Fetzen davon übrig sind.

„Zwei Schritte nach links oder rechts, vor oder zurück, und schon steht man außerhalb seines Lebens.“

Einzelne Fragmente, von Jaqueline Woodson fast poetisch und mit einer unglaublichen Wucht erzählt, ergeben auf nur 150 Seiten Stück für Stück ein vielschichtiges, lebendiges Bild. Atemlos lese ich jeden Satz, kann mich dem Sog nicht entziehen und merke plötzlich mit leisem Bedauern, dass ich schon auf der letzten Seite bin. Was für ein besonderes, kraftvolles Buch.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Eine Geschichte über das Leben selbst, über die Liebe, die Ängste und Sehnsüchte in jedem von uns

Daisy Jones and The Six
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In „Daisy Jones & The Six“ erzählt Taylor Jenkins Reid die Geschichte einer fiktiven Rock’n’roll-Band im Amerika der 70er Jahre. Was ich erwartet hatte? Ganz ehrlich - keine Ahnung! Was ich bekam war eine ...

In „Daisy Jones & The Six“ erzählt Taylor Jenkins Reid die Geschichte einer fiktiven Rock’n’roll-Band im Amerika der 70er Jahre. Was ich erwartet hatte? Ganz ehrlich - keine Ahnung! Was ich bekam war eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle; es ging steil bergauf und rasant wieder runter, dazwischen ein paar Loopings (und Geraden, es kann halt auch nicht immer superspannend sein) und ich fand es einfach genial. Genauso stelle ich mir das Leben im Rampenlicht vor und ich saß buchstäblich in der ersten Reihe; all die fanatischen Fans und ausverkauften Stadien, die Massen an Drogen und ausgeflippten Frauen und dann... die Leere, die Stille, das Nichts. Ich hab’s gefühlt, mit jeder Faser meines Körpers.

Doch dieses Buch ist viel mehr als einfach nur ein Roman über eine erfolgreiche Band - es ist eine Geschichte über das Leben selbst, über die Liebe, die Ängste und Sehnsüchte in jedem von uns. Die ganze Bandbreite an menschlichen Gefühlen hat die Autorin in eine (literarische) Dokumentation über Aufstieg und Fall einer Legende verwandelt, was bitte könnte passender sein als das? Anhand von Interviews mit den einzelnen Band- und Crewmitgliedern rekonstruiert Jenkins Reid die Auflösung der Band und spielt mit deren unterschiedlichen Erinnerungen und Wahrnehmungen, was eine gewisse Komik nicht entbehren kann und der Story Dynamik und Leben einhaucht. Die Figuren sind alle toll und differenziert ausgearbeitet aber das Herzstück bildet für mich ganz klar Camila - stark und integer und fokussiert auf dass, was ihr im Leben am meisten bedeutet; auch wenn es ihr das Herz bricht.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Ein schönes, ein trauriges Buch

Mutter
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Melitta Brezniks „Mutter. Chronik eines Abschieds“ ist wenig überraschend ein sehr persönliches Buch, gerade für mich, spiegelt es doch viele Gefühle und Gedanken wieder, die mich in den letzten Monaten ...

Melitta Brezniks „Mutter. Chronik eines Abschieds“ ist wenig überraschend ein sehr persönliches Buch, gerade für mich, spiegelt es doch viele Gefühle und Gedanken wieder, die mich in den letzten Monaten mit meiner 2018 an ALS verstorbenen Mama auch begleitet haben. Die Autorin schildert auf sehr berührende, eindringliche Weise den langsamen Abschied, gewährt intime Einblicke in den sich stetig verändernden Alltag mit neuen Ritualen und den immer kleiner werdenden Radius, der unaufhaltsam auf ein Ziel zuläuft. Das widersprüchliche Gefühl, die restliche gemeinsame Zeit so gut wie möglich auskosten zu wollen und gleichzeitig die Luft abgeschnürt zu bekommen, von dieser Schwere; dieser Zwiespalt, den Angehörige von schwer Erkrankten verspüren, den geliebten Menschen einerseits nicht hergeben und andererseits nicht länger leiden sehen zu wollen; das dringliche Bewahren des letzten bisschen Würde im Angesicht der absoluten Machtlosigkeit. Mit großer Zärtlichkeit werden Gefühle beschrieben, die mir nur allzu vertraut sind und die Lektüre für mich dementsprechend schwer und schmerzhaft machten an mancher Stelle. Aber es ist dennoch tröstlich, zu spüren, dass man nicht alleine ist mit der Trauer, sich verstanden und gesehen fühlt. Überhaupt finde ich es sehr interessant zu sehen, wie sehr der Abschied von der Mutter, DER zentralen Figur im Leben eines Menschen, sich zu gleichen scheint; wie vertraut mir vieles war, dass die Autorin schildert, wie deutlich es mir vor Augen stand. Ein schönes, ein trauriges Buch. „Auf dein Leben, Mama.“

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Bewegende Erinnerungen

Iva atmet
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Ivas Vater liegt im Krankenhaus; er wird bald sterben. Iva sitzt bei ihm, auch wenn es ihr unangenehm ist, so nah, viel zu dicht. Den Vater mochte sie nicht besonders und auch nicht, was er war und doch ...

Ivas Vater liegt im Krankenhaus; er wird bald sterben. Iva sitzt bei ihm, auch wenn es ihr unangenehm ist, so nah, viel zu dicht. Den Vater mochte sie nicht besonders und auch nicht, was er war und doch muss sie jetzt bei ihm sein, es aushalten. Und während sie durch das mit geraubten Schätzen verschönerte Elternhaus in Dresden schleicht kommen die Erinnerungen zurück; an das, was gesagt wurde und noch viel mehr an das, was nicht gesagt wurde. Der Vater ein einflussreicher Richter und Profiteur des Holocaust, der Großvater ein Kriegsverbrecher, die Großmutter vertrieben aus Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), dem Land ihrer Kindheit, welches ihr nie zustand und doch bis zu deren Tod Objekt ihrer Sehnsucht blieb. Wenn Iva atmet spürt sie das trockene Laub in ihrer Lunge, all das Ungesagte hat sich dort angesammelt, in ordentlichen Häufchen, doch manchmal wirbelt alles wie wild durcheinander. Zu schwer lastet die Vergangenheit - auch auf ihrem Liebsten, Roy, einem wurzellosen Zirkusjungen, dessen Vater über den Recherchen zu Ivas Familie (und deren Machenschaften, für die sie nie zur Rechenschaft gezogen wurde) verrückt geworden ist. Und dann ist da noch die eigenartige, wilde Ismene, die Iva und ihre Welt ins Wanken bringt.

Amanda Lasker-Berlin widmet sich mit „Iva atmet“ dem schmerzhaften, doch spürbar brandaktuellen Thema der eigenen, historischen Schuld und des kollektiven Schweigens. Was macht dieses Verdrängen und Totschweigen mit uns und unseren Beziehungen zu den Menschen, die uns am nächsten sind? In kurzen, prägnanten Sätzen bekommen die kleinsten Dinge Bedeutung und Gewicht, möchten gesehen werden; sehr beeindruckend fand ich die wirklich starken, zwischenmenschlichen Momente. Die in kleinen Szenerien eingeworfenen Schilderungen der Grausamkeiten des Krieges sind keine leichte Kost und und bedürften meiner Meinung nach einer Triggerwarnung. Der Autorin ist hier ein berührendes Buch von großer Authentizität gelungen, das mich sehr bewegt hat.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Eine vielschichtige Geschichte über Täter und Opfer

Alef
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Katharina Höftmann Ciobotarus „Alef“ ist eine vielschichtige Geschichte über Täter und Opfer und die Bewältigung der Vergangenheit und für mich bereits jetzt eines der wichtigsten Bücher, dass ich überhaupt ...

Katharina Höftmann Ciobotarus „Alef“ ist eine vielschichtige Geschichte über Täter und Opfer und die Bewältigung der Vergangenheit und für mich bereits jetzt eines der wichtigsten Bücher, dass ich überhaupt je gelesen habe. Es geht um Vertreibung und Flucht, Stolz und Stärke, Wurzeln und Flügel und die große Frage, ob man jemanden mit jeder Faser seines Seins lieben und dabei man selber bleiben kann. Ist die Liebe alle Widrigkeiten des Lebens wert?

Ich habe in der Schule, wie sicher jede*r hier, viel über den Holocaust gelernt und auch den obligatorischen Besuch im KZ gemacht. Ich habe Anne Franks Tagebuch, verschiedene Aufzeichnungen von Überlebenden und auch fiktive Geschichten gelesen und diverse Filme (Spielfilme sowie Dokumentationen) über den zweiten Weltkrieg gesehen. Ich habe die Schuld meiner Vorfahren in vielen Situationen aufgezeigt bekommen und verstanden aber sie war dennoch nie wirklich meine Geschichte. Das hatte bei aller Grausamkeit eine Distanz, die ich nicht wirklich überbrücken konnte. Ich war entsetzt, ja, fassungslos, habe mitgefühlt und verachtet aber wirklich MICH angesprochen und gemeint hat es nicht. Eitan und Maja aber haben mich mitgenommen in die Vergangenheit, die nicht vergangen ist sondern immer noch präsent und somit auch zu mir gehört, mein Leben betrifft, mich schuldig spricht. Eitan hat meinen Blick auf das Schwert mit dem Hakenkreuz im eigenen Wohnzimmer gelenkt, auf den offenen Antisemitismus, der immer noch da und real ist und auch mein Leben streift. Ich habe mit Bella am Fenster gesessen und auf Sigi gewartet, 69 Jahre lang, was ist da schon vergangen und vergessen? Ich habe vielleicht zum ersten Mal verstanden, was der Holocaust bis heute mit den Menschen macht und welche Kreise er zieht, bis wo sein Arm reicht.

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