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Veröffentlicht am 27.07.2024

Entspannt und frei, mit viel Raum zum Atmen

Daheim
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Ich mag einfache Geschichten. Geschichten, die nichts verschnörkeln oder verklären, nichts verstecken oder verheimlichen; schlicht nichts anderes sein wollen als sie sind. Die Protagonistin in Judith Hermanns ...

Ich mag einfache Geschichten. Geschichten, die nichts verschnörkeln oder verklären, nichts verstecken oder verheimlichen; schlicht nichts anderes sein wollen als sie sind. Die Protagonistin in Judith Hermanns neuem Roman „Daheim“ steht mit Ende 40 an einem Wendepunkt ihres Lebens - vieles ist schon vergangen und bereits zu vagen Erinnerungen verblasst und doch scheint auf einmal alles noch möglich. Während die Tochter flügge geworden die Welt bereist und ihr Mann sich ein Gefängnis aus Dingen geschaffen hat, beginnt sie ein neues Leben irgendwo an der Küste, in der Stille der Natur und ohne jedweden Ballast. So karg und anspruchslos wie die Landschaft um sie herum erscheinen mir auch ihre Beziehungen zu anderen Menschen; so distanziert bleibt sie bislang auch mir als Leserin und ich vermag noch keine rechte Bindung aufzubauen. Und doch folge ich ihr gerne und ohne zu zögern, möchte noch ein wenig bleiben und sehen, wo es uns hintreibt.

„Das Leben verlangsamt sich. Unangenehm, in gewisser Weise. Aber es gibt dir Zeit, zu verstehen, was du hast - stell es vor dich hin. Dann weißt du, wovon du was brauchst. Und worauf du verzichten kannst.“

Entspannt und frei, mit viel Raum zum Atmen fühlt sich das Lesen dieses Romans an; in der Einfachheit der Sprache liegt etwas seltsam Tröstliches. Nichts stört meinen Lesefluss, kein unnötiger Satz lässt meine Gedanken abschweifen, keine versteckte Andeutung benötigt dringlichere Aufmerksamkeit. Ich mag‘s!

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Eine feine, kleine Lektüre

Wo ich mich finde
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„Wo ich mich finde“ von Jhumpa Lahiri ist eine Sammlung von Anekdoten und Szenen, direkt aus dem Leben der Mitte 40jährigen Ich-Erzählerin gegriffen. Eine scheue Einzelgängerin ist sie, streift durch die ...

„Wo ich mich finde“ von Jhumpa Lahiri ist eine Sammlung von Anekdoten und Szenen, direkt aus dem Leben der Mitte 40jährigen Ich-Erzählerin gegriffen. Eine scheue Einzelgängerin ist sie, streift durch die Stadt und sucht die ihr vertrauten Plätze auf; begegnet Menschen, alten Bekannten und Wildfremden, die sie sehr aufmerksam und gleichzeitig distanziert, nicht ohne ein gewisses Befremden, beobachtet. Ihr nackter, unverstellter Blick gleicht dem eines Kindes, beinahe staunend legt er sich auf die Welt und seine Bewohner.

Die kurzen Kapitel lassen sich unabhängig voneinander und angenehm flüssig lesen. Lahiri erzählt präzise und klar, mit einem mir sehr angenehmen Hauch Melancholie in der Stimme, vom Zauber des alltäglichen Lebens. Die Schilderungen aus der Ich-Perspektive muten dabei fast Tagebuchartig an und ich bin wirklich ein bisschen darin versunken. Eine feine, kleine Lektüre.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Ein toller Coming-of-Age Roman und vielversprechendes Debüt!

Die Gespenster von Demmin
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Larry (eigentlich Larissa aber wer heißt bitte schön so?), die Ich-Erzählerin des Romans, ist 15 und ein typischer Teenager - aufmüpfig und latent schlecht gelaunt. Um der Langeweile der Kleinstadt zu ...

Larry (eigentlich Larissa aber wer heißt bitte schön so?), die Ich-Erzählerin des Romans, ist 15 und ein typischer Teenager - aufmüpfig und latent schlecht gelaunt. Um der Langeweile der Kleinstadt zu entkommen widmet sie sich intensiv den Vorbereitungen für ihre Zukunft als furchtlose Kriegsreporterin in der Ferne und säubert nebenbei, gegen ein kleines Taschengeld, den Friedhof im Ort. Dabei schnackt sie gerne mit den alten Leuten, die viel zu erzählen haben und zuhören, das kann Larry sehr aufmerksam; und spüren kann sie sie auch, die Gespenster von Demmin.

Die alte Frau Dohlberg von nebenan packt indes ihre Sachen zusammen; mitnehmen ins Altenheim kann sie nicht viel und einfach alles dem Entrümpler überlassen, das geht auch nicht. So gleitet nun alles noch einmal durch ihre zittrigen Hände, jedes Stück ein Hüter der Vergangenheit und die Erinnerungen an die furchtbaren Geschehnisse kurz vor Kriegsende 1945 dringen schmerzhaft an die Oberfläche. Zu Hunderten haben sie sich damals selbst umgebracht, die Demminer, aus Angst vor der Roten Armee; haben sich einen Strick genommen oder wateten, die Kinder eng an den Körper gebunden, in die Peene.

Der Perspektivwechsel zwischen dem jungen Mädchen heute und den Erinnerungen der alten Dame empfand ich als starkes Stilmittel, das Verena Kessler gekonnt einsetzt, um sehr anschaulich und greifbar die Auswirkungen eines kollektiven Traumas bis in die nächsten Generationen aufzuzeigen. Wir haben es hier mit zwei glaubhaften Figuren zu tun, die mit großer Authentizität ein mir bisher unbekanntes, aufwühlendes Stück deutsche Geschichte erzählen und die ich sehr gerne ein Stück begleitet habe. Ein toller Coming-of-Age Roman und vielversprechendes Debüt!

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Wie ein Becher heiße Schokolade im Winter

Bären füttern verboten
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Kennt ihr diese Bücher, in denen alle Figuren irgendwie unglücklich und vom Schicksal gebeutelt sind, und trotzdem wärmen sie dir das Herz und lassen dich schon beim Lesen (und obwohl alles noch ziemlich ...

Kennt ihr diese Bücher, in denen alle Figuren irgendwie unglücklich und vom Schicksal gebeutelt sind, und trotzdem wärmen sie dir das Herz und lassen dich schon beim Lesen (und obwohl alles noch ziemlich sch...eibenkleister ist) mit einem guten Gefühl zurück? Mir ging es zuletzt bei der Lektüre von Rachel Joyces Harold Fry-Romanen so und „Bären füttern verboten“ von Rachel Elliott löste in mir genau dasselbe diffuse Glücksgefühl aus. Ich glaube, das liegt zum Teil daran, dass es nicht den/die eine/n Protagonist*in gibt sondern viele (Haupt)Personen, die man begleitet und einem schnell das Gefühl vermitteln, sie gehörten zu einem, ins eigene kleine Dorf. Und die so liebenswürdig und spleenig sind, dass man sie ein bisschen bekloppt findet aber auch sofort liebgewinnt und direkt ins Abendgebet einschließen möchte.

Sydney ist fast 50 und läuft. Laufen und jedes noch so kleine Hindernis überwinden, Freerunning, das ist ihre Leidenschaft. Davonlaufen, nicht zurückblicken, einfach vergessen, immer weiter. Doch nun kehrt sie einer Eingebung folgend nach St. Ives zurück, in das kleine Fischerdorf an der Küste Cornwalls, in dem sie die Sommer ihrer Kindheit verbrachte und auch den Sommer, der diese auf einen Schlag beendete. Dort stellt sie sich ihren Dämonen und begegnet den unterschiedlichsten Menschen (und einem unfassbar sympathischen Hund); einfachen, guten Menschen mit bescheidenen Träumen und ausgestattet mit einer gehörigen Prise Hoffnung und Zuversicht, deren Leben alle wie in einem Mobile zusammenhängen und durch einen kleinen Schubs gehörig in Bewegung geraten.

Wie ein Becher heiße Schokolade im Winter ist dieser warmherzige Roman - humorvoll, positiv und mit genau der richtigen Dosis Tiefgang ein echter Seelentröster!

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Für mich eine lohnende Leseerfahrung!

Dinosaurier auf anderen Planeten
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Kurzgeschichten haben für mich in letzter Zeit (und mit zunehmendem Alter wie ich vermute) einen besonderen Reiz entwickelt. Ich tauche buchstäblich in ihnen ab und kurz darauf wieder auf, erhasche nur ...

Kurzgeschichten haben für mich in letzter Zeit (und mit zunehmendem Alter wie ich vermute) einen besonderen Reiz entwickelt. Ich tauche buchstäblich in ihnen ab und kurz darauf wieder auf, erhasche nur einen kurzen Blick auf eine Szenerie und spinne sie in Gedanken vor und zurück - oder lasse sie genauso, wie sie ist. Das Unvollendete ist für mich dabei überhaupt kein Manko, im Gegenteil; ich mag dieses Ungewisse, das sich im Verborgenen abspielt, das Sichtbare erscheint mir mitunter langweilig und banal daneben. Alles scheint möglich, wenn (fast) nichts beschrieben wird.

Genau deshalb mag ich auch Danielle McLaughlins Erzählband „Dinosaurier auf anderen Planeten“ ausgesprochen gerne lesen. Der leicht melancholische Klang ihrer Sprache und auch die auf den ersten Blick eher tristen Begebenheiten ziehen mich sofort in den Bann; das Dunkle, Traurige, manchmal fast Verstörende, das zum Leben dazu gehört, fasziniert mich. Die menschlichen Schwächen zu ergründen finde ich interessanter als deren Stärken, ich mag in die Abgründe schauen, mag sehen, was hinter der Fassade lauert. McLaughlins aufmerksamer Blick sieht das, was die Menschen nicht zeigen wollen; was passiert, wenn der Stolz ihnen zwischen den Fingern zerrinnt und den rohen, verletzlichen Menschen zurücklässt. Für mich eine lohnende Leseerfahrung!

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