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Veröffentlicht am 27.07.2024

Ein Vermächtnis

Das achte Leben (Für Brilka)
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„Das achte Leben (für Brilka)“ von Nino Haratischwili ist ein Vermächtnis. Es ist eine große Familiensaga und Tragödie in 8 Akten, wobei die letzte Seite unbeschrieben ist, der letzte Akt reserviert ist ...

„Das achte Leben (für Brilka)“ von Nino Haratischwili ist ein Vermächtnis. Es ist eine große Familiensaga und Tragödie in 8 Akten, wobei die letzte Seite unbeschrieben ist, der letzte Akt reserviert ist für den jüngsten Spross der Jaschis. Brilka ist das Gestern, Heute und Morgen, sie bedeutet Versöhnung und Erinnerung, doch erst einmal müssen wir weit zurück gehen, den Blick über ihre Schulter werfen und der Vergangenheit direkt ins Gesicht. Denn Brilka ist auch Stasia, die Hüterin der Geschichten, sie ist Christine, deren Schönheit Schmerz und Verlust bedeutet, sie ist Kostja, das Oberhaupt mit dem steinernen Herzen, und auch Kitty, die ins Exil geflohene Versehrte, ist Elene, die sich zwischen Mutter und Vater selbst verloren und Gott gefunden hat, und Daria, der von Großvater verwöhnte Liebling, sie ist die kluge Niza, die Chronistin, und auch die heiße Schokolade, das Erbe der Familie, süß und bitter zugleich.

So dicht verwoben wie ein Teppich sind all ihre Lebenswege, so untrennbar ihre Geschichten, so unerkennbar, wo die eine beginnt und die andere endet; jeder Faden für sich nur ein loser Faden, doch gemeinsam ein starkes Konstrukt, das, wenn auch immer wieder in alle Richtungen gedehnt, gerissen, gezerrt, den Boden ihrer Existenz bildet.

Ein Jahrhundert europäische Geschichte präsentiert uns die Autorin in diesem Roman, betrachtet durch die Augen einer privilegierten, georgischen Familie; mühelos verknüpft sie Historisches und Fiktion, zeigt, wie der Krieg sein Netz über die ganze Welt spannt und ein Grauen hereinlässt, das niemanden verschont.

Ein sehr besonderes, ein forderndes Buch, das mich in seiner brutalen Intensität stark an Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“ erinnert hat und von nun an begleiten wird. Das Herz war mir oft so schwer beim Lesen, immer wieder kamen die Tränen, so viel Schmerz, so viel Traurigkeit; wie viel kann der Mensch ertragen, bis er daran zerbricht? Nino Haratischwili hat mich nicht nur viel über meine, nein, unser aller Geschichte gelehrt, sondern auch über die verschiedensten Facetten der Liebe; manchmal als zerstörerischer Hass getarnt, versteckt hinter einer Maske oder tief im Herzen verbuddelt.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Ein ewiges Herzensbuch

Alles Licht, das wir nicht sehen
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„Alles Licht, das wir nicht sehen“ von Anthony Doerr, jahrelang auf meinem SuB gelegen, hat mich kürzlich einfach nur verzaubert. Doerr spannt seinen erzählerischen Bogen von Deutschland nach Frankreich, ...

„Alles Licht, das wir nicht sehen“ von Anthony Doerr, jahrelang auf meinem SuB gelegen, hat mich kürzlich einfach nur verzaubert. Doerr spannt seinen erzählerischen Bogen von Deutschland nach Frankreich, aus glücklichen, unbeschwerten Kindertagen über ein Jahrzehnt hinweg in die kaum greifbaren Schrecken und Wirrungen des zweiten Weltkrieges.

Ich kann die raue Seeluft geradezu schmecken, höre das Wasser an die Mauern der Stadt und in die unterirdischen Grotten schwappen und die Möwen kreischen, rieche Madame Manecs berühmte Fischsuppe. Die Hafenstadt Saint-Malo an einem Tag im August 1944, ein trauriger Tiefpunkt des zweiten Weltkrieges für die Bretagne und der Moment des Showdowns dieser kunstvoll verwobenen Geschichte zweier Jugendlicher, die eher zufällig auf unterschiedlichen Seiten des Krieges stehen. Marie-Laure und Werner, zwei junge Menschen, deren Geschichten sich einem ins Herz einbrennen; deren Leben augenscheinlich weit voneinander entfernt verlaufen und doch dazu bestimmt sind, aufeinander zu treffen. Rund um diese beiden Protagonisten spinnt der Autor in wunderbarer, atmosphärischer Sprache eine Geschichte von Liebe und Verlust; über einen verfluchten Stein und den Glauben an Menschlichkeit, die Kraft der Worte und das kleine Glück eines einzigen, schicksalshaften Moments - ein Tag wie ein ganzes Leben. Auf zarte, poetische Weise verbindet Doerr die einzelnen Handlungsstränge, flicht dabei immer neue mit ein und lässt so ein dichtes, intensives Bild vor meinen Augen entstehen, dem trotz des Grauens eine besondere Schönheit innewohnt.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Einfach nur beeindruckend

Solange du lebst
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Selten hat mich der Einstieg in eine Geschichte so gepackt wie dieser. Alles beginnt mit der Taubenplage (Originaltitel „The plague of doves“) in North Dakota Ende des 19. Jahrhunderts, als die Vögel überall ...

Selten hat mich der Einstieg in eine Geschichte so gepackt wie dieser. Alles beginnt mit der Taubenplage (Originaltitel „The plague of doves“) in North Dakota Ende des 19. Jahrhunderts, als die Vögel überall waren und ihr charakteristisches, nie enden wollendes Gurren erklingen ließen, ja, sogar in den Plumpsklos versanken und qualvoll verendeten - und mit den Lieben und Leidenschaften der verrückten Männer der Milk-Familie. Ein furchtbares, nie gesühntes Verbrechen überschattet die kleine Stadt Pluto, doch die Zeit lässt die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen; wirbelt sie über Generationen hinweg durcheinander und lässt die Wahrheit als Musik in die Welt zurück klingen.

Der Roman bildet den Auftakt der JUSTICE TRILOGY und ist in meinen Augen der stärkste Teil und nicht weniger als ein Meisterwerk der Erzählkunst. Ein großes Familienepos und wichtiges Stück ethnischer Zeitgeschichte vereint die Autorin in diesem Roman, brillant und in intensiven, mitreißenden Bildern erzählt; eine Gründergeschichte, abenteuerlich und lebendig wie Téa Obrehts „Herzland“, das mich letztes Jahr auch ganz arg begeistern konnte.

Erdrichs Figuren haftet stets etwas Wahrhaftes an, etwas Reines, obwohl sie alles andere als perfekt sind. Es sind gute, einfache Menschen, die ich gerne in meiner Nähe hätte und deren Aura um mich herum zu bleiben scheint, in mir weiter leuchtet wenn ich das Buch schon längst beendet habe.

Wenn ihr nur einer Stimme zuhören wollt, die den Native Americans Gehör verschafft, nur einen Roman über die amerikanische Geschichte lesen wollt, dann lasst es Louise Erdrichs „Solange du lebst“ sein - und viele weitere ihrer Bücher folgen!

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Tragweite unserer Entscheidungen

So wüst und schön sah ich noch keinen Tag
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Was ist eine Tragödie lautet die Fragestellung, der die Absolventen der Abschlussklasse eines renommierten New Yorker Internats sich stellen müssen und längst spielt sich auch hinter den Kulissen eine ...

Was ist eine Tragödie lautet die Fragestellung, der die Absolventen der Abschlussklasse eines renommierten New Yorker Internats sich stellen müssen und längst spielt sich auch hinter den Kulissen eine echte Tragödie ab. Doch was geschah wirklich an jenem schicksalhaften Tag im letzten Winter? Welche Tragweite haben unsere Entscheidungen über unser Handeln und unseren Einflussbereich hinaus? Und wie weit sind wir bereit, für unsere Träume und Wünsche zu gehen?

Eine großartige, berührende Geschichte von Liebe und Freundschaft, ja, im Grunde eine klassische, heimliche Romanze entfaltet sich hier auf zwei Zeitebenen; rekonstruiert sich Stück für Stück, wobei es der Autorin mit Bravour gelingt, den Spannungsbogen konstant aufrecht zu erhalten und einen ziemlich starken Sog zu erzeugen. Mit Begeisterung habe ich an Duncans Seite auf dem Bett gelegen und Tims Geschichte gelauscht, habe eine CD nach der anderen abgespielt und diesen außer-gewöhnlichen Jungen fest in mein Herz geschlossen.

Das alte Internat mit seiner besonderen (sicherlich leicht romantisierten) Atmosphäre hat mir als Setting ausgesprochen gut gefallen; kleine Hints auf William Shakespeares Werk (wie auch der deutsche Titel ein Zitat aus „Macbeth“ ist) haben mein Lesevergnügen noch verstärkt und mein Interesse an diesem geweckt. Eine rundum gelungene Coming of Age Story, die mich über die letzte Seite hinaus beschäftigen wird.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Sehr berührend und authentisch

Das Haus des Windes
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„Das Haus des Windes“ ist Teil der JUSTICE TRILOGY, in der jedes Buch zwar für sich allein steht, jedoch immer wieder Figuren und Elemente der anderen beiden Bücher aufgreift. Nach „Ein Lied für die Geister“ ...

„Das Haus des Windes“ ist Teil der JUSTICE TRILOGY, in der jedes Buch zwar für sich allein steht, jedoch immer wieder Figuren und Elemente der anderen beiden Bücher aufgreift. Nach „Ein Lied für die Geister“ haben Jessica @nachtliteratur und ich uns nun gemeinsam diesem Roman gewidmet, in dem der 13jährige Joe ein schweres Verbrechen an seiner Mutter sühnt und dabei erwachsen werden muss. Danke dafür, meine Liebe!

Zentrum der Geschichte ist das Rundhaus („The Round House“ lautet auch der Originaltitel), ein von Joes Vorfahren erbautes Gebäude, ein spiritueller fast heiliger Ort, auf dessen Grundstück der Überfall geschieht und wo sich drei Territorien und damit drei Zuständigkeiten treffen. Die daraus resultierende schleppende Ermittlung zwingt den Jungen zum Handeln und Ablegen der kindlichen Unschuld; gleichzeitig entwickelt er einen Sinn für Menschlichkeit und Gerechtigkeit fernab aller Gesetze.

Erdrich haucht ihren Figuren Leben ein wie keine zweite, so liebevoll und detailliert und mit einem eindrücklichen Sinn für Humor, Spiritualität und Gemeinschaft; Figuren, die sich einem ins Herz pflügen und die man nicht mehr loswird. „Das Haus des Windes“ ist eine spannende Mischung aus Coming of Age und Kriminalroman und hat mich, trotz der einen oder anderen Länge zwischendrin, komplett abgeholt und emotional herausgefordert. Sehr berührend und authentisch.

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