Augenmerk auf Oscar
Auf diess Buch habe ich mich gefreut - und war ziemlich enttäuscht. Ich fand den Titel griffig, die Konstellation interessant, das Cover lebendig. Und ich mochte die Idee, dass die Autorin Naturwissenschaften ...
Auf diess Buch habe ich mich gefreut - und war ziemlich enttäuscht. Ich fand den Titel griffig, die Konstellation interessant, das Cover lebendig. Und ich mochte die Idee, dass die Autorin Naturwissenschaften mit Belletristik verknüpft. Leider krankt das Buch an der Hauptfigur.
Rezi enthät Spoiler!
Worum geht es?
Oscar ist ein Mathegenie, hat hohe Ansprüche und trifft eines Tages auf die 50-jährige Moni, die von allen für dumm gehalten wird und sich nun den Traum vom Studium erfüllt.
Wie hat mir das Buch gefallen?
Oscar hat es mir als Figur sehr schwer gemacht. Er befindet sich, auch wenn das nie gesagt wird, auf dem autistischen Spektrum und hat für vieles kein Verständnis. Moni ist aus seiner Sicht dumm, sie schafft das Studium ohnehin nicht. Und da sie alt ist, kann sie auch keine Karriere machen. Das immer wieder zu lesen, das tat weh. Es gab keinen Satz oder Gedanken, bei dem ich Oscar nicht anschreien wollte. Das Problem ist, dass ihm niemand Kontra gibt. Weder die gutmütige Moni noch der väterliche Professor Herbst, der ebenfalls sehr mit sich beschäftigt ist. Seine Eltern haben ihm früher Freunde gekauft, ihn also eher überlistet. Da das Buch durchgängig aus Oscars Perspektive geschrieben ist, kann es auch sein, dass er Kritik gar nicht wahrnimmt. Er wirkt wie ein arrogantes Kind, das nur sieht, was es besitzt und ob alle seine Regeln befolgt wereden. Nicht, was er in anderen auslöst. Obwohl mir natürlich bewusst ist, dass das seine Persönlichkeit ist. Aber es irritiert mich, dass das von allen hingenommen wird.
Es gibt nur wenige Stellen, in denen Oscars Gefühle durch körperliche Reaktionen Ausdruck finden z.B. wenn er bei Hundevideos weint oder zusammenbricht, wenn jemand anderes recht hat oder er sich zurückgesetzt fühlt.
Es gibt Bücher, die Autist:innen trotz ihrer Besonderheiten als sympatisch darstellen - das macht das Buch nicht. Das ist einerseits realistisch, denn Menschen auf dem autistischen Spekrum können zwischenmenschlich sehr schwer sein. Aber viele Leute sind angepasst oder können mit ihrem Umfeld so kommunizieren, dass sich keiner zurückgesetzt fühlt. Oscar ist ein Ekel. Daher sollte man sich als Leser bewusst sein, dass das eine sehr überzeichnete Darstellung ist und viele Autist:innen relativ umgänglich sind.
Moni ist das krasse Gegenstück zu Oscar, ist aber als Figur blass. Sie wird von allen als dumm bezeichnet, versteht aber komplizierte Dinge relativ gut. Auch wenn sie bei den Grundlagen Probleme hat. An Moni wird gut deutlich, wie die Erwartungshaltung des Umfeldes den Menschen prägt. Leider zeigt der Text nicht, wie sehr sie leidet, als sie ausbricht. Man spürt, dass ihre Familie sie ablehnt, weil sie studiert, aber man sieht nicht in sie hinein. Ich denke, dass hier auch ein Trauma zugrundeliegt. Der geniale, aber psychisch kranke (?) Bruder, für den Moni immer alles tat, verschwand. Ich denke, dass die Familie daher mit Mathematik und Wissen auch Verlust verbindet und dass sich das von den Eltern auf Moni auf deren Kinder übertragen hat. Ihre Tochter ist selbstverliebt, aber ihr Enkel Quentin hat z.B. ebenfalls eine mathematische Begabung. Vielleicht hat auch Moni ihren Anteil daran - indem sie das Mathestudium verschweigt, vermeidet sie das Thema, beschützt den Bruder weiterhin, nimmt der Familie aber gleichzeitig die Möglichkeit das aufzuarbeiten.
Auch der Rest des Umfeldes bleibt blass - aus Kommilitone Tom wird nicht viel, Monis Freund Pit hat seinen Auftritt, Oscars Vorbild Daniel entpuppt sich als Schwindler - was der Handlung am Ende Würze gibt. Aber ich hatte zu keiner Figur einen Bezug.
Interessant war, dass sich Oscar in Monis Enkel Justin verliebt, aber das nicht als "Liebe" wahrnimmt, sondern als Wohlfühlen. Es wäre schön gewesen zu sehen, ob die beiden zusammen kommen. Aber das hätte wohl zu sehr abgelenkt?
Inmitten von Oscars Betrachtungen über die Minderwertigkeit der anderen oder dem richtigen veganen Essen geht die Mathematik eher unter. Oscar sieht Mathematik sehr poetisch, er bewegt sich gern in dieser Welt, weil sie eindeutig ist. Das war wirklich schön zu lesen. Aber ich konnte es nur wenig genießen, weil ich Oscar nicht mochte.
Am Ende wird es sogar ein bisschen mystisch, was ich ganz nett fand.
Auch die Handlung plätschert eher dahin. Man fragt sich, ob Moni das Studium schafft, auch die familiären Konflikte sind nett, dann die Frage, was mit Monis Bruder passiert ist. Liest sich gut, aber nicht fesselnd. Letztlich bringt Moni Oscar emotional ein bisschen voran, aber es fühlte sich nicht wie eine Heldenreise an.
Fazit
Aus der tollen Grundidee macht die Autorin leider wenig. Autist Oscar ist zu einseitig dargestellt, das Gegenstück Moni nicht stark genug. Gute Ideen und Konflikte gehen unter. Daher für mich ein Flop.