Originell und speziell
Im MorgenlichtIch habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer ...
Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer englischsprechenden zerstörten Welt und einem Wiederaufbauprogramm.
Im entvölkerten Island City sollen Menschen angesiedelt werden, die anderswo ihr Zuhause verloren haben. Sil und ihre Mutter haben Glück gehabt. Sie dürfen in die Wohnanlage „Morgenlicht“ zu Tante Ena ziehen, die dort arbeitet. Ihre Vergangenheit ist genauso undurchsichtig, wie die Gegenwart. Sie kommen aus dem „Alten Land“ und sprechen „Unser“. Das und die märchenhaften Geschichten, die Tante Ena erzählt, lassen an ein unbestimmtes Balkanland denken. Und von Ena hat Sil auch den Hang dazu, nach magisch Mystischem in ihrer Umgebung zu suchen. Kann Bezi Duras aus dem 34.Stock eine Vila sein, ein Zauberwesen aus alten Geschichten?
Dieses Buch ist wirklich besonderes. Es verknüpft alte Mythen mit einer düsteren Zukunft, verspinnt vergangene Balkankriege mit aktueller Flüchtlingsproblematik und der Klimakrise, nimmt von allem ein bisschen und macht daraus eine schicksalhafte Familiengeschichte mit märchenhaften Vibes. Das ist neu und irritierend, aber auch spannend.
Wenn man sich davon verabschiedet hat, das Gelesene einsortieren zu wollen, macht das Lesen Spaß. Es ist toll geschrieben in wunderbarer Sprache, mit feinem Humor und jeder Menge Rätsel, ist auf skurrile Art geheimnisvoll, tanzt leichtfüßig hin und her zwischen den Genres, immer mit einem Augenzwinkern.
Das Ende löst dann etwas geballt alle Fragen auf, die wir hatten. Ich hätte das gerne auf weitere hundert Seiten ausgedehnt gelesen, aber gut, immerhin gibt es Ideen, beinahe Antworten.
Ein schönes Buch.