Ein höheres Erzähltempo, gereiftere Charaktere, größere Handlungsdimensionen und eine komplexere Storyline
Nachdem mich der erste Band der Reihe "Elais und Laia - Die Herrschaft der Masken" vor ein paar Tagen überraschenderweise total begeistert hat, war ich total erleichtert, gleich zum nächsten Band greifen ...
Nachdem mich der erste Band der Reihe "Elais und Laia - Die Herrschaft der Masken" vor ein paar Tagen überraschenderweise total begeistert hat, war ich total erleichtert, gleich zum nächsten Band greifen zu können (SuB sei dank ^^). Auch die Fortsetzung der ab Dezember 2020 vierbändigen Reihe konnte mich komplett überzeugen. Angst, Hoffnung, Verzweiflung, Hass, verrückte Pläne, Tod und Liebe am Abgrund - dies ist der Stoff, aus dem diese Geschichte gemacht ist.
Das Cover ist wieder ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines weiblichen Gesichts, sowie die Andeutung eines antiken Amphitheaters im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Ich bin wohl etwas verwöhnt von anderen Fantasy-Romanen, denn mit zunehmender Seitenzahl haben mir ein Glossar, ein Namensregister und vor allem eine Karte gefehlt, da ich vor allem über die geografische Lage der Handlung gerne mal den Überblick verloren habe.
Erster Satz: "Wie haben sie uns so schnell gefunden?"
Band 2 knüpft direkt an die Handlung vom ersten Teil an und erzählt im ersten Kapitel von Elias´ und Laias Flucht aus Serra, nachdem Laia Elias vor seiner Hinrichtung bewahrt und die Militärakademie Schwarzkliff zerstört hat. Auffallend ist, dass Sabaa Tahir nur wenige Rückblenden und Erinnerungshilfen miteinfließen lässt, was mich nicht gestört hat, da ich den ersten Teil erst einen Tag zuvor beendet hatte. Für Leser, die lange auf den zweiten Band gewartet haben, könnte ich mir den Einstieg ohne Handlungshilfe aber schwer vorstellen. Nach einer fragwürdigen Begegnung mit der Kommandantin beginnt die Reise der Beiden quer durchs Imperium, wobei sie viele gefährliche Abenteuer, blutige Begegnungen und fiese Verschwörungen überstehen müssen. Von der Wüste durch die Serraberge über die Stammesstadt Nur, in den Dämmerwald bis hin nach Kauf ganz im Norden des Imperiums, wo Laias Bruder Darin gefangen gehalten wird, reisen wir mit den beiden und lernen so das weitläufige Imperium besser kennen.
Dabei wird die Spannung auch durch viele Hindernisse und Probleme hochgehalten. Der zweite Teil besticht demnach nicht nur mit mehr Hintergrundinformationen zum Setting, der Geschichte des Landes und neuen Begegnungen, sondern ist auch deutlich temporeicher, als der erste Teil. Die Komplexität der Story leidet darunter aber mitnichten. Darin zu befreien ist nämlich lange keine rein familiäre Rettungsaktion mehr - da er das Geheimnis des Serrastahls kennt, das die Martialen stürzen könnte, sind auch die Kundigenrebellen und Stämme an seiner Rettung interessiert. Doch nicht nur der neue Blutgreif und Elias´ alte Freundin Helena sind Elias und Laia auf den Fersen - sie müssen auch mit den dunklen Plänen der Kommandantin umgehen, die eine blutige Spur durch das Imperium zieht und versucht, alle Kundigen auszulöschen. Als dann noch Elias durch ein tödliches Gift geschwächt mit dem Tod verhandelt und ein übernatürlicher Gegenspieler die Fährte der beiden aufnimmt, droht ihre Mission erneut fatal zu scheitern...
"Die meisten Menschen", sagt Cain, "sind nichts als Fünkchen in der großen Dunkelheit der Zeit. Aber du, Helena Aquilla, bist kein rasch verglühender Funke. Du bist eine Fackel im Dunkel der Nacht - wenn du den Mut hast zu brennen."
Durch das Hinzufügen einer neuen Erzählperspektive, wird die Geschichte abwechslungsreicher und zugleich komplexer. Wir fühlen gleichzeitig mit Laia, die auf die Rettung ihres Bruders hinfiebert, immer mehr ihre Stärke entfesselt und eine neue verborgene Fähigkeit entdeckt, kämpfen mit Elias gegen das Gift in seinen Adern und treffen an der Schwelle des Todes auf die Seelenfängerin und einige bereits verschiedene Protagonisten, und gehen mit Helena Aquilla auf die Jagd nach den beiden, spüren ihre innere Zerrissenheit nach, erfahren Schritt für Schritt mehr über die blutige Verschwörung der Kommandantin und die grausame Herrschaft des neuen Imperators Marcus. Insgesamt ermöglicht die Kombination der Erzählstränge einen umfassenden Blick auf verschiedene Geschehnisse im Imperium. Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte wieder so undurchsichtig, dass viele spannende Wendungen mir kurzfristig den Atem geraubt haben. Zusätzlich baut Sabaa Tahir die magischen Elemente, die sie im ersten Teil nur grob angerissen hatte, weiter aus. Ob nun das Totenreich im Dämmerwald, die Geschichte vom Niedergang der Dschinn, der Racheplan des Nachtbringers oder die erwachsenen magischen Fähigkeiten in einigen Protagonisten - auch der magische Aspekt der Handlung entwickelt sich weiter und bekommt neue Tiefe.
"Du bist mein Tempel", murmele ich, während ich mich neben sie knie. "Du bist meine Priesterin. Du bist mein Gebet. Du bist meine Erlösung."
Im Mittelteil kommt die Handlung kurzzeitig etwas schwer vom Fleck, da sich die Flucht ein wenig in die Länge zu ziehen scheint, auch wenn eigentlich ständig etwas passiert. Kaschiert wird das durch die Enthüllung von alten Geheimnissen wie der Verrat an Lais Eltern, die Identität der Köchin oder die Frage nach Elias´ Vater. Und als die Protagonisten dann schließlich alle in Kauf ankommen und sich die Handlungsstränge treffen beginnt ein wirklich unglaublicher Showdown, bei dem ich immer wieder schlucken musste. Denn diese Fortsetzung ist noch grausamer, brutaler und schonungsloser, als der erste Teil. Auch wenn die Protagonisten hier den Fängen von Schwarzkliff entflohen sind, sind die physischen und psychischen Qualen, die sie während der Reise erleiden müssen und mitansehen oftmals schockierend. Trotz der Ansiedlung des Settings im Orient kommt nur schwer ein Tausend-und-eine-Nacht-Feeling auf, dennoch war ich von der ersten Seite an fasziniert von dieser grausamen Welt, in der man verzweifelt nach einem Fünkchen Hoffnung sucht. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus und Imperialismus, ist auch die konkrete Gewalt kaum auszuhalten. Egal ob an Konzentrationslager erinnernde Zellen in Kauf, Folter von Kindern, dem Homizid an den Kundigen oder der willkürlichen Hinrichtung von Familienmitgliedern - die Grausamkeit der fiktiven Szenen übersteigt bei Weitem das, was ich 14jährigen Lesern (Altersempfehlung des Verlags) zumuten würde.
"Das Leben braucht nur einen Sekundenbruchteil, um in eine furchtbar falsche Richtung zu laufen. Um das Durcheinander wieder zu ordnen, brauche ich tausend Dinge, die richtig laufen. Die Entfernung von dem einen bisschen Glück zum nächsten fühlt sich so groß an wie die zwischen zwei Ozeanen. Aber, beschließe ich in diesem Augenblick, ich werde diese Entfernung überbrücken, wieder und wieder, bis ich gewinne. Ich werde nicht wieder scheitern."
Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt. Neben dem unverändert bildreichen Setting und der düsteren Atmosphäre, sind auch die Protagonisten gewohnt einfühlsam charakterisiert. Laias Entwicklung von einem anfangs schwachen Opfer zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen, geht hier weiter. Sie erfährt auch hier wieder Verrat, Leid, Angst, Ungewissheit aber auch viel Liebe, Unterstützung und Bewunderung, was sie weiter wachsen lässt. Auch Elias wird immer mehr zu dem, was er selbst immer sein wollte: empathisch, gerecht, loyal und frei, auch angesichts seines Todes. Von der Maske in ihm ist schon bald nichts mehr als seine Stärke geblieben.
"Hast du je eine Geschichte über einen Abenteurer mit einem vernünftigen Plan gehört?"
"Äh... nein?"
"Und warum glaubst du wohl, ist das so?"
Ich bin ratlos. "Weil... weil..."
Sie lacht erneut. "Weil vernünftige Pläne niemals aufgehen, Mädchen", sagt sie. "Es klappt nur mit den verrückten."
Am spannendsten in diesem Teil fand ich jedoch die Entwicklung von Helena, in deren Kopf wir hier zum ersten mal blicken können. Sie ist zunehmend zwischen ihrer Loyalität, Freundschaft und Liebe zu Elias und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen und weiß schon bald nicht mehr, wie sie als Blutgreif Stärke und Unbeugsamkeit repräsentieren, sich selbst aber treu bleiben soll. Insgesamt sind die drei sehr vielschichtigen Sympathieträger, deren Entwicklung sich über die 512 Seiten durchaus sehen lassen kann. Auch die neuen Nebenprotagonisten wie die Stammesfrau Ayfa, der Sklavenjunge Tas, der zwiespältige Hauptmann Harper oder die leidende Seelenfängerin bringen ordentlich Pepp in die Handlung und trösten und darüber hinweg, dass Sabaa Tahir auch hier wieder nicht gerade zaghaft mit liebgewonnenen Protas umgeht und der Verlust wieder groß ist. Zum Glück werden im Zuge dessen aber auch zwei der Liebesdreiecke mehr oder weniger aufgelöst, was die Glaubwürdigkeit der zarten Gefühle zwischen Elias und Laia für mich deutlich gesteigert hat.
"Das Imperium muss an erster Stelle kommen - vor deinen Wünschen, Freundschaften, Bedürfnissen. Sogar vor deiner Schwester und deiner Gens. Wir sind Aquilla, Tochter. Getreu bis zum Ende. Sag es."
"Getreu", flüstere ich.
Selbst wenn es bedeutet, dass meine Schwester zugrunde geht. Selbst wenn es bedeutet, dass ein Irrer das Imperium regiert. Selbst wenn es bedeutet, dass ich meinen besten Freund foltern und töten muss.
"Bis zum Ende."
Das Ende hat mich dann nochmal fast dazu gebracht, zu verzweifeln und ich musste mich bis kurz vor Schluss händeringend fragen, wie das denn noch gut ausgehen soll. Als dann doch noch relativ schnell alles in halbwegs geregelte Bahnen gerät und wir ohne miesen Cliffhanger auf den nächsten Band warten können, war ich mehr als erleichtert. Werde ich trotz des akzeptablen Halb-Happy-Ends den dritten Teil lesen? Da "Elias und Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht" bis auf kleine Schwächen im Mittelteil noch einen Ticken besser war als Band 1 und ich schon seit längerem keine so gute Fantasy mehr gelesen habe (seit "Throne of Glass", by the way), die mich so mitgerissen hat, denke ich, erübrigt sich die Frage...
Fazit:
Ein höheres Erzähltempo, gereiftere Charaktere, größere Handlungsdimensionen und eine komplexere Storyline - "Elias und Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht" ist sogar noch ein bisschen besser als sein Vorgänger und überzeugt wieder mit einem mitreißenden Mix aus einem orientalischen Setting, tollen Protagonisten, realitätsnaher Grausamkeit und einem atemberaubenden Schreibstil.