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Veröffentlicht am 01.08.2024

Erzählt einfühlsam von weiblichen Partnerinnenschaften

Haus aus Wind
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Wäre das Haus der Protagonistin Johanna aus Wind gebaut, dann könnte sie nichts umwerfen. Doch im entsprechend benannten Debütroman „Haus aus Wind“ von Laura Naumann ist das Leben von Johanna in Schräglage ...

Wäre das Haus der Protagonistin Johanna aus Wind gebaut, dann könnte sie nichts umwerfen. Doch im entsprechend benannten Debütroman „Haus aus Wind“ von Laura Naumann ist das Leben von Johanna in Schräglage gekommen. Daher nimmt sie sich eine Auszeit und reist an die Algarve, um dort das Surfen zu lernen.

Das Cover setzt sich ausschließlich aus den Zahlen Eins und Null des Binärystems zusammen. Binarität lässt sich auch auf Zweigeschlechtlichkeit beziehen. Daher weist die Umschlaggestaltung auf die bis heute anhaltende Ungleichbehandlung von Frauen im Vergleich zu Männern im Profisport des Surfens hin, die die Autorin unter anderem thematisiert. Das Verständnis wichtiger Dialoge von Johanna mit Personen in ihrem multikulturellen Umfeld in Portugal wird erschwert, weil sie fast alle in Englisch geführt werden, was die Kenntnis der Sprache bei den Lesenden voraussetzt.

Recht bald wird deutlich, dass die fast 30-jährige Ich-Erzählerin Johanna aus ihrem Wohnort Berlin vor etwas geflohen ist, was mir als Leserin zu Beginn noch nicht greifbar wurde. Sie hat Ängste entwickelt, spürt ein Vibrieren im Körper und hofft nun, dass sie sich im Urlaub davon ablenken kann. Vor fast zwanzig Jahren hat sie bereits begonnen, als Synchronsprecherin zu arbeiten und seither keine längere Pause genossen. Nun liegt ein Jahr hinter ihr, dass sie viel Kraft gekostet hat, denn beispielsweise ist ihre Beziehung ist in die Brüche gegangen. In ihrem Reisegepäck befindet sich ein Plüschhamster, mit dem sie sich oft in Lautstärke unterhält. Diese geschickte Gestaltung trägt dazu bei, dass die inneren Konflikte der Protagonistin sichtbar werden.

Immer wieder erzählt Johanna in kurzen Abschnitten von ihrer Kindheit. Ihre Eltern sind engagiert im Beruf, daher ist die Familie finanziell gut aufgestellt. Aber ihre eigene Arbeit lässt ihr wenig Zeit für Freundschaften zu Gleichaltrigen. Sie erzählt in ihrem Umfeld nie von ihren Synchronisationen, um sich nicht vor anderen hervorzutun. Schon in jungen Jahren findet sie eine Partnerin, mit der sie lange Zeit zusammenlebt.

In Portugal erlebt sie eine unbeschwerte, aber körperlich anstrengende Zeit. Sie bewundert ihre Surflehrerin, mag die Art und Weise wie sie sich kleidet und ihre Schüler*innen anleitet. Nach den vierzehn Tagen ihres Urlaubs möchte sie nicht nach Hause zurückkehren, denn es widerstrebt ihr, sich erneut dem Termindruck zu unterwerfen. Sie genießt neue Freundschaften und die Nähe von anderen Frauen, wobei sie sich verliebt, mehrfach sogar. Es ist schwierig für sie, herauszufinden, wie sie ihre Zukunft gestalten möchte. Auf diesem Weg macht sie auch schmerzhafte Erfahrungen. Sie stellt fest, dass auch andere, ebenso wie sie selbst, in der Freiheit des Moments, ihre Vergangenheit nach eigenen Regeln zugänglich machen.

Laura Naumann erzählt in ihrem Debüt „Haus aus Wind“ einfühlsam von weiblichen Partnerinnenschaften. Dabei arbeitet sie heraus, welchen Klischees sich Frauen entgegenzusetzen haben und welchen Problemen sie sich ausgesetzt sehen. Gleichzeitig schaut die Geschichte exemplarisch darauf, welche Ansprüche die Medienbranche in Bezug auf Disziplin und Resilienz bereits an Kinder stellt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 31.07.2024

Faszinierender Auftakt einer Dilogie, deren Protagonistin im Hamburg der 1910er Jahre lebt

Im Nordwind
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Der Roman „Im Nordwind“ ist der erste Band einer Dilogie von Miriam Georg, die die Frauenrechte in der Hansestadt Hamburg in den 1910er Jahren ebenso wie Standesunterschiede in dieser Zeit thematisiert. ...

Der Roman „Im Nordwind“ ist der erste Band einer Dilogie von Miriam Georg, die die Frauenrechte in der Hansestadt Hamburg in den 1910er Jahren ebenso wie Standesunterschiede in dieser Zeit thematisiert. Die Protagonistin Alice ist verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. Gemeinsam wohnen sie in einer kleinen Wohnung in einem zweiten Hinterhaus auf der Uhlenhorst. Einer alten Familienweisheit zufolge bringt Nordwind Ärger, was für Alice zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden scheint.

Alice arbeitet in einer Kämmerei und muss ihren schwer verdienten Lohn bei ihrem Ehemann Henk abliefern. Wenn er sie als ungehorsam empfindet, hat das schmerzhafte Folgen für sie. Als er auch Tochter Rosa immer mehr zurechtweist und Alice sie an Körper und Geist gefährdet ansieht, beschließt sie, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Bei der wöchentlich stattfindenden Sprechstunde der Rechtsberatung der Sozialfürsorge trifft sie auf den Rechtsanwalt John Reeven, der sich dort ehrenamtlich engagiert und ihre Scheidung in die Wege leiten soll.

John stammt aus einer alteingesessenen, angesehenen Unternehmerfamilie, ist verlobt und lebt noch in der elterlichen Villa, die in einer der vornehmsten Gegenden Hamburgs steht. Bei dem ersten Besuch von Alice möchte er ihren Fall schnell zu den Akten legen, denn die geltenden Gesetze sprechen Frauen wenige Rechte in der Ehe zu. Doch Alice beharrt weiterhin auf seine Hilfe und ihre Verletzungen nach einem Ehestreit veranlassen ihn, ihr beizustehen.

Sowohl Alice wie auch Henk stammen aus einer Schaustellerfamilie. Auf den ersten Seiten wird durch den Bruder der Protagonistin angedeutet, dass er sie einmal verloren hat, ohne dass ich zunächst als Leserin die Bemerkung einordnen konnte, Nach etwa einhundert Seiten wechseln Handlungszeit und -ort. Im Jahr 1896 wächst in der Nordmarsch ein Mädchen heran, dass dort ehemals nicht beheimatet war. Schon bald ahnte ich, wer mir aus der Ich-Erzählerin in diesem Perspektivenwechsel seine Geschichte erzählt. Von diesem Zeitpunkt an blickt die Erzählung über die Begebenheiten im Jahr 1913 immer wieder einmal in die Vergangenheit.

Beide Handlungsstränge gestaltet die Autorin dank ihrer sehr guten Recherche authentisch und bewegend. Obwohl man es weiß oder zumindest ahnt, ist es erschreckend darüber zu lesen, wie groß die Unterschiede der Rechte von Frauen im Vergleich zu denen der Männer in der damaligen Zeit waren, Interessant fand ich die Einbindung von speziellen Hamburger Gepflogenheiten, nicht nur in Verbindung mit der Rechtsberatung und Sozialfürsorge, sondern auch mit dem Stand des Adels.

Alice kämpft jedoch nicht nur darum, als gleichwertig in der Ehe angesehen zu werden, sondern ist sich auch Standesunterschieden bewusst. Für ihre Tochter wünscht sie ein unbeschwerteres Leben, als sie es bisher selbst kennengelernt hat. Durch den Kontakt zu John und seiner Familie wird ihr vor Augen geführt, was Wohlstand bewirken kann. Aber von außen ist nicht sichtbar, was die Familie von innen bewegt. Die Krankheit von Johns Vater stürzt die Geschwister Reeven in große Probleme und es kommt zwischen ihnen zu Streitigkeiten.

Miriam Georg ist mit „Im Nordwind“ ein fesselnder erster Band ihrer Dilogie gelungen, der ausgezeichnet zu unterhalten versteht und durchgehend mit dem Schicksal der Protagonistin Alice und den Geschehnissen in der Familie einer fiktiven großen Unternehmensdynastie berührt. Dafür spreche ich sehr gerne eine Leseempfehlung aus und erwarte nun nach dem Cliffhanger am Ende des Buchs ungeduldig die Fortsetzung.

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Veröffentlicht am 23.04.2024

Der abschließende Band! Ein Must-Read für alle Sonderdezernat Q Fans

Verraten
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Mit dem Thriller „Verraten“ schließt der dänische Autor seine Serie rund um das Sonderdezernat Q mit dem zehnten Fall für Kriminalkommissar Carl Morck und seinem Team ab. Der erste Band „Erbarmen“ erschien ...

Mit dem Thriller „Verraten“ schließt der dänische Autor seine Serie rund um das Sonderdezernat Q mit dem zehnten Fall für Kriminalkommissar Carl Morck und seinem Team ab. Der erste Band „Erbarmen“ erschien im Jahr 2007 und trägt den Untertitel „Die Frau im Bunker“. Ebenjener Frau begegnete ich als Leserin im aktuellen Buch erneut, doch wie sie in das Geschehen um die lange erwartete Aufklärung des „Druckluftnagler-Falls“ involviert ist, verrate ich nicht.

Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Rückblick auf den Beginn einer Ermittlung im Jahr 2006, an dem damals Carl und seine Kollegen Hardy und Anker beteiligt waren. Wie man als Fan der Thriller-Reihe weiß, endete die Szene in einem Fiasko, was man später detailliert erklärt bekommt. In einem weiteren Prolog wurde mir der Rotterdamer Polizist Eddie vorgestellt, der tief in zwielichtige Machenschaften verwickelt zu sein scheint und von oberen Mächten einer Organisation für sein Fehlverhalten bedroht wird. Erst dann beginnen die Kapitel, von denen das erste die letzte Szene des neunten Falls „Natrium Chlorid“ nahtlos fortsetzt.

Am zweiten Weihnachtstag 2020 wird Carl wegen Drogenhandels und unter Mordverdacht verhaftet. Im Gefängnis verweigert man ihm eine Isolation von den anderen Häftlingen, obwohl er als Ermittler mit Übergriffen rechnet. Er hat für einige Schuldsprüche von Täter(inne)n vor Gericht gesorgt und in Verbrechenskreisen ist das weitläufig bekannt. Dagegen halten seine Kollegen ihn nun für korrupt und er erhofft sich von ihnen wenig Hilfe. Carl vertraut einzig seiner Frau sowie seinem Team des Sonderdezernats Q, die aber von oberster Seite aufgefordert sind, sich aus den Ermittlungen gegen Carl herauszuhalten. Carls Situation wird noch brisanter, als sich während der Haft herausstellt, dass der- oder demjenigen eine hohe Summe ausgezahlt wird, die oder der ihn ermordet.

Carl muss Taktik einsetzen, um sich selbst zu schützen, doch auch er durchschaut nicht immer den Charakter der Mithäftlinge sowie Wärter und Wärterinnen. Er muss viel Geduld aufbringen, denn er selbst hat keine Möglichkeit, die gegen ihn gerichteten Vorwürfe zu entkräften. Der Autor lässt einige zweifelhafte Figuren auftreten. Über der Handlung steht ständig die große Frage, ob Carl im Druckluftnaglerfall unschuldig ist oder nicht. Wird er sich endlich an weitere Details der Szene erinnern, in der einer seiner Kollegen den Tod fand und der andere schwer verletzt wurde? Umso erstaunlicher ist es, dass man ihm nun selbst nach dem Leben trachtet.

Von Beginn an baut Jussi Adler-Olsen zunehmend Spannung auf, die er durch immer neue Wendungen bis zum Ende hochhält. Mir als Leserin kamen bereits durch die Rolle von Eddie die ersten Gedanken dazu, in welcher Richtung ein oder mehrere Drahtzieher(innen) mit einem Interesse am Ableben von Carl zu finden ist oder sind. Auch das Team vom Sonderdezernat Q hat keinen leichten Stand und beweist in seinem letzten Fall wie gut man einander kennt, seine Stärken einbringen kann und sich aufeinander verlässt, ohne dass man ausführlich darüber diskutiert.

Im Thriller „Verraten“, dem zehnten und letzten Fall für sein Cold Case Dezernat der Kopenhagener Polizeibehörde, läuft Jussi Adler-Olsen noch einmal zur Höchstform auf. Zwar sind die dargestellten Ereignisse zunehmend überspitzt, sorgen aber im wahrsten Sinne des Wortes für Sprengkraft und Nervenkitzel mit einem überraschenden Bösewicht am Ende. Der abschließende Band ist für alle Carl Morck Fans ein Must-Read und eine Empfehlung für alle Thrillerlesende.

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Veröffentlicht am 09.04.2024

Das Für und Wider eines Medikaments zur Verjüngung - unterhaltsam dargestellt

Wir werden jung sein
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Möchten wir jünger werden, wenn wir die Gelegenheit dazu erhalten würden? Diese Frage diskutiert Maxim Leo in seinem Roman „Wir werden jung sein“, wobei er die Umkehrung des Alterungsprozesses an der Regeneration ...

Möchten wir jünger werden, wenn wir die Gelegenheit dazu erhalten würden? Diese Frage diskutiert Maxim Leo in seinem Roman „Wir werden jung sein“, wobei er die Umkehrung des Alterungsprozesses an der Regeneration von Zellen verankert. Der Protagonist Martin ist Studienleiter eines Projekts, das ein Medikament mit dem Ziel entwickelt, chronische Herzmuskelschwächen erfolgreich zu behandeln, indem es Zellen erneuert und eventuell auch neue Zellen generiert.

Die Studie hat bisher nur eine kleine Anzahl von vier Probanden mit schlechten Heilungschancen. Der sechszehnjährige Schüler Jakob, der achtzigjährige Bau- und Immobilienunternehmer Karl Wenger, die 34-jährige, bei früheren Schwimmwettkämpfen erfolgreiche Verena und die Lehrerin Jenny nehmen seit einiger Zeit die aussichtsreiche Arznei, von der sie rasch nicht nur eine Besserung verspüren, sondern die ihre Körperfunktionen auf einen Fitnessstand bringt, den sie vor mehreren Jahren erreichten. Martin erprobt das Medikament auch an sich selbst und verfüttert es an seinen alten Hund.

Maxim Leo hat mit seinen Testpersonen eine gute Auswahl getroffen, um die Annehmlichkeiten der Arznei ebenso aufzuzeigen wie die Schattenseiten. Bei Wenger steht bereits der Nachwuchs bereit, das Unternehmen weiterzuführen und Verena erntet für ihre aktuellen sportlichen Leistungen nicht nur Ruhm. Ein Wunsch geht für Jenny in Erfüllung, aber Jakobs jugendlicher Körper entwickelt sich in einer Phase der Verliebtheit auf den Stand eines Kinds zurück. Doch der Autor führt nicht nur an, welche Konsequenzen die Verjüngung für die Proband(inn)en und ihr Umfeld haben können, sondern er verweist ebenfalls auf ethische Konsequenzen und wirft die Frage auf, wer Zugang zu dem erprobten Verjüngungsmittel haben sollte. Zum Ende hin steigerte er meine Zweifel als Leserin, ob ein solches Medikament sinnvoll ist, indem er Bedenken auf die Zukunft einer Welt ausstreut, deren Bewohner nicht mehr zwangsläufig sterben müssen.

Maxim Leo hat sich für die authentische Gestaltung seines Romans fachkundige Hilfe geholt. Die Geschichte ist trotz der Auseinandersetzung mit einem ernsten Thema von heiteren Momenten durchzogen. Durch die Auflistung immer weiterer Auswirkungen des verjüngenden Präparats entwickelt sich eine hintergründige Spannung, die mich nicht nur rasch weiterlesen ließ, sondern schließlich auch ins Grübeln brachte. Durch eine kurze Recherche erfuhr ich, dass das Szenario des Autors nicht mehr allzu weit von der Realität entfernt ist. Noch bin ich mir unklar, ob ich das beängstigend oder beruhigend finden sollte.

In seinem Roman „Wir werden jung sein“ setzt sich Maxim Leo auf eine lesenswerte, vielfach heitere und unterhaltende Weise mit dem Für und Wider eines Medikaments zur Verjüngung unserer Körperzellen auseinander. Ohne sich selbst zu positionieren, wirft er in diesem Zusammenhang zahlreiche Fragen moralischer Natur auf, die unsere Gesellschaft in die Verantwortung nehmen wird. Ich empfand die Geschichte nicht nur als interessante Lektüre, sondern sie ließ mich auch nachdenklich zurück. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 28.03.2024

Erschütterndes, tief bewegendes Leseereignis

Geordnete Verhältnisse
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In ihrem Roman „Geordnete Verhältnisse“ betrachtet Lana Lux die toxische Beziehung zwischen Philipp und seiner besten Freundin Faina. Die beiden lernen sich in der Schule kennen, nachdem Faina im Alter ...

In ihrem Roman „Geordnete Verhältnisse“ betrachtet Lana Lux die toxische Beziehung zwischen Philipp und seiner besten Freundin Faina. Die beiden lernen sich in der Schule kennen, nachdem Faina im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern aus der Ukraine ins Ruhrgebiet gezogen ist. Dagegen ist Philipp als Kind eine Weile bei Verwandten aufgewachsen, bevor er wieder bei seiner Mutter wohnen darf, die gegen ihren Alkoholismus ankämpft.

Philipp wird schnell wütend, manchmal schlägt er dann zu oder schreit. In der Freundschaft zu Faina findet er eine Aufgabe, denn er hilft ihr beim Deutschlernen und erklärt ihr deutsche Angewohnheiten. Durch Faina lernt er eine andere Mentalität kennen. Fünfzehn Jahre nach der ersten Begegnung wohnen Philipp und Faina zusammen, sind aber kein Paar. Philipp entwickelt keine Anziehung zu anderen Personen, fühlt sich jedoch auf besondere Weise mit seiner langjährigen Freundin verbunden. Doch nach einem Streit kommt es zum Bruch der Freundschaft und Faina zieht nach Berlin. Nach mehreren Jahren sucht sie verzweifelt die Nähe von Philipp, der sie wieder bei sich aufnimmt. Aber seine Hilfe fordert einen hohen Preis von Faina.

Lana Lux erzählt den Beginn der Freundschaft zunächst aus der Sicht von Philipp. Erst als Faina nach ihrer Rückkehr aus Berlin Aufnahme bei ihrem besten Freund sucht, wechselt die Erzählperspektive zu ihr. Nach einem erneuten zeitlichen Sprung und einem erklärenden Kapitel, das beide in den Fokus nimmt, lässt die Autorin beide im Wechsel, den sich zuspitzenden Konflikt bis zum tragischen Ende erzählen.

Eine große Stärke der Autorin besteht in der Figurengestalten. Philipp ist ein verstörtes Kind, dessen größter Wunsch ein bester Freund ist. Er beharrt meist auf seiner Meinung, erweist sich als besitzergreifend und hält gern an Ritualen fest, die er sich ausgedacht hat. Fainas Verhalten ist zunächst von ihrer Herkunft beeinflusst. Da die Autorin selbst ukrainisch-jüdische Wurzeln hat, gelingt es ihr, diese authentisch darzustellen. Später versucht Faina sich aus den an sie gestellten Erwartungen zu befreien und zu einer eigenen Identität zu finden. Ohne die Interventionen ihrer Eltern und Philipps fühlt sie sich frei und lotet ihre Grenzen aus. Die Protagonisten entwickeln sich auf ihre Weise jeweils unerwartet weiter, was zu einem hohen Reiz des Weiterlesens führt.

In einem großen Bogen vom Kindes- zum Erwachsenenalter beschreibt Lana Lux tiefgründig und ergreifend die großen Gefühle ihrer Hauptfiguren, die zum Verständnis dessen beitragen, was zum Abschluss der Geschichte geschieht. Als Leserin spürte ich Wut und Verzweiflung ebenso wie Hoffnung und Zuneigung. Von Anfang an war die Beziehung von Philipp und Faina von dunklen Wolken umweht, die sich schließlich zu einem Gewittersturm auswuchsen.

Im Roman „Geordnete Verhältnisse“ konfrontiert Lana Lux den Lesenden mit starken Empfindungen, die für die beiden Protagonisten genauso erleichternd wie auch schmerzlich sein können. Es ist ein realistisch vorstellbares Szenario, das die Autorin beschreibt und für mich zu einem erschütternden, tief bewegenden Leseereignis führte. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

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