hautnah. lebendig. wichtig.
In die andere Richtung jetzt85% der Weltbevölkerung machen nur 11% der Berichterstattung in Deutschland aus, schreibt der Reporter Navid Kermani. Kein Wunder, dass das Wissen über den Globalen Süden gering und einseitig ist. Auch ...
85% der Weltbevölkerung machen nur 11% der Berichterstattung in Deutschland aus, schreibt der Reporter Navid Kermani. Kein Wunder, dass das Wissen über den Globalen Süden gering und einseitig ist. Auch er, der Islamwissenschaftler und Schriftsteller ist, kennt sich bislang mit Ostafrika wenig aus. Deswegen reist er dort hin und trifft Menschen, die ihm vom Alltag berichten – in Madagaskar, Mosambik, Sudan, Kenia, Äthiopien und Tansania.
Es sind keine schönen und hoffnungsvollen Geschichten, die ihm erzählt werden. Sondern sie handeln von Hunger, Vergewaltigung, Dürre, Gewalt, Krieg. Der europäische Kolonialismus, korrupte Eliten, Klimawandel, Fundamentalismus und wirtschaftliche Interessen an Bodenschätzen werden als Gründe für die fatalen Lebensumstände genannt.
Er hätte auch von den vielen positiven Geschichten und Begegnungen schreiben können, sagt Kermani. Von Gelassenheit, Freundlichkeit, den Umgang mit Kindern, spektakulären Landschaften oder jahrtausende alten Kulturen. Doch das wäre ein anderes Buch gewesen. Denn: „es war nicht meine Aufgabe, die Schönheit zu beschreiben oder auch nur die Normalität. Der ganze Anlass der Reise war schließlich, dass in Madagaskar Hunger herrschte, und bei uns bekam es kaum jemand mit. Es stimmt, ich hatte mir vorgenommen, auch über das Leben zu schreiben, aber dann erschien mir die Not so viel dringlicher.“ (S. 267).
»In die andere Richtung jetzt. Eine Reise durch Ostafrika« beruht auf Kermanis Reportagen für die ZEIT, in denen er sich auch den Raum nimmt zum Nachdenken und Reflektieren. Leise prangert es die Ungerechtigkeiten an. Dabei lässt der Autor den OstafrikanerInnen den Vortritt, ihre Perspektive zu schildern – ohne mit erhobenen Zeigefinger oder hochtrabend akademischen Duktus zu erklären oder zu kontextualisieren. Nein; das Buch liefert keine Analysen oder Antworten, sondern schöpft seine Kraft durch die hautnahen und lebendigen Erzählungen normaler Menschen. Stolz und resilient erzählen die ProtagonistInnen, wertschätzen ihre Kultur und Heimat und schildern gleichzeitig eindrücklich unvorstellbares Leid. Die Geschichten zwingen uns, nicht wegzusehen. Zwingen uns, sie ernst zu nehmen.
(Rezension zuerst erschienen im HABARI-Magazin des Tanzania Network e.V. 2024/04)