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Veröffentlicht am 31.08.2024

Wasser verbindet uns und alles

Am Himmel die Flüsse
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„Am Himmel die Flüsse“ von Elif Shafak ist ein beeindruckendes Werk, das historische Tiefe mit einer fesselnden Erzählkunst vereint. Das schlichte, doch eindrucksvolle Cover, das die Symbolik des Wassers ...

„Am Himmel die Flüsse“ von Elif Shafak ist ein beeindruckendes Werk, das historische Tiefe mit einer fesselnden Erzählkunst vereint. Das schlichte, doch eindrucksvolle Cover, das die Symbolik des Wassers einfängt, verweist auf das, was alles vereint und zieht den Leser in die Geschichte hinein.
Elif Shafak erzählt die miteinander verflochtenen Geschichten dreier Figuren, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, jedoch durch das Wasser auf eine tiefere Weise verbunden sind. Arthur, der im 19. Jahrhundert in den Abwasserkanälen Londons aufwächst, begibt sich später auf eine abenteuerliche Reise in den Nahen Osten, um das Gilgamesch-Epos zu erforschen. Zaleekhah, eine irakischstämmige Hydrologin unserer Zeit, bewegt sich ebenso sicher in den Wasserkreisläufen der Natur wie in den Strömen ihrer inneren Welt. Und Narin, ein kleines Mädchen aus der Gemeinschaft der Jesiden, besitzt eine besondere Gabe, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat und die sie eng mit dem Wasser verbindet. Die Erzählstränge bewegen sich auf unterschiedlichen zeitlichen Ebenen, haben alle mit dem Orient und Mesopotamien zu tun und vor allem mit Wasser.
Shafak gelingt es meisterhaft, historische Ereignisse und aktuelle Themen in die Handlung zu integrieren, ohne den Lesefluss zu unterbrechen. Sie beleuchtet die Verfolgung der Jesiden, die Unterdrückung von Frauen und die Zerstörung kulturellen Erbes und stellt wichtige Fragen zu dem richtigen Umgang mit antiken Kunstwerken, die heute in westlichen Museen ausgestellt sind. Diese Themen sind geschickt in die Erzählung verwoben, sodass der Leser sich nicht belehrt fühlt, sondern mitgerissen wird von der Strömung der Geschichte.
Die sorgfältige Recherche, die in die detaillierte Darstellung historischer und geografischer Aspekte eingeflossen ist, verleiht dem Buch eine Authentizität, die selten so wirkungsvoll erreicht wird. Die fließenden Wechsel zwischen den Perspektiven und Zeitebenen verbinden sich am Ende zu einem großen Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Shafaks Sprache ist klar und zugleich poetisch, und sie fängt sowohl die Schönheit als auch die Schrecken der geschilderten Welt auf meisterhafte Weise ein.
„Am Himmel die Flüsse“ ist nicht einfach ein Buch, das man liest, sondern eine Erfahrung, die man durchlebt. Es regt zum Nachdenken an – über die Geschichte der Menschheit und die ewigen Kreisläufe, die uns alle verbinden. Ein tief bewegender Roman, der lange im Gedächtnis bleibt und Elif Shafak als eine der großen Erzählerinnen unserer Zeit bestätigt. Eine klare Empfehlung für alle, die literarische Tiefe mit historischem Bezug schätzen.

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Veröffentlicht am 31.08.2024

Intensiver Roman über Identität und Schicksale

Nur nachts ist es hell
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Judith W. Taschler beweist mit ihrem neuesten Roman einmal mehr, warum sie zu meinen liebsten Erzählerinnen zählt. Die Fortsetzung der Geschichte der Familie Brugger aus dem Buch „Über Carl reden wir morgen“ ...

Judith W. Taschler beweist mit ihrem neuesten Roman einmal mehr, warum sie zu meinen liebsten Erzählerinnen zählt. Die Fortsetzung der Geschichte der Familie Brugger aus dem Buch „Über Carl reden wir morgen“ ist ein eindringliches Porträt über familiäre Bindungen, gesellschaftliche Herausforderungen und die Kraft des persönlichen Engagements. Mit einer einfühlsamen und dichten Erzählweise schafft es die Autorin, mich unmittelbar in das Leben der Protagonistinnen hineinzuziehen und mich ihre Schicksale intensiv und kraftvoll miterleben zu lassen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Elisabeth, die jüngste Tochter der Familie Brugger, die ihre Erlebnisse und die Geschichte ihrer Familie in einem monologisierenden Brief an Christina, die Tochter ihrer Nichte, festhält. Besonders fesselnd ist Elisabeths Weg als Frau in der Medizin, der sie zu Themen führt, die in ihrer Zeit und Umgebung tabuisiert sind. Sie engagiert sich mit bemerkenswertem Mut und auch für Frauen, die ungewollt schwanger werden und in ihrer Verzweiflung auf gefährliche „Engelmacherinnen“ angewiesen sind. Judith W. Taschler geht dabei mit großer Sorgfalt und Tiefe auf die schwierigen gesellschaftlichen Umstände ein, ohne je den emotionalen Kern der Geschichte zu verlieren.
Doch nicht nur Elisabeths beruflicher Weg wird beleuchtet. Der Roman zeigt auch die vielen Facetten des Lebens innerhalb der Familie Brugger, die von Geheimnissen und unerwarteten Wendungen geprägt sind. Diese familiären Verstrickungen und die Frage nach der Wahrheit lassen mich immer tiefer in die Geschichte eintauchen und sorgen für eine durchgehende Spannung.
Judith W. Taschler gelingt es, mit einem feinen Gespür für Sprache und Atmosphäre eine Welt zu erschaffen, die nicht nur glaubwürdig, sondern auch packend ist. Die Geschichte entfaltet sich mit einer solchen Intensität, dass man als Leser
in die Entwicklungen beinahe hautnah miterlebt. In ihrem Monolog springt Elisabeth zuweilen in der Zeit ohne dass dies immer kenntlich gemacht würde. Mit Aufmerksamkeit gelingt das Lesen jedoch gut. Das Buch ist gut verständlich ohne die Vorgeschichte aus „Über Carl reden wir morgen“ gelesen zu haben. Beides bewegende Bücher.

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Veröffentlicht am 04.08.2024

Feinfühlige Erzählung von einer temporären Schicksalsgemeinschaft

Taumeln
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Sina Scherzant erzählt von einer kleinen Gemeinschaft von Menschen. Sie haben sich nach dem Verschwinden von Luisas Schwester Hannah zusammengefunden, um regelmäßig - auch noch zwei Jahr nach dem Verschwinden ...

Sina Scherzant erzählt von einer kleinen Gemeinschaft von Menschen. Sie haben sich nach dem Verschwinden von Luisas Schwester Hannah zusammengefunden, um regelmäßig - auch noch zwei Jahr nach dem Verschwinden der schönen Hannah - im Wald nach dem Verbleib der Vermissten zu suchen. Sie eint die Hoffnung auf ein Zeichen von Hannah, die Sehnsucht nach einer Lösung für die eingezwängte Trauer durch den Verlust und sie unterscheiden sich in ihren Motiven und Lebenslagen.

Die Autorin kann die einzelnen Figuren und deren persönliche Tiefe gut in den Äther der Geschichte bringen. Ganz feinfühlig, behutsam und wie sprachliches Pulver erhält jede handelnde Person eine Bühne, wird jede Zwischenmenschlichkeit authentisch platziert und kann mich beim Lesen jede Schwingung emotional betroffen machen. Das Buch lebt in einer ganz eigenen Geschwindigkeit. Obwohl der Plot keine reißerischen Wendungen hat und die Story plätschert, muss ich immer weiter lesen und bin gefangen in den Sphären dieser Menschen, die jeder auf der Suche nach etwas anderem sind.

Das Buch hat keinen besseren Titel als „Taumeln“. Jeder einzelne dargestellte Charakter taumelt auf seine Weise ebenso wie Luisa und ihre Eltern im Mäander des Lebens. Poetisch, tiefgehend, fesselnd.

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Veröffentlicht am 29.07.2024

Persönlichkeitsstudie einer verunsicherten Mutter

Kleine Monster
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Luca soll in der Schule unsittlich zu einem Mädchen geworden sein. Die Eltern, Pia und Jakob, reagieren unterschiedlich. Während Jakob zuversichtlich und voller Vertrauen in die Situation geht, struggelt ...

Luca soll in der Schule unsittlich zu einem Mädchen geworden sein. Die Eltern, Pia und Jakob, reagieren unterschiedlich. Während Jakob zuversichtlich und voller Vertrauen in die Situation geht, struggelt Pia. Sie versucht auf ihre Weise, die Szene aufzulösen. Und dann beginnt ihre Vergangenheit mit der Gegenwart zu verschwimmen. Ihre Adoptivschwester Romi findet sich in der Geschichte wieder. In Romis Gegenwart war einst deren gemeinsame Schwester Linda ertrunken.

Beim Lesen ergibt sich die Innenwelt einer Mutter, welche hochgradig geprägt ist von ihrer eigenen Kindheit und Ursprungsfamilie. Die Macht des Schweigens in der Vergangenheit lässt Pia bis heute misstrauisch sein, das Verhalten von Luca stets argwöhnisch hinterfragen und in ihrer eigenen Unsicherheit gefangen mäandrieren. Pia lebt nach modernen Erziehungsmethoden wie bspw. einer Tendenz zur unisexuellen Erziehung, bemüht sich den Sohn gefühls- und bedürfnisbetont zu begleiten. Luca reagiert mit Schweigen und zeigt sich zuweilen als kleines Monster, so wie Romi.

Die Geschichte um Pia, ihren Mann Jakob und den Sohn Luca wird zunehmend verwoben mit Rückblicken in die Herkunftsfamilie von Pia, in der über die wichtigen Dinge nicht gesprochen wurde, in der das Wesentliche ungesagt blieb. Die eigenen Eltern arbeiteten viel mit Verboten, welche wiederum auch unausgesprochen blieben. Man tat eben vieles nicht. Pia resümiert über ihre eigene Familie: „Die Strenge, die Regeln sind nichts anderes als der Ausdruck ihrer Liebe zu uns.“ Diese Verzerrungen fressen sich bis ins Heute, in dem Pia auch als Erwachsene differenziert zurück- und ihre Eltern anblickt. „Vielleicht ist nicht alles schwarz oder weiß. Es ist Zeit, in den Schattierungen zu leben.“

Der Roman kommt nah an einen Psychothriller, dessen Aussagen zwischen den Zeilen stehen. Kunstvoll wird eine Spannung aufgebaut, ob und wie Pia mit ihrem Sohn in einen Frieden oder ein großes Drama steuert. Am Ende verweben sich Pias Vergangenheit und ihre Gegenwart in ein schmerzhaft zu lesendes Ende.

Ich habe das Buch in einem Ritt gelesen und würde es immer wieder tun.

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Veröffentlicht am 25.07.2024

Genese einer Kindstötung

Dann schlaf auch du
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Zwei Kinder sterben, so beginnt das Buch. Diese unfassbare Tat wird eindringlich plastisch erzählt. Die bohrende Frage bleibt: Wie konnte das passieren? Das Buch baut diese Story auf.

Geschildert wird ...

Zwei Kinder sterben, so beginnt das Buch. Diese unfassbare Tat wird eindringlich plastisch erzählt. Die bohrende Frage bleibt: Wie konnte das passieren? Das Buch baut diese Story auf.

Geschildert wird eine in Paris lebende Familie mit zwei kleinen Kindern, Adam und Mila. Die Eltern sind schwer beschäftigt, leben für ihre Arbeit und geben ihren wichtigsten Schatz, die Kinder, an eine Nanny, Louise, weiter. Diese scheint besonders perfekt, hält neben der Kinderbetreuung auch den Haushalt in Schuss. Ein Glücksfall für Eltern. Ein Freibrief rund um die Uhr zu arbeiten und nicht genau hinzusehen.

Im Fortgang der Geschichte spielt die Autorin Perspektiven der Vergangenheit, Beteiligter und insbesondere von Louise ein. Ihre Einsamkeit, die heimliche Not in ihrem Privatleben und die verstörende Fixierung darauf, die perfekte Nanny für Adam und Mila zu sein, bewegen.

Der Schreibstil ist flüssig, prägnante Worte und unverblümte Sprache bringen das Geschriebene schnell auf den Punkt, so dass es mitten ins Mark trifft. Beim Lesen will ich das Buch schütteln und mich bewahren vor der geschilderten Entwicklung. Unaufhaltsam steuert die Story auf das Unfassbare zu.

Dieses Buch ist ein Thriller für die Empathie, ein unaufhaltsames Psychogramm und insgesamt eine lesenswerte Lektüre.

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