Beeindruckende Biografie
„...Meine arme Schwiegertochter begreift nicht, dass sie die Dynastie und sich selbst ruiniert. Sie glaubt aufrichtig an die Heiligkeit eines Abenteurers, und wir sind ohnmächtig, das Unglück abzuwenden, ...
„...Meine arme Schwiegertochter begreift nicht, dass sie die Dynastie und sich selbst ruiniert. Sie glaubt aufrichtig an die Heiligkeit eines Abenteurers, und wir sind ohnmächtig, das Unglück abzuwenden, das unvermeidlich sein wird...“
Grigori.Jefimowitsch Rasputin – wer war der Mann, der die russische Gesellschaft und Kirche gespalten hat, der Zugang zum Palast des Zaren hatte, obwohl er nicht aus dem Adel stammte, und über den eine Menge an Mythen und Geschichten kursierten? Der Autor Douglas Smith, Historiker und Russland-Spezialist, hat eine Annäherung an die vielschichtige Persönlichkeit von Rasputin versucht. Gleichzeitig zeichnet er ein Zeitgemälde der russischen Oberschicht in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts.
Der Autor hat die Biografie in sieben Teile gegliedert.
Im ersten Teil fragt er nach Rasputins Vorfahren. Er beschreibt, so weit bekannt, seine Kindheit und Jugend als Sohn eines Bauern im sibirischen Dorf Pokrowskoje, seine Pilgerschaft und sein Leben bis zu seiner Reise nach St. Petersburg im Jahre 1904.
Der zweiten Teil beschäftigt sich mit den zunehmenden Kontakten von Rasputin zum Zarenhaus und endet 1909.
Die Jahre 1910 und 1911 lassen Rasputin immer mehr in die öffentliche Wahrnehmung gelangen. Die Gesellschaft trennt sich in Bewunderer und Gegner.
Der vierte Teil widmet sich den Untersuchungen gegen Rasputin, dem ersten Attentat und seinem Verhalten bis Juni 1914.
Danach setzt sich der Autor mit dem Leben des Protagonisten in den ersten beiden Kriegsjahren auseinander. Sein Verhalten gegenüber Frauen und sein Alkoholismus werden ebenso thematisiert wie seine politischen und religiösen Ansichten. Ein Zitat aus einem seiner Briefe zeigt, dass er sich anfangs gegen die Kriegsteilnahme Russlands ausgesprochen hat:;
„...Ich weiß, sie alle wollen den Krieg von Dir und begreifen offenbar nicht, dass er den Ruin bedeutet...“
Der sechste Teil spannt den Bogen bis zur Ermordung Rasputins und beleuchtet die darauf folgenden Untersuchungen.
Der letzte Teil endet mit dem Tode des Zaren und seiner Familie.
Der Schriftstil des Buches ist sehr sachlich gehalten. Trotzdem lesen sich manche Teile wie ein Roman, denn der Autor versteht es, trockene Themen anschaulich darzustellen.
In jeder Zeile ist die exakte und umfangreiche Recherche des Autors spürbar. Er hat eine Vielzahl an Originaldokumenten studiert und verwendet. Eingerückt im Text wird häufig aus diesem Dokumenten, seien es Zeitungsartikel, Briefe oder Bücher, zitiert. Dabei werden die verwendeten Aussagen aus verschiedenen Blickwinkel beleuchtet, unterschiedliche Quellen miteinander verglichen und dann kritisch der Wahrheitsgehalt überprüft. Viele Aussagen verweist der Autor dabei ins Reich der Mythen und Legenden, weil sie persönliche Standpunkte wiedergeben und einer Überprüfung an der gesellschaftlichen Realität nicht standhalten.
Obiges Zitat stammt aus einem Brief von Maria Fjodorowna, der Mutter des Zaren. Sie muss ohnmächtig zusehen, wie Alexandra den Zaren dominiert.
Doch der Autor hat es nicht nur bei der Biografie von Rasputin belassen. Er erzählt dessen Leben im Lichte der politischen Verhältnisse im zaristischen Russland. Am Zarenhof trifft man auf eine Gesellschaft, die die Bodenhaftung verloren hat und sich an Dekadenz überbietet. Zar Nikolaus ist nicht sehr entscheidungsfreudig und hat keinen Blick für die Nöte seines Volkes. Die Frauen der gehobenen Gesellschaft frönen dem Okkultismus. Da kommt ihnen ein sibirischer Bauer gerade recht, der geschickt mit Worten umzugehen weiß. Alexandra, die Zarin, macht dabei keine Ausnahme. Hinzu kommt, dass sie in Rasputin den Retter ihres kranken Sohnes Alexei sieht.
Die russisch-orthodoxe Kirche ist ebenfalls vorwiegend mit sich beschäftigt. Rasputin polarisiert. Für die einen ist er ein Altgläubiger, andere verehren ihn. Exakt beschreibt der Autor die Lebensläufe etliche Personen, die Rasputins Weg gekreuzt haben, seine es Freunde oder Feinde. Insbesondere Iliodor sind dabei umfangreiche Abschnitte gewidmet. Als geschworener Feind Rasputins hat er versucht, sein Wissen nicht nur in Russland zu Geld zu machen. Mit seinem Buch „Der heilige Teufel“ hat er seine Version von Rasputins Leben dargelegt. Der Autor Douglas Smith weist allerdings nach, dass der Wahrheitsgehalt eher minimal ist. Das Buch enthält mehr Phantasien als Tatsachen.
Deutlich wird herausgearbeitet, wie sich die Situation zuspitzt. Geheimdienst, Presse und Duma interessieren sich zunehmend für den Mann, dem man eine aktive Rolle bei politischen Entscheidungen zuspricht. Die Zeit verändert aber auch Rasputin, je mehr er zum einzigen Feind hochstilisiert wird. Die wahren Gefahren für die russische Gesellschaft werden nicht gesehen. Dieses Zwiespalt stellt der Autor ausgezeichnet dar. Auch das folgende Zitat bringt dies zum Ausdruck:
„...Fast kein Russe sah mehr realistisch, was mit seinem Land geschah, wer dafür verantwortlich war und wie Russland gerettet werden könnte...Für die meisten Menschen musste Rasputin sterben, damit Russland leben konnte. Bald sollten sie erkennen, wie sehr sie sich geirrt hatten...“
Eine Karte Russlands und ein Stadtplan von ST. Petersburg ergänzen das Buch. Im Anhang befinden sich ein umfassende Anmerkungen, eine Bibliografie, Bildnachweise und ein Register. Eingebettet in die Biografie wurden an zwei Stellen insgesamt 102 Fotos.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.