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Veröffentlicht am 22.08.2024

Die Möglichkeit einer Heimat

Als wir Schwäne waren
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Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was ...

Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was den Vater zu einem Job als Taxifahrer zwingt. In einer Wohnung im Plattenbau in Bochum leben sie als drei Ausländer unter vielen.

„Als wir Schwäne waren“ ist ein Roman von Behzad Karim Khani.

Der Roman setzt sich - nach dem Prolog - aus drei Teilen zusammen. Sie bestehen jeweils aus kurzen, teils sehr knappen Kapiteln.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Reza. Geschildert werden seine Kindheit, seine Jugend und die Zeit als junger Erwachsener. Trotz der chronologischen Erzählweise wirkt der Roman in den ersten beiden Teilen auf mich wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Das liegt möglicherweise an den thematischen und zeitlichen großen Sprüngen zwischen den Kapiteln.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman dennoch überzeugt. Der Stil ist geprägt von kurzen Sätzen, einer reduzierten Sprache und treffenden Bildern. Dabei wird viel Atmosphäre und Zeitgeist vermittelt, etliche Assoziationen werden geweckt. Kein Wort ist dabei zu viel, keins zu wenig.

Im Mittelpunkt des Romans steht die dreiköpfige Familie. Nicht nur Rezas Innenleben wird anschaulich dargestellt, sondern auch die Ansichten und Gefühlslage der Eltern werden deutlich. Diese und weitere Figuren wirken lebensnah. Dem Roman ist anzumerken, dass der Autor autobiografische Elemente verarbeitet hat.

An der Lektüre hat mich gereizt herausfinden, wie Migranten Deutschland empfinden und welche Schwierigkeiten das Ankommen bereitet. Zwar begegnet Reza hin und wieder Alltagsrassismus. Dieser wird jedoch nur am Rande thematisiert. Das mag auch damit zu tun haben, dass seine Familie im Ghetto lebt und der Junge viel mehr Zeit mit anderen Ausländern als mit Deutschen verbringt, obwohl er es aufs Gymnasium schafft. Wieso er eine riesige Wut auf Deutschland entwickelt, warum er trotz des höheren Bildungswegs zwischenzeitlich abrutscht und weshalb er der Ansicht ist, im Ausland mehr Glück zu haben, all das wird leider nur in Ansätzen erklärt. Zwar mag dies damit begründet sein, dass der Lebenslauf exemplarisch für so viele Migrantenbiografien stehen soll. Diese und sonstige Leerstellen auf den nur knapp 190 Seiten machten es für mich allerdings schwierig, alles nachzuvollziehen und zu verstehen.

Auf inhaltlicher Ebene geht es stattdessen zumeist um Gewalt und Kriminalität. Dennoch hat die Geschichte auch ihre witzigen Momente, wobei ich nicht sicher bin, ob die Komik an all diesen Stellen beabsichtigt ist.

Gut gefallen hat mir, wie toll das ungewöhnliche Cover und der Titel miteinander harmonieren. Der Schwäne-Vergleich klingt nicht nur poetisch, sondern passt auch hervorragend zur Geschichte.

Mein Fazit:
Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen sprachlich beeindruckenden Roman geschrieben, der zwar einige Fragen offen lässt, aber durchaus lesenswert ist.

Veröffentlicht am 14.08.2024

Eine Odyssee nach Gringolandia

Solito
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Frühjahr 1999: Javier Zamora ist erst neun Jahre alt, als er seine Kleinstadt in El Salvador verlassen und seinen Eltern in die USA folgen soll. Bis dahin war er behütet bei seinen Großeltern und seiner ...

Frühjahr 1999: Javier Zamora ist erst neun Jahre alt, als er seine Kleinstadt in El Salvador verlassen und seinen Eltern in die USA folgen soll. Bis dahin war er behütet bei seinen Großeltern und seiner Tante aufgewachsen. Nun aber hält ihn seine Familie bereit dafür, die riskante illegale Migrantenroute in die Vereinigten Staaten zu nehmen. Mit einem Schleuser, aber ohne die Begleitung von ihm vertrauten Personen soll der Junge tausende Kilometer quer durch Mittelamerika und über die US-amerikanische Grenze bewältigen. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht…

„Solito“ ist ein Memoir von Javier Zamora.

Das autobiografische Buch besteht aus neun Kapiteln, die anhand der Tage in weitere Abschnitte untergliedert sind. Das erzählte Geschehen umfasst die Zeit vom 16. März 1999 bis zum 11. Juni 1999, wobei es eine Art Nachtrag vom 5. April 2021 gibt.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Javier, streng chronologisch und mit kindlicher Erzählstimme. Letzteres hat die Folge, dass die mitunter sehr detaillierten Schilderungen zwar anschaulich und atmosphärisch, jedoch Syntax und Vokabular recht einfach gehalten sind. Nur an einigen wenigen Stellen fallen starke Bilder und sprachlich beeindruckende Beschreibungen auf. Auch das angehängte Glossar kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ungerechtfertigte Häufung spanischer Begriffe und Wendungen leider das Verständnis des Textes und das Lesevergnügen trübt.

Besonders gelungen ist die Figurenzeichnung, was den Protagonisten Javier und seine Familienmitglieder angeht. Andere Personen bleiben größtenteils etwas eindimensional und zum Teil schablonenhaft, was ich allerdings der kindlichen Perspektive zuschreibe und nicht als Manko empfunden habe.

Aus inhaltlicher Sicht halte ich das Memoir für ein wichtiges Zeitdokument, um die Herausforderungen und Probleme von Flüchtlingen und Migranten zu illustrieren. Das Buch macht nachdenklich, rüttelt auf und bietet viel Diskussionsstoff. Es stellt daher einen bedeutsamen gesellschaftlichen Beitrag zur Thematik dar und steht exemplarisch für die Geschichte vieler anderer illegaler Auswanderer.

Auf den fast 500 Seiten gibt es die eine oder andere Länge. Überwiegend hat mich das Geschilderte aber gut unterhalten und emotional bewegt. Obwohl von Anfang an klar ist, dass letztlich die Bemühungen für Javier erfolgreich waren, ist der Text immer wieder spannend und fesselnd.

Trotz des recht großen Umfangs habe ich an mehreren Stellen den Kontext vermisst. Zu viele Fragen bleiben am Ende offen. Unter anderem geht für mich nicht eindeutig genug hervor, weshalb zunächst seine Eltern und schließlich Javier diese Tortur auf sich nehmen mussten. So fehlt mir auch nach der Lektüre jegliches Verständnis dafür, ein noch so junges Kind alleine auf diese gefährliche Route zu schicken.

Das reduzierte Cover sticht angenehm aus der Masse hervor. Es passt hervorragend zum Inhalt. Der prägnante Titel ist ebenfalls eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Zwar hat mich „Solito“ in sprachlicher Hinsicht enttäuscht und weist inhaltliche Lücken auf. Das Memoir von Javier Zamora ist dennoch absolut lesenswert und eine besondere Lektüre.

Veröffentlicht am 09.08.2024

Der kleine Suchtrupp

Taumeln
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Seit zwei Jahren ist Hannah Auerbach verschwunden. Eine Leiche wurde bisher nie gefunden. Lebt sie noch? Luisa, ihre zwei Jahre jüngere Schwester, geht mit sieben weiteren Personen Woche für Woche auf ...

Seit zwei Jahren ist Hannah Auerbach verschwunden. Eine Leiche wurde bisher nie gefunden. Lebt sie noch? Luisa, ihre zwei Jahre jüngere Schwester, geht mit sieben weiteren Personen Woche für Woche auf die Suche nach der Vermissten in den Wald. Jeder und jede von ihnen trägt dabei ein Päckchen mit sich herum…

„Taumeln“ ist ein Roman von Sina Scherzant.

Die Struktur erschließt sich schnell: Der Roman besteht aus 43 kurzen Kapiteln. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive, chronologisch, aber mit diversen Rückblicken.

Der Schreibstil ist schnörkellos und unauffällig, zugleich jedoch atmosphärisch und eindringlich. Dialektale Einschübe und umgangssprachliche Ausdrücke machen die Dialoge sehr authentisch.

Das Personal des Romans ist interessant und vielschichtig angelegt. Vor allem Luisa steht im Vordergrund. Deren Eltern und die anderen Mitglieder des Suchtrupps nehmen ebenfalls viel Raum ein. Die Figuren werden lebensnah und mit psychologischer Tiefe.

Die Vermisstensuche bietet ein reizvolles Setting. Auf inhaltlicher Ebene geht es jedoch weniger um das Klären eines Kriminalfalls. Tatsächlich bleibt die Geschichte diesbezüglich Antworten schuldig. Vielmehr ergründet der Roman, was das Verschwinden mit den Angehörigen macht und wem das Mitgefühl gelten sollte. Wann muss man loslassen? Wie schafft man das? Diese Fragen stellt die Geschichte. Verschiedene menschliche Schicksale und Probleme werden darüber hinaus beleuchtet.

Auf den rund 300 Seiten ist die Geschichte nicht durchweg spannend. Das Erzähltempo ist eher langsam und es gibt durchaus ein paar Längen. Dennoch hat mich der Roman gut unterhalten und immer wieder berührt.

Das düstere, etwas kryptische Cover entspricht nicht meinem Geschmack, passt thematisch allerdings gut. Den prägnanten Titel empfinde ich als treffend.

Mein Fazit:
Mit „Taumeln“ hat Sina Scherzant einen tief schürfenden Roman geschrieben, der interessante Fragen aufwirft. Eine bewegende Lektüre.

Veröffentlicht am 05.08.2024

Das Dornröschen und der Prinz

Anna O.
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In der Nacht auf den 30. August 2019 auf einer Farm in Oxfordshire (England): Die Leichen von Douglas Bute (26) und Indira Sharma (25) werden tot in ihren Betten aufgefunden. Die Spuren auf dem blutbeschmierten ...

In der Nacht auf den 30. August 2019 auf einer Farm in Oxfordshire (England): Die Leichen von Douglas Bute (26) und Indira Sharma (25) werden tot in ihren Betten aufgefunden. Die Spuren auf dem blutbeschmierten Tatmesser weisen auf deren beste Freundin Anna Ovigly (25) hin. Ist sie die Täterin? Doch die junge Frau fällt kurz nach den Morden in einen Tiefschlaf und kann keine Auskunft geben. Der Londoner Schlafforscher Dr. Benedict Prince soll die Verdächtige vier Jahre nach der Tat wecken und so die Aufklärung des Falls unterstützen…

„Anna O.“ ist ein Psychothriller von Matthew Blake.

Die durchdachte Struktur des Thrillers ist nicht unkompliziert: Er besteht aus 82 kurzen Kapiteln, die sich über fünf Teile erstrecken. Erzählt wird aus mehreren Perspektiven: der von Ben, Lola, Bloom, Emily und Clara. Dazwischen eingestreut sind Einträge aus Annas Notizbuch, Chatverläufe, E-Mails und Auszüge aus Akten. Die Handlung umfasst insgesamt etwa fünf Jahre und spielt an unterschiedlichen Orten.

In sprachlicher Hinsicht ist der Thriller unspektakulär, aber anschaulich und dank vieler Dialoge lebhaft. Fachbegriffe werden erklärt. Leider sind die verschiedenen Perspektiven stilistisch so ähnlich, dass es nicht authentisch wirkt.

Das Personal ist recht umfangreich, aber dennoch nachvollziehbar. Die Figuren bleiben, dem Genre angemessen, undurchsichtig und geheimnisvoll. Die Charaktere sind recht klischeefrei und interessant angelegt.

Inhaltlich ist der Thriller sehr facettenreich und komplex. Das Resignationssyndrom und die Schlafforschung bilden einen originellen und interessanten Hintergrund. Diesbezüglich wird die fundierte Recherche des Autors immer wieder deutlich. Medizinische, juristische und politische Zusammenhänge werden gut erklärt. Diese Themen machen die Geschichte besonders. Auch aktuelle Bezüge werden aufgegriffen.

Während mich die Grundidee des Thrillers sehr angesprochen hat, empfinde ich die Umsetzung als weniger gelungen. Erstens: Die Story ist inhaltlich überfrachtet. Das sorgt dafür, dass die Auflösung nicht alle losen Fäden wieder aufnehmen kann und alle offenen Fragen beantwortet werden. Zweitens: Zwar kann die Handlung mit mehreren Wendungen punkten und ein Plottwist sorgt zum Ende hin für einen zusätzlichen Überraschungseffekt. Die vielen Zufälle machen das Geschehen allerdings unrealistisch. Zudem ergeben sich mehrere Logikbrüche.

Das kreative Cover und der prägnante Titel, der mit dem Original identisch ist, heben sich auf positive Weise von anderen Büchern des Genres ab.

Mein Fazit:
„Anna O.“ von Matthew Blake ist ein ungewöhnlicher und interessanter Thriller. Trotz inhaltlicher Schwächen in der Umsetzung hat mich die Geschichte gut unterhalten.

Veröffentlicht am 23.07.2024

Wenn ein Bär vor der Haustür steht

Cascadia
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Auf der Insel San Juan an der Grenze der USA zu Kanada: Samantha Arthur (28) lebt mit ihrer Schwester Elena (29) in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter ist schwer krank, die Arztkosten sind hoch. Seit ...

Auf der Insel San Juan an der Grenze der USA zu Kanada: Samantha Arthur (28) lebt mit ihrer Schwester Elena (29) in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter ist schwer krank, die Arztkosten sind hoch. Seit zehn Jahren wünscht sich Sam eine Zukunft fernab der Insel. Die beiden jungen Frauen wollen ihre Mutter aber nicht im Stich lassen. Da taucht plötzlich ein Bär auf, der sich bis an die Haustür der Familie traut…

„Cascadia“ ist ein Roman von Julia Phillips.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vielen kurzen Kapiteln. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge aus der Perspektive von Sam. Die Handlung spielt im nördlichen Teil des US-Bundesstaats Washington.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman komplett überzeugt. Der Schreibstil ist sehr atmosphärisch und voller eindrücklicher, bildstarker Beschreibungen.

Mit Sam und Elena stehen zwei junge Frauen im Vordergrund der Geschichte, die ich als durchaus authentisch empfunden habe. Ihre Schwächen, Ecken und Kanten machen sie nicht in jeglichem Aspekt sympathisch, aber lebensnah. Die beiden Charaktere sind psychologisch gut ausgearbeitet. Die übrigen Figuren bleiben recht blass, sind allerdings erfreulicherweise wenig stereotyp dargestellt.

Eine weitere Hauptrolle spielt der Bär. Da ich keine Biologin bin, kenne ich mich mit den Gepflogenheiten dieser Tiere nicht besonders gut aus. Dennoch glaube ich, dass die im Roman geschilderten Verhaltensweisen des Bären nicht sehr realistisch sind. Die recht märchenhaft anmutenden Szenen sind aus meiner Sicht übertrieben.

Aus inhaltlicher Sicht geht es jedoch um weit mehr als das Auftauchen des Bären. Insbesondere die Verbindung zwischen zwei Schwestern und weitere familiäre Verpflichtungen und Verflechtungen sind zentral. Dabei schwingt Gesellschaftskritik mit.

Auf den rund 270 Seiten erzeugt die Geschichte eine subtile Spannung, die sich zunehmend steigert. Die Bedrohung durch den Bären, aber auch diverse Konflikte machen den Roman kurzweilig. Gut gefallen hat mir, dass nicht alle Fragen bis ins kleinste Detail beantwortet werden.

Der deutsche Titel ist weniger passend als das prägnante Original („Bear“). Das Cover gefällt mir dagegen gut.

Mein Fazit:
„Cascadia“ von Julia Phillips ist ein ungewöhnlicher Roman, der mehrere interessante Themen in einer gelungenen Sprache bearbeitet und zum Nachdenken anregt. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die damit leben können, wenn sich die Fiktion ein paar Freiheiten erlaubt.