Überraschend starkes Ende nach zähem Einstieg in die Geschichte
The Reappearance of Rachel Price (deutsche Ausgabe)Wie würdest du reagieren, wenn deine totgeglaubte Mutter plötzlich, nach 16 Jahren Abwesenheit, unvermittelt vor dir steht, während du und deine Familie dabei seid, mit einem Filmteam eine Doku über ihr ...
Wie würdest du reagieren, wenn deine totgeglaubte Mutter plötzlich, nach 16 Jahren Abwesenheit, unvermittelt vor dir steht, während du und deine Familie dabei seid, mit einem Filmteam eine Doku über ihr Verschwinden zu drehen?
Klappentext und eine Leseprobe haben mein Interesse auf ein temporeiches, außergewöhnliches Buch mit grandiosem Page-Overlay in der ersten Ausgabe geweckt. Leider habe ich dann über 200 Seiten benötigt, bis die Story für mich endlich Fahrt aufnahm, erste spannende Handlungsstränge sich entwickelten, die Charaktere an Farbe gewannen und sich die immer gleichen Fragen und Inhalte nicht mehr ständig wiederholten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mehrfach überlegt, das Buch abzubrechen.
Hauptfigur Bel (Annabel) ist eine absolute Anti-Heldin, wirkt häufig unsympathisch, weist mit Blick auf ihre Mutter Rachel paranoide Züge auf und stiehlt, um "den Knoten in ihrem Bauch" zu besänftigen. Viele der Szenen, die im familiären Umfeld stattfinden, wirken überzogen und gekünstelt. Vielleicht sollte das als Stilmittel auf die Doku einzahlen, die über das komplette Buch hinweg gedreht wird, mich konnte es dahingehend nicht überzeugen. Zumal irgendwann klar wird: Jede einzelne Person in dieser Familie lügt und birgt ihr(e) Geheimnis(sse). Was spannend hätte sein können, hat mich in einer Vielzahl von Fällen schlicht genervt, weil Andeutung über Andeutung gemacht wurde und die Handlung einfach weiterging über etliche hundert Seiten.
Ab ca. Seite 200 begannen dann erste wirklich überraschende Entwicklungen und der Spannungsbogen baute sich nach einem zähen Einstieg merklich auf. Phasenweise ist es mir ab diesem Zeitpunkt wirklich schwer gefallen, das Buch noch aus der Hand zu legen - damit hatte ich nicht gerechnet! Das letzte Drittel des Buches birgt so viele Wendungen und unvorhersehbare Entwicklungen, dass ich am Ende froh war, es zu Ende gelesen zu haben. Auch weil Bel auf den letzten 150 Seiten eine echte Verwandlung macht, die eine Figur zur Folge hatte, mit der ich mich deutlich besser identifizieren konnte.
Komplett überzeugen konnte mich das Buch aufgrund des schwachen und langatmigen Einstiegs leider nicht, aber das starke und überraschende Ende hat viele der negativen Aspekte wettgemacht!
Der gewählte Sprachstil konnte mich nicht recht überzeugen, viel "Fuck" und Schnodderigkeit nehmen Raum ein und machen das Buch (vielleicht) eher tauglich für junge Erwachsene, womit die Zuordnung in die Young Adult-Kategorie ihre Berechtigung erfährt.
Wer Lust auf ein Leseexperiment hat, darf sich gerne trauen. Leider kann ich keine Vergleiche zu anderen Werken der Autorin ziehen, daher an dieser Stelle weder eine klare Empfehlung, noch eine klare Nicht-Empfehlung.