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Veröffentlicht am 26.02.2024

Lichte Sommer in dunklen Zeiten

Die lichten Sommer
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Die Baracken sind längst dem Erdboden gleichgemacht, doch Liz weiß genau, wo sie standen, denn sie ist dort aufgewachsen und ihr täglicher Weg von der Batteriefabrik nach Hause führt sie daran vorbei. ...

Die Baracken sind längst dem Erdboden gleichgemacht, doch Liz weiß genau, wo sie standen, denn sie ist dort aufgewachsen und ihr täglicher Weg von der Batteriefabrik nach Hause führt sie daran vorbei. Sie ist 17 und schaut zuversichtlich in die Zukunft – allerdings braucht sie (in den 1960er Jahren) dafür die Unterschrift ihres Vaters unter dem Lehrvertrag, der ihr angeboten wird. Alles hatte sich doch zum Guten entwickelt, die Eltern besitzen nun ein Haus und eine florierende Gastwirtschaft. Und Liz leistet von klein auf ihren Beitrag, kümmert sich um ihre Brüder und hilft abends noch in der Wirtschaft. Doch der Schein trügt, denn Mutter Nevenka zieht sich immer mehr in sich zurück, nachdem ihr Mann ihr das Arbeiten verboten hat und nur noch trinkt. Und mit der Zeit spürt auch Liz, dass sie in den Augen der anderen immer die bleiben wird, die sie ist – Tochter von Vertriebenen.

»Die ist ja, ich weiß es ja, des ist ja eine aus den Baracken, pfui Deibel.« S.129

Nevenkas Erinnerungen erleben wir auf der zweiten Ebene, ihre Kindheit in einem kleinen Dorf zwischen Prag und Brno. Denket an die heißen Sommer an der reißenden Thaya mit ihrer amazonenhaften Freundin Zena zurück, zeigt uns eine friedvolle Zeit, wie es scheint. Denn die dunklen Seiten meidet sie, will sich nicht erinnern, zu schmerzvoll sind sie scheinbar.
Und so blendet auch die Autorin vor all dem Leid aus, das sich in den letzten Monaten vor Kriegsende tatsächlich abspielt, deutet es nur an. Manches kann man sich ausmalen, anderes sollte man nachschlagen, wie zum Beispiel das Massaker von Lidice. Um die spezifische Charakteristika des Traumas der Sudetendeutschen zu verstehen, braucht es m.E. den Blick auf die historischen Ereignisse dahinter.
Während Liz sich nichts mehr wünscht, als dazuzugehören, bleibt sie gefangen in einer Welt der Vorurteile und Ausgrenzung auf der Suche nach ihrer Identität. Ein Schicksal, das wohl für alle Geflüchteten zeitlos und universell ist. Keine Antworten zu bekommen von den Eltern, die ein Leben lang nicht nur mit dem Verlust der Heimat kämpfen. Denn das Schweigen jener Vertriebenen aus dem Sudetenland hat weitaus tiefere Beweggründe, die mir persönlich in dem Buch zu kurz kamen. Es rührte vor allem daher, die nachfolgende Generation vor dem entsetzlichen Grauen, das sie miterleben mussten, zu schützen. Die nach! dem Krieg mit der Entrechtung, dem Beschlagnahmen des Vermögens und in der gewaltsamen Vertreibung von 3 Millionen Menschen und 220.000 Toten gipfelten.
Vielleicht hatte ich da andere Erwartungen an das Buch, wohl durch meine eigene Familiengeschichte. Ich muss sicher nicht alles detailliert auserzählt bekommen, hätte mir aber mehr Einblicke in die tatsächlichen Geschehnisse gewünscht. Geschichte muss erzählt werden, um sie nicht zu vergessen.
Trotzdem bleibt es ein berührendes Buch, das ich gern empfehle, da es einen Blick auf die Kluft zwischen den Generationen zeigt, deren Entwurzelung und Schweigen tiefe Traumata hinterlassen.

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Veröffentlicht am 25.07.2023

Ein Blitz, der alles zum Guten wendet?

Drifter
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Wenzel und Killer verbindet seit Kindertagen eine tiefe Freundschaft. Beide haben sich aus dem einfachen Milieu, in dem sie aufgewachsen sind, rausgearbeitet. Wobei Killer, der mit bürgerlichen Namen Marco ...

Wenzel und Killer verbindet seit Kindertagen eine tiefe Freundschaft. Beide haben sich aus dem einfachen Milieu, in dem sie aufgewachsen sind, rausgearbeitet. Wobei Killer, der mit bürgerlichen Namen Marco Killmann heißt, eher der smarte Karrieretyp ist, der PR-Direktor werden will anstelle des PR-Direktors, immer ein paar Mädels im Schlepptau hat und Wenzel ihn irgendwie dafür bewundert. So wie an dem Tag, als sie auf der Pferderennbahn unterwegs sind. Doch nach dem Rennen wird Killer vom Blitz getroffen und das hat unübersehbare Auswirkungen.

»So, dachte ich, jetzt ist es amtlich: Bei Killer hatte sich was verschoben. Es ist nicht so, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Aber er hat das Geschirr neu sortiert.« S.74

Wenzel, der Ich-Erzähler dieser teils skurrilen, manchmal witzigen Geschichte erinnert sich an Vica, die Frau im goldenen Kleid, der sie in der S-Bahn begegnet sind. Hat sie nicht einen Blitz in die Luft gemalt, als sie am Aussteigen waren? Doch das war erst der Anfang von vielen Merkwürdigkeiten, die noch folgen.
Natürlich werden sich vor allem Wenzels Wege mit der ominösen Dame Vica (den vollen Namen samt Adelstitel erspare ich euch hier) wieder kreuzen, denn in seiner Hosentasche ist gleich eine ganze Liste von Fragen, die er ihr stellen will. Zum Beispiel woher sie das Buch »Elektrokröte« von seinem Lieblingsschriftsteller Drifter hatte, das noch gar nicht auf dem Markt ist. Und warum weiß sie sie so viel von ihm?
Nun aber zu dem neu sortierten Geschirr von Killer. Er wird seinen Job hinschmeißen, sein 1000 Euro teures Handy zertreten und zurück an die Peripherie in den Ranunkelring ziehen. Ein halb leerstehender Plattenbau, in dem seine Mutter noch lebt und Vica sich mit ihrer Firma einmietet.

In Vicas Schlepptau treten auf: ein zotteliger Hund, der eine gute Erziehung genossen hat und tanzen kann, eine etwas schrille Assistentin und ein farbenfroher Adjudant namens Heurtebise.
Nun ja, ihr merkt schon, das Ganze klingt nicht gerade nach einem ernstzunehmenden Roman und so ist es auch. Es wird herrlich schräg, Vica stellt nicht nur das Leben der beiden Bros auf denn Kopf, sondern auch den gesamten Wohnblock. Dabei gehts an manchen Stellen doch eher etwas fantastisch zu, im wahrsten Sinne des Wortes. Ulrike Sterblich verteilt einige Seitenhiebe auf die Medienwelt, lässt uns in ein ominöses Online-Forum blicken und verzaubert mit ein paar magischen Darbietungen. Anlagetipps gibst es bei der Vorstellung gratis dazu. Was? Ihr meint, das passt doch nicht? Sorry, ich habe das nicht erfunden, die Autorin war’s.

Also, ich würde sagen, wenn ihr einen freien Nachmittag habt, eine herrlich abgedrehte Geschichte über eine Männerfreundschaft lesen wollt, ein paar mysteriösen Verschwörungstheorien inklusiv bissiger Medienkritik – von einer Autorin, der die Ideen scheinbar nicht ausgehen, dann zieht euch die 286 Seiten Drifter rein, dazu was leckeres Hochprozentiges und der Tag ist gerettet. Nett war’s.

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Veröffentlicht am 22.09.2024

Islands deutsche Einwanderinnen

Moosflüstern
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In der Familie Lieber verdrängt man gern unangenehme Themen, vor allem solche aus der Vergangenheit. Und so ist es kein Wunder, dass Heinrich erst mit 40 erfährt, dass seine leibliche Mutter kürzlich verstorben ...

In der Familie Lieber verdrängt man gern unangenehme Themen, vor allem solche aus der Vergangenheit. Und so ist es kein Wunder, dass Heinrich erst mit 40 erfährt, dass seine leibliche Mutter kürzlich verstorben ist, und zwar in Island. Scheinbar gelassen nimmt Heinrich zunächst die Neuigkeiten auf, auch dass er noch eine Tante in Paris hat, hieß es doch immer, seine Familie sei verstorben. Doch das beschauliche, biedere Leben des korrekten Bauingenieurs aus Graubünden wird in den nächsten Wochen gehörig auf den Kopf gestellt. Nicht nur seine Karriere erleidet Schaden durch einen folgenschweren Fehler seinerseits. Und so nutzt Heinrich die Gunst der Stunde und reist nach Paris zu seiner Tante, um mehr über seine Mutter zu erfahren. Anschließend fliegt er nach Island, um ihr Grab zu besuchen, nichtsahnend, dass diese Reise zu einem Abenteuer werden wird.

20 Jahre nachdem Schmidt mit dem Schreiben begonnen hatte, erschien nun Moosflüstern im Diogenes Verlag. (2017 erstmals im Landverlag.) Die Geschichte hat einen wahren historischen Hintergrund und geht zurück zur Nachkriegszeit, als es in Island an Frauen mangelte und dringend Arbeitskräfte gebraucht wurden. 1949 wurden vom isländischen Bauernverband per Anzeige in Deutschland »Dienstmädchen für Landhaushalte« gesucht. »Bauer sucht Frau« in einer frühen Ausgabe sozusagen. Rund 200 Frauen kamen damals mit der MS »Esja« in Island an.
Im Roman ist auch Anna, Heinrichs Mutter, auf dem Schiff, die von ihrem entbehrungsreichen, anstrengenden Leben in der neuen Heimat, der harten, nicht enden wollenden Arbeit auf dem Hof berichtet und dem wahren Grund, warum sie ihre Familie damals verlassen hat. Vorbild für Anna war Ursula von Balszun, deren Geschichte in einem kurzen Nachwort erzählt wird.
Hauptsächlich folgen wir aber Heinrich auf seinem Roadtrip, der ihn ordentlich verändern soll.

Ich muss zugeben, ich hatte so meine Schwierigkeiten mit dem biederen, überkorrekten Spießer Heinrich mit seiner Modelleisenbahn im Keller. Auch seine Entwicklung, die er im Laufe seiner Reise durchmacht, erschien mir nicht immer glaubwürdig, eher etwas drüber. Um so mehr gefielen mir die Passagen, in denen seine Mutter zu Wort kommt. Davon hätte ich mir inhaltlich mehr gewünscht. Dass Schmidt erzählen kann, wissen wir spätestens seit Kalmann. Auch hier blitzt gelegentlich sein unverkennbarer Humor durch, den ich in seinen späteren Büchern so mochte. Unverkennbar auch sein Talent, uns als Leser*innen die raue, gewaltige Landschaft Island zu zeigen, der hier im Buch am Ende eine besondere Rolle zukommt. Ob man allerdings das Ende mag, ist wohl Geschmacksache.
Ich kann sehr gut verstehen, dass Schmidt neugierig war, als er zum ersten Mal von den »Esja-Frauen« erfahren hat. Die teils dramatischen Schicksale, die diese Frauen damals veranlasste, ihre Heimat zu verlassen, hat Schmidt erzählerisch gut und eindrücklich verpackt.

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Veröffentlicht am 21.08.2024

Kann leider mit Teil 1 nicht mithalten

Haus des Vergessens
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Der Kinderflüsterer Pietro Gerber wird zu einem neuen Fall hinzugezogen. Wie schon in »Haus der Stimmen« soll der Psychologe mittels Hypnose ein Kind, das Schreckliches erlebt hat, zum Sprechen bringen. ...

Der Kinderflüsterer Pietro Gerber wird zu einem neuen Fall hinzugezogen. Wie schon in »Haus der Stimmen« soll der Psychologe mittels Hypnose ein Kind, das Schreckliches erlebt hat, zum Sprechen bringen. Mitte in einem Wald des Valle dell’ Inferno wird der 12-jährige Nico gefunden, der vor einigen Monaten mit seiner Mutter verschwunden ist. Von ihr jedoch fehlt jede Spur. Nico ist verstört, zeigt aber keine Anzeichen von Verwahrlosung. Allerdings spricht er kein Wort. Was hat ihm so zugesetzt, das er nicht reden kann oder will? Gerber gelingt es, Nico in Trance zu versetzen, und das Geständnis des Jungen ist schockierend. Doch Gerber glaubt nicht, dass es der Wahrheit entspricht. Jemand hat Nico in einen hypnotischen Zustand versetzt und will nun seine eigene schreckliche Geschichte loswerden. Gerber geht auf die Bedingungen des »Geschichtenerzählers«, wie er ihn nennt, ein und muss schnell feststellen, dass auch er und sein Umfeld manipuliert werden. Doch er hat die Tür des vergessenen Zimmers längst aufgestoßen und ihm bleibt nicht viel Zeit, Nico zu retten.

Wie immer überzeugt Carrisi zu Beginn mit einem spannenden, vielversprechenden Plot. Es ist bereits der 2. Fall, in dem wir mit dem Gerber in die traumatisierte Psyche eines Kindes eintauchen. Inzwischen haben wir eine Ahnung davon, wie seine Arbeit funktioniert. Carrisi hat sich dafür tief in die Materie der Hypnose eingearbeitet und er ist ein Meister darin, mit unserer Wahrnehmung zu spielen, was mitunter einigen Schauer beim Lesen aufkommen lässt. Hier im 2. Teil gibt es etliche Anspielung zum Vorgänger, den man zwar nicht unbedingt gelesen haben muss, aber es ist durchaus von Vorteil, denn der Cliffhanger zu Teil 3 hat es in sich.

Carrisi ist einer der letzten Thillerautoren, der mich in den letzten 2 Jahren noch völlig überzeugt hat. Er liefert außergewöhnliche Plots, spielt mit unseren Ängsten, weil er Unmögliches wahr erscheinen lässt. Wenn ich es in einem Gefühl beschreiben soll, was ich beim Lesen seiner Bücher erlebe, dann ist das eine schleichende Dunkelheit, die nach mir greift. Er lässt uns am Abgrund balancieren und dann zieht er uns hinab. Zumindest ging es mir bei allen seinen vorigen Büchern so.
Carrisi setzt auch hier auf die psychologische Komponente, lässt uns nicht vom Haken, bis wir selbst nicht mehr wissen, was wir glauben sollen, was wahr ist oder Einbildung. Allerdings hat er sich so tief in das Thema Hypnose und Gedankenmanipulation eingearbeitet, dass es gerade im Mittelteil vieler Erklärungen bedarf, die zu einigen Längen führen. (Meinerseits auch zu Verwirrung, da ich nicht wirklich alles nachvollziehen konnte.) Andere Schritte des Kinderflüsterers erscheinen mir wie zufällig und konstruiert, es fehlt an glaubhaften Herleitungen. Im letzten Drittel gewinnt die Geschichte aber wieder an Stärke, was mich zumindest etwas versöhnt hat.

Etwas, das ich auch noch anmerken muss, ist die Tatsache, dass es für Carrisis Bücher keinen festen Übersetzer (oder Übersetzerin) gibt. Das führt in meinen Augen dazu, dass ihm eine eigene, deutsche Stimme fehlt. Und leider hat es in dieser Übersetzung streckenweise sehr geholpert, was mir das Lesen zusätzlich verleidet hat. Ein Blick in seine älteren Bücher hat gezeigt, dass die wesentlich flüssiger geschrieben sind.
Fazit: Sollte euch die Theorie der Gedankenmanipulation interessieren und nicht verwirren, dann ist er sicher interessant, mir war das leider an vielen Stellen zu abstrus.

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Veröffentlicht am 11.08.2024

Zwischen den Kulturen

Der Großcousin
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In Djafaris 3. Roman kehren wir zurück in die Familie Hamidzadeh. Abbe, der älteste Sohn, ist ein erfolgreicher Frankfurter Unternehmer, der auf internationaler Bühne in der Entwicklungshilfe agiert. Die ...

In Djafaris 3. Roman kehren wir zurück in die Familie Hamidzadeh. Abbe, der älteste Sohn, ist ein erfolgreicher Frankfurter Unternehmer, der auf internationaler Bühne in der Entwicklungshilfe agiert. Die wenige Zeit, die ihm bleibt, verbringt er mit seiner Frau Maria oder bei seinem dementen Vater im Seniorenheim – er scheint seine einzige und letzte Verbindung zu seinen persischen Wurzeln zu sein. Bis sein Großcousin Reza aus dem Iran vor der Tür steht, der in Deutschland Fuß fassen will. Zunächst scheint er weniger Hilfe zu brauchen, als Abbe vermutet hatte. Doch dann taucht Reza immer wieder auf, bitte ihn um Geld, weil er in Schwierigkeiten steckt, will aber nie so recht mit der Sprache rausrücken. Abbe, der es gewohnt ist, Probleme effizient zu lösen, verzweifelt fast an Rezas Undurchsichtigkeit und erfährt nur häppchenweise von dessen wirklichen Beweggründen, sein Heimatland zu verlassen. Abbes firmeninterne Probleme werden zweitrangig, als ihm klar wird, wie wenig er eigentlich von den Schwierigkeiten seines ihm fremdgewordenen Herkunftslandes weiß. Und schon gar nichts von den prekären Lebensumständen der jungen Generation.

Es ist das Jahr 2015, die brisante Flüchtlingspolitik ist allgegenwärtig, aber die Geschichte selbst spielt sich im alltäglichen Miteinander ab. Es sind die zwischenmenschlichen Momente, die Djafari mit zärtlichen, feinen Linien zu zeichnen weiß. Abbe, der eigentlich in »typisch deutscher Manier« agiert, ja den sogar die umständlichen persischen Höflichkeitsfloskeln eher verärgern, weil er lieber schnell auf den Punkt kommen will. Doch Abbe lässt nicht locker und allmählich versteht er, dass der heutige Iran gerade für junge Leute eine Vielzahl von Problemen bereithält, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die permanente Überwachung durch das Mullah-Regime, das nicht Halt davor macht, das Liebesleben Unverheirateter zu auszuspionieren.

In Djafaris Geschichte prallen Kulturen aufeinander, Korruption in den Entwicklungsländern, Alltags- und Zukunftsprobleme im Iran, die Flüchtlingskrise in Deutschland und mittendrin zwei Menschen, die sich verständigen müssen – der eine hat seine Wurzeln verloren, der andere versucht, Wurzeln zu schlagen. Ein interessanter, spannender, wendungsreicher Roman, den Djafari in gewohnt leisen Tönen erzählt.

Allerdings bleibt er für mich hinter seinem Vorgänger »Mahtab« zurück. Die eigentliche Geschichte um Reza setzt erst sehr spät ein, so dass ich lange nicht wusste, wo das Buch eigentlich hin will. Im Erzählstrang um Abbes Entwicklungsarbeit werden einige Handlungsstränge aufgemacht, die Spannung versprechen, am Ende teilweise ungelöst bleiben oder mit nur wenigen Sätzen abgetan werden. Auch bleiben mir die Charaktere diesmal unnahbar, einige etwas hölzernen Aktionen wirkten auf mich konstruiert und unglaubwürdig. Leider gar nicht überzeugt hat mich auch das übereilte, zu kurze Ende. Schade, ich hatte mir nach »Mahtab« sehr viel von dem Buch versprochen, das leider nur zum Teil erfüllt wurde. Aber bei aller Kritik bleibt es ein lesenswertes, hochaktuelles Buch, das Verständnis weckt für das Miteinander verschiedener Kulturkreise.

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