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Veröffentlicht am 15.09.2024

Sensibler Jugendroman

Unser Buch der seltsamen Dinge
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Einen Serienmörder fangen? Die zwölfjährige Miv traut sich das ohne weiteres zu, natürlich gemeinsam mit ihrer Freundin Sharon. Auslöser für diese Idee ist die Ankündigung ihres Vaters, aus Yorkshire fortzuziehen. ...

Einen Serienmörder fangen? Die zwölfjährige Miv traut sich das ohne weiteres zu, natürlich gemeinsam mit ihrer Freundin Sharon. Auslöser für diese Idee ist die Ankündigung ihres Vaters, aus Yorkshire fortzuziehen. Doch ihre vertraute Umgebung will Miv nicht verlassen, erst recht nicht ihre beste Freundin. Vielleicht wird die Familie bleiben, wenn der Yorkshire-Ripper gefasst ist, der seit einiger Zeit die Menschen in Angst versetzt? Miv beginnt Merklisten zu schreiben, und eine nicht ungefährliche Recherche beginnt…
Jenny Godfrey siedelt ihren Roman in einer kleinen Industriestadt Yorkshires an, Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. In flottem, wirklich sehr gut lesbarem Stil entführt sie uns in eine Zeit, die einige von uns noch aus ihrer Kindheit kennen; eine Zeit, in der Vorurteile, Intoleranz, Ausgrenzung und offene Rassendiskriminierung an der Tagesordnung waren. In dem typischen Kleinstadtklima, von dem die Autorin so packend erzählt, dringen Probleme, die in der Familie auftreten, nicht nach außen, getratscht wird dennoch. Die genauen Beobachtungen der Freundinnen (motiviert durch ihre Liste) führen dem Leser die Menschen ihrer Umgebung konkret vor Augen - ihre Außenwirkung und den Blick hinter die Fassade. Da gibt es Brutalität, Gewalt und heimliche Laster; aber auch Mut, Hilfsbereitschaft, und wahre Freundschaft. Bei allen Problemen siegt dennoch der Optimismus der Jugend und stärkt die jungen Leute. Sehr einfühlsam und authentisch hat Godfrey die Charaktere angelegt, besonders die Protagonistin Miv, aus deren Sicht der größte Teil des Romans erzählt wird.
Vor dem Hintergrund der Yorkshire Ripper-Morde (die es tatsächlich gab) spiegelt Godfreys Buch auf durchaus unterhaltsame Weise die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse der 70er Jahre und lädt diskret dazu ein, diese mit unseren aktuellen Umständen zu vergleichen und zu reflektieren.

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Veröffentlicht am 22.11.2020

Originelles Bilderbuch

Gans Ernst von Jimmy Kimmel
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Ein solcher Griesgram wie Gans Ernst ist Kindern bestimmt nicht unbekannt; schlechte Laune kennen sie auch aus eigener Erfahrung.
In großformatigen Bildern stellt uns Jimmy Kimmel seinen grimmig dreinschauenden ...

Ein solcher Griesgram wie Gans Ernst ist Kindern bestimmt nicht unbekannt; schlechte Laune kennen sie auch aus eigener Erfahrung.
In großformatigen Bildern stellt uns Jimmy Kimmel seinen grimmig dreinschauenden Helden vor, der sich nicht zu einem Lächeln durchringen kann. Kein Scherz und auch keine Pizza führen zum Erfolg.
Kimmels Illustrationen sind einfach und klar gehalten, auf das Wesentliche der erzählten Geschichte reduziert. Sie sind - ebenso wie der Text - dem (Vor-)Lesealter ab 3 Jahren angemessen. Die Sprache ist schlicht, knapp, eindeutig und überfordert ein jüngeres Kind keineswegs. Text und Illustrationen verbinden sich zu einem harmonischen Gesamteindruck und laden zum Eltern-Kind-Erlebnis ein: Schaffen wir es, aus Gans Ernst einen Gans Lustig zu machen? Der Ehrgeiz des jungen Publikums ist in jedem Fall geweckt.
Kimmels „Gans Ernst“ ist ein wirklich originelles Bilderbuch, das eine fantasievolle, fröhliche Lesezeit garantiert.




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Veröffentlicht am 08.09.2024

Eindrucksvoll

Wünsche
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Es sind schmerzliche Erfahrungen, die das Kind Mượn Thị Văn während der Flucht aus Vietnam macht. Der Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, das Zurücklassen der Heimat und des geliebten Großvaters, die ...

Es sind schmerzliche Erfahrungen, die das Kind Mượn Thị Văn während der Flucht aus Vietnam macht. Der Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, das Zurücklassen der Heimat und des geliebten Großvaters, die stets gegenwärtige Lebensgefahr - all das versteht die Autorin auf eindrückliche Weise dem Leser zu vermitteln. In nur wenigen Sätzen kommt die ganze Dramatik einer Flucht zum Ausdruck, wobei das Kind seine eigenen Wünsche auf die Dinge seiner Umgebung überträgt: "Die See wünschte, sie wäre ruhiger." Jeder einzelne Satz ist eingebettet in ganzseitige Illustrationen. Sehr eindrucksvoll, aber farblich zurückhaltend erzählen die Bilder der Illustratorin Victo Ngai von der Flucht, den Gefahren und Emotionen der Menschen, erweitern und interpretieren den Text.
Mit dem Bilderbuch „Wünsche“, geschrieben aus Kindersicht, lässt sich Kindern das Thema Flucht und Flüchtlinge gut verständlich vermitteln.


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Veröffentlicht am 15.08.2024

Frei wie ein Vogel

Wie ein Vogel. Kindheitserlebnisse aus der DDR: poetisch erzählt, wunderschön illustriert.
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Vögel spielen im Leben der kleinen Gerda und ihrer Familie eine große Rolle. Manche werden in Käfigen gehalten, andere wiederum können frei umherfliegen - auch über die Mauer, die Deutschland während ...

Vögel spielen im Leben der kleinen Gerda und ihrer Familie eine große Rolle. Manche werden in Käfigen gehalten, andere wiederum können frei umherfliegen - auch über die Mauer, die Deutschland während Gerdas Kinderzeit in zwei unterschiedliche Staaten teilt. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte, wie eine Metapher für die Bewohner der beiden deutschen Republiken.
Zu Beginn ihrer Erzählung macht Gerda uns mit ihrer Familie bekannt, in Schwarz-Weiß-Bildern, wie sie lange Zeit noch in der DDR als Fotos üblich waren. Doch der Alltag des kleinen Mädchens besteht nicht nur aus Grau- und Weißtönen, sondern vor allem aus farbigen Erlebnissen und einem liebevollen Miteinander in der Familie.
Aus der Sicht des Kindes beschreibt Raidt ihr Leben in Ostberlin. Politik spielt für sie noch keine Rolle; sie erlebt ihren Kindergarten- und später Schulalltag mit seinen negativen und positiven Aspekten, unangenehmen und schönen Erlebnissen und schließlich den Tag der Maueröffnung. Die zahlreichen, teilweise ganzseitigen Illustrationen verdeutlichen den Text und vermitteln einen guten Einblick in Gerdas Umgebung. Die Aufmachung des Buches erinnert an ein Schulheft oder -Kladde, eine Art kindliche Erinnerungsbuch.
Am Schluss des Büchleins erklärt eine kurze, für Kinder leicht zu verstehende Passage in wenigen Sätzen die Situation der beiden deutschen Staaten; eine passende Gelegenheit für den Vorleser, eigene Erfahrungen hinzuzufügen oder auf Fragen einzugehen.



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Veröffentlicht am 16.07.2024

Kluge Gesellschaftskritik

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
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Gabriele Reuter lässt ihren Roman, erstmals erschienen im Jahre 1895, mit einem fröhlichen Fest beginnen. Die fast siebzehnjährige Agathe, voller Neugier und Träume auf eine wundervolle Zukunft, feiert ...

Gabriele Reuter lässt ihren Roman, erstmals erschienen im Jahre 1895, mit einem fröhlichen Fest beginnen. Die fast siebzehnjährige Agathe, voller Neugier und Träume auf eine wundervolle Zukunft, feiert ihre Konfirmation im Kreis ihrer Familie. Konfirmation heißt aber auch Abschied von der Kindheit und Vorbereitung auf das Erwachsenenleben. Für höhere Töchter Ende des 19. Jahrhunderts bedeutet das die Einführung in die Gesellschaft und ihre Verheiratung. Im Idealfall haben sie sich zu richten nach "Des Weibes Leben und Wirken als Jungfrau, Gattin und Mutter" - einem Werk im Prachteinband, das Agathe als Geschenk zur Konfirmation erhält. Wird die lebensfrohe Agathe die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen?
Voller Empathie erzählt Reuter vom Erwachsenwerden Agathes und ihrem Schicksal als „höhere Tochter", wobei sie sich eines klaren Schreibstils und deutlicher Worte bedient. Sehr einfühlsam schildert sie Agathes Seelenleben.
„Plötzlich wusste ich, wozu ich auf der Welt war: zu künden, was Mädchen und Frauen schweigend litten." schrieb sie einmal. Und tatsächlich, so authentisch kann tatsächlich nur eine Frau die intensiven Empfindungen und widerstreitenden Gefühle einer jungen Frau, hin- und hergerissen zwischen Pflichtbewusstsein und eigenen Wünschen, wiedergeben. Auf diese Weise entsteht ein farbiges Sittengemälde, das uns sehr eindrucksvoll die gesellschaftlichen Konventionen und Zwänge des Wilhelminischen Zeitalters, denen Mädchen und Frauen unterworfen waren, vor Augen führt.

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