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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.10.2024

Ein ruhiger, sanfter und vergebungsvoller Roman

Ein menschlicher Fehler
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Ich war erst unschlüssig, ob ich den Roman lesen sollte, weil mich „Die Tochter“ nicht so ganz catchen konnte. Aber ich bin richtig froh, dass ich meinem Bauchgefühl hier gefolgt bin und dieses besondere ...

Ich war erst unschlüssig, ob ich den Roman lesen sollte, weil mich „Die Tochter“ nicht so ganz catchen konnte. Aber ich bin richtig froh, dass ich meinem Bauchgefühl hier gefolgt bin und dieses besondere und zarte Buch nicht habe an mir vorbeiziehen lassen.

Hae-Su war einst eine erfolgreiche Psychotherapeutin, verlor aber ihren Job nach einer unbedachten und folgenschweren Aussage im Fernsehen. Seit einem Jahr verbringt sie ihre Zeit allein in Seoul, ohne Kontakte zu anderen Menschen. Eines Tages trifft sie auf die zehnjährige Se-I, die ebenfalls eine Verstoßene zu sein scheint. Doch für mich viel prägender war der Kontakt zu Straßenkatze Rübe, die dringend medizinische Hilfe braucht, sich aber nicht einfangen lassen will. Es entsteht ein Band zwischen diesen drei Figuren, das mich wirklich berührt hat.

Eine große Stärke des Romans ist seine Interpretationsvielfalt. Die Autorin schreibt auch selbst im Nachwort, dass „Ein menschlicher Fehler“ hoffentlich individuell verschieden gelesen wird - je nachdem, was im Innersten der Lesenden gerade los ist. Kim Hye-jin schreibt beobachtend, wertfrei und ruhig. Der Schreibstil ist zugänglich, hat aber auch einen gewissen Anspruch. Vor allem erfordert das Lesen meiner Meinung nach Raum zum Fühlen, um die feinen Nuancen wahrnehmen zu können.

Die Protagonistin Hae-Su kämpft ihren eigenen Kampf in Bezug auf Verantwortung, Schuld und Abwehr. Deshalb schreibt sie täglich Briefe an Journalist*innen, den ehemaligen Chef, eine Kollegin oder eine enge Vertraute, von denen sie sich nach dem Fehler ungerecht behandelt fühlte. Doch sie kann nicht ausdrücken, was sie eigentlich sagen möchte und bricht alle Briefe ab. Denn was sie eigentlich sucht, ist eine Vergebung für ihren Fehler, die aus ihr selbst kommt. Dabei hilft ihr auch die fragile Beziehung zu Rübe, in dessen Schicksal als wenig beachtete bzw. verachtete Straßenkatze sie sich zu sehen scheint.

Für mich war dieser Roman ein Plädoyer für Menschlichkeit, Respekt und Sanftheit. Die Autorin webt die drei so verschiedenen Figuren auf eine unaufgeregte, liebevolle Art ineinander. Ein wirklich tolles Buch, dessen Essenz ich irgendwie nicht so ganz zufriedenstellend in Worte fassen kann. Lest es am besten selbst und nehmt euch daraus mit, was ihr gerade am meisten braucht. 🫶🏻
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Triggerwarnungen:
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Mobbing, Suiz-d, Wunden bei Tieren

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Veröffentlicht am 20.09.2024

Atemberaubendes und hochkomplexes Familiendrama

Bevor es geschah
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[TW: Unfalltod, 6ueller Missbrauch, Krankheit, Krankenhaus, Suizid]

Ich liebe Familiendramen, die aus vielen Perspektiven heraus erzählt werden. Und Céline Spierer hat hier ein besonders atemraubendes ...

[TW: Unfalltod, 6ueller Missbrauch, Krankheit, Krankenhaus, Suizid]

Ich liebe Familiendramen, die aus vielen Perspektiven heraus erzählt werden. Und Céline Spierer hat hier ein besonders atemraubendes Exemplar geliefert.

Die wohlhabende Familie Haynes trifft sich zum Barbecue. Direkt das einleitende Kapitel wirft uns in die Handlung und beschreibt, wie ein noch namenloses Kind in den Pool fällt. Wie genau dieser Zwischenfall ausgeht, wird uns erst ganz am Ende des Buches verraten. Dazwischen gibt es Raum für 250 Seiten voller Familienmitglieder, die nicht wirklich miteinander sprechen.

Dabei sind sich die Geschwister eigentlich wohlgesinnt. Und doch haben alle ein grundlegend falsches Bild voneinander. Da wird hier das Selbstbewusstsein beneidet und dort die pragmatische Gelassenheit. Doch dank der vielen ineinanderfließenden Perspektivwechsel und Zeitsprünge erfahren wir immer auch mindestens eine weitere Sicht.

Nach und nach verwebt die Autorin hier die unabhängig wirkenden Einzelschicksale zu einer fesselnden Familiengeschichte. Dabei hat sie ein großes Talent dafür, ihren Figuren viel Tiefe und Ambivalenz zu verleihen. Keine der Protagonist*innen erschien mir sonderlich sympathisch und doch konnte ich nicht anders, als mit ihnen mitzufühlen. Selbst das kalt wirkende Familienoberhaupt Elisabeth bekommt gegen Ende eine ganz neue Dimension, mit der ich nicht gerechnet habe. Neben Gesellschaftskritik wirft die Geschichte immer wieder Fragen nach der eigenen Verantwortung auf.

Das Buch macht absolut süchtig, wütend und fassungslos. So wenig ich dieses Schweigen im echten Leben mag, so sehr liebe ich es in Büchern. Einen halben Stern ziehe ich ab, weil ein wenig mehr Miteinander schön gewesen wäre und der Fokus auf die Männer noch größer hätte sein dürfen. Davon abgesehen aber ein großartiges Buch mit deutlicher Leseempfehlung von mir!

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Veröffentlicht am 05.09.2024

Marie Aubert überzeugt mal wieder auf ganzer Linie

Eigentlich bin ich nicht so
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Die norwegische Autorin hat nach „Erwachsene Menschen“ ein weiteres Highlight geschrieben. Wieder einmal zeigt sie ihr Händchen für komplexe Familiengeschichten und facettenreiche, unperfekte Hauptfiguren.

In ...

Die norwegische Autorin hat nach „Erwachsene Menschen“ ein weiteres Highlight geschrieben. Wieder einmal zeigt sie ihr Händchen für komplexe Familiengeschichten und facettenreiche, unperfekte Hauptfiguren.

In wechselnden Perspektiven begleiten wir Hanne, Bård, Linnea und Nils über das Wochenende von Linneas Konfirmation. Hanne kehrt dafür erstmalig mit Partnerin und ohne ihr früheres Gewicht in ihre Heimat zurück. Dort gerät sie nicht nur an die Grenzen von (internalisierter) Fettfeindlichkeit, sondern muss auch feststellen, dass die OP viele grundlegende Probleme natürlich überhaupt nicht gelöst hat. Ihr Bruder Bård, der ein aus Hannes Perspektive erfolgreiches Leben führt, hat eine Affäre und plant seine Familie zu verlassen. Linnea macht die schmerzlichen Freundschaftserfahrungen eines Teenagers und Nils reflektiert über die Beziehungen zu seinen Kindern Hanne und Bård. In Rückblenden lernen wir zudem die komplexe Vergangenheit der erwachsenen Figuren kennen, sodass sich kein übereiltes Gut-Böse-Denken verfangen kann.

Auberts Romane leben von authentischen Figuren, die sie mit allen problematischen Gedanken zeichnet. Und ich liebe das Nahbare, das Komplizierte, das Zum-Haare-Raufende - eben das ganze „Eigentlich bin ich nicht so“! Dieses neue Buch wird besonders von allem Unausgesprochenen geprägt, das wahrscheinlich alle aus der eigenen Familie kennen. Im Zuge der Geschichte spitzt sich das natürlich zu, doch trotz aller Differenzen gibt es immer wieder von Verbundenheit geprägte Momente.

Dieses Buch ist kein Wohlfühlbuch, aber es ist auch nicht das Gegenteil davon. Es ist ehrlich, verzwickt und dabei so nahbar, dass ich es nicht aus der Hand legen konnte. Das Ende hätte ich mir ein bisschen weniger offen gewünscht, andererseits passt das auch völlig zur Komplexität der Geschichte (und des Lebens).

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Veröffentlicht am 15.08.2024

RomCom mit innovativer Storyline, viel Tiefe und komplexen Charakteren

Wir treffen uns im nächsten Kapitel
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Zum Hörbuch: Ich fand die beiden Sprecher:innen grundsätzlich angenehm, habe aber, was Stimmvarianz angeht, auch schon bessere Hörbücher gehört. Andere Stimmen, besonders die von Kindern, kamen mir oft ...

Zum Hörbuch: Ich fand die beiden Sprecher:innen grundsätzlich angenehm, habe aber, was Stimmvarianz angeht, auch schon bessere Hörbücher gehört. Andere Stimmen, besonders die von Kindern, kamen mir oft ziemlich aufgesetzt vor. Ganz am Ende hat Anna-Lena Zühlke meinen eigenen Tränenfluss dank der großartigen Umsetzung einer Schlüsselszene aber ordentlich angeregt. 🥺
Mich hat leider auch ziemlich gestört, dass die beiden unterschiedlich schnell gesprochen haben. Da ich Hörbücher immer deutlich schneller höre, ist das stark aufgefallen. Die Übergänge zwischen den Kapiteln fand ich wiederum optimal lang. Alles in allem ein gutes Hörbuch.

Zum Buch selbst: Ich mochte die RomCom vor allem für ihr Anschneiden so wichtiger Themen, den sehr angenehmen Lesefluss und die tiefgehende Liebe zu Büchern.

Erin und James waren einmal befreundet bis ein Bruch durch die Beziehung geht. Viele Jahre später treffen sie sich wieder. Allerdings nicht direkt und anfangs auch unbewusst. Denn über einen Bücherschrank tauschen „Kritzelqueen“ und „Mystery Man“ Bücher aus und kommunizieren in diesen über Randnotizen. Allein diese Storyline, dieser anonyme Buddy-Read innerhalb des Buches quasi, macht die RomCom zu einer ganz besonderen. Die Autorin lässt ihre Liebe zu Büchern, hier vor allem Klassiker, in die Handlung einfließen. 💚

Doch es geht um viel mehr als nur die Second-Chance-Romance. Es geht um den Verlust eines Herzensmenschen, Vergebung, den Umgang mit psychischen Erkrankungen und vor allem um loyale Freund:innenschaften. Tatsächlich finde ich sogar, dass der Romance-Aspekt recht kurz gehalten wird und der Humor hätte für mein Empfinden noch präsenter sein können. So können aber die ernsteren Themen besser wirken.

Im Verlauf der Geschichte zeigt sich, dass Erin und James sich ziemlich ähnlich sind und sie beide mit vergleichbaren Dämonen kämpfen. Das macht sie zu vielschichtigen, ambivalenten Figuren, was ich sehr gern mag. Ihre Beziehung entwickelt sich organisch, glaubwürdig und ohne Pathos. Stattdessen liefert Tessa Bickers hier auch Einiges an Impulsen und hat mich am Ende von Herzen weinen lassen. 😭

Manche Elemente fand ich etwas unrealistisch, darunter auch das Ende. Aber wer damit kein Problem hat, bekommt hier einen flüssig lesbaren Roman mit vielen tollen Figuren und einem großen Herzpflaster zum Schluss.
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TW:
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Krebserkrankung, bipolare Störung, Depression, Mobbing, Tod, Suizid

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Veröffentlicht am 15.08.2024

Eine unkonventionelle Beziehung zwischen Mutterschaft und Selbstbestimmung

Ava liebt noch
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Ich mochte „Ava liebt noch“ richtig gern, auch wenn die Protagonistin einen Lebensstil fern meines eigenen hat. Der Roman dreht sich vor allem um Mutterschaft, das Verschwinden einer Mutter in ihrem Kümmern ...

Ich mochte „Ava liebt noch“ richtig gern, auch wenn die Protagonistin einen Lebensstil fern meines eigenen hat. Der Roman dreht sich vor allem um Mutterschaft, das Verschwinden einer Mutter in ihrem Kümmern um andere und die Frage, wo die Grenze verläuft zwischen eigenen Bedürfnissen und der Verantwortung für (erwachsene) Kinder.

Die Protagonistin Ava hat drei Kinder in einer eingeschlafenen Ehe und beginnt im Alter von 43 Jahren eine Affäre mit dem 19 Jahre jüngeren Kieran. Ich hatte vor der Lektüre Bedenken, dass der Altersunterschied eine Machtdynamik mit sich bringen könnte, aber Vera Zischke hat das für mein Empfinden sehr gut umgesetzt. Die Beziehung der beiden erstreckt sich über einen großen Zeitraum, sodass auch Liebe und Sexualität im Alter eine Rolle spielen, was ich großartig fand.

Es ist spürbar, dass die Autorin weiß, von was sie schreibt. Sie schafft es, Ava ihre Enttäuschung über Mutterschaft ausdrücken zu lassen ohne ihren Kindern daran die Schuld zu geben. Sie zeigt, wie leicht Mütter innerhalb heterosexueller Beziehungen wieder in eine Rollenaufteilung aus den 50ern verfallen, weil es anders so viel herausfordernder ist und von den dazugehörigen Männern auch nichts proaktiv dagegen getan wird (bei manchen Äußerungen des Ehemannes hätte ich fast ins Buch gebissen 🤬). Und sie zeichnet Ava als eine vielschichtige Figur, die in der Gratwanderung zwischen eigenen Bedürfnissen und Verantwortlichkeit unterschiedliche Entscheidungen trifft. Nicht immer konnte ich sie persönlich nachvollziehen, jedoch immer respektieren.

In manchen Kapiteln kommt auch Kieran zu Wort und das hat mich manchmal etwas aus dem Lesefluss gebracht, weil alles aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, der Wechsel der Sichtweise sich jedoch nur aus dem Kontext erschließt. Trotzdem mochte ich es, sein Leben dadurch noch etwas besser kennenzulernen und halte den Wechsel für absolut notwendig im Verlauf der Handlung.

Ich fand den Debütroman total authentisch und wichtig darin, Müttern einen Handlungsraum außerhalb von und parallel zur Mutterschaft zu geben. Er war total leicht zugänglich, emotional vielschichtig und einfach eine wirklich schöne Lektüre.

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