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Veröffentlicht am 06.09.2024

Viele Züge verderben den Brei

Schwarze Dame
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Der Schriftsteller Daniel Holbe tritt seit vielen Jahren in die Fußstapfen von Andreas Franz, der Julia Durant vor 28 Jahren als junge Kommissarin aus der Taufe gehoben hat. Andreas Franz, der 2011 verstarb, ...

Der Schriftsteller Daniel Holbe tritt seit vielen Jahren in die Fußstapfen von Andreas Franz, der Julia Durant vor 28 Jahren als junge Kommissarin aus der Taufe gehoben hat. Andreas Franz, der 2011 verstarb, bleibt aber auch weiterhin als "Vater der Serie" auf dem Cover bzw. als Autor neben (bildlich über) Daniel Holbe stehen. Diesem gelingt es aus meiner Sich hervorragend,. Julia Durant immer wieder neue Fälle auf den Leib zu schneidern.
Unterdessen ist sie Leiterin der Mordkommission, verheiratet und plötzlich in ihrer Fantasie schon in der Rolle der Oma von Lionel. Der kommt auf höchst ungewöhnliche Weise in die Familie, die ansonsten kinderlos ist. Auf den kleinen Löwen Lionel und die Geschichte drumherum konzentriert sich der Autor aus meiner Sicht etwas zu verbissen, denn es gibt ja Morde aufzuklären.
Die Idee mit den Morden, die mit Schachfeldern (analog auf dem entsprechenden Stadtplan von Frankfurt) und dann mit blutigen Schachfiguren verbunden sind, hat mir gefallen. Aber der Krimi wurde durch die vielen Felder und Figuren, damit meine ich nicht nur die Schachfiguren, ein wenig überfrachtet.
Dass die innerbetriebliche Luft bei der Mordkommission manchmal etwas dick ist, das kann man sich gut vorstellen, Die Mordermittler, Kriminaltechniker und Forensiker sind alle gut beschrieben, es entsteht ein feines Geflecht, das auch für Julia Durant nicht nur Gutes bereithält.
Insgesamt ist mein Eindruck gut, aber die Geduld wurde mit über 12 Stunden schon ein wenig überstrapaziert.
Die Sprecherin Julia Fischer macht einen tollen Job, sie ist der Grund, dass ich weder Abschnitte übersprungen noch ein vorzeitiges Ende gemacht habe. Das Buch wurde wohl bei dieser Ausgabe um über zwei Stunden gekürzt. Ich vermute, da ich die lange Version (14 Std. und 46 Min.) nicht kenne, dass das Kürzen dem Buch gut getan hat.
Fazit: teilweise spannend und auch undurchsichtig, ist das ein guter Krimi, den ich gern weiterempfehle.

SchwarzeDame

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Veröffentlicht am 06.09.2024

Gemeinsames Schlafatmen oder sanfte Hölle?

»Man lebt sein Leben nur einmal«
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Als sich Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque 1937 kennenlernen, sind sie beide berühmt, sie die Filmdiva aus Der blaue Engel, er der Schriftsteller von Im Westen nichts Neues. Vorerst bestehen keine ...

Als sich Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque 1937 kennenlernen, sind sie beide berühmt, sie die Filmdiva aus Der blaue Engel, er der Schriftsteller von Im Westen nichts Neues. Vorerst bestehen keine Geldsorgen, aber andere Sorgen gibt es ohne Ende.
Remarque hat nach Hitlers Machtergreifung Deutschland fluchtartig verlassen und im Tessin ein neues Zuhause errichtet, die Dietrich war mit Joseph Sternberg, dem Regisseur des Blauen Engels schon vorher in Richtung Hollywood weggegangen. Beiden fehlt das Zuhause, das deutsche Essen hat die Dietrich jedenfalls über die Grenze gerettet, sie bekocht mehr oder weniger leidenschaftlich ihre zahlreichen, wechselnden Liebhaber mit deutscher Hausmannskost. Davon bekommt auch Remarque etwas ab, er hat sich eingereiht die illustre Menge der Verehrer, die ab und zu mit der Diva das Bett teilen und beköstigt werden.
Warum sie recht schnell vom Remarque den Spitznamen Puma bekommt, kann man in diesem Buch bestens nachvollziehen. Hinterhältig und einschmeichelnd, liebeshungrig und bös kratzend, die Dietrich ist ein Raubtier. Der Poet, nein, ein armer Poet ist er nicht, aber ein armer Tropf in Hinsicht auf diese Liebesaffäre. Denn die kann man im Buch minutiös nachvollziehen. Ob man als Zuschauer immer gern so nah dran ist, dass man die Krallen spürt, den Alkoholdunst, die Liebe und die Eifersucht, das weiß ich nicht so genau. Es ist schon ein sehr privates Buch, dass Thomas Hüetlin da geschrieben hat.
Um hin und wieder den Abstand zu vergrößern, flicht er gekonnt politische Zustandsbeschreibungen mit ein, die Nationalsozialisten liefern ausreichend Futter in den beschriebenen Jahren 1937 bis 1939. Dann springt der Autor über die ersten Kriegsjahre ins Jahr 1942 und beschreibt den Wechsel der Dietrich vom fallengelassenen, nicht mehr sonderlich beachteten Filmstar zur Frontsängerin. Das bringt ihr Erfolg und Medienaufmerksamkeit. Man kennt diese Geschichte.
Die Lebens- und Liebesgeschichten von Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque werden auch in der Rückschau erzählt, beide haben ein „Eigenleben“ das zum anderen aber überhaupt nicht passen will. Remarque fühlt sich wie im Luxusknast und ist überfordert von der „Komplexität des Affärenreigens“ der Dietrich, sie findet ihn provinziell und bürgerlich. So heißt es denn auch an einer Stelle, „Nicht bürgerlich zu sein – so richtig einfach war das nicht.“ Auf gut Deutsch, er kann ihr in Sachen Exaltiertheit, Arroganz, Narzissmus und Borniertheit nicht das Wasser reichen. Was er dagegen hält, ist Geld. Das wirkt beim Puma wie frisch gerissenes Fleisch.
Die Orte der Handlung wechseln je nach Laune oder Großweltlage, Frankreich, die USA, mal in Paris mit Eifersucht und Drama, mal am Mittelmeer mit Alkohol und Streit, Hollywood, Beverly Hills, nirgends wird es besser. Die Dietrich auf der ständigen Suche nach Anerkennung und neuen Opfern, der Poet hinterdrein, fügt sich, um Schlimmeres zu vermeiden. Fast täte er mir leid, aber er hat kein richtiges Kreuz und keine Entscheidungskraft, da muss er es eben aushalten. Dass er sogar einknickt, als die Dietrich veranlasst, dass seine Ehefrau nicht in die USA einreisen darf, ist nur das Krönchen. Was ansonsten in dieser Beziehung und in beider Leben noch geschieht, will ich natürlich nicht beschreiben. Überraschungsmomente birgt das Buch jedenfalls noch reichlich.
Zu Beginn fand ich das Buch eher langatmig, aber im Laufe des Hineinlesens und Hineinfindens wurde es doch eine ereignisreiche Lesezeit. Der Anhang mit Quellen und Literatur sollte nicht überlesen werden, da fand ich recht viele, noch ungelesene Bücher, die zusätzliche Erkenntnisse bringen würden. Verwundert hat mich, dass der Roman Ascona von Edgar Rai gar nicht erwähnt wird, denn der bot einen tieferen Einblick in Remarques erste Jahre im Exil.
Der Schreibstil passt sich sehr den Brief- und Tagebuchfragmenten an, dadurch liest sich alles manchmal etwas gewollt, auch holprig, in den rein historischen Kapiteln jedoch wird es bisweilen etwas trocken, besonders im ersten Teil des Buches. Insgesamt ist das Ganze gut lesbar und manchmal sogar erheiternd. Meine Sympathien gehen mehr zu Remarque als zur Dietrich, sie ist mir dann doch zu abgehoben von der Szenerie, egal wo sie gerade ist. Aber das ist absolut subjektiv.
Fazit: Ich kann das Buch empfehlen, als Ergänzung zu schon zahlreich erschienenen Biografien und Abhandlungen über beide Protagonisten. Der historischen Bestandsaufnahmen hätte ich in der Ausführlichkeit nicht bedurft, aber sie bringen oft Gelesenes wieder in Erinnerung. Gute vier Sterne vergebe ich gern.

ManlebtseinLebennureinmal

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Veröffentlicht am 24.08.2024

Glück entsteht zuerst im Kopf

Vielleicht können wir glücklich sein
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Mit dem dritten Roman ihrer Heimat-Trilogie vollendet Alexa Hennig von Lange die jahrelange Beschäftigung mit der Vergangenheit ihrer Großmutter zumindest auf dem Papier. Diese Vergangenheit ist so vielfältig ...

Mit dem dritten Roman ihrer Heimat-Trilogie vollendet Alexa Hennig von Lange die jahrelange Beschäftigung mit der Vergangenheit ihrer Großmutter zumindest auf dem Papier. Diese Vergangenheit ist so vielfältig und schicksalhaft, dass sie die Autorin wahrscheinlich aber auch jetzt noch bewegt.
Kurzer Rückblick: Der erste Teil beschreibt die Entwicklung von Isabells Großmutter Klara zu einer dem Nationalsozialismus dienenden Leiterin eines Mädchenschulheims. Konträr zu ihrer Tätigkeit steht, dass sie ein jüdisches Mädchen aufnimmt und als ihre Tochter ausgibt. Im zweiten Teil muss sie dieses Kind weggeben, aber die geplante Rettung mit einem Kindertransport nach England scheitert. Klara hat unterdessen Gustav, einen Volksschullehrer kennengelernt und heiratet ihn. Als sie selbst Kinder bekommt, kann sie ihre leitende Funktion nicht mehr ausüben. Gustav wird eingezogen, als der zweite Weltkrieg beginnt. Klaras beste Freundin Susanne entzieht sich den Nationalsozialisten und geht nach Rom, Klara bleibt ohne viel Hoffnung und mit den Kindern zurück.
Im letzten Teil geht es auf das Ende des Krieges zu, die unterdessen vier kleinen Kinder müssen versorgt und behütet werden, was sich als äußerst schwierig erweist. Parallel zu Klaras Geschichte ist es die Enkelin Isabell – die um die Jahrtausendwende auf die Tagebücher und Briefe ihrer verstorbenen Großmutter stieß –, die immer wieder als mahnende Stimme und Erzählerin in den drei Romanen erscheint. Auch ihr Freund Patrick, Vater ihrer kleinen Tochter, wird mit seiner pathetisch aufgesetzten Meinung zum Nationalsozialismus und zum Widerstand „political correct“ dargestellt. Klara wird als eine innere Antifaschistin gezeigt, die tunlichst in der Öffentlichkeit jede Regung zu vermeiden sucht, die sie auch nur in die Nähe von Widerstand bringen würde. Sie versteckt die Bilder und Karten von Tolla, die nun ab und an aus Theresienstadt schreibt, niemand, schon gar nicht die eigenen Kinder, soll von ihr erfahren. Die Angst ist täglicher Begleiter Klaras geworden.
Tolla als Romanfigur ist rein fiktiv, sie hält durch ihr bloßes Dasein die Geschichte von Anfang bis Ende zusammen, mit ihr kommen Mitgefühl, Trauer und Angst in die Trilogie und damit auch zum Leser.
Aus meiner Sicht ist vieles zu ausführlich beschrieben, bekommt manchmal einen unnatürlichen Klang. Sicher ist es schwierig, sich die heimlichen Gespräche von Klara mit ihrem Ehemann vorzustellen, was sie sich erzählt haben mögen. In mir lauert dabei immer die Vorsicht, wenn ein Wehrmachtsangehöriger nur über die üblen Taten der anderen berichtet und sich selbst nur in der Rolle des leidenden Zuschauers sieht. Wie unschuldig ist Gustav wirklich?
Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, mir hat das Buch bis zum Ende gefallen und ich wünsche mir, dass es möglichst viele andere auch zu Ende lesen. Aus Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist über die eigenen Familienangehörigen zu schreiben und trotzdem eine gewisse Distanz zu halten, um das Geschriebene auch für die Leser spannend und interessant zu gestalten.
Neben dem Buch habe ich auch noch das Hörbuch gehört, teilweise gefiel es mir sogar noch besser als das gedruckte Buch. Die Sprecherin Tessa Mittelstädt liest sehr authentisch und empathisch, da erscheint einiges viel natürlicher als im Buch. Manchmal übertreibt sie die schauspielerische Leistung ihrer Stimme etwas, besonders beim Versuch, die Kinder zu spielen. Aber insgesamt legt sie eine tolle Sprecherleistung hin.
Fazit: Der Autorin gelingt ein Blick hinter die Kulissen derer, die nach dem 2. Weltkrieg als „Mitläufer“ und „unbelastet“ deklariert wurden, wie auch auf die Generationen, die danach kommen. Gute vier Sterne.

dumontbuchverlag

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Veröffentlicht am 15.08.2024

Erinnerungen eines unterforderten Fötus

Pi mal Daumen
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Alina Bronsky reizt mich generell, wenn ein neues Buch von ihr erscheint, muss ich es auch lesen. Gut in Erinnerung sind mir Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche, Baba Dunjas letzte Liebe, Der ...

Alina Bronsky reizt mich generell, wenn ein neues Buch von ihr erscheint, muss ich es auch lesen. Gut in Erinnerung sind mir Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche, Baba Dunjas letzte Liebe, Der Zopf meiner Großmutter, Barbara stirbt nicht und zuletzt Schallplattensommer. Da hängt die Latte fürs neue Buch gleich immer noch ein bisschen höher.
Alina Bronsky hat einen wunderbar lockeren und ironischen Tonfall, auch wenn die Dinge wirklich tragisch, problematisch oder außergewöhnlich sind. Sie hat immer einen Blick fürs Unangepasste, für die, die „aus der Reihe tanzen“. In "Pi mal Daumen" tun sie letzteres ganz bestimmt. Wenn man sich auf ein modernes Märchen einlassen will, ist man bei Moni und Oscar goldrichtig. Leider ist gerade Mathematik nie mein Lieblingsfach gewesen, so dass ich bei bestimmten Begriffen nur Bahnhof verstehe, aber das tut der Geschichte im Mathematikprofessoren- und Studentenmilieu wenig Abbruch.
Die Protagonisten: Oscar ist nicht nur ein hochbegabter Schüler, der bereits mit fast 17 Mathematik studieren kann/will/soll. Er ist gleichzeitig in seinem alltäglichen Denken und Handeln eingeschränkt wie ein kleines Kind, hat Zwangsneurosen, kapselt sich ab wie ein Mensch mit Asperger-Syndrom und versucht seine Sicht der Dinge unangetastet zu erhalten. Moni hingegen ist tatsächlich eine irre Nummer, offensichtlich auch sehr selbstbewusst, außer wenn es um ihren Lebensabschnittspartner und ihre Familie geht. Aber das kann man verstehen, wenn man ihn und die anderen kennengelernt hat. Pit ist nun nicht gerade mathematikaffin und auch sonst nicht der Hellste, da kann der Oscar froh sein, wenn er nur an ihm vorbei geht. Wobei aber Justin, der älteste Enkel von Moni, bei Oscar für ihn merkwürdige und unerwartete Gefühle auslöst. Zum mittleren Enkel Quentin entwickelt sich hingegen eine fast brüderliche und enge Beziehung, die wiederum sehr stark auf der mathematischen Ebene wächst.
Ich las gespannt, wie das weiterging mit dem ungleichen Paar, das ja definitiv kein Liebes-Paar ist. Moni (53) könnte auch die Oma von Oscar sein, so behandelt sie ihn dann auch. „Kleiner“! Ob zwischen Oscar und Moni Mutter-(Oma)-Kind-Gefühle entstehen, bleibt ein Geheimnis. Aber ein paar Gefühle hat Oscar schon, am Anfang vor allem aber Angst. Ein Betreuer- und Beschützersyndrom entwickeln beide, das ist schon recht witzig.
Im Mittelteil überkam mich von Zeit zu Zeit trotz der flotten, mit Ironie und Witz gespickten Geschichte echte Langeweile, die mathematiktheoretischen Ausführungen (inklusive der nie gehörten Fachbegriffe) und auch die Beschreibung mancher Familiensituationen, in die Oscar bei Moni hineingerät, sind etwas breit ausgewalzt. Oscars Mutter bekommt auch eine Nebenrolle, aber irgendwie erscheinen mir die Eltern etwas steril in der ansonsten lebhaften Romanszenerie. Da hatte die Geschichte, oder auch die Autorin, aus meiner Sicht einen Durchhänger.
Im letzten Drittel macht sie das dann mehr als wett, hier hatte ich endlich nicht mehr das Gefühl, als Oma in einem Jugendroman gestrandet zu sein. Die Mathematik und das Studium spielten zwar immer noch eine Rolle, aber die Psychologie gewinnt die Oberhand.
Der unseren Helden Oscar begleitende Mister Brown ist eine wunderbar real-unreale Persönlichkeit, die Oscar nicht nur bei der Mathematik, sondern auch beim Denken hilft. Fast wie die gute Fee im Märchen.
Alina Bronsky nutzt in ihrem Buch das eigentlich für Sachbücher prädestinierte Fußnotenschreiben. Man sollte sie nie unbeachtet überlesen, man würde einiges an Unterhaltung einbüßen.
Warum das Buch den Titel Pi mal Daumen trägt, erfährt man natürlich auch ganz konkret. Aber der Titel ist sicher viel mehr auch eine Metapher für Monis Art, sich der Mathematik zu nähern und gibt einen Vorgeschmack auf ein zumindest für mich einfach unvorstellbares Mathematikstudium.
Mein Lieblingszitate: „Wir studieren keine Gnade, sondern Mathematik.“ und „Menschen, die gerade ernsthaft über Mathematik nachdachten, sollten weder Auto fahren noch mit scharfen Gegenständen hantieren.“
Fazit: Das Buch liest sich locker und leicht, man denkt sich seinen Teil und schmunzelt als Leser. Ich habe meine Mathematikaversion erfolgreich bekämpft und dieses Buch gut unterhalten bis zum Ende gelesen. Da kann ich es auch guten Gewissens weiterempfehlen.
Gerne 4 Sterne

PimalDaumen

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Veröffentlicht am 13.08.2024

Und es geht weiter, weiter, weiter …

Die Welt zwischen den Nachrichten
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Das Rezensieren dieses Buches, das das Genre Roman hat, aber sich nicht wie ein Roman flüssig und schon gar nicht leicht gelesen. Zu Beginn war ich unsicher, ober ich überhaupt weiterlesen möchte, aber ...

Das Rezensieren dieses Buches, das das Genre Roman hat, aber sich nicht wie ein Roman flüssig und schon gar nicht leicht gelesen. Zu Beginn war ich unsicher, ober ich überhaupt weiterlesen möchte, aber Seite um Seite habe ich mich „dem Mittelpunkt der Erde“ genähert und es war tatsächlich spannend, Judith Kuckarts 12. Roman bis zur letzten Seite zu folgen. Dort findet sich dieses Gedicht „Telegramm – Nicht wichtig / ist / was man aus uns gemacht hat / wichtig ist / was wir aus dem machen / was man / aus uns gemacht hat. *“
Ich habe selbst im letzten Jahr versucht, für meine Tochter einige Erinnerungen aufzuschreiben, die einzelnen Kapitel nannte ich „Gedankensplitter“. Nun begegne ich einem Roman, der aus solchen Erinnerungen an Kindheit, Jugend, Liebe und anderes besteht, aus vielen Gedankensplittern eben. Das hat mich beim Lesen mehr und mehr fasziniert, obwohl der Beginn des Romans schon sehr holperig und sprunghaft erschien. Ja, man muss sich darauf einlassen, dass hier Gedanken, Träume, echte Erinnerungen und fliegende Ideen ineinandergreifen. Ich kenne den Begriff autofiktional, vielleicht trifft er ja zu. Beim Lesen jedenfalls hatte ich das Gefühl, in einen wolkigen Himmel zu schauen und je länger ich schaute und las, um so mehr erschienen Gesichter, Umrisse von Gebäuden, Tiere und Stadtsilhouetten vor meinem geistigen Auge.
Judith Kuckart ist fünf Jahre jünger als ich, aber wir gehören beide dieser ominösen sogenannten Babyboomergeneration an, habe Ähnliches und doch ganz Verschiedenes erlebt. Sie vor der Mauer im Ruhrgebiet, ich in Ostberlin. Oder war sie hinter der Mauer und ich davor? Eine Frage der Perspektive. Sie sagt Grenzübergang Moritzplatz, ich sage Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße. Ich kannte bis heute Judith Kuckarts Namen nicht, Tanz ist nicht unbedingt in meinem Fokus (gewesen) und ihre Romane sind leider alle ungelesen an mir vorbeigezogen. Umso froher bin ich, Judith Kuckart jetzt kennengelernt zu haben. In einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche, wie sie in der Bundesrepublik auch nur selten so sichtbar waren, stellt sie sich der Frage nach dem Woher und Wohin. Und sie beschreibt auf sehr eigene Art den Weg dazwischen. Vom Kind, vom Mädchen zur Frau, immer mit eigenem Kopf und eigenen Gedanken. Nur so konnte sie etwas werden, was sich von anderen abhebt und beachtet wird.
Der bruchstückhafte Erzählstil wird unterbrochen von den zwölf „Kantinen“-Kapiteln. Und mit diesen Kapiteln kommen die Begegnungen mit Eva K., geheimnisvoll, verwirrend, anziehend, ermunternd, wie auch immer, Eva K. bleibt beinahe bis zum Schluss. Mir hat diese Art, den (Lebens)-Kreis zu schließen dann doch sehr gefallen. Auch die anderen Protagonisten sind liebevoll und zugewandt beschrieben, selbst Methusalem, den älteren und jahrelangen Lebensgefährten kann ich mir hundertprozentig vorstellen. Einfach berührend, wie Judith Kuckart auf ihre Freunde, Bekannten und Zeitgenossen blickt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es sehr schwer ist, über die eigenen Eltern oder Verwandten zu schreiben, das ist immer auch eine Gratwanderung. Der Autorin gelingt auch das gut, es gibt eben einfach nicht immer nur eitel Sonnenschein in den Erinnerungen an ein ganzes Leben.
Eingestreut in die Texte sind Fotos, bei manchen erschließt sich der Sinn, manche hätten vielleicht einen kleinen Bildtext benötig.
Das Cover kenne ich nur durch das E-Book, wie es gedruckt wirkt, weiß ich nicht, es ist nicht ganz mein Geschmack, aber der Buchtitel ließ mich bei der Ankündigung aufhorchen. Jeder kann da seine Empfindungen hineininterpretieren. Irgendwann ist die Mauer weg und es zieht um alle Ecken in Berlin, dazwischen eben das Leben, der aufgewirbelte Staub und die Liebe und der Tod.
Ich hoffe, Judith Kuckart, braucht noch keine Stützstrümpfe, und wenn, bringt sie das hoffentlich nicht um. Aber was ich mir wünsche, ist, dass sie niemals wieder eine Lehrerin verbessert und meint, es heiße nicht Lehrerzimmer, sondern LehrerInnenzimmer. Oder sollte das ein Witz sein? Da kann ich leider nicht drüber lachen. Auch Studierende und Tanzende muss ich nicht unbedingt haben, wenn es sich um schlichte Studenten oder Tänzer handelt.
Trotz Kritiken: Gern empfehle ich das Buch, es könnte aber sein, dass manche Leser es wieder weglegen, weil sie mit dieser Zeit zwischen Ost und West und den zwölf Kantinen nichts anfangen können. Bei mir hat das Buch jedenfalls viele Erinnerungen getriggert, Dinge, an die ich schon Jahre nicht mehr gedacht habe.
Gute vier Sterne

dumontbuchverlag

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