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Veröffentlicht am 27.02.2024

Elyssa & Aenaeas - eine tragische Liebe in Karthago

Elyssa, Königin von Karthago
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Das Cover, sehr zurückhaltend, klassisch mit dem zarten Gold eines sich auflösenden Schleiers leitet sehr treffend zu diesen Roman hinüber.

Die Grundlage dieses Romans bildet die klassische Geschichte ...

Das Cover, sehr zurückhaltend, klassisch mit dem zarten Gold eines sich auflösenden Schleiers leitet sehr treffend zu diesen Roman hinüber.

Die Grundlage dieses Romans bildet die klassische Geschichte um den trojanischen Prinzen Aeneas, den wir schon aus Homers Ilias kennen. Die letzte Schlacht um Troja ist geschlagen. Aeneas trägt seinen Vater auf den Schultern durch die Flammen. Zusammen mit seinem Gefolge zieht er auf einer Irrfahrt durch das Mittelmeer. Am Ende erreichten sie das Gebiet um den Fluss Tiber, um dort das „neue Troja“ zu gründen, aus dem später Rom entstand.

Eine unter mehreren Stationen auf Aeneas langer Irrfahrt war die junge Stadt Karthago. Diese war von Elyssa (auch Dido genannt) gegründet worden. Die phönizische Prinzessin war mit ihrem Gefolgsleuten vor ihrem Bruder hierher an die Küste Nordafrikas geflohen.

Vergil kommt ins Spiel

Der römische Dichter Vergil erzählt in seiner „Aineas“ seine eigene Geschichte um Aeneas und Elyssa. Er lässt den geflohenen trojanischen Helden in einen Sturm geraten. Dieser verschlägt ihn mit seinen Leuten, darunter auch sein kleiner Sohn Iulus, an das Ufer der neu gegründeten Stadt Karthago. Hier wird er von der Herrscherin Elyssa freundlich aufgenommen. Ihr erzählt Aeneas vom Schicksal Trojas, den Listen der Griechen, seiner Irrfahrt und auch von dem Orakel der Götter.
Die verwitwete Elyssa verliebt sich in Aeneas. Doch eine Beziehung zwischen beiden widerspricht dem Willen von Zeus, der auf die Gründung des neuen Weltreiches besteht.

Elyssa rückt wieder ins Rampenlicht

Auf Vergils Version greift die spanische Autorin Irene Vallejo in dem Roman „Elyssa“ zurück. In ihrer Wiedererzählung der Mythologie betrachtet sie die Ereignisse aus wechselnden Perspektiven von Elyssa, ihrer Halbschwester Anna, des trojanischen Helden Aeneas, dem Gott der Liebe Eros und sogar aus der des Dichters des Epos Vergil selber.

Themen und Figuren aus der griechischen Mythologie werden in der modernen, auch gerade feministisch orientierten Literatur zur Zeit gerne aufgegriffen und neu erzählt. Mich haben da besonders die Erzählungen von Madeline Miller („Circe“) oder Natalie Haynes begeistert. Vielleicht bin ich deshalb mit einer bestimmten Erwartungshaltung an diesen Roman herangegangen. Die konnte allerdings nicht in allen Punkten erfüllt werden.

Das Schicksal des Aenaes nach dem trojanischen Krieg oder der Mythos um Karthago war mir nicht so präsent, dass ich problemlos in die Geschichte hätte einsteigen können. Leider fehlen dem Roman entweder eine erläuternde Einführung oder ein paar Zeilen im Anhang zum Nachschlagen. Da bleibt einem nur die eigene Internetrecherche um die Wissenslücken zu füllen. Natürlich kann man das Buch auch ohne Nachschlagen lesen, aber mir persönlich fehlt dann der Hintergrund.

Untypische Heldinnen

Der Wechsel der Perspektiven der handelnden Charaktere erfolgt kapitelweise. Dieser Sichtwechsel ist recht interessant und abwechslungsreich. Vor allem die Schilderungen des Gottes Eros zeigten gewissen Witz. Auch dass man in die Schreibblockade und die Gefühlswelt des Dichters des Epos, den Römer Vergil, Einblicke bekommt, empfand ich als sehr frische, auflockernde Idee.
Die Charaktere Elyssa und Aeneas haben einiges gemeinsam. Er – ein typischer Held, der letzte Überlebende des trojanischen Königsgeschlechtes auf der Suche nach einem Neuanfang, Sie - eine mutige, heldenhafte Frau, als Prinzessin geboren, taktisch-kluge Stadtgründerin. Beide sind im mittleren Alter mit einer ehelichen Beziehung hinter sich. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie keine klassischen Helden, sondern Menschen mit Zweifeln, Unsicherheiten und dem Bedürfnis nach Liebe und Sicherheit. Das ist ein echter Pluspunkt dieser Geschichte.

Mit Elyssa wird auch eine bislang eher unbekannte Frau aus dem Dunkel der Mythen ins Licht der Aufmerksamkeit gestellt. Sonst ist sie vielleicht eher bekannt als kleine Randnotiz der Geschichte Karthagos. Auch Karthago als Handlungsort fällt aus dem Rahmen. Beides finde ich sehr erfrischend neu.

Der Schreibstil ist ansonsten eher etwas distanziert, in ruhigerem Tempo und an der Klassik orientiert. Das führte allerdings zu einer gewissen inneren Distanz zu den Figuren bei mir, so dass ich mich nicht in die Handlung hineingezogen fühlte. Dabei ist durchaus ein Spannungsbogen geboten. Die Konflikte durch innere und äußere Feinde setzen die Charaktere nämlich ziemlich unter Druck.

Die Konflikte, die in und um Karthago herum stattfinden, muten einem als Leser
in nicht antik, sondern leider nur zu aktuell an: Kolonialismus, Vertreibung anderer Völker, Genozid, Fremdenhass, Intrigen, Ermordung politischer Gegner etc.
Vermutlich tut man sich als Leser*in etwas leichter, wenn man nicht gleich mit einer bestimmten Erwartungshaltung an diesen Roman herangeht und auch ein ruhiges Erzähltempo entspannend findet.

Immerhin ist der Mythos um die Stadt Karthago mal etwas Neues im Reigen der mythologischen Neuerzählungen.

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Veröffentlicht am 15.08.2024

Die Vögel im Käfig

Wie ein Vogel
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„Wie war das eigentlich früher, als Ihr noch Kinder wart?“ Eine Frage, die vielen Eltern und Großeltern von Kindern und Enkeln gestellt wird. Da holt man doch gern mal das Fotoalbum heraus und kramt in ...

„Wie war das eigentlich früher, als Ihr noch Kinder wart?“ Eine Frage, die vielen Eltern und Großeltern von Kindern und Enkeln gestellt wird. Da holt man doch gern mal das Fotoalbum heraus und kramt in seinen Erinnerungen.
Genau das ist die Stelle, an der uns das schmale kleine Kinderbuch von Gerda Raidt (geboren 1975) abholt. Sie erzählt aus der Sicht der kleinen Gerda, die in Ostberlin aufgewachsen ist.

Schwarzweiß-Fotos aus Gerdas Familienfotoalbum dienen als Ansatz der Rückerinnerung. Da lernen wir sie kennen: Klein Gerda, ihre Eltern, den Bruder, die Oma und natürlich Omas Wellensittich. Gerda kann die Erinnerung in die Welt in Farben zurückholen, so dass sie für uns auch lebendig wird.

Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv der Vögel durch das Buch von Anfang bis zum Ende, sowohl im Bild als auch im Text. Man kann sich von den vielen wunderschönen Zeichnungen von Vögeln und Federn einfach nur bezaubern lassen. Aber man kann an dieser Stelle auch interpretierend in die Tiefe gehen. Dazu aber später…
Wir erleben Teile von Gerdas Alltagsleben in der DDR. Was ist in ihrer Erinnerung hängen geblieben?

Die allgegenwärtige Berliner Mauer, der Zwang zum Mittagsschlaf in der Krippe, dem Gerda als Mittagskind durch ihre umsichtige Oma entgehen kann, selbst gebastelte Friedenstauben aus Papier und Fahnenappell in der Schule.

Die schönen Dinge kommen immer als bunte Geschenke der Oma, die in den Westen darf. Gerda wird älter und damit wandeln sich auch die Wunschgeschenke aus dem Westen.
Dazwischen immer wieder Erinnerungen an die Vögel, die ungehindert über Mauern fliegen können, die gerettet werden, einem zufliegen oder auch fliehen. Oder sie sitzen halt im Käfig, wie Omas Wellensittiche.

Am Ende wird für Omas letzten Vogel eine freiere Zeit anbrechen und auch für Gerda, ihre Familie und die Bürger der DDR wird die Mauer fallen. Ein gutes Ende.
Neben den wunderschönen Illustrationen, die ein Genuss zum Anschauen sind, ist auch der Text sehr verständlich und kurz gehalten für Kinder.

Aber mir bleiben ein paar Fragen und Stellen, die mir etwas „aufstoßen“.
Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass das Leben in Ostberlin mit Weichzeichner gemalt wird. Es sind nur rein materielle Dinge, die Gerda entbehrt. Sie ist mit zunehmendem Alter verzweifelt, weil sie nicht zum Shoppen der angesagten Dinge in den Westen darf.
„Die schönen Dinge kamen leider immer aus dem Westen.“ S. 55
Das war alles?

Irgendwann flüchtet die Familie der Freundin Ina. So wie die Dinge bis dahin dargestellt sind, fragt sich das lesende Kind unwillkürlich: Warum? Um endlich die feinen Westsachen selber zu kaufen? Flieht man deshalb? Irgendwas fehlt doch da?
Dann endlich, der Fall der Mauer! „Die Mauer war offen! Endlich konnte ich in den Westen und mir selbst all die Dinge kaufen, die ich haben wollte.“ S. 63 Das ist der Beginn ihres bunten Lebens mit „Plastiktüten“.

Ehrlich gesagt, hat mir dieser rein materielle Ansatz erst mal die Sprache verschlagen.
Aber immerhin gibt es ja noch den roten Faden des Vogelmotivs. Nehmen wir mal das Bild der Wellensittiche im Käfig als Situation in der DDR. Denn die Käfigvögel begleiten Gerda in der ganzen Phase des Heranwachsens. Am Ende konstatiert sie „Jeder soll fliegen können, wohin er will.“ und lässt den Vogel in die etwas größere Freiheit der Voliere.
Verstehen die Kinder dieses Bild des Käfigvogels mit dieser Volierenfreiheit?

Ich erwarte keine politische Abhandlung für Kinder, aber mit dem einen oder anderen Satz oder Bild, hätte man auch auf die politische Unfreiheit und Unterdrückung hinweisen können. Das haben damals auch Kinder erfasst.
Irgendwie klingt dann in meinem Ohr der Satz: „Helmut, nimm uns an die Hand, und führe uns ins Wunderland.“ Manch eine/r Im Osten malt sich die DDR-Vergangenheit gerade in Pastellfarben. Da kommt so was nicht gut.

Fazit:
Ein sehr schön aufgemachtes Buch für Kinder, dass sie aber am besten mit einem Erwachsenen an der Seite anschauen sollten, der manches ergänzen und erklären kann. Denn es bleiben für Kinder sehr viele Fragen offen.


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Veröffentlicht am 23.04.2024

Bunter Strauß von Schicksalen

Das Fenster zur Welt
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Während 1944 in Italien die Bomben fallen, treffen sich in der Ruine eines Weinkellers einer Toskanischen Villa zwei ganz unterschiedliche Fremde und verbringen einen einzigartigen Abend. Der eine ist ...

Während 1944 in Italien die Bomben fallen, treffen sich in der Ruine eines Weinkellers einer Toskanischen Villa zwei ganz unterschiedliche Fremde und verbringen einen einzigartigen Abend. Der eine ist Ulysses Temper, ein junger englischer Soldat. Die sechzigjährige Evelyn Skinner ist eine britische Kunsthistorikerin und ist nach Italien gekommen, vor allem um Kunstwerke zu retten. Letztendlich wollte sie auch ihre Erinnerungen an ihre italienische Zeit wieder zum Leben erwecken, ganz besonders an ihre große Liebe Livia.

Evelyn gelingt es durch ihre Einsichten, ihre große Leidenschaft für die Kunst, Italien, besonders Florenz, einen Sämling in Ulysses‘ Gemüt zu pflanzen. Dieser geht dort an, gedeiht und wird seinem weiteren Leben und dem seiner Freunde eine bestimmte Richtung geben.
Evelyn sieht etwas Besonders in Ulysses, eine Art Gefährten im Geiste, empfindet sich wieder jung. Ulysses fühlt sich ebenso zu Evelyn hingezogen. Es entsteht eine ganz besondere Beziehung in dieser kurzen Zeit. Eine Verbindung, die sie beide in Gedanken über Jahre begleitet. Man wartet sehnsüchtig darauf, dass sich die beiden wiedersehen. Doch stets verpassen sie sich knapp.

„Diesen Tanz sollten Evelyn und Ulysses noch jahrelang fortführen. Nur in Gedanken waren sie immer beeinander. Ein eleganter Two-Step, geboren aus einem Jig an einem Straßenrand in der Toskana.“ S. 283

Zunächst kehrt Ulysses aber heim nach London, wo seine Frau Peg inzwischen das Kind eines anderen Mannes geboren hat.
Ulysses Temper ist ein warmherziger Mann, der meist an das Wohlergehen der anderen denkt. Kein Wunder, dass dieses Kind Alys wichtiger Teil seiner Wahlfamilie werden wird. Und er wird das Ruder seines Lebens herumdrehen, denn durch seinen Mut und sein großes Herz wird ihm ein Erbe zuteil.
„Incipit vita nuova“ … „So beginnt ein neues Leben.“ S. 235

In den nächsten vier Nachkriegs-Jahrzehnten werden wir als Leserinnen mit Ulysses und seiner Wahlfamilie – Alys, seinen Freunden Cress und Col, Peg u.v.a. - zwischen dem Pub im ärmlichen Londoner East End und dem neuen Lebensmittelpunkt in der sonnigen, charmanten Stimmung von Florenz pendeln. Kein Wunder, dass sich die Charaktere dann vor allem in Florenz in Ulysses Pension versammeln. So können wir es genießen, durch die Gassen der Stadt zu wandeln, die durch die reiche Kunst und Geschichte der Renaissance geprägt ist.

Man nimmt Teil an persönlichen Entwicklungen, Trennungen, Verlusten, Trauer, Sorgen, Überraschungen, den Schicksalswegen, dem Alltagsleben der ganz speziellen Charaktere.
Auch die exzentrische Evelyn werden wir Leser
innen wieder treffen. Gerade durch die Figur dieser lesbischen Kunsthistorikerin bekommen wir viele spannende Einblicke in die Kunst und Architektur von Florenz.

Natürlich geht die politische Zeitgeschichte nicht an ihnen vorüber, so dass die 70iger Jahre in Italien sie sehr aufwühlt.
„Wir durchleben immer noch das ideologische Erbe der französischen Revolution, Hitlers und Mussolinis“ sagte Evelyn. „Kratzt man an der Oberfläche, hebt das Monster wie gehabt seinen Kopf. Das Böse wurde zwar besiegt, aber es hat sich nicht in Luft aufgelöst. Das ist etwas, womit wir leben müssen, Ulysses.“ S. 432

Fazit
Eigentlich gleich dieser Roman einem Stillleben. Mit dem zarten Pinsel einer ausgewählt poetischen Sprache ist es wie ein Gemälde aufgebracht. So bunt, mediterran und frisch, wie auch das Cover des Buches, aber auch voller Weisheiten.

Es taucht zwar eine große, vielfältige Menge an Charakteren über eine erzählte Zeitspanne von 40 Jahren auf, aber eine eigentliche Handlung oder einen Spannungsbogen findet man kaum. Das ist etwas, was ich doch vermisst habe.

Ulysses ist ein wunderbarer Hauptcharakter und der Grund, immer wieder zum Buch zurück zu kehren. Ein schieres Labyrinth an Charakteren ist miteinander durch die Liebe, den Krieg, die Kunst, das Schicksal verknüpft. Selbst ein sprechender Papagei und kommunizierende Bäume tauchen auf.

Statt eines Spannungsbogens folgt man den Schicksalswegen der vielen Charakteren, und denen zweier Städte. So kann man sich an der stimmungsvollen Beschreibung der Entwicklung von London und vor allem Florenz in diesen Nachkriegsjahrzenten erfreuen. Besonders beeindruckend sind dabei die Schilderungen der verheerenden Flutkatastrophe von 1966, die sehr bewegend dargestellt wird.

Über ein paar Unebenheiten in der Übersetzung bin ich gestolpert, wie z.B. Alys „Mulltuchbluse“, bei der es sich wohl um eine Musselin-Bluse handeln müsste.

Im Endeffekt kann sich jeder etwas ganz Unterschiedliches aus dem Erzählen der kleinen Dinge des Lebens, der Beziehungen, Entwicklungen, Schicksale mitnehmen. Bei manchen hallt es nach, anderen sagt es vielleicht weniger. Eintauchen und Entspannen ist auf jeden Fall garantiert.




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