Ein Kind seiner Zeit
Das Rad der Zeit 1Der 900 starke Auftakt zu das "Rad der Zeit" wurde von Robert Jordan zu Beginn der 90er Jahre erstmals verlegt. Persönlich habe ich das Buch vor einer Weile schonmal gelesen, es nun aber noch einmal getan ...
Der 900 starke Auftakt zu das "Rad der Zeit" wurde von Robert Jordan zu Beginn der 90er Jahre erstmals verlegt. Persönlich habe ich das Buch vor einer Weile schonmal gelesen, es nun aber noch einmal getan - weil die Zeit dafür reif war.
Diese Rezension erhält keine beabsichtigen Spoiler - Andeutungen habe ich nach Kräften zu vermeiden versucht!
Inhalt
Rand al'Thor führt in Emondsfelde im Gebiet der Zwei Flüsse ein beschauliches Leben als Schäfer und Tabakbauer. Der dunkle König ist eingeschlossen in Shayol Ghul - seine Schattengestalten, Blasse und Trollocs, existieren für Rand, seine Freunde Mat und Perrin und seine Versprochene Egwene nur in Schauergeschichten und sind längst zu Sagengestalten geworden. Zumindest bis zur Winternacht vor Beltine. Da treten diese plötzlich aus dem Schatten der Nacht und Märchen, um das Dorf heimzusuchen.
Sie kamen aus der Fäule auf der Suche nach Rand, Mat und Perrin, weiss die Aes Sedai Moiraine, die ebenfalls in Emondsfelde weilte. Eine Aes Sedai - magisch begabte und in Tar Valon ausgebildete Frauen - sagen immer die Wahrheit. Dass sie dennoch gefährlich sind und diese Wahrheit manchmal so ihre Ecken und Kanten hat, ist bekannt. Dennoch fliehen die drei Jungen, begleitet von der eigenwilligen Egwene und dem Gaukler Thom Merrilin, mit der Aes Sedai und ihrem Behüter Lan. Das Ziel: Tar Valon, wo die Burschen erfahren sollen, weshalb sie gejagt werden und Egwene zur Aes Sedai ausgebildet werden soll. Wenig später schliesst sich ihnen Nynaeve an, die Dorfheilerin aus Emondsfelde, die sich selbst ausgeschickt hat, die Kinder zurück zu holen. Dazu kommt später der Ogier Loial, der die drei Jungen als Ta'veren erkennt - jene Menschen, um die herum das Rad sein Muster webt.
Eine wilde Flucht beginnt, auf der jeder der Heldinnen eigene Prüfungen zu bestehen hat, Schattenfreunde an jeder Ecke lauern, die Gruppe getrennt wird und die Häscher des Dunklen Königs ihnen immer ganz nah auf den Fersen sind. Der Showdown des ersten Bandes führt die Gruppe schliesslich auf unerwarteten Wegen zu einem unvorhergesehenen Ziel, an dem unerhörte Entdeckungen, eine Prophezeihung und viele weitere Fragen warten.
Erzählstil
Das Buch startet in Emondsfelde, wo Leserinnen den Protagonistinnen in ihrer Heimat begegnen - wer auf schnelle Action hofft, wird hier enttäuscht. Natürlich ist die Frage berechtigt, wieso man ein ganzes Dorf kennen lernen soll, dass anschliessend als Schauplatz verlassen und nicht wieder aufgegriffen wird. Meine Antwort darauf enthält zwei Aspekte.
Zum einen ist Emondsfelde, die Heimat der meisten Protagonistinnen. Das Eintauchen in diese Heimat bietet für mich die Chance, in den Kern der Charaktere einzutauchen. Hier wurden sie erzogen und sozialisiert, dieses Leben prägt ihr Wesen. Und da dieser Hintergrund ihr späteres Denken, Entscheiden und Handeln stark beeinflusst, habe ich diesen "langatmigen" Einstieg auch im späteren Verlauf der Geschichte schätzen können. Diese durch den Einstieg erzeugte Verbundenheit zu den Zwei Flüssen verbindet mich als Leserin mit den Figuren und ermöglicht es mir, ihre Entwicklung und Geschichte zu verstehen und einzuordnen.
Zum anderen bietet dieses gemächliche und ausführliche Verweilen in der "normalen Welt" tiefe Einblicke in die Gesellschaftsstruktur und herrschenden Geschlechterrollen. Auf der eingangs vermittelten Basis wird dann später aufgebaut
Liegt aber Emondsfelde erst einmal hinter der fliehenden Gruppe, nimmt die Geschichte schnell rasante Fahrt auf. Die Heldinnen stürzen aus einer Gefahr in die nächste und kommen wirklich nie zur Ruhe. Immer wartet die nächste Katastrophe. Gemindert wird diese Spannung durch einen weiteren Zankapfel, an dem sich die Geister der Leserinnen scheiden. Jordan neigt zu ausführlichen Beschreibungen der Landschaft und Personen/Kleider - und dazu, diese auch mitten in die Handlung zu pflanzen. Ja, auch ich finde, dass dies den Lesefluss und das Eintauchen durchaus manchmal stören. Man kann diese natürlich überfliegen, muss dann aber auch auf gewisse Tiefe im Setting verzichten.
Lobend hervorheben möchte ich noch kurz die individuellen Stimmen der Perspektivcharaktere. Wenn etwas aus Rands Perspektive geschrieben ist, dann habe ich wirklich das Gefühl, ja, das passt, so würde die Figur Rand darüber denken und sich ausdrücken.
Zu erwähnen ist auch, dass die Erzählperspektive grundsätzlich auktorial ist, wenn auch stellenweise nahe am personalen. Dies und die verschiedenen Perspektiven (vereinzelt auch die der Antagonisten) führt dazu, dass man als Leserin mitunter einen Wissensvorsprung auf die Protagonistinnen hat. Das sollte man beachten, bevor man eine Handlung oder Überlegung als "dumm" einstuft.
Setting und die Akteure
Wir haben es hier mit einer eindeutig (mittel)europäisch-mittelalterlich geprägten Welt zu tun. Dennoch versteht es Jordan etwas Eigenes zu erschaffen und erstaunlich viele gängige Klischees zu vermeiden. Die Welt ist komplex und lebt von einer detailreichen Geschichtsschreibung bis zum Zeitalter der Legenden und darüber hinaus. Sie ist voll legendärer Helden mit klingenden Namen, halb vergessener Begebenheiten und Prophezeihungen. Den Charakteren wie auch den Lesern ist nicht immer klar, was nun ins Reich der Legenden gehört und welche Geschichten eben doch mehr Wahrheit enthalten, als von den Menschen erinnert wird.
Während glaubwürdig scheint, dass sich die Akteure auf ihrer Reise durch das Königreich Andor noch gut verständigen können, tut sich hier später für mich ein Fragezeichen aus. Spätestens in Schienar - und im Folgeband noch weiter weg - sollten sich wohl sprachliche Gräben öffnen. Aber Jordan ist nicht der einzige Autor, der dieses Hindernis klanglos übergeht.
Wie bereits die Welt sind auch die Protagonistinnen komplex und überzeugend. Sie alle verfügen über einen unverkennbaren, individuellen Charakter, der ihr Denken, Entscheiden und Handeln prägt. Dabei sind sie aber nicht überzeichnet, haben ihre Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Ängste. Jeder macht im Verlaufe der Geschichte eine Entwicklung durch, die aber mit dem Kern eines jeden Charakters in Einklang steht. Eine enttäuschende Ausnahme dazu stellt für mich die Dorfheilerin Nynaeve dar. Ihre Motivation für ihre Gefühle und ihr Handeln bleibt für mich fadenscheinig und sie wirkt auf mich überzeichnet deplatziert. In geringerem Masse gilt dies auch für den Behüter Lan - hier kann ich mir aber vorstellen, dass seine Undurchsichtigkeit beabsichtigt ist und sein Charakter erhält später im Buch mehr Hintergrund. Die zwischenmenschliche Beziehung dieser beiden Figuren ist für mich daher auch völlig aus der Luft gegriffen und nicht nachvollziehbar.
Im allgemeinen aber wartet das Buch mit starken Figuren auf, die Initiative ergreifen und sich aus Schwierigkeiten durch Einsatz ihrer Stärken, Talente und stimmigen Charaktereigenschaft herauswinden. Oder durch ihre Schwächen erst hinein geraten. Jedenfalls ist Glück und Dusel nur selten und in einem “normalen” Masse involviert und niemals massgebend.
Grenzwertig oder zumindest ambivalent sind für mich die nicht menschlichen Wesen. Während ich die Blassen so hinnehmen kann, rollen sich mir bei jeder Erwähnung der Trollocs die Zehennägel hoch - und zwar nicht auf die gute oder vom Autor beabsichtigte Weise. Diese Wesen - halb Mensch, halb Tier - sind in meiner Vorstellung nicht zum Leben erwacht. Das betrifft die physische Erscheinung, aber auch die Charakteristik. Für mich scheinen sie nur für die Bedürfnisse des Plots zu bestehen, nicht aus der Welt gewachsen.
Und noch ein Wort zur treiben Thematik des Kampfes um Gut und Böse. Natürlich ein altbekanntes Fantasy Trope, hunderte Male beackert. Aber natürlich (noch) nicht in dem Masse, als dieses Buch erschien. Die Bösen sind so richtig böse - von Schattenfreunden über Blasse bis zum Dunklen König selbst. Sie strebe nach Macht und Unsterblichkeit und danach, über andere zu regieren - was auch sonst? Mehr Graustufen sind hingegen auf der Seite des Lichts zu finden. Da gibt es nämlich unterschiedliche Gruppierungen und Ansichten, wie dem Licht am besten gedient ist und wer dem Schatten angehört. Und für manche, aber längst nicht alle, heiligt der Zweck auch mal die Mittel. Damit droht dem Heldentrio und seiner Entourage nicht nur Gefahr aus dem Schatten, sondern mitunter auch aus den eigenen Reihen.
Schlusswort
“Das Rad der Zeit” ist ein umfassendes und komplexes Werk - bereits im ersten Band. Und es gäbe noch vieles mehr zu sagen. Ausufernd viel mehr.
Dieses epische Werk hat bestimmt seine Schwächen, aber es ist eben auch episch und bietet die Gelegenheit zum tiefen Abtauchen in eine fein gearbeitete Welt und - wie für die Folgebände zu hoffen ist - wohl durchdachte Plotstruktur.
Um diese Reihe zu geniessen, hilft es sicher, sie vor dem Hintergrund ihrer zeitlichen Entstehung und der damaligen Schreibtradition zu verstehen. Denn es handelt sich hier nicht um einen schnellen Bestseller im Blockbusterformat, wie es die heutige, von Fernseh und Film geprägte Leserschaft mitunter erwarten mag.