Profilbild von galaxaura

galaxaura

Lesejury Profi
offline

galaxaura ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit galaxaura über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.08.2024

Spritzige Dialoge, schöne Ideen, aber zu wenig Handlung

Silvercliff Hall – Vom Zauber geküsst
0

„Silvercliff Hall – vom Zauber geküsst“, der Start einer neuen (Jugend-) Light-Academia-Romantasy-Reihe von Aniela Ley, erschienen 2024 bei dtv, kommt mit einem eher dezenten Cover, das aber mit einem ...

„Silvercliff Hall – vom Zauber geküsst“, der Start einer neuen (Jugend-) Light-Academia-Romantasy-Reihe von Aniela Ley, erschienen 2024 bei dtv, kommt mit einem eher dezenten Cover, das aber mit einem schönen Perlmuttglanz und Textilhaptik doch überzeugen kann – ein passender Farbschnitt im Stil des Innencovers wäre hier definitiv noch eine schöne Ergänzung. Beiliegend in der limitierten Auflage ist eine Charaktercard, die ich allerdings eher nichtssagend fand – man kann sie jedoch gut als Lesebändchen-Ersatz nutzen.
Die Story ist schnell umrissen: Nathan Hamsworth, Student der Astrophysik in Oxford, ist gerade auf dem Weg zur Bibliothek als plötzlich ein merkwürdiger Riss in der Atmosphäre erscheint und aus diesem heraus Emilia Albertine Vandercould auf ihn fällt und ab dann im wahrsten Sinne des Wortes an ihm kleben bleibt, da sich dummerweise ihre zwei Auren verbinden. Emilia lebt in einer anderen Welt und folgt dem Vandercould-Ruf, der sie mit der Silvercliff Hall Academy verbindet und anzeigt: Hier stimmt etwas nicht. Wobei wir schnell erfahren, dass auch in der Parallelwelt Zuhause etwas nicht stimmt – was genau, werden wir, wie so vieles in diesem ersten Band, nicht herausfinden.
Ley schreibt schnelle und spritzig-witzige Dialoge, davon sehr viele für sehr wenig Handlung, so dass der Roman immer wieder lange auf der Stelle tritt. Ihr Grundidee für die Reihe ist gut, ihre Figuren sind weitestgehend interessant gestaltet, aber der Plot ist viel zu überschaubar für 368 Seiten, selbst für ein Jugendbuch, und läuft sich deshalb immer wieder tot. Die Atmosphäre einer Akademie in Oxford ist ganz gut gegriffen, nicht zufällig kommen Harry Potter Assoziationen auf, wie überhaupt auch viele Namen und Anlagen auf Referenzebenen zurückgreifen, das ist ganz geschickt gemacht und erzeugt Schmunzler bei den Wissenden. Problematisch ist ihr Zeit- und Emotionsmanagement, hier gibt es immer wieder etwas sehr rasante Entwicklungen und Äußerungen, dafür, dass die gesamte Handlung des Romans gerade einmal 24 Stunden umfasst. Und auch das Rollenbild ist nicht nur antiquiert, sondern wirklich fragwürdig, es hat schon eine widerliche Komponente, wenn sich in Nathan bei der Annäherung an Emilia, die von Sekunde eins an im Raum steht, schon sehr als der Erfahrene feiert, während sie das unbedarfte Lämmchen geben muss (und dabei sonst oft so tough im Raum steht, doppelt schade also). Sowieso ist die dauerhafte Beschwörung der hohen Anziehung zwischen den beiden Hauptcharakteren etwas over the top und auf Dauer leider: langweilig.
Die vorhandenen Plottwists sind in der Anbahnung sehr durchsichtig, für vollkommen unerfahrene Leser:innen von Fantasy, Academia und Romance mag das noch Spannung erzeugen. Streckenweise liest sich das Buch fluffig und angenehm, immer dann, wenn die Handlung kurz anzieht, aber dann verliert sich dieser Schwung leider auch schnell. Apropos Schwung: Immer wieder kommt es auch zu nicht plausiblen Handlungen, die nicht mit dem vorher Geschriebenen zusammenpassen wollen – vielleicht hatte hier die Veröffentlichung auch zu viel Schwung und etwas mehr Lektorat wäre gut gewesen.
Das Buch endet mit einem Cliffhanger und einer nicht in sich abgeschlossenen Handlung – das mag Geschmackssache sein, für mich ist es Kaufbaiting. Hier hätte ich mir etwas mehr Abschluss gewünscht.
Als Fazit bleibt: Als Jugendroman für junge Erstleser:innen des Genres könnte dieses Buch einen guten Einstieg formen und streckenweise war ich gut amüsiert. Richtige Spannung kam allerdings zu keinem Zeitpunkt auf und der avisierte 2. Teil ruft nicht wirklich nach mir. Aufgrund der doch häufig sehr pointierten Dialoge reihe ich mich dennoch bei 3 Sternen ein. Vielleicht packt der Nachfolgeband ja etwas dichter und inhaltsreicher zu.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.07.2024

Eine spannende Grundidee, die sich in zu viel Fragezeichen verwandelt

Die Maske der Spiegel
0

„Die Maske der Spiegel“ von M. A. Carrick, der Auftakt einer Romanreihe, die aus sechs Bänden bestehen wird, erschienen 2024 im Panini Verlag, schafft eine komplexe phantastische Welt voller spannender ...

„Die Maske der Spiegel“ von M. A. Carrick, der Auftakt einer Romanreihe, die aus sechs Bänden bestehen wird, erschienen 2024 im Panini Verlag, schafft eine komplexe phantastische Welt voller spannender Figuren und Themen, die aber leider mit fortschreitender Handlung immer verwirrender wird und mich am Ende deshalb einfach verloren hat. M. A. Carrick ist ein Pseudonym für die beiden Autor:innen Marie Brennan und Alyc Helms, die hier gemeinschaftlich schreiben und, das muss mensch ganz klar sagen: Stilistisch sehr gut, souverän, detailreich, alles liest sich flüssig, das Geschriebene hat einen guten Zug und wirkt homogen: Es ist nie spürbar, dass hier mit mehreren Personen geschrieben wird.
„Die Maske der Spiegel“ kommt mit einem sehr passenden Cover in tollen Farben, insbesondere das Glanzdetail auf dem Buchrücken gefällt mir gut, und auch das Innencover ist wirklich sehr schön gestaltet. Die dort eingesetzte Karte gibt einen guten Überblick über die beschriebene Welt, so etwas mag ich sehr gern, allerdings ist die Schrift teilweise schon sehr klein. Das Papier hat eine gute Qualität, so ist alles bereitet für eine schönes Leseerlebnis.
Nach einem extrem dichten Prolog, der uns direkt ins Geschehen und in die Vorgeschichte zur Haupthandlung wirft, hatten die ersten Kapitel eine gute Spannung und die Figuren, die allesamt sehr interessant und lebendig sind, wurden in sinnvollem Abstand eingeführt.
Die Betrügerin Ren schleicht sich gekonnt und mit Hilfe ihrer Blutsschwester in das Adelshaus der Traementis ein. Dabei stößt sie auf viele Hindernisse und muss so einige Umwege in Kauf nehmen, um ihr Ziel zu erreichen. Je näher sie ihrem Ziel kommt, desto mehr verstrickt sie sich emotional, und über allem kreist der Rabe, eine mystische Figur, die ein bisschen an Zorro erinnert und allen Rätsel aufgibt: Wer versteckt sich hinter dieser Maske? Zeitgleich verschwinden immer mehr Kinder in der Stadt. Was hat es damit auf sich? Ein spannendes Setup voller Magie, das mich am Anfang sehr in den Bann gezogen hat.
Doch in der weiteren Entwicklung kommen immer mehr Handlungsstränge und Figuren hinzu, garniert mit einem Begriffswirrwarr, der nie erläutert wird (ich habe dann dank Google online ein Glossar gefunden – warum nur wird in dem Buch nicht darauf hingewiesen? Es wäre so hilfreich gewesen!). Immer wieder werden wesentliche Handlungsstränge ganz aus dem Auge verloren. So wurde das Buch leider immer anstrengender zu lesen, bis ich am Ende eigentlich nur noch Fragezeichen im Kopf hatte. Ich glaube, hier wurde ganz schlicht überkomplex angelegt, so dass die vielen einzelnen Teile des Ganzen einfach nicht mehr genug vorkommen können. Hier wäre weniger mehr gewesen oder eine langsamere Stafflung – und deutlich mehr Erläuterung wäre vonnöten.
Die Hauptfigur Ren ist dabei sehr sympathisch, aber auch das hat mich irgendwann nicht mehr gerettet. Rabe und Rose nennen die Autor:innen die Romanreihe – dafür kam der Rabe leider viel zu wenig vor. Schade, ich sehe hier viel Potenzial in einem Plot, aber das hilft nichts, wenn mensch dem Plot irgendwann selbst mit Notizen nicht mehr folgen kann.
Was bleibt ist eine sehr spannende Grundidee, der am Ende nur noch Fragezeichen folgen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.07.2024

Ein bedrückender Cyberthriller, der nach hinten raus leider verliert

Wolfszone
0

„Wolfszone“ von Christian Endres, ein Cyberthriller erschienen 2024 im Heyne Verlag, kommt mit einem irgendwie schicken aber irgendwie auch nichtssagenden Cover in Silber und Blutrot. Vielleicht ist das ...

„Wolfszone“ von Christian Endres, ein Cyberthriller erschienen 2024 im Heyne Verlag, kommt mit einem irgendwie schicken aber irgendwie auch nichtssagenden Cover in Silber und Blutrot. Vielleicht ist das Cover schon ein Hinweis auf den Leseeindruck: Irgendwie gut, aber irgendwie leider auch nicht.
Endres wirft uns in ein nahes Zukunftsszenario, dass die lesende Person an vielen Stellen schlucken ließ. Klimawandel, Technologisierung, mangelnde Nachhaltigkeit, Pandemien und Raubbau an der Erde haben in Deutschland ihre Spuren hinterlassen. Das beschreibt Endres sehr glaubwürdig und realitätsnah, es fühlt sich bedrohlich an beim Lesen und lässt sehr über unsere aktuelle Zeit, in der wir die Weichen noch stellen könnten, nachdenken.
Die Handlung ist schnell angeteased: Cyborg-Wölfe, erschaffen durch Nanogiftmüll, der illegal in einem Wald in Brandenburg abgelegt wurde, versetzen die angrenzende Welt in Angst und Schrecken. Militär, Wissenschaft und Pro-Wolf-Aktivist:innen liefern sich einen Kampf um die Sperrzone, die um die Wölfe eingerichtet wurde. Eine junge Frau verschwindet in der Zone und der Privatermittler Joe Denzinger aus Berlin wird darauf angesetzt, ihren Spuren zu folgen. Und gerät in ein Netz aus Chaos, das sich immer weiter zusammenzieht...
Endres schreibt in schnellen Perspektivwechseln zwischen vielen Figuren, dass dabei die kurzen Kapitel immer den Namen der erlebenden Person tragen, hilft sehr dabei, den Überblick dennoch nicht zu verlieren. Toll ist, dass auch ein Cyborg-Wolf zu Wort kommt. Für diesen wählt Endres einen ganz anderen Stil, was mir zunächst sehr gut gefallen hat, mich am Ende aber leider doch zunehmend in den längeren Abschnitten nicht mehr angesprochen hat, da das gewählte Mittel dann doch sehr monoton wird. Das Erzähltempo ist gut, zügig, aber nicht gehetzt. Mir gefällt sehr, wie der Autor ganz viele Fragen unserer Zeit ganz selbstverständlich einbaut, Klimakatastrophe, Flucht, Rassismus, Dinge wie Tempo 130 auf den Autobahnen, dauerhafte Überwachung usw. Das gelingt ohne Aufheben und schafft ein klares Zukunftsbild (und die Frage, wie wir genau diese Zukunft verhindern können). Von der Technologie habe ich keine Ahnung, wie realistisch so ein Szenario also ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Die vielen Handlungsstränge sind leider nicht alle wirklich wichtig für den Roman, insbesondere einer erscheint mir vollkommen verzichtbar. Und auch die Gestaltung der Figuren fällt unterschiedlich tiefgründig aus. Lange hält Endres trotzdem ganz gut die Handlung in einem sinnvollen Fortschreiten, und ich bin gerne gefolgt. Die Spannung war dabei für mich nicht ganz auf Thriller-Level. Ich hatte keine Probleme damit, das Lesen zu unterbrechen.
Im letzten Drittel hat mich das Buch allerdings zwiespältig zurückgelassen. Endres schreibt grundsätzlich einen gut gestalteten Showdown mit vielen Facetten, guter Dynamik und immer wieder glaubhaften Emotionen. Ich habe mir auch zum ersten Mal im Buch literarisch wirklich gut gelungene Sätze / Passagen markiert. Aber insgesamt ist mir das zu sehr und zu schnell auf ein allover Happy End geschrieben, und einiges fand ich auch an den Haaren herbeigezogen. Relativ unmotiviert erleben wir nun jede Menge großzügige Menschen, die einfach alles verzeihen, massiven Betrug, schwere Kriminaliät mit Bedrohung des eigenen Lebens, ewiges Ghosten in einer Beziehung... Einige Stränge werden auch nicht aufgelöst, wir erfahren z.B. nie den Anlass für einen Beziehungskonflikt, der doch sehr dominant in der Handlung ist – kennt der Autor ihn? Hier hat mensch nicht das Gefühl, dass diese Leerstelle bewusst gesetzt ist. Und auch die Auflösung um den Verbleib der vermissten Lisa erscheint nicht wirklich plausibel.
Also langer Rede kurzer Sinn: Nach hinten raus verliert das Buch bei mir leider viel. Guter Ansatz, aber... Der Autor beschreibt im Nachwort, dass der Ursprung des Thrillers eine Kurzgeschichte war, und er eher auf Treiben der Crowd hin einen Roman daraus gemacht hat. Ich finde, man spürt das sehr deutlich, wie hier ein Stoff aufgepumpt wurde, der dafür nicht vorgesehen war. Ich glaube, er wäre besser bei der Kurzgeschichte geblieben. Was ich mochte, war der Humor, der im letzten Teil aufkam, so z.B., dass er einbaut, dass ein Krimi-Autor sogar einen Roman aus der Geschichte machen will. Fazit: Als entspannte Sommerlektüre gut lesbar, insgesamt aber für mich nicht wirklich ein packender Cyberthriller, ich hatte mehr erwartet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.07.2024

Hätte hätte Fahrradkette – wenn Buch und Beschreibung nichts miteinander zu tun haben

Die geheimnisvolle Freundin
1

„Die geheimnisvolle Freundin“ von Simona Baldelli, die mit „Die Rebellion der Alfonsina Strada“ ja schon einen starken Frauenroman abgeliefert hat, ist ein Buch, das eventuell schlicht an seiner Übersetzung ...

„Die geheimnisvolle Freundin“ von Simona Baldelli, die mit „Die Rebellion der Alfonsina Strada“ ja schon einen starken Frauenroman abgeliefert hat, ist ein Buch, das eventuell schlicht an seiner Übersetzung und der Marketingstrategie des Eichborn Verlags scheitert. Angekündigt als bewegende Geschichte zweier gleichaltriger Freundinnen, deren Vertrauensverhältnis von einem dramatischen Missverständnis erschüttert wird, gibt dieses Buch jedem Menschen, der eben diese Geschichte in ihm sucht, bis zum Ende Rätsel auf. Und auch wenn der Originaltitel „Il pozzo delle bambole“ den Inhalt auch nicht viel besser greift, so ist er doch zumindest ein wenig näher dran.

Die Aufmachung des Buches gefällt mir richtig gut, das Papier von Schutzumschlag und Innenleben fasst sich gut an, die Schwarzweiß-Fotografie hatte mich eh direkt angesprochen, weil sie so viel Wärme ausstrahlt, ohne sich eines Sepiatons zu bedienen, den stärkeren Beerenton des festen Einbands im Verhältnis zum Altrosa und Grau des Covers find ich auch sehr gelungen.
Der Einstieg ins Buch ist sehr gut geglückt. Die Atmosphäre des Waisenhauses, in dem die kleine Nina, die wir beim Aufwachsen begleiten werden im Verlauf der Geschichte, als Findelkind aufwächst, kommt sehr gut rüber, auch spürt mensch sofort, dass in Nina eine besondere Stärke wohnt, die sie einzigartig macht unter den vielen Kinder. Die Sprache ist stark und sehr atmosphärisch, tolle Sprachbilder, immer wieder, ohne zu übertreiben. Der Fokus liegt in einer guten Art auf der zu erzählenden Geschichte. Und über allem dräut die katholische Moral. Baldelli schafft es grundsätzlich sehr gut, im Schreiben mit einem kindlichen Blick auf die Welt zu schauen und die Wahrnehmung einer Viereinhalbjährigen zu treffen. Wir schauen auf Ninas Existenz, wie Nina selbst schaut. Dabei ging es mir allerdings oft so, dass ich die Gespräche, die mit ihr geführt werden, so nicht glaubhaft finde, gemessen an ihrem Alter. Nina lernt bald ein neues Mädchen im Waisenhaus kennen, Lucia, und diese soll wohl die geheimnisvolle Freundin des Titels sein. Nur, ohne zu viel zu spoilern, ist von Freundschaft hier nichts zu finden, stattdessen beobachten wir eine schwer toxische Beziehung mit hochmanipulativem Charakter.
Formal springt Baldelli immer wieder in die Zukunft, zu einer erwachsenen Nina, ohne diese Wechsel weiter zu kennzeichnen. Je weiter das Buch voranschreitet, desto mehr Anteil übernimmt das erwachsene Leben. In der ersten Hälfte dominiert das Leben im Waisenhaus. In diesem hofft Nina sehr darauf, adoptiert zu werden und so der Einsamkeit zu entkommen, doch sie wird immer wieder enttäuscht. Als sich endlich die Chance für sie auftut, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung.
Später, im Erwachsenenleben, arbeitet Nina in einer Tabakfabrik, in der die dort angestellten Frauen zu einem Streik aufrufen, als sich die Arbeitsbedingungen einschneidend verändern und eine Kündigungswelle droht. Die Geschichte des Streiks der Tabacchine hat mich ehrlich gesagt sehr viel mehr interessiert als die Geschichte von Nina und Lucia. Für mich hätte der Roman sich vor allem damit befassen können, im Nachwort wird deutlich, dass die Autorin sich vor allem für dieses Thema und das Waisenhaus interessiert. Wofür es also diese aufgepfropfte Freundinnenhandlung braucht, erschließt sich mir nicht. Denkt die Autorin, so mehr Leser:innen zu erreichen? Von der Idee her möglich, dann muss es aber auch gut gemacht sein. Mit dem Protest um die Tabakfabrik vermischt die Autorin Wahrheit und Fiktion und verbindet reale Zeitgeschichte mit Ninas Leben, ohne dabei allerdings sehr auf die politische und wirtschaftliche Situation in Italien oder die Rolle der Frau einzugehen. Statt hier nun konsequent den Weg der sich selbst ermächtigenden Frauen und Ninas Anteil daran weiter zu verfolgen, lässt die Autorin auf einmal Lucia im letzten Teil des Buches wieder auftauchen, eines Tages steht sie vor der Fabrik. Die dann folgende Annäherung (ohne Missverständnis, dieses konnte ich bis zum Schluss nicht auffinden) ist leider absolut unglaubwürdig und vollkommen übers Knie gebrochen! Ein Pseudo-Happy-End aus dem Nichts, nachdem es zuvor eigentlich keinen stringenten Plot gab und sich fast nichts aus der Beschreibung des Klappentextes wiederfinden lässt im Buch. Einfach schade, es gibt so viel gute Ansätze in dem Roman. Ich habe in letzter Zeit leider oft das Gefühl, dass Autor:innen eigentlich gute Konzepte und Ideen haben, die dann aufgeweicht werden, um mehr Auflage und Reichweite zu erlangen. Das Ergebnis ist dann, so wie hier, ein mittelmäßiges Buch. Wirklich sehr schade. Das hätte so ein spannendes Buch über Solidarität und die Kraft von Frauen werden können, was Simona Baldelli glaube ich auch viel mehr liegt.
Vom Cover lächeln uns zwei junge Frauen entgegen. Diese Frauen habe ich im Innenleben des Covers leider nie kennengelernt.

Ein großes Dankeschön an lesejury.de und den Eichborn Verlag für das Rezensionsexemplar!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 03.05.2024

Solider Thriller ohne große Überraschungen

Die Stille der Flut
0

„Die Stille der Flut“, der Auftakt zu einer neuen Kriminalromanreihe, geschrieben in gemeinsamer Autorinnenschaft von Anna Johannsen und Elke Bergsma, spielt in der Kreisstadt Aurich in Ostfriesland. ...

„Die Stille der Flut“, der Auftakt zu einer neuen Kriminalromanreihe, geschrieben in gemeinsamer Autorinnenschaft von Anna Johannsen und Elke Bergsma, spielt in der Kreisstadt Aurich in Ostfriesland. Der Einstieg ins Buch ist relativ spröde geschrieben. Die beiden Hauptfiguren Lina und Kea werden doch sehr dramaturgisch eingeführt, geballt, fast listenhaft werden alle wichtigen Informationen über die beiden in kurze Kapitel gedrängt. Dabei ist die Figurenkonstruktion recht klischeehaft: Lina versammelt ungefähr alle möglichen Traumata in sich, die mensch sich nur vorstellen kann, ihr Gegenüber Kea ist die klassisch überforderte Mutter von Teenies, in einer schwierigen Trennung lebend, verknallt in ihren Arbeitskollegen und der auch in sie, aber geht natürlich nicht, die beste Freundin ist natürlich auch noch gestorben, die neue Freundin nur ein billiger Ersatz. Das ist alles sehr durchsichtig am Reißbrett gebaut und wird nicht viel Überraschung bergen. Natürlich sind beide auf ihre Art Karrieristinnen, Lina überehrgeizig (beweisen, dass sie was kann und wert ist, auch das sehr durchsichtig konstruiert nach dem Lehrbuch Psychologie), Kea eher Underachieverin und jetzt endlich ihre Chance sehend. Viel Kampfpotenzial also zwischen den zwei Frauen, zumal Kea als Polizistin zu Recht spürt, dass an der Neuen etwas nicht ganz sauber ist und Lina wiederum zu Recht damit kämpft, sich nicht wirklich auf das Team einlassen zu können. Ganz gut eingewoben wird dafür die richtige Dosis Lokalkolorit, das ist nicht aufdringlich gemacht und setzt doch klar eine Atmosphäre. Schriftstellerisch sehr spannend finde ich die doppelte Ich-Perspektive, das ist sehr ungewöhnlich und beim Lesen oft auch herausfordernd, sich zu merken, welches Ich gerade schreibt, aber das finde ich mal eine tolle Idee! Habe mich sofort gefragt, ob die Autorinnen jeweils einen Strang der Geschichte geschrieben haben nach gemeinsamem Plotting? Leider krankt die Idee daran, dass sich hier handwerklich nicht die Mühe gemacht wurde, eine klare Figurensprache zu entwickeln, wodurch die lesende Person ständig zurückblättern muss, um zu wissen, wer hier gerade nochmal spricht.
Die Handlung kommt auf jeden Fall gut im Schwung, ist zwar auch recht klar konstruiert, aber grundsätzlich gut gemacht und logisch, folgt meistens auch einen ganz guten Spannungsbogen. Linas Auftrag, einen Maulwurf zu enttarnen, rückt neben den Ermittlungen an einem aktuellen Mordfall dabei immer weiter in den Hintergrund. Es gibt ein paar gleichwertige Verdächtige im Raum für die Position des Maulwurfs, das ist ganz geschickt gemacht, wie die wechselseitig in den Fokus gerückt werden. Lina kommt zunehmend besser in Aurich an und taucht tiefer in die Strukturen ein. Dafür, dass sie Undercover ermitteln soll, geht sie mir viel zu sehr nach vorn in die Präsenz, das erscheint mir sehr unprofessionell und sie unterschätzt meiner Meinung nach die Struktur einer Mittelstadt von 40.000 Einwohnern – da ist schnell rum im Milieu, wenn jemand neu auftaucht. Solche Nachlässigkeiten häufen sich im Verlauf des Krimis, es gibt viele kleine Unstimmigkeiten und unglaubwürdige Konstruktionen, die mich immer wieder haben stolpern lassen. Das kulminiert am Ende des Romans in einer Verfolgungsjagd, die so viele logische Fehler beinhaltet, dass meine Spanungskurve gegen Null ging. Gut gefallen hat mir die Loverboy-Thematik, ein leider aktuelles Thema, zu dem noch nicht viel Bewusstsein in unserer Gesellschaft herrscht. Auch die zunehmende Verknüpfung des aktuellen Mordfalls mit dem Ausgangsgrund für Linas Versetzung, einem Drogenkartell und einem dazugehörigen Maulwurf, ist gut gemacht.
Alles im allen ein halbwegs solider Thriller also, aber auch kein Kracher, sehr deutlich in der Oberflächenkonstruktion und daher mit wenig Überraschungen aufwartend, geschrieben vor allem mit dem Ziel einer Fortsetzung. Den Folgeband würde ich wohl lesen, aber nur, weil mich die weitere Geschichte der beiden Frauen miteinander interessiert.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de sowie Edition M für das Rezensionsexemplar!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere