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Veröffentlicht am 08.09.2024

Ein Blick durchs Schlüsselloch aufs Universum

Torstraße 94
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Die Idee, die Geschichte der Bewohner eines, hier explizit des eigenen ehemaligen Wohnhauses zu erforschen ist einfach genial. Der Mikrokosmos eines einzigen Berliner Mietshauses birgt die Geschichte der ...

Die Idee, die Geschichte der Bewohner eines, hier explizit des eigenen ehemaligen Wohnhauses zu erforschen ist einfach genial. Der Mikrokosmos eines einzigen Berliner Mietshauses birgt die Geschichte der ganzen Stadt, wir schauen mit Andreas Ulrich durch ein Schlüsselloch und sehen ein ganzes Universum.
Der Autor, gebürtiger Berliner (wie auch ich), lebte bis zum neunten Lebensjahr in diesem kleinen Kosmos, dem Haus in der Wilhelm-Pieck-Straße 94, die heute wieder Torstraße heißt. Dort war seine Zuflucht, seine wärmende Hülle, sein Gespensterkeller. Wie durch ein Wunder fallen ihm die sogenannten Hausbücher aus der DDR-Zeit in die Hände, man könnte auch meinen, in den Schoß. Hinter jedem Eintrag könnte eine Geschichte stecken, ein Schicksal, eine Überraschung. Der Journalist Ulrich ist angestachelt, so einen Schatz lässt er sich nicht entgehen. Er nimmt dieses Geschenk als inneren Auftrag an und beginnt Stück für Stück, Person für Person die Geheimnisse zu lüften. Rund zwanzig Porträts entstehen von den unterschiedlichsten Menschen, eingebettet auch in die deutsche und DDR-Geschichte mit all ihren Eigenarten und verwoben mit seinen eigenen Erinnerungen und Erfahrungen.
Mich erinnert beim atemlosen Lesen diese intensive Suche an meine eigenen Recherchen zu meiner Familie, aus den vielen Puzzleteilen wurden plötzlich auch bei mir ganze Bücher. Besonders gut gefällt mir an Ulrichs Buch der Stil, der den Journalisten im Hintergrund immer erahnen lässt, er schreibt schnörkellos und doch sehr empathisch und emotional.
Dass sich in diesem kleinen Buch die Story der Ruth Penser findet und hier ihr Sohn Gilbert, der als Baby nur ganz kurze Zeit in der 94 lebte, heute darüber berichtet, hat mich besonders beeindruckt. Ich kannte Gilbert als Kind, auch damals schon mit Brille, er war der Sohn einer befreundeten Kollegin meiner Mutter. Welch ein Zufall. Denn später hörte ich nie wieder etwas von den beiden, erst jetzt in diesem Buch finde ich sie und staune.
Ulrich verbindet die Lebensgeschichten, die er ausfindig gemacht hat, mit einem Trick, am Ende der meisten Porträts leitet er auf wunderbare Weise weiter zum nächsten.
Dass mir gerade die letzte Lebensgeschichte der Jüdin Alice besonders nahe geht, liegt vielleicht auch daran, dass nur wenige Straßen weiter meine Großtante Philippine bis zu ihrer Ermordung in der Krausnickstraße wohnte. Egal, ob Piaski oder Sobibor, ihre Leben war unterschiedlich, ihr Tod nicht. Stolpersteine haben sie nun beide.
Dann schließt sich der Kreis auch meiner Erinnerungen wieder: Andreas Ulrich zog mit Eltern und Geschwistern zur Fischerinsel in eine Neubauwohnung, wo zu der Zeit auch mein Vater wohnte. Dass es ihn nun wieder nach Mitte gezogen hat, kann ich verstehen. Aber das alte Flair bekommt er wohl nicht mehr zurück, auch wenn die Erinnerungen es manchmal wieder auferstehen lassen.
Fazit: auch Nichtberliner werden dieses Buch mögen, die Kurzporträts von rund 20 Bewohnern bzw. Familien aus der Torstraße 94 bringen dem Leser das Berlin-Mitte-Flair und auch die längst vergangene DDR-Zeit sehr nahe. Anschaulicher kann man das kaum beschreiben. Volle fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 22.08.2024

Denk ich an Gudelia in der Nacht

Das Haus in dem Gudelia stirbt
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Es gibt ihn, den Murbach, aber es gibt keinen Ort Unterlingen, das Buch spielt an einem fiktiven Ort, zu einer fiktiven, aber realwirkenden Zeit, im Juni 2024, und es hat eine Flutkatastrophe gegeben in ...

Es gibt ihn, den Murbach, aber es gibt keinen Ort Unterlingen, das Buch spielt an einem fiktiven Ort, zu einer fiktiven, aber realwirkenden Zeit, im Juni 2024, und es hat eine Flutkatastrophe gegeben in diesem Dorf. Die Szenerie erinnert sicher nicht ungewollt an die Ahrtalkatastrophe vor knapp drei Jahren. Ja, so könnte es gewesen sein, als das Wasser alles mit sich riss und Schlamm, Fäkalien, tote Menschen und tote Tiere hinterließ. Dass Einwohner Hals über Kopf noch flüchteten, dass fremde Menschen helfen kamen, all das erinnert an den Juli 2021. Aber der Autor hat bewusst auf eine von Fakten unterlegte Szenerie verzichtet und es beginnt in einer Nacht im Juni 2024 ein Krimi, der es in sich hat.
Gudelia, eine Frau aus Unterlingen, 81, vollkommen klar im Kopf, aber nach zwei Hieben mit einem Spaten auf ihre Beine liegt sie auf dem Friedhof und rechnet mit dem Tod, aber der ist so einfach nicht zu haben. Gudelia denkt an die wichtigsten Jahre ihres Lebens, an 1984, als ihr Sohn Nico stirbt, an 1998, als sie mit Bauernschläue ihr Haus für sich rettet, an 1968, als sie heiratet. Ihre Gedanken fliegen vor und zurück, der Leser lebt und liest sich durch Gudelias Schicksal, das verbunden ist mit dem ihres Ehemanns Heinz, mit ihrem Sohn Nico, mit Andre, dem Pferdehofbesitzer. Man lernt eine Menge über das einsame Leben einer alten Frau, die sich aus vielfältigen Gründen gegen jegliche Evakuierung aus dem flutgefährdeten Haus sträubt, die viel und lange betet in diesen Tagen und die ein Ferkel rettet und Stephanus nennt, so wie die Kirche des Dorfes heißt es, und frisst Möhren und Hundefutter und weicht ihr nicht mehr von der Seite.
Warum Gudelia mitten in der Nacht auf dem Friedhof ist und warum einer ihr die Beine bricht, das erfährt man peu à peu in diesem Buch. Ich hatte einen Krimi erwartet, dass es ein Psychothriller mit echtem Horror werden könnte, habe ich nicht vermutet. Ich fand das so spannend, dass ich entgegen aller Gewohnheit sehr schnell und immer zwischendurch, wenn ich die Zeit hatte, gelesen habe. Es hat sich bis zum Ende, das unerwartete Wendungen bot, gelohnt. Der Schreibstil hat mir sehr gefallen, die Rückblenden wurden schlüssig erzählt und es war keine Minute langweilig.

DasHausindemGudeliastirbt

NetGalleyDE

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Dieses Papier ist keineswegs trocken, sondern Genuss bis zum Schluss

Endstation Rursee
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Man kann Regionalkrimis lieben oder auch nicht, aber Kommissar Fett, egal ob ehedem mit Schmelzer oder jetzt mit Conti im Duo der Ermittlung in und um Aachen, das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Der ...

Man kann Regionalkrimis lieben oder auch nicht, aber Kommissar Fett, egal ob ehedem mit Schmelzer oder jetzt mit Conti im Duo der Ermittlung in und um Aachen, das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Der Krimi beginnt, wie es sein muss, mit einer Leiche. Langsam entwickelt sich ein Bild der toten Louise Buchsbaum und der Lebenden um sie herum. Gespickt mit herrlichem Humor und vielen lesenswerten Szenen tastet sich Kommissar Fett vor. Romanisten und Möchtegernschriftsteller allenthalben. Da beginnen selbst Polizisten mit der Maigret-Lektüre. Abgelenkt wird Fett dann immer wieder von seiner schönen Lütticher Kollegin Chantal Kalumba, die erst einmal ahnungslos in den Fall hineingezogen wird. Alle Ermittler haben ein feines Gespür für die Zwischentöne, für das was nicht gesagt wird auch. Im Umfeld der Ermordeten findet sich so manche Spur, die erst der Polizei noch vorenthalten werden soll, aber nach und nach ergibt sich ein Bild vom Mörder, auch weil noch eine zweite Leiche im wahrsten Sinne des Wortes auftaucht.
Und dann plötzlich wird die Zeit knapp. Ab Kapitel 30 hatte ich das Gefühl, ein Bahnwärter Thiel hätte abrupt die Weichen auf eine schnelleres Gleis umgestellt. Es überschlagen sich Erkenntnisse und Einsatzorte, es wird gefährlich, es wird alles mobilisiert, was Beine und Flossen hat, ein irres Spiel beginnt, entsprechend dem Buchtitel natürlich auf dem Rursee. Diese letzten sechs Kapitel haben mich den Atem anhalten lassen, ich fand es spannend, wie selten in einen Krimi und perfekt beschrieben. Da am Ende die bei anderen Autoren üblichen Dankeselogen fehlen, habe ich mir schon Gedanken gemacht, wie ein Schriftsteller ein so perfektes Szenario beschreiben kann. Chapeau! Der zeitliche Ablauf war maximal eng, es würde mich interessieren, ob das „in echt“ auch so gut funktionieren würde wie im Buch.
Der Krimi ist aber nicht bloß Krimi, er enthält auch ein wunderbares Stück Gesellschaftssatire, das Kapitel „Kastrationsängste“ mit dem Gender-Tribunal und dem Ministerium für Gendergerechtigkeit sollte niemand überspringen, der so wie ich das Gendern aus tiefster Seele und Überzeugung meidet. Diesen Traum könnte ich mir als Feuilleton-Beitrag in einer renommierten Zeitung, die ich sonntags gerne lese, gut vorstellen, das wäre mal was! Da auch schon auf den ersten Seiten Studenten auftauchen und keine Studierenden, hatte mich der Autor dieses Krimis aber sowieso schon auf seine Seite gezogen, noch ehe die Tote überhaupt in Sicht war.
Gerne mehr von Fett aus Aachen! Nur die RWTH musste ich mal googeln, unter TH konnte ich mir ja gut etwas vorstellen, aber RW war für mich, aus Norddeutschland gesehen, sehr fremd. Man kann ja eben nicht alles wissen.
Fazit: Ein Kriminalroman, der mich ganz wunderbar unterhalten hat, der in gutem und humorvollem Deutsch geschrieben ist, der spannend war und den ich nun uneingeschränkt weiterempfehle.
Fünf Sterne mit Sahnehäubchen

EndstationRursee

NetGalleyDE

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Veröffentlicht am 27.06.2024

Unerwartet gut und spannend

Schillerwiese (eBook)
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Es ist mein erster Roman von Lotte Kinskofer, er ist angesiedelt in der Zeit vor rund 100 Jahren, in Bayern. Zuerst geschieht ein Mord, an der Vroni, einer alleinstehenden Mutter, die zuletzt in einer ...

Es ist mein erster Roman von Lotte Kinskofer, er ist angesiedelt in der Zeit vor rund 100 Jahren, in Bayern. Zuerst geschieht ein Mord, an der Vroni, einer alleinstehenden Mutter, die zuletzt in einer Gastwirtschaft gearbeitet hat. Sie hatte sich verliebt in einen Gast, den Gustl, der sich nun die Schuld gibt am Tod der geliebten Frau, weil er unpünktlich war zum verabredeten Rendezvous an der Schillerwiese. Genau dort sieht er sie hängen an einem Baum, und er bekommt es mit der Angst zu tun, läuft weg und macht jede Menge Fehler.
Der zweite Erzählstrang, das ist die Familie von Anni, die befreundet war mit der verschwundenen Nachbarin Vroni und sich nun um den alleingebliebenen Sohn sorgt. Zufällig ist ihr Vater ein Kriminalkommissar auf Urlaub, der wird sich schon erkundigen, hofft sie. Daraus entwickelt sich ein ganz neuer Kriminalfall, die Protagonisten geraten reihenweise in Gefahr.
Es geschieht eine Menge, bis der Mörder und das Motiv gefunden sind, Kinskofer hat eine angenehme Art, die Dinge voranzutreiben. Zuerst dachte ich, mir gefällt der Stil, der leicht bayerische Dialekt und das Langsame im Vorankommen nicht, aber ich habe mich gut eingelesen. Eingebettet in die Kriminalgeschichte ist die politische Situation der Nachkriegsjahre des ersten Weltkrieges, insbesondere auch die Auswirkungen auf das Leben derjenigen, die ihn überlebt habe. Seien es die Ängste von Annis Mann Walter oder die Trauer ihrer Eltern um die beiden gefallenen Söhne. Das Aufkommen des Nationalsozialismus wird gut beschrieben, auch die Hilflosigkeit der Gegner.
Die Protagonisten des Romans werden von den Hauptpersonen bis hin zu den Nebenrollen hervorragend charakterisiert, Man kann sich beim Lesen jeden einzelnen vorstellen, das ist echtes Kopfkino.
Fazit: ich empfehle dieses Kriminalroman gern weiter, er hat mich bis zum Ende immer mehr in seinen Bann gezogen.

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Veröffentlicht am 21.06.2024

Perfekter Thriller - Spannung pur

Der Totenarzt (Ein Hunter-und-Garcia-Thriller 13)
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Chris Carter ließ es sich auch dieses Jahr nicht nehmen und die Fangemeinde wird sicher jubeln: der 13. Band mit dem begnadeten Polizistenduo Hunter und Garcia ist erschienen. Das Hörbuch wieder gelesen ...

Chris Carter ließ es sich auch dieses Jahr nicht nehmen und die Fangemeinde wird sicher jubeln: der 13. Band mit dem begnadeten Polizistenduo Hunter und Garcia ist erschienen. Das Hörbuch wieder gelesen vom ebenfalls begnadeten Uve Teschner. Meinetwegen hätten die beiden Protagonisten ruhig noch eine Weile weiter ermitteln können, bevor sie auch diese abartigen Täter mit den vielen Namen zur Strecke brachten. Spannend und gruselig wie eh und je, mit Ideen, auf die man erst einmal kommen muss, so hörten sich die beinahe elf Stunden wie im Fluge.
Es geschehen Selbstmorde, die sich als Morde entpuppen und die schon bald einen Serienkiller erahnen lassen. Welche Register Hunter und Garcia diesmal ziehen müssen, verrate ich nicht, nur eins, gefährlich wird es auch bei den Ermittlungen.
Fazit: gute Unterhaltung, ich freue mich schon aufs nächste Mal.

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