Der allerletzte Roman
Dora Frenhofer (73), eine Autorin mit niederländischen Wurzeln, ist lebensmüde. Ihre fortschreitende Vergesslichkeit bereitet ihr Sorge. Auf ihren Abgang bereitet sie schon vor. Doch einen allerletzten ...
Dora Frenhofer (73), eine Autorin mit niederländischen Wurzeln, ist lebensmüde. Ihre fortschreitende Vergesslichkeit bereitet ihr Sorge. Auf ihren Abgang bereitet sie schon vor. Doch einen allerletzten Roman möchte die zuletzt erfolglose und alleinstehende Schriftstellerin noch vor ihrem Tod schreiben…
„Die Hochstapler“ ist ein Episodenroman von Tom Rachman.
Die Struktur des Romans ist gut überschaubar, jedoch geschickt komponiert. Erzählt wird im Präsens aus wechselnden Perspektiven: zweimal aus der Sicht der Autorin, nämlich zu Beginn und am Schluss, sowie jeweils aus der von sieben weiteren Figuren. Zwischen den neun Kapiteln sind Tagebucheinträge eingefügt. Die Handlung spielt an unterschiedlichen Orten auf der Welt und in verschiedenen Jahren.
In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman ebenfalls überzeugt. Rachman gelingt es, unterschiedliche Erzählstimmen zu schaffen und dabei jedes Mal seine schriftstellerische Kunstfertigkeit und sprachliche Raffinesse zu beweisen.
Die Figuren sind allesamt originell, interessant, lebensnah und mit psychologischer Tiefe ausgestaltet. Neben der Protagonistin Dora sind die übrigen Hauptcharaktere mehrere Personen, denen die Autorin begegnet ist oder die mit ihr in Beziehung stehen: beispielsweise ihr verschollener Bruder Theo und ihre Tochter Beck. Mit Vergnügen habe ich die Verbindungen untereinander entdeckt.
Auf inhaltlicher Ebene geht es vor allem um das Schreiben und die Arbeit von Autoren. Wie entsteht aus Fakten Fiktion? Wie wird erzählt? Wie funktioniert der Literaturbetrieb? Welche Aufgaben haben Schriftsteller außer dem Schreiben an sich? Wie ticken solche Menschen? Mit teils zynischem, teils humorvollen Blick werden die Branche und ihre Vertreter beleuchtet. Auf vielseitige Weise illustriert die Geschichte das literarische Schaffen. Dabei wird klar: Sie alle sind Schwindler, Betrüger oder Wahrheitsverdreher, sowohl in ihrer Selbstdarstellung als auch in ihren Werken. Dieses Hauptthema greift das auffällige Cover auf. Auch aktuelle Themen und Aspekte wie die Pandemie und Diversität greift der Roman auf.
Auf den rund 400 Seiten sind die einzelnen Episoden sehr abwechslungsreich und unterhaltsam. Sie wühlen auf und schockieren, sie berühren emotional, sie überraschen, sie machen nachdenklich und geben ungewöhnliche Einblicke. Kurzum: Sie bieten all das, was gute Literatur leisten kann.
Nur ein kleines Manko weist die deutsche Ausgabe für mich auf: Die zu wörtliche Übersetzung des Originaltitels („The imposters“) ist nach meiner Ansicht nicht ganz glücklich, da es falsche Assoziationen weckt.
Mein Fazit:
Mit seinem neuen, raffinierten Roman hat Tom Rachman wieder einmal meine hohen Erwartungen erfüllt. „Die Hochstapler“ gehört nicht nur zu meinen Lieblingsromanen des aktuellen Lesejahrs, sondern auch darüber hinaus. Unbedingt lesenswert!