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Veröffentlicht am 22.09.2024

Realität oder Illusion?

Akikos stilles Glück
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Die 28jährige Akiko lebt allein in einer kleinen Wohnung in Tokio. Ihre Mutter ist vor drei Jahren gestorben, einen Partner hat und will sie nicht, sehr zum Erstaunen ihrer Arbeitskollegin Naoko, die gerne ...

Die 28jährige Akiko lebt allein in einer kleinen Wohnung in Tokio. Ihre Mutter ist vor drei Jahren gestorben, einen Partner hat und will sie nicht, sehr zum Erstaunen ihrer Arbeitskollegin Naoko, die gerne mal mit Zufallsbekanntschaften in eines der in Japan üblichen „Love Hotels“ geht. Ihr Arbeitstag als Buchhalterin ist lang, oft verlässt sie das Büro erst gegen neun Uhr abends, vor allem dann, wenn ihr Vorgesetzter so lange im Büro war, denn es gehört sich nicht, vor dem Chef nach Hause zu gehen. Anstatt in ihre leere Wohnung zurückzukehren, geht Akiko abends noch gern spazieren. Bei einer dieser Gelegenheiten sieht sie einen Mann, in dem sie Kento, einen früheren Klassenkameraden, zu erkennen glaubt. Allerdings kann sie die ärmliche Kleidung kaum mit dem Kento von früher in Einklang bringen, denn der Klassenkamerad stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus. Als sie ihn am nächsten Abend vor einem 24-Stunden-Supermarkt wiedersieht, spricht sie ihn an. Sie wundert sich über seine zurückhaltende Reaktion, später erfährt sie, dass Kento zu einem Hikikomori geworden ist, der soziale Kontakte meidet und nur nachts die Wohnung verlässt. Mit der Zeit nähern sich die beiden einander an, sie schreiben sich kurze Nachrichten und unternehmen nächtliche Spaziergänge. Als Akiko Kento anvertraut, dass sie sich eine „Solo Wedding“ überlegt, eine Zeremonie, in der sie sich selbst heiratet, verblüfft er sie mit der Frage, ob sie sich dafür gut genug kennt und ob sie sich mag. Akiko beginnt ihr Leben zu hinterfragen. Ist sie die Person, die sie sein will und ist sie eigentlich mit ihrem Leben zufrieden? Was in ihrem Leben ist Realität, was Illusion?
Ich habe zu diesem Buch gegriffen, weil Japan für mich eine fremde und faszinierende Welt ist. „Akikos stilles Glück“ ist ein wunderschönes, sehr gut geschriebenes Buch, in dem man Einblicke in das moderne japanische Leben, aber auch Traditionen erhält. Die langsame Annäherung von Akiko und Kento und deren Entwicklung ist interessant und glaubhaft geschildert. Obwohl Jan-Philipp Sendker laut Klappentext einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren ist, hatte ich noch nie etwas von ihm gelesen und wurde angenehm überrascht. Ein wirklich lesenswertes Buch, das ich wärmstens empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 27.08.2024

Freundschaft über die Generationen hinweg

Der Bademeister ohne Himmel
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Die fünfzehnjährige Linda lebt mit ihrer Mutter in einem Mehrfamilienhaus in Bregenz am Bodensee. Dreimal die Woche verbringt Linda den Nachmittag bei ihrem 86jährigen Nachbarn Hubert, der an Demenz erkrankt ...

Die fünfzehnjährige Linda lebt mit ihrer Mutter in einem Mehrfamilienhaus in Bregenz am Bodensee. Dreimal die Woche verbringt Linda den Nachmittag bei ihrem 86jährigen Nachbarn Hubert, der an Demenz erkrankt ist. Während sie dort ist, hat Ewa, Huberts polnische Pflegekraft, ein paar Stunden frei. Lindas Verhältnis zu den beiden ist inniger als das zu ihrer geschiedenen Mutter, der ihr neuer Freund, der „Bestatter“, wichtiger zu sein scheint als Linda.
Ewa ist eine sehr liebevolle und zupackende Person, sie backt und kocht und stellt Kräutermischungen her, die Hubert Linderung verschaffen sollen. Und auch Linda weiß intuitiv, was dem alten Herrn guttut. Sie spielt ihm Tonbandaufnahmen vor, die Hubert an seine Zeit als Bademeister erinnern, und kümmert sich besser um ihn als dessen eigene Tochter, die sie insgeheim den „Nachtfalter“ nennt, weil sie bei ihren seltenen Besuchen immer nur nervös herumflattert.
Neben Ewa und Hubert hat Linda nur noch einen Freund: den etwas jüngeren Kevin, der sich große Sorgen um den Zustand der Erde macht und jederzeit Statistiken über den CO2-Ausstoß und die Erderwärmung parat hat. Gleichaltrige Freundinnen hat Linda nicht. Sie ist eine Einzelgängerin, die sich gelegentlich mit Selbstmordgedanken trägt. Hubert ist der einzige, dem sie ihre Gedanken anvertraut, in dem sicheren Wissen, dass er sie im nächsten Moment wieder vergessen hat.
„Der Bademeister ohne Himmel“ ist ein wunderschönes und berührendes Buch über Freundschaft über die Generationen hinweg. Es ist stellenweise sehr komisch, dann wieder tieftraurig. Die Personen sind liebevoll charakterisiert. Wir erleben, wie Huberts Demenz immer schlimmer wird, während er sich zu Beginn des Romans noch mitteilen kann, erkennt er am Ende niemanden mehr. Die einzige Freude, die er zuletzt noch empfindet, ist angesichts eines Therapiehundes, den er für seinen verstorbenen Hund Sammy hält. Man merkt, dass die Autorin, Petra Pellini, lange Zeit in der Pflege demenzkranker Menschen tätig war, so einfühlsam, wie sie Huberts Krankheitsverlauf schildert.
Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen.

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Veröffentlicht am 20.08.2024

Zwei Freundinnen und ein ungewöhnliches Projekt

Unser Buch der seltsamen Dinge
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Die 12jährige Miv lebt mit Vater, Mutter und Tante in einem kleinen Ort im ländlichen Yorkshire. Die früher so liebevolle und lustige Mutter ist vor zwei Jahren verstummt, was genau mit ihr passierte und ...

Die 12jährige Miv lebt mit Vater, Mutter und Tante in einem kleinen Ort im ländlichen Yorkshire. Die früher so liebevolle und lustige Mutter ist vor zwei Jahren verstummt, was genau mit ihr passierte und weshalb sie depressiv wurde, ist lange nicht klar. Die resolute alleinstehende Tante Jean führt seitdem den Haushalt, ist aber kein Ersatz für die Mutter, die Miv sehr vermisst. Ein Glück, dass sie ihre beste Freundin Sharon hat, mit der sie ein Herz und eine Seele ist.

Die Geschichte spielt in den 1980er Jahren, einer Zeit, in der der Yorkshire Ripper in der Gegend sein Unwesen treibt und schon etliche junge Frauen, hauptsächlich Prostituierte, ermordet hat. Nicht zuletzt wegen des Rippers, aber auch, weil ihm ein lukrativer Job angeboten wird, will Mivs Vater in den Süden ziehen. Eine Katastrophe für Miv, denn dann müsste sie sich von Sharon trennen! So kommt sie auf die Idee, eigenhändig den Yorkshire Ripper zu stellen und überzeugt Sharon davon, bei ihrem Plan mitzumachen. Sie beginnen damit, Leute aus ihrer Umgebung zu beobachten und alles, was ihnen seltsam erscheint, in einem Buch festzuhalten. Dazu zählen unter anderem Beobachtungen wie „mal gute Laune, mal schlechte“. Aber auch „Er hat einen Schnurrbart“ kann schon dazu führen, als Verdächtiger geführt zu werden, denn auch der Ripper soll Schnurrbartträger sein. Im Laufe ihrer Ermittlungen erfahren die beiden Mädchen so einiges über ihre Mitmenschen, zum Beispiel über die nette junge Bibliothekarin mit einem Hang zu Unfällen.

„Unser Buch der seltsamen Dinge“ ist ein wunderschönes und herzerwärmendes Buch. Da es aus der Sicht einer Zwölfjährigen geschrieben ist, mutet der Schreibstil altersentsprechend etwas naiv an, doch stört dies überhaupt nicht. Es ist ein Buch über Freundschaft und erste Liebe, über Mobbing und Rassismus und natürlich über das Aufwachsen im England der 1980er Jahre, als es noch keine TikTok Videos und Handys gab. Wir erleben, wie Miv zunehmend erwachsen wird und begleiten sie auf ihren teilweise doch recht gefährlichen Exkursionen auf der Suche nach dem Yorkshire Ripper. Mir hat dieser Debütroman ganz hervorragend gefallen und ich kann ihn wärmstens empfehlen.

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Veröffentlicht am 14.08.2024

Im Labyrinth der Erinnerungen

So ist das nie passiert
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Das prägendste Ereignis in Willas Leben ist das Verschwinden ihrer kleinen Schwester Laika vor 22 Jahren. Die Familie ging von einer Entführung aus, doch es kam nie ein Erpresserschreiben. Auch ihre Leiche ...

Das prägendste Ereignis in Willas Leben ist das Verschwinden ihrer kleinen Schwester Laika vor 22 Jahren. Die Familie ging von einer Entführung aus, doch es kam nie ein Erpresserschreiben. Auch ihre Leiche wurde nie gefunden, weshalb Willa glaubt, sie müsse noch am Leben sein. Überall wo sie ist, meint sie, ihre Schwester zu sehen, ein Umstand, der ihr Umfeld zunehmend zu nerven beginnt.
Eines Abends ist Willa bei ihrer Freundin Robyn zu einer Dinnerparty eingeladen und trifft dort auf eine Frau, in der sie ebenfalls ihre Schwester zu erkennen glaubt. Allerdings ist die Frau Französin und nur in England auf Besuch.
„So ist das nie passiert“ ist ein spannender Pageturner, der hauptsächlich aus Willas und Robyns Perspektive erzählt wird. Oft geht es dabei um die gleichen Ereignisse, die jedoch völlig unterschiedlich erinnert werden. Als Leser weiß man nie, welche Version eines Ereignisses man denn nun glauben soll. Die Personen sind alle authentisch und gut beschrieben, der Schreibstil flüssig. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen, da ich unbedingt wissen wollte, was denn nun passiert ist. Die Auflösung fand ich teilweise etwas unbefriedigend, weil sie mir unplausibel erschien, doch kann ich nicht näher darauf eingehen ohne zu spoilern. Nichtsdestotrotz hat mir das Buch sehr gut gefallen. Es ist unterhaltsam und spannend und ich kann es auf jeden Fall empfehlen.

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Veröffentlicht am 26.07.2024

Was ist wichtig im Leben?

Mein drittes Leben
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Lindas Leben scheint perfekt. Sie ist erfolgreiche Kuratorin und glücklich in ihrer Ehe mit Richard. Das Glück geht jäh zu Ende, als die 17jährige Tochter bei einem Fahrradunfall stirbt. Linda kündigt ...

Lindas Leben scheint perfekt. Sie ist erfolgreiche Kuratorin und glücklich in ihrer Ehe mit Richard. Das Glück geht jäh zu Ende, als die 17jährige Tochter bei einem Fahrradunfall stirbt. Linda kündigt ihren Job und zieht sich vollkommen zurück. Während Richard es schafft, weiter soziale Kontakte zu halten, beschließt Linda, sich eine Auszeit in einem kleinen Dorf in Brandenburg zu nehmen. Sie mietet einen heruntergekommenen Bauernhof und kümmert sich um ihre Hühner und den Hund, den sie von der verstorbenen Vorbesitzerin übernommen hat. Tagelang schafft sie es kaum aus dem Bett, sie gibt sich ganz ihrer Trauer hin. Auch Selbstmordgedanken schleichen sich ein. Von Richard, der in der gemeinsamen Wohnung in Leipzig geblieben ist, entfremdet sie sich immer mehr, doch er besucht sie regelmäßig und hofft, dass sie wieder zu ihm zurückkommt. Doch die Linda von früher gibt es nicht mehr und eine Trennung scheint unausweichlich.
Daniela Krien gelingt es in „Mein drittes Leben“ ganz hervorragend aufzuzeigen, wie der Verlust eines geliebten Menschen alles verändert. Sie findet Worte für Gefühle und die unvorstellbare Trauer der Protagonistin, die es kaum schafft, nach ihrem Verlust das eigene Leben weiterzuleben. Erst ganz allmählich lässt Linda wieder andere Menschen an sich heran, beispielsweise die alleinerziehende Natascha mit ihrer behinderten Tochter oder ihre direkten Nachbarn auf dem Dorf, die alle mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen haben.
Daniela Kriens Schreibstil, der von schonungsloser Ehrlichkeit geprägt ist, hat mir sehr gefallen und ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen.

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