Starker Roman über eine noch viel zu unbekannte Heldin
Wir waren nur MädchenNeben meinen geliebten Romanzen zum Schwärmen und Träumen lese ich zwischendurch auch immer wieder gerne historische Romane. Insbesondere jene Werke, deren Handlung zur Zeit der beiden Weltkriege angesiedelt ...
Neben meinen geliebten Romanzen zum Schwärmen und Träumen lese ich zwischendurch auch immer wieder gerne historische Romane. Insbesondere jene Werke, deren Handlung zur Zeit der beiden Weltkriege angesiedelt ist, interessieren mich enorm, vor allem, wenn sie auf wahren Begebenheiten beruhen und sich an realen Lebensgeschichten orientieren. Ideale Voraussetzungen also für Buzzy Jacksons eindringlich erzählten Schmöker "Wir waren nur Mädchen", in welchem Hannie Schaft - einer niederländischen Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime, deren Name mir bis dato unbekannt gewesen war - ein würdiges Denkmal gesetzt wird.
Hannie, aus deren Perspektive erzählt wird, ist eine außergewöhnliche Figur. Buzzy Jackson porträtiert sie als clever, mutig und selbstlos, lässt uns ihren Wandel von der verschüchterten Jurastudentin zur selbstbewussten jungen Frau miterleben, die durch Entschlossenheit und Resilienz beeindruckt.
"Bisher war ich immer ein Mensch gewesen, der Dinge bis zum Ende durchhielt. Aber an diesem Tag entdeckte ich die Macht des Aufgebens. Man tut es einmal und weiß es für immer. Jemand, der aufgibt, der einer Sache ein Ende setzt, ist gefährlich, denn er kennt ein Geheimnis: Es ist immer möglich, neu anzufangen."
Auch Hannis unerschütterliche Freundschaft zu den Jüdinnen Sonia und Philine verleiht der Handlung emotionale Tiefe; sowohl die Verzweiflung als auch die gegenseitige Wertschätzung der Frauen ist deutlich spürbar, wodurch jene Passagen auf mich sehr eindringlich wirkten.
Trotz der wichtigen Thematik blieb der Roman für mich stellenweise etwas zu distanziert und Hannies Entwicklung erschien mir an manchen Stellen nicht 100%ig authentisch bzw. verlief mir einen Hauch zu glatt - immerhin liegen zwischen kleineren Vergehen wie Taschendiebstählen und der Bereitschaft zum Mord doch ein paar Schritte … wobei man andererseits argumentieren könnte, dass in Extremsituationen nichts "normal"/ auf die übliche Weise verläuft, also fair enough. Die - leider auch auf unsere aktuelle Weltlage zutreffende - Beschreibung der schleichenden Zerstörung aller moralischen Werte im Krieg hat mich angesichts ihres Wahrheitsgehalts schwer betroffen gemacht:
"Wenn ein Krieg beginnt, haben die meisten Menschen noch ein bisschen Anstand und stimmen stillschweigend darin überein, was tabu ist und was nicht. Aber irgendwann kommt die Verzweiflung. Und schließlich greifen sie genau das an, was sie sich zu beschützen geschworen haben: Frauen, Kinder, heilige Orte."
Es stellt sich die Frage: Wie bleibt man menschlich, wenn man mit abscheulichen, absolut unmenschlichen Grausamkeiten konfrontiert wird? Wie weit ist man bereit zu gehen, um sich selbst und das, was man liebt, zu schützen? Rechtfertigt der Zweck wirklich ALLE Mittel?
Was ich schade fand: Insgesamt blieben mir Hannis innere Konflikte, ihre Zweifel und Ängste zu oberflächlich. Ich hätte mir noch mehr Einblicke in ihre Zerrissenheit gewünscht; ihr gewagter Schritt, sich dem Widerstand anzuschließen, hätte so noch greifbarer herausgearbeitet werden können. Gerade bei einem so ernsten Thema wie dem Widerstand gegen die Nazis erwarte ich durch und durch intensive Figurenzeichnungen, die mich voll und ganz mitnehmen (- selbiges gilt für Hannis Romanze mit Jan, die gewiss das Potential gehabt hätte, mich noch mehr emotional abzuholen -), was der einzige Grund dafür ist, dass "Wir waren nur Mädchen" es letztlich nicht auf meine Liste der Histo-Highlights geschafft hat.
Der Schreibstil von Jackson ist angenehm schnörkellos, klar und stark, aber … es hält sich die Waage: manche Szenen, die für eine geballte Ladung Emotion geradezu prädestiniert gewesen wären, werden in einem neutral-sachlichen Ton geschildert, während andere Formulierungen so poetisch daherkommen, dass die Zitate noch lange nachwirken und zum Nachdenken anregen.
Ein großer Pluspunkt des Romans ist die stetige, alles überlagernde Atmosphäre der Gefahr - man hat beim Lesen permanent die Angst im Nacken und kann nur erahnen, wie schrecklich sich dieser Zustand in der Realität für die Betroffenen angefühlt haben muss.
"In den Niederlanden wurden mehr Juden ermordet als in jedem anderen von den Nazis besetzten europäischen Land - geschätzte fünfundsiebzig Prozent (etwa 102 000 Menschen) überlebten den Krieg nicht."
Abschließend habe ich euch noch meine Lieblingszitate herausgesucht, welche die mitschwingende Botschaft des Romans wunderbar einfangen:
"Sei gut, tu Gutes."
und
"Diejenigen, die Gutes wollen, können nicht daran gehindert werden, es zu tun."
𝗙𝗮𝘇𝗶𝘁:
Eine inspirierende, für historisch Interessierte definitiv empfehlenswerte Lektüre. Wer ein Faible für Geschichten über den Zweiten Weltkrieg (insbesondere den Widerstand gegen das Nazi-Regime) sowie gut recherchierte Romanbiografien hat, wird mit diesem soliden Werk, das die noch viel zu unbekannte Heldin Hannie Schaft ins verdiente Rampenlicht rückt und durch ein umfassendes, informatives Nachwort ergänzt wird, viel Freude haben.