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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.12.2021

Ein eindrucksvoller Cocktail von Dramatik, Action und Geheimnissen

Ein neuer Horizont
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Schon die „Space Girls“ fand ich großartig und auch hier beweist Maiken Nielsen ihr Gespür für richtig gute historische Romane. Mit gründlicher Recherche, feinem Erzählstil und einigem Fingerspitzengefühl ...

Schon die „Space Girls“ fand ich großartig und auch hier beweist Maiken Nielsen ihr Gespür für richtig gute historische Romane. Mit gründlicher Recherche, feinem Erzählstil und einigem Fingerspitzengefühl hält sie elegant die Balance zwischen Historie und Abenteuer, Schicksalsroman und Liebesgeschichte.

Es geht direkt mitten hinein ins Getümmel. Nellie ist Journalistin und wird spontan nach Korea geschickt, als sich die Lage dort zuspitzt. Es ist spannend und nervenzerfetzend. Kriegsreporter zu sein ist gefährlich und als Frau erst recht. In den 50er Jahren hat es eine Frau doppelt schwer, in einer Männerdomäne zu bestehen. Die Atmosphäre ist toll eingefangen, man hat das Gefühl, man wäre da.

Hier liegen einige Rätsel auf dem Tisch. Nellies Zwillingschwester ist verschollen, seit Jahren schon und Jake, ihr Liebster, hat Schlimmes erlebt und in Deutschland noch eine Rechnung offen.

Sehr elegant werden Parallelen aufgezeigt. Der Ost-West-Konflikt hat weltweite Auswirkungen, ob nun in Korea, Amerika oder in Deutschland. Es kann Karrieren beenden, als Sowjet-Sympathisant entlarvt zu werden.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es ist wirklich mitreißend erzählt, überlege aber, ob nicht vielleicht ein bisschen zu viele dramatische Nebenschauplätze aufgeworfen werden. Es ist schon ein ordentlicher Cocktail von Dramatik, Action und Geheimnissen.

Trotzdem hat es mir sehr gefallen. Ich habe höchst unterhaltsam wirklich viel gelernt.

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Veröffentlicht am 19.10.2024

Originell und speziell

Im Morgenlicht
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Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer ...

Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer englischsprechenden zerstörten Welt und einem Wiederaufbauprogramm.

Im entvölkerten Island City sollen Menschen angesiedelt werden, die anderswo ihr Zuhause verloren haben. Sil und ihre Mutter haben Glück gehabt. Sie dürfen in die Wohnanlage „Morgenlicht“ zu Tante Ena ziehen, die dort arbeitet. Ihre Vergangenheit ist genauso undurchsichtig, wie die Gegenwart. Sie kommen aus dem „Alten Land“ und sprechen „Unser“. Das und die märchenhaften Geschichten, die Tante Ena erzählt, lassen an ein unbestimmtes Balkanland denken. Und von Ena hat Sil auch den Hang dazu, nach magisch Mystischem in ihrer Umgebung zu suchen. Kann Bezi Duras aus dem 34.Stock eine Vila sein, ein Zauberwesen aus alten Geschichten?

Dieses Buch ist wirklich besonderes. Es verknüpft alte Mythen mit einer düsteren Zukunft, verspinnt vergangene Balkankriege mit aktueller Flüchtlingsproblematik und der Klimakrise, nimmt von allem ein bisschen und macht daraus eine schicksalhafte Familiengeschichte mit märchenhaften Vibes. Das ist neu und irritierend, aber auch spannend.

Wenn man sich davon verabschiedet hat, das Gelesene einsortieren zu wollen, macht das Lesen Spaß. Es ist toll geschrieben in wunderbarer Sprache, mit feinem Humor und jeder Menge Rätsel, ist auf skurrile Art geheimnisvoll, tanzt leichtfüßig hin und her zwischen den Genres, immer mit einem Augenzwinkern.

Das Ende löst dann etwas geballt alle Fragen auf, die wir hatten. Ich hätte das gerne auf weitere hundert Seiten ausgedehnt gelesen, aber gut, immerhin gibt es Ideen, beinahe Antworten.

Ein schönes Buch.

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Veröffentlicht am 04.10.2024

Ein Buch zum Abtauchen

Die Frauen jenseits des Flusses
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Ich wusste über der Vietnamkrieg eigentlich nur, dass es ihn gab. Nach dem Hören dieses Buches habe ich das Gefühl, ich war dabei.

Frankie McGrath, Tochter aus gutem Hause und frisch gelernte Krankenschwester, ...

Ich wusste über der Vietnamkrieg eigentlich nur, dass es ihn gab. Nach dem Hören dieses Buches habe ich das Gefühl, ich war dabei.

Frankie McGrath, Tochter aus gutem Hause und frisch gelernte Krankenschwester, möchte Dienst in Vietnam tun. Ihr Bruder dient schon dem Vaterland, das muss eine Frau doch auch können und im Lazarett ist es sicher. Wie naiv dieser Gedanke war, lernt Frankie schnell. Nichts davon entspricht der Realität. Der Job im Lazarett ist hart und lebensgefährlich und Heldenstatus erhalten nur Männer. Noch dazu wandelt sich die Einstellung der Amerikaner zum Krieg.

In dieses Buch kann man abtauchen. Man macht Frankies ganze Entwicklung mit, durchlebt einen schrecklichen Krieg, viel Leid, schlimme Gräuel, aber auch Kameradschaft und sogar Liebe. Frankie schließt in Vietnam Freundschaften fürs Leben.

Dazu gibt es 60er Jahre zum Miterleben, mit all dem Mief und der Spießigkeit, misogynen Vorurteilen, Standesdünkel, amerikanischem Patriotismus, aber auch die Entwicklung zur Gegenbewegung mit Protesten, Antikriegsbewegungen mit Flowerpower, love and peace und auch noch Kriegsveteranen, die zurück ins Leben finden müssen.

Der Erzählstil ist plastisch und eindringlich. Trotz kleinerer pathetischer Ausreißer hat es mir sehr gefallen. Es passiert mir nicht so oft, dass ich denke: Ach, schade, ich muss jetzt ausschalten.

Das Hörbuch wird sehr schön gelesen von Luise Helm, man muss es nur etwas beschleunigen. Es dauert 17 Stunden und 24 Minuten.

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Veröffentlicht am 25.09.2024

Wunderbares Jugendbuch

Die Nacht der Schildkröten
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Eigentlich ist dieses Buch ein wunderbares Jugendbuch. Es erzählt von Livia, die mit ihrer Familie in Rom lebt und elf Jahren alt ist, als sie die Diagnose bekommt, dass sie Retinitis hätte. Menschen mit ...

Eigentlich ist dieses Buch ein wunderbares Jugendbuch. Es erzählt von Livia, die mit ihrer Familie in Rom lebt und elf Jahren alt ist, als sie die Diagnose bekommt, dass sie Retinitis hätte. Menschen mit Retinitis werden innerhalb weniger Jahre blind.

Den Ernst der Lage mag sie zunächst nicht wahrhaben. Ihre größte Sorge ist die hässliche Brille, die sie tragen muss. Wir begleiten sie bis sie 17 Jahre alt und nahezu blind ist.

Livia erzählt ihre Geschichte aus ihrer Sicht. Ihre Schule, ihre Familie, ihre Freunde spielen eine Rolle. Sie wird immer mehr zur Außenseiterin durch ihre Krankheit, möchte aber gerne dazugehören. Hilfe nimmt sie nicht gerne an, bis sie merkt, dass sie sie braucht.

Dieses Buch liest sich leicht, die Sprache ist sehr einfach. Mir hat ein bisschen Livias Auseinandersetzung mit der Situation gefehlt. Sie schämt sich, ihre Krankheit ist ihr hauptsächlich peinlich, aber echte Verzweiflung darüber, dass sie bald nicht mehr sehen kann, scheint sie nicht zu spüren.

Dieses Buch erzählt aus Kindersicht über eine sehr unbekannte Krankheit, ist berührend und aufschlussreich. Es erzählt sehr viel von Schulalltag und Teenagersorgen und ist damit wohl bestens als Jugendbuch geeignet.

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Veröffentlicht am 21.08.2024

Nicht ganz so stark wie der Vorgänger

Verlorene Sterne
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Im Grunde ist dieses Buch die Fortsetzung von „Dort dort“ . Es rahmt den Vorgänger ein, erzählt die ganze Geschichte der Familien Bear Shield und Red Feather und gleichzeitig die Geschichte der Ausrottung ...

Im Grunde ist dieses Buch die Fortsetzung von „Dort dort“ . Es rahmt den Vorgänger ein, erzählt die ganze Geschichte der Familien Bear Shield und Red Feather und gleichzeitig die Geschichte der Ausrottung der Indianer.

Ich musste erst einmal googeln, ob man den Begriff „Indianer“ noch benutzen darf. Er wird in diesem Buch anfangs sehr selbstverständlich benutzt. Tommy Orange passt seine Sprache der Zeit an, in der die Handlung spielt und 1870 waren Indianer noch Indianer, ihr Leben allerdings sehr leidvoll.

Es kommen verschiedene Familienmitglieder zu Wort, die mit tiefer Resignation und auch triefendem Sarkasmus von Vertreibungen, Umerziehungsmaßnahmen, Pogromen und Diskriminierungen erzählen, eine Geschichte von Rassismus im Schnelldurchlauf, finster und erschütternd. Und all diese Geschichten beinhalten auch eine Art Geschichte des Drogenmissbrauchs. Alkohol, Opium oder andere Betäubungsmittel gehören zur indianischen Tradition, werden zu allen Zeiten benutzt, entweder als Trost oder zur Verdrängung aktueller Probleme, aber auch zur Heilung oder zu rituellen Zwecken.

2018 sind wir dann bei Orvil, der nach seinem großen Tanz in „Dort dort“ angeschossen und schwer verletzt im Krankenhaus aufwacht. Tabletten helfen ihm zurück ins Leben und schaffen neue Probleme. Ab da dreht sich alles um Orvils Familie und Freunde, von denen niemand wirklich glücklich ist. Alle haben eine Art Drogenvergangenheit und fühlen sich entwurzelt. Selbst wenn moderne native Americans längst nicht mehr indianische Traditionen leben, scheint etwas an ihnen zu zerren.

Diesen Teil des Buches fand ich schwer zu lesen und etwas zäh. Das Geschehen springt ständig hin und her, es wechseln die Erzähler und die Zeiten. Manchmal erzählt sogar jemand, der im Kapitel davor gerade gestorben ist. Und in Summe passiert nicht wirklich viel. Da ist die Zeit vor dem Tanz und die danach, problematisch ist alles.

Tommi Orange scheibt toll, mit ganz eigener Poesie, viel Atmosphäre aber auch Trauer, durchzogen von finsterem Humor. Er hat ein echtes Anliegen und lenkt Aufmerksamkeit auf die Probleme der native Americans, die heute noch bestehen und nur wenig Beachtung finden. In „Dort dort“ hatte er auch eine originelle Storyline, die hier leider komplett fehlt. „Verlorene Sterne“ ist noch immer ein eindrucksvolles Buch, wirkt neben seinem starken Vorgänger aber ein wenig planlos. Gerne gelesen habe ich es trotzdem.

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