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Veröffentlicht am 18.07.2022

Anstrengender, aber liebenswerter Protagonist

Samson und Nadjeschda
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Andrej Kurkow präsentiert wieder einmal ein interessantes Kapitel der ukrainischen Geschichte. Nach "Graue Bienen" war ich schon sehr auf "Samson und Nadjeschda" gespannt, der neue Roman Kurkows, bei dem ...

Andrej Kurkow präsentiert wieder einmal ein interessantes Kapitel der ukrainischen Geschichte. Nach "Graue Bienen" war ich schon sehr auf "Samson und Nadjeschda" gespannt, der neue Roman Kurkows, bei dem der kürzlich zum Waisen gewordene Samson plötzlich in der neu gegründeten Sowjetunion bei der Miliz angestellt wird.
Die Zeit kurz nach der russischen Revolution und die Unsicherheiten in Kiew werden, wie nicht anders erwartet, von Kurkow sehr eindrucksvoll und realistisch dargestellt. Die Leser*innen können sich gut in die Zeit einfühlen und bekommen einen Einblick in die Geschichte, der sonst kaum möglich wäre.
Ein Problem stellt eher der Protagonist Samson dar: Dieser wirkt oft unbeholfen und kindlich. Das wird auf fast 400 Seiten jedoch irgendwann anstrengend, auch wenn er liebenswert ist. Als Kriminalpolizist wirkt er einfach nicht überzeugend, auch wenn er am Ende den Fall ganz alleine löst und das auf die humanste mögliche Weise. Wäre Samson am Ende nicht so anstrengend zu lesen gewesen, hätte es auch eine bessere Bewertung gegeben und ich hätte überlegt, die Reihe weiterzulesen.

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Veröffentlicht am 23.09.2021

Porträt Harlems

Harlem Shuffle
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Colson Whitehead zeichnet ein Porträt Harlems, wie es kaum ein anderer kann. Er nimmt die Leser:innen mit auf eine Reise in eine den meisten wohl fremde Welt, die zwar schon oft dargestellt wurde, aber ...

Colson Whitehead zeichnet ein Porträt Harlems, wie es kaum ein anderer kann. Er nimmt die Leser:innen mit auf eine Reise in eine den meisten wohl fremde Welt, die zwar schon oft dargestellt wurde, aber noch nie so realistisch und lebensnahe wirkte. Er schafft es zu zeigen, wie hart der Alltag in den Straßen dieses Stadtteils ist, in dem Gangs über das Leben aller herrschen und ihre Finger sogar in der Wirtschaft mit drin haben. Dabei schafft er es, dass es nicht, wie so viele andere Werke, nur schockierend und "mitleidssuchend" wirkt, sondern gleichzeitig auch positive Aspekte dieses Lebens zeigt - den Zusammenhalt unter der schwarzen Bevölkerung und vieles mehr.
Whitehead weckt mit diesem Buch gemischte Gefühle in den Leser:innen, am Ende möchte man dieses Harlem selbst erleben, gleichzeitig ist man froh, dass man all das nicht erleben muss. Eine Stimmung, die schwierig zu erreichen ist, aber umso schöner und magischer auf die Leser:innen ist. Eine Stimme, die scheint, als würde sie genau aus diesem Harlem kommen.
Harlem Shuffle schlägt vielleicht nicht so ein wie "Die Nickel Boys" und lässt die Leser:innen nicht so geschockt zurück, ist aber auf jeden Fall auch wichtig und lesenswert.

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Veröffentlicht am 22.08.2024

Bereichernde Familiengeschichte

Die Perserinnen
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Sanam Mahloudji schreibt in ihrem Debütroman über die Frauen einer iranischen Familie, die zu Zeiten des Shahs von Bedeutung waren. Doch nach der islamische Revolution und der Flucht nach Amerika (von ...

Sanam Mahloudji schreibt in ihrem Debütroman über die Frauen einer iranischen Familie, die zu Zeiten des Shahs von Bedeutung waren. Doch nach der islamische Revolution und der Flucht nach Amerika (von den meisten Frauen) bleibt ihnen nur noch ihr Geld.
Für den deutschsprachigen Raum ist dieser Roman besonders wichtig, da er eine neue Perspektive bietet, eine neue "Erfahrungswelt". Den Leser:innen wir eine neue Welt präsentiert, die den meisten vermutlich komplett unbekannt ist. Man kann die Welt der "Exil-Perserinnen" kennenlernen und die derer, die aus diversen Gründen im Iran zurückgeblieben sind und deren Leben sich durch die islamische Revolution komplett geändert hat.
Der Roman ist komplex und braucht stellenweiße doch große Aufmerksamkeit, denn viel kultureller Kontext wird nicht erklärt. Viel Wissen über die islamische Revolution und den Kulturwechsel im Iran wird vorausgesetzt, eine kurze Recherche vorab wird also empfohlen. Dann kann der Roman sehr bereichernd sein und einem die Augen öffnen.
Ab und zu wird es anstrengend, da sehr viele Namen (für deutschsprachige Leser:innen fremde Namen) vorkommen und man leicht den Überblick verlieren kann, wer mit wem wie verwandt ist. Eine kleine Übersicht am Anfang oder Ende hätte hier sehr geholfen.
Es hat zwar etwas gebraucht, bis mich das Buch überzeugen konnte, am Ende bin ich aber froh, es gelesen zu haben.

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Veröffentlicht am 12.08.2024

Interessante Neuinterpretation

Perfekte Menschen
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Perfekte Menschen erzählt den albanischen Volksmythos von Ballaban Badera neu, dafür versetzt die Autorin ihr Leser:innen in eine nicht näher bestimmte Zukunft, in der Flüsse trocken gelegt werden, da ...

Perfekte Menschen erzählt den albanischen Volksmythos von Ballaban Badera neu, dafür versetzt die Autorin ihr Leser:innen in eine nicht näher bestimmte Zukunft, in der Flüsse trocken gelegt werden, da Kinder darin ertrinken könnten.
In dieser zukünftigen Welt werden Jungen mit 8 Jahren ihren Familien weggenommen und zu emotionslosen, regimetreuen Soldaten ausgebildet. Genau so einen Jungen verfolgen wir, einen Jungen, der eigentlich Gärtner werden wollte, der ich selbst das Schreiben beibringt, in einer Welt in der niemand mehr mit der Hand schreibt. Andrea Grill erzählt einfühlsam, wenn auch etwas kurz, von einer Welt, in der toxische Männlichkeit auf die Spitze getrieben wird.
Ein interessanter Roman, der sich aufgrund seiner Kürze gut für zwischendurch eignet.

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Veröffentlicht am 03.07.2024

Ein nicht so perfektes Familienleben

Kleine Monster
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In "Kleine Monster" erzählt die österreichische Autorin Jessica Lind aus der Sicht von Pia, Mutter, Schwester und Tochter - und in allem ist sie eben nicht so perfekt.
Pia und ihr Mann werden an die Schule ...

In "Kleine Monster" erzählt die österreichische Autorin Jessica Lind aus der Sicht von Pia, Mutter, Schwester und Tochter - und in allem ist sie eben nicht so perfekt.
Pia und ihr Mann werden an die Schule geholt, da ihr Sohn anscheinend "etwas" mit einer Mitschülerin machen wollte. Was das war bleibt unbeantwortet, wie so vieles Anderes in diesem Roman. Durch das Zweifeln an der Unschuld ihres Sohnes, kommt die Vergangenheit Pias wieder in Erinnerung, an ihre Schwestern Romi und Linda - Romi, die der Familie den Rücken zugekehrt hat, Linda, die tot ist. Es wird klar: Pias Familie ist eine Familie des Schweigens, über Probleme wird nicht geredet, Unstimmigkeiten nicht angesprochen.
Lind schreibt fesselnd von eigentlich alltäglichen Dingen, wie vermutlich viel zu viele kennen, aber nur selten darüber sprechen. Man darf auf mal an seinem Kind zweifeln, Angst haben, ob es einen belügt und manipuliert - die Liebe der Mutter hat eben auch Grenzen, oder sollte sie zumindest haben. Die Befürchtung, dass eine Drehbuchautorin zu trocken schreibt, hat sich absolut nicht bewahrheitet, es war vielleicht szenisch angelegt, aber sehr auf die Introspektive fokussiert, was bei einem Film kaum möglich ist. Trotzdem lässt der Roman am Ende zu viel offen, es verläuft sich alles im Sand und am Ende wirkt es einfach nicht abgeschlossen.

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