Profilbild von Corsicana

Corsicana

Lesejury Profi
offline

Corsicana ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Corsicana über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.08.2018

Finnische Bücher haben einen ganz besonderen Sound

Lempi, das heißt Liebe
0

Finnische Bücher haben einen eigenen Sound. Einerseits naturalistisch, manchmal hart. Wie die langen Winter, die Kälte, der harte Kampf ums Überleben. Andererseits auch poetisch. Wie der kurze aber schöne ...

Finnische Bücher haben einen eigenen Sound. Einerseits naturalistisch, manchmal hart. Wie die langen Winter, die Kälte, der harte Kampf ums Überleben. Andererseits auch poetisch. Wie der kurze aber schöne Sommer, die schöne Landschaft, die Saunakultur.


Dieses Buch handelt von Lempi, einer jungen Frau, die sehr behütet aufwächst, sogar Abitur macht. Und dann einen jungen Bauern heiratet, zu ihm aufs Land zieht, Und nach noch nicht mal einem Jahr ist es vorbei mit dem Glück. Der 2. Weltkrieg macht auch vor dieser Gegend nicht Halt. Und Lempi verschwindet. Und lässt ihren geraden geborenen Sohn und ihren kaum älteren Ziehsohn zurück bei der Magd.

Was ist passiert? Ist Lempi tot? Ist sie mit einem Deutschen fort gegangen?

Erste geheimnisvolle Andeutungen gibt der Prolog. Und danach erzählen drei Personen über Lempi - nur sie selbst - sie kommt nicht zu Wort. Lempi bleibt also ein wenig rätselhaft, verschwommen - wie auf dem Cover angedeutet.

Zunächst erzählt ihr Mann, der aus dem Krieg heimkehrt und schier verzweifelt, weil Lempi nicht mehr da ist. Trauer und Verzweiflung werden sehr eindringlich dargestellt.

Danach erzählt die Magd. Sie konnte Lempi nicht leiden, für sie war Lempi ein verzogenes Gör, das einfach nicht auf einen Bauernhof gehörte. Sie selbst wäre doch eine viel bessere Bäuerin geworden.
Dieser Teil ist hart und schonungslos geschrieben.

Und dann erzählt Sisko, die Schwester von Lempi. Die beiden Frauen wären sich schon als Kinder sehr nah. Und Sisko weiß, wie es zu der Ehe mit dem Bauern kam. Aber Sisko hat auch eigene Probleme, sie hat einen Deutschen Freund (damals waren die Deutschen die sogenannten "Waffenbrüder" der Finnen). Und irgendwann müssen die Deutschen und ihre Geliebten Finnland verlassen.
Dieser Teil erzählt viel - wenn auch vieles nur in Andeutungen. Aber er erzählt doch ein ganzes Frauenleben. Von einem behüteten Aufwachsen über den Beginn der Beziehungen zum anderen Geschlecht bis zur Flucht und zu den Nachwirkungen des Krieges.
Dieser Teil war sehr geheimnisvoll, hatte viele Andeutungen, führte mich als Leserin oft in die Irre. Und löst doch das Rätsel um Lempi auf. Wenn auch nicht ganz alles erzählt wird.

Aber wie erzählt wird - das ist die große Kunst in diesem Roman. Dieses Eindringliche, Tragische. Und doch Poetische.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Und ich werde nach weiteren Büchern aus Finnland Ausschau halten.
Autor: Minna Rytisalo

Veröffentlicht am 20.07.2018

Düster, bedrohlich und sehr spannend

Ins Dunkel
0

Aaron Falk ist bei der Federal Police in Melbourne in Australien, zuständig für Steuerfahndung.
Das hört sich zunächst nicht so spannend an - ist es aber. Denn, wie heißt es so oft bei der Tätersuche: ...

Aaron Falk ist bei der Federal Police in Melbourne in Australien, zuständig für Steuerfahndung.
Das hört sich zunächst nicht so spannend an - ist es aber. Denn, wie heißt es so oft bei der Tätersuche: "Folge dem Geld". Und so gerät Falk immer wieder in Ermittlungen der örtlichen Kriminalpolizei.

Hat die Autorin Jane Harper in ihrem Debüt "The Dry" (erscheint jetzt unter "Hitze" als Taschenbuch) Aaron Falk noch in seinen Heimatort im trockenen, dürren, staubigen Outback Australiens geschickt, so ist diesmal ein dicht bewaldeter Gebirgszug der Ort der Handlung. Es ist feucht, kalt, dunkel und bedrohlich. Der Wald verschluckt alles - auch das Mobilfunknetz.

Und wenn man bei der Lektüre von "The Dry" die Hitze und den Staub quasi spüren konnte, so fröstelt und bangt man diesmal in den dunklen, undurchdringlichen Wäldern.

In diesen Wäldern findet eine Teambuilding-Maßnahme statt. Eine Männer- und eine Frauengruppe - beide aus der gleichen Firma - sollen sich (ausgerüstet nur mit Kompass und Karte) 3 Tage durch die Wildnis schlagen. Am 4. Tag sollen alle wieder wohlbehalten zurück sein. Doch von der Frauengruppe kommen nur 4 statt 5 Frauen zurück. Und die fünfte Frau ist ausgerechnet die Kontaktperson von Falk. Sie sollte ihm Informationen über Geldwäscheaktivitäten liefern, die in dieser Firma vorkommen. Und bewiesen werden müssen.

Wurde die Frau bedroht? Oder beseitigt? Wusste jemand, dass sie Informationen weitergab? Oder hat ein Serienmörder aus früheren Zeiten, der in dieser Gegend aktiv war, einen Nachfolger gefunden?
Wo ist die Hütte, in der die Frauen zwischendurch Schutz gesucht hatten, als sie vom Weg abgekommen waren? Diese Hütte scheint keiner der Park-Ranger zu kennen. Was ist passiert?

Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Ebenen erzählt. Einmal die Ebene der Ermittlungen, die am 4. Tag beginnen. Und einmal beim Trecking. Wobei jede der Frauen und ihr Verhältnis zueinander beschrieben werden. Die Charakterzeichnungen sind prägnant und vielschichtig und realistisch. Und zeigen nebenher viel vom gesellschaftlichen Leben in Australien. Die Kapitel sind recht kurz - und werden gefühlt zum Ende hin immer kürzer. Das erhöht die Spannung.

Und spannend ist das Buch. Obwohl ich es eher als Krimi einordnen würde und nicht als Thriller. Es gibt keine Massen an Todesfällen - aber man steht gefühlt immer kurz davor. Die Spannung baut sich vor allem psychologisch auf. Als Leser fiebert und leidet man mit. Und wird sich danach wahrscheinlich so schnell nicht wieder in einen dunklen, undurchdringlichen Wald wagen.

Ich bin jetzt schon gespannt auf die weiteren Fälle von Aaron Falk. Und auf seinen weiteren persönlichen Werdegang. Denn auch das gehört für mich zu einem gelungenen Krimi: Die Entwicklung der Ermittler und ihres Umfeldes. Und nebenher erfährt man in diesem Buch ein wenig über die Personen aus dem ersten Band - ohne, dass zu viel verraten wird.

Also: Lesen! Am besten beide Bände hintereinander. Aber Vorsicht: Die Nächte könnten schlaflos werden.

Veröffentlicht am 31.12.2017

Kein amerikanisches Idyll

Lied der Weite
0

Eine Kleinstadt in den Weiten der amerikanischen Prärie in Colorado. Das Leben geht seinen alltäglichen Gang. Meist ist das Leben eintönig und anstrengend. Man lebt eher nebeneinander her. Aber man achtet ...

Eine Kleinstadt in den Weiten der amerikanischen Prärie in Colorado. Das Leben geht seinen alltäglichen Gang. Meist ist das Leben eintönig und anstrengend. Man lebt eher nebeneinander her. Aber man achtet auch aufeinander, jeder kann jeden beobachten. Kleinstadt eben. Einige Einwohner werden abwechselnd näher beschrieben. Da sind die 17 jährige Viktoria, die ungeplant schwanger wird und deswegen von ihrer Mutter aus dem Haus geworfen wird. Da ist ihre Lehrerin, die sich um sie kümmert, sie aber nicht bei sich behalten kann, weil sie ihren dementen Vater betreuen muss. Da ist der Lehrerkollege Guthrie, dessen Frau depressiv ist und der sich alleine um seine zwei kleinen Söhne kümmern muss. Und zusätzlich Ärger mit einem faulen und gewalttätigen Schüler hat. Und da sind die beiden alten Brüder auf ihrer abseits gelegenen Farm, die die schwangere Viktoria aufnehmen und mit ihrer eine Art Wahlfamilie aufbauen.

Eigentlich passiert in diesem Buch nicht besonders viel. Nur das Leben eigentlich. Und das ist für die meisten Protagonisten eher nicht so schön und wenig spannend. Besonders der Umgang mit den Kindern hat mich persönlich eher schockiert. Anscheinend ist es ganz normal, das 9-10 jährige Jungs jeden Morgen vor der Schule in der ganzen Stadt Zeitungen austragen. Und, dass eine 17 jährige jeden Tag nach der Schule stundenlang in einem Cafe in der Spülküche arbeitet und erst nach 19 Uhr nach Hause geht. Die Selbstverständlichkeit, mit der dies und anderes erzählt wird, lässt einen als Leser öfters schlucken. Warum man trotzdem weiter liest? Dies liegt sicherlich an der schönen, beschreibenden und gleichzeitig lakonischen Sprache, die eine Atmosphäre von Melancholie und gleichzeitig Härte vermittelt (einige sehr realistische Beschreibungen von Szenen mit einem Tierarzt inbegriffen). All dies wäre fast unerträglich traurig - wenn es nicht zwischendurch diese warmherzigen Momente mit viel Menschlichkeit geben würde. Denn es gibt schöne und positive Momente im Buch, gegenseitige Hilfe, vorsichtige Anfänge von Liebe und liebevolle Unterstützung.

Dies alles ist so einzigartig gut beschrieben und ausbalanciert, dass das Lesen zu einem schönen Erlebnis wird und man das Buch mit einem warmen und gleichzeitig melancholischem Gefühl im Bauch am Ende schließt.

Kent Haruf hat wohl alle seine Romane in der fiktiven Stadt Holt in Colorado angesiedelt. Bekannt geworden ist er in Deutschland mit seinem letzten Roman "Unsere Seelen bei Nacht", der jetzt mit Robert Redford verfilmt wurde. "Das Lied der Weite" ist ein älterer Roman, der jetzt in Deutschland neu aufgelegt wird. Im Original heißt er "Plainsongs", was noch deutlicher die Weite und die Ödnis und die Melancholie der amerikanischen Plains = Prärie wiederspiegelt.

Die Sprache von Kent Haruf hat mich verzaubert - und jetzt muss ich noch die anderen Bücher von diesem Schriftsteller lesen.

Veröffentlicht am 07.10.2017

Die Berge als Metapher für die im Leben zu bewältigenden Aufgaben

Acht Berge
0

„Es war eine düstere, raue Schönheit, die Kraft statt Frieden spendete“ (S. 118).

Dieses Zitat aus dem Roman „Acht Berge“ von Paolo Cognetti fasst das Wesen der Bergwelt sehr gut zusammen. Denn in diesem ...

„Es war eine düstere, raue Schönheit, die Kraft statt Frieden spendete“ (S. 118).

Dieses Zitat aus dem Roman „Acht Berge“ von Paolo Cognetti fasst das Wesen der Bergwelt sehr gut zusammen. Denn in diesem Buch geht es um die Berge. Und darum, wie sie die Bergbewohner und die Besucher prägen.
Pietro wächst in Mailand auf – aber seine Eltern stammen aus den Bergen. Und dorthin zieht es sie immer in den Ferien. Allerdings fahren sie nicht in die Berge der Kindheit, sondern in die Gegend des Aosta-Tals. Denn es ist so, „dass es mitunter (…) unmöglich ist, zu den Bergen zurück zu kehren, die im Mittelpunkt aller anderen und am Anfang der eigenen Lebensgeschichte stehen“ (S. 245). Und auch Pietro wird später erkennen, dass die Berge seiner Kindheit irgendwann für ihn verloren sind. Und er wird viele andere Berge erklimmen und es wird ihn bis in den Himalaya ziehen. Aber er wird nie die Sommer seiner Kindheit in den Bergen vergessen. Die Erkundungen mit seinem besten Freund, der aus einer armen Bergbauernfamilie stammt. Die Wanderungen mit seinem Vater, die immer über die Baumgrenze hinaus auf die Gipfel führten. Die Geborgenheit in der einfachen Ferienhütte, die seine Mutter liebevoll ausstattet. Pietro wird mit der Zeit alte Familiengeheimnisse seiner Eltern enthüllen, die Rastlosigkeit seines Vaters und das liebevolle Wesen seiner Mutter besser verstehen. Und er wird versuchen, selbst eine Heimat in den Bergen zu finden.
Aber manchmal ist es so, (..) dass einem nichts anderes übrig bleibt, als in den 8 Bergen herumzustreifen, wenn man (…) auf dem ersten und höchsten einen Freund verloren hat“ (S. 245).
Dieser Satz geht auf eine Weisheit aus dem Himalaya zurück, in der erzählt wird, dass es einen hohen Berg im Mittelpunkt der Welt gibt, den Sumeru. Dieser ist von Acht Bergen umgeben. Und es wird die Frage gestellt, wer mehr gelernt hat: Derjenige, der den Sumeru bestiegen hat oder derjenige, der alle Acht Berge gesehen hat? Eine philosophische Frage, die die zweite Ebene dieses Buches (neben den realistischen Schilderungen der Bergwelt und der Mühsal des Lebens dort) beleuchtet.
Denn in diesem Buch geht es um die Suche nach Wurzeln und Heimat. Um das Gefühl, angekommen zu sein. Und um das Scheitern bei dieser Suche. Und von der Kraft, die es kostet, das Leben zu bewältigen, das Gebirge des eigenen Lebens zu erklimmen.
Dies alles wird in einer kraftvollen, poetischen (aber nie ins kitschige abdriftenden) Sprache erzählt. Dies ist ein sehr besonderes Buch. Kraftvoll und tragisch und schön zugleich. Und sehr schwer zu beschreiben. Man muss sich die Zeit nehmen, das Buch zu lesen. Es lohnt sich.

Veröffentlicht am 23.08.2024

Interessante Familiengeschichte aus Griechenland

Bittersüße Mandeln
0

Griechenland war bei uns im Geschichtsunterricht immer nur Antike. Von der neueren Geschichte wusste ich fast nichts. Das hat sich durch diesen Roman geändert. Dafür vielen Dank! Erzählt wird von der Zeit ...

Griechenland war bei uns im Geschichtsunterricht immer nur Antike. Von der neueren Geschichte wusste ich fast nichts. Das hat sich durch diesen Roman geändert. Dafür vielen Dank! Erzählt wird von der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis in die Zeit der Krise Anfang der 2000er Jahre über eine wohl irgendwie typische griechische Familie, die unendlich viele Hürden überwinden musste und in der es doch viel Liebe und Zusammenhalt gab. Weit spannt die Autorin den Bogen, von 1944 und den Untergrundkämpfen sowie über Wirtschaftskrisen bis hin zu den Familienmitgliedern, die in den USA oder in Deutschland ihr Glück suchten. Erzählt wird auf zwei Ebenen: Da ist zum einen die Tochter aus Deutschland, die ihre griechisch-stämmige Mutter nach einem Schlaganfall im Krankenhaus in Athen besucht. Dort trifft sie auf einen Bruder der Mutter, der ihr die Geschichte ihrer Familie erzählt, das ist dann die zweite Ebene. Es beginnt mit Anna, der Großmutter, die schwanger mit dem fünften Kind aus ihrem Heimatdorf auf der Peloponnes fliehen muss. Nach vielen Wochen kommt sie in Athen an, schlüpft bei Verwandten unter und schafft es mit viel Tatkraft, einen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen und erfolgreich zu führen. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass Anna weder lesen noch schreiben kann. Ihr Ehemann, den sie leidenschaftlich liebt, bleibt zunächst verschollen, dafür interessiert sich einer ihrer Arbeiter für sie... Wie wird es weitergehen?

Es kommt danach noch ganz viel, fast ein wenig zu viel. Aber wohl realistisch, denn viele Griechen suchten vor allem nach dem 2. Weltkrieg ihr Glück und ein wenig Wohlstand im Ausland. Deshalb wird die Geschichte auch in den USA und in Deutschland weitererzählt und es wird erklären, warum die Tochter aus Deutschland anreist....

Ich habe etwas gebraucht, um in dem Buch anzukommen, doch dann hat es mich gepackt. Ich war dann auch neugierig, welcher der Töchter von Anna nun die im Krankenhaus liegende Mutter ist.... das wird nämlich ziemlich lange nicht enthüllt... zwischendurch war ich zwar geschockt von den mangelnden Bildungsmöglichkeiten für Frauen damals und von dem traditionellen Rollenbild, das für Frauen vorgesehen war (was allerdings in Deutschland auch nicht unbedingt sooo viel besser lief....). Aber die Frauen dieser Familie waren ziemlich stark (meistens, nicht immer) und konnten im Endeffekt das Beste daraus machen. Viel gelernt habe ich auch über die Traditionen in Griechenland, über die politischen Entwicklungen dort und über die Tendenz, dem Staat nicht zu sehr zu vertrauen...

Es soll einen zweiten Band geben. Ich bin gespannt, was dort erzählt wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere