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Veröffentlicht am 30.12.2017

Mein Sommer, mein Freund, meine Berge

Acht Berge
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„Denn ein Ort bewahrt immer auch die eigene Geschichte, damit man sie bei jedem Besuch aufs Neue Revue passieren lassen kann. Und solche Berge kann es nur einmal im Leben geben. Im Vergleich dazu sind ...

„Denn ein Ort bewahrt immer auch die eigene Geschichte, damit man sie bei jedem Besuch aufs Neue Revue passieren lassen kann. Und solche Berge kann es nur einmal im Leben geben. Im Vergleich dazu sind alle anderen bedeutungslos, sogar der Himalaja.“


Inhalt



Pietro und Bruno lernen sich als Heranwachsende in den Alpen kennen, während der erste jedes Jahr mit seinen Eltern den Sommer in den Bergen und die restlichen Jahreszeiten in der Stadt verbringt, lebt Zweiterer immer dort und wächst als Sohn eines Bergbauern auf. Gemeinsam erkunden sie die Natur, unternehmen Ausflüge auf die Berge und teilen Geheimnisse. Bruno ist unschlagbar, was die Ortskenntnis und das Verhalten der Natur betrifft und Pietro hat immer wieder neue Ideen, so dass ihre Freundschaft, wenn auch zeitlich begrenzt jedes Jahr in eine neue Spielzeit wechselt und nicht abbricht. Doch Pietro beginnt ein Studium, zieht nach Turin, lebt in Mailand und führt als junger Mann ein allzu städtisches Leben, während Bruno eine klassische Maurerausbildung absolviert und seine Heimat nicht verlässt. Als Pietros Vater stirbt und ihm eine Schutzhütte in den Bergen von Grana vermacht, finden die beiden erneut zueinander. Denn Pietro möchte die Hütte gerne bewohnbar machen und Bruno weiß, wie das geht. Noch einmal verbringen sie viel Zeit gemeinsam und müssen doch erkennen, dass jeder ein eigenes Leben hat und ganz andere Ansprüche an die Menschen stellt …


Meinung



Dieses Buch prägt nicht nur ein ganz besonders stimmungsvolles Coverbild und ein interessanter Titel sondern es verspricht auch eine Antwort auf eine philosophische Lebensfrage: Ist es besser dort zu bleiben, wo man alles kennt oder liegt der größte Nutzen darin, sich ins Ungewisse zu wagen und Neuland zu erschließen. Der Leser begegnet in diesem italienischen Bestsellerroman, der sich allein in seinem Heimatland mehr als 70.000 mal verkauft hat zwei Freunden, die versuchen einen richtigen Weg zu finden, jeder für sich erkennt, was ihn ausmacht und muss gleichzeitig Abschied nehmen, von dem was er nicht vermag, obwohl ein Gefühl der Unzulänglichkeit dadurch bestehen bleibt.


Sehr positiv aufgefallen ist mir das ausführliche Vorwort zum Roman, in dem man nicht nur ein Interview mit dem Autor präsentiert bekommt, sondern auch erfährt, wie viel Wahrheitsgehalt in der folgenden Erzählung steckt und welche Handlungsschwerpunkte gesetzt werden. Eine wirklich gelungene Einführung in die Thematik Mensch und Natur, Selbstfindung und Abgrenzung, Gemeinschaft und Alleinsein.


Der Autor arbeitet intensiv an seinen beiden Hauptcharakteren, er beschränkt sich nicht nur auf die Schilderung ihrer jeweiligen Lebensumstände, sondern grenzt sie deutlich voneinander ab. Er beschwört eine Männerfreundschaft herauf, die kontinuierlich gewachsen ist und auch von Rückschlägen nicht außer Kraft gesetzt wird. Trotzdem legt er besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Individuums, zeigt wie Herzen, die einst im gleichen Takt geschlagen haben, nun eher holprig nebeneinander schlagen. Werte wie Lebenserfahrung, persönliche Einsichten, differenzierte Wahrnehmung nehmen einen immer größeren Stellenwert ein, so dass der Leser zwei sehr unterschiedliche Männer vorfindet, die zwar eine gemeinsame Vergangenheit haben, denen es aber nur mäßig gut gelingt, ihre Unvoreingenommenheit aus jungen Jahren in ihre Gemeinschaft der Gegenwart mitzunehmen.


Es ist ein Buch der leisen Töne, unaufgeregt und beständig, mit wenig Spannung und seltenen Highlights. Damit fügt sich die Erzählung fast unsichtbar in die heraufbeschworene Bergwelt ein, eine Natur voller schroffer Felsen, endloser Schneefelder und saftiger Wiesen. Unantastbar, majestätisch und über alles Irdische erhaben. Menschen werden wieder klein im Angesicht der Bergwelt und sind nur winzige Rädchen im großen Getriebe. Und so wie sich der Bergbach über die Jahre verändert, tun es auch die Menschen – manchmal mit Getöse, meist jedoch im Vorbeigehen ohne genau sagen zu können, warum derjenige genau an dieser Stelle in ebenjene Richtung gegangen ist.


Kritikpunkt


Was mir an diesem naturinspirierten Roman gefehlt hat, waren eindeutig die Emotionen, das Zwischenmenschliche, die Gespräche, die Nähe mittels Worten. Dadurch, dass man die Charaktere nur in ihren Handlungen beobachten kann, war es mir nicht möglich eine echte Bindung zu ihnen aufzubauen. Zu vieles bleibt ungesagt, weil es nie angesprochen wurde. Es gibt kaum Streit, keine Versöhnung, keine Aufregung, kein echtes Gefühl zwischen den Protagonisten. Meist schweigen sie sich an und versuchen durch ihre Handlungen etwas auszudrücken. In der Realität mag das vielleicht funktionieren, doch in einem Roman, der sich mit Freundschaft auseinandersetzt, war es mir eindeutig zu wenig.


Paolo Cognetti schafft es dennoch einen aussagekräftigen Roman zu schreiben, der einfach und beständig daherkommt und viele Werte aufnimmt, sie aus diversen Perspektiven betrachtet und ein abschließendes Urteil fällt. Mit diesem Buch schließt sich ein Kreis, zeigt sich der Lauf des Lebens, die verschlungenen Pfade der Menschen und die Unabänderlichkeit des Einzelnen. Man kann sich anpassen, sich verbiegen oder ausbrechen, kann suchen oder akzeptieren, kann neugierig bleiben oder in sich ruhen – man wird einander nicht ändern, auch wenn das bedeutet sich irgendwann fremder zu werden und allein weiterzugehen, wenn eine allumfassende Gemeinsamkeit nicht mehr möglich scheint.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen ruhigen, naturverbundenen Roman, in dem Menschen agieren, deren Liebe zur Bergwelt ganz elementar und umfassend ist und die sich in Hochgebirgen bewegen wie die dort lebenden Zeitgenossen – einsam, schweigsam, zufrieden, genügsam und auf dem Sprung, immer auf der Suche nach einem guten Versteck vor sich selbst und der Kraft der Natur. Wenn man mit etwas weniger Zwischenmenschlichkeit leben kann und sich in eine Szenerie hineinversetzen möchte, ist dieses Buch sehr empfehlenswert, wer mehr Gefühlsnähe sucht, könnte etwas enttäuscht werden.



Veröffentlicht am 09.11.2017

Willst du wissen, wer es ist?

Wer ist B. Traven?
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„Revolutionäre haben selten konkrete Vorstellungen davon, welche Gesellschaftsordnung die alte ersetzen soll. Doch verändert sich nichts, wenn nur die Namen der Führer oder Besitzer ausgetauscht werden.“ ...

„Revolutionäre haben selten konkrete Vorstellungen davon, welche Gesellschaftsordnung die alte ersetzen soll. Doch verändert sich nichts, wenn nur die Namen der Führer oder Besitzer ausgetauscht werden.“



Inhalt


Leon Borenstein, ein junger Journalist mit deutsch-jüdischen Wurzeln bekommt von seinem Chef eine riesige Chance geboten, sich in seinem Metier Rang und Namen zu verschaffen. Er darf ans Filmset direkt in Mexico, wo sich Hollywoodgrößen tummeln, um die Verfilmung zu „Der Schatz der Sierra Madre“ einem Roman von B. Traven zu drehen. Unter dem Vorwand, eines Interviews mit dem Hauptdarsteller Humphrey Bogart, quartiert sich Leon ein. Doch sein eigentlicher Auftrag ist nicht der bekannte Schauspieler, sondern der vollkommen unbekannte Traven, der unter Pseudonym veröffentlicht und unerkannt bleiben möchte. Zunächst ranken sich um die Identität des Autors gefühlte 100 Variationen, in denen er immer ein anderer ist und keiner weiß Genaueres. Erst eine schöne junge Frau, führt Leon in Versuchung. Eine kurze Liebelei beschert ihm schließlich genau das fehlende Puzzleteil. Denn seine Bekanntschaft María ist selbst an der Identität Travens interessiert und schenkt Leon, nachdem sie seine Liebenswürdigkeit schamlos ausgenutzt hat, eine Information, die ihn erneut auf die Spuren des mysteriösen Autors schickt. Doch diesmal ist es kein herkömmlicher Auftrag mehr, den Unbekannten zu finden, sondern eine echte Passion, die Leon weit hinein in ein Land voller Geheimnisse führt …


Meinung


Der deutsche Autor Torsten Seifert greift in diesem Roman die interessante Figur des B. Traven auf und nimmt den Leser mit auf Entdeckungsreise in das fremde Land Mexiko, ganz dicht dran an den wichtigen Personen des Filmgeschäfts, direkt hinein ins Herz einer mörderischen Unterwelt und immer an der Seite mit dem Hauptprotagonisten, der sehr realistisch die Suche nach dem Unbekannten vorantreibt. Besonders gut ist es dem Autor gelungen, seinen Hauptakteur zu charakterisieren, einen Menschen, der schon viel von der Welt gesehen hat, der seiner Heimat wegen seiner jüdischen Abstammung den Rücken gekehrt hat und der voller Engagement an seinen Auftrag geht. Er beschreibt aber auch einen jungen Mann, der anfällig für die Reize der Weiblichkeit ist, der über ein Gewissen und ethische Grundsätze verfügt und trotzdem keiner Auseinandersetzung aus dem Weg geht. Und dann ist da noch dessen unbesiegbare Neugier, aus der seinen Ehrgeiz zieht und die es ihm regelrecht befiehlt, den Spuren und Geheimnissen eines großen Autors nachzugehen.

Darüber hinaus entführt der Autor den Leser an Schauplätze in noblen Hotels, in dunklen Kammern, zwielichtigen Etablissements und gleichermaßen hinein in die wilde Schönheit Mexicos, in den Dschungel, auf Bergeshöhen und tiefe Schluchten, weit unter der Erde. So ist dieser Roman auch streckenweise ein Reiseführer, ein Abenteuerroman mit Hintergrundhandlung, ein Buch über Unbekannte Größen und bewusste Entscheidungen. Gerade diese Vielfalt, die diversen Eindrücke, die der Leser bekommt, machen den Reiz aus. Natürlich fragt sich der Leser, wer dieser Traven ist, aber noch viel mehr beschäftigt ihn die Frage, ob es Leon gelingen wird, die Identität des Gesuchten aufzudecken. Dieser gekonnte Mix aus fiktiver Geschichte gepaart mit biografischen Eckdaten, weckt die Recherchelust des Lesers, der sich nicht so ganz dem Netzwerk Internet entziehen kann, um selbst möglichst genau nachzuverfolgen, welcher berühmte Autor hier so konsequent sein Gesicht verschleiert und vor allem – warum.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen sehr spannenden Roman, der ein echtes Abenteuer darstellt und das Interesse auf eine mir bis dato unbekannte Person weckt. Ein Buch, welches Reiselust beflügelt, Menschen aus anderen Perspektiven zeigt und Zusammenhänge zwischen Fiktion und Wahrheit aufzeigt. Darüber hinaus ist es einfach nur gute Unterhaltungsliteratur, bei der man sich in ein Geschehen hineinvertiefen kann, ohne ständig über jedes Wort nachdenken zu müssen. Empfehlenswert für Literaturinteressierte, die gerne selbst noch mehr entdecken möchten und sich nicht nur mit der einen, echten, unwiderruflichen Wahrheit abspeisen lassen. Wenn du wissen willst, wer es ist, dann begib dich selbst auf Spurensuche ...

Veröffentlicht am 12.10.2017

Eine Prise Wunder für die große Liebe

Der Meisterkoch
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„Hör auf, dich selbst zu bekämpfen. Nimm deinen Erinnerungen die Ketten ab. Befreie sie. Halt inne und denke. Aber ohne dir unrecht zu tun. Denke nicht nur mit deinem Verstand, sondern auch mit deinem ...

„Hör auf, dich selbst zu bekämpfen. Nimm deinen Erinnerungen die Ketten ab. Befreie sie. Halt inne und denke. Aber ohne dir unrecht zu tun. Denke nicht nur mit deinem Verstand, sondern auch mit deinem Herzen.“


Inhalt


Der Küchenmeister, dessen Namen kaum noch einer kennt, besitzt eine unzweifelhafte Gabe, die es ihm ermöglicht mit Hilfe seiner Kochkunst Gerichte zu zaubern, die nicht nur vorzüglich schmecken, sondern auch noch einen weit größeren Zweck erfüllen. Er kann Pilaw zaubern, welches Kriege entfesselt rührt Saucen an, die mächtige Männer ans Bett fesselt und wunderschöne Frauen tief beeindruckt. Seit Kindesbeinen an wird er von den besten Köchen Istanbuls angelernt und in einem sind sie sich alle einig – der Junge wird nicht nur ein einfacher Koch, nein er ist ein wahrer „Geschmacksversteher“ und er benötigt eine umfassende Ausbildung, die ihn dazu befähigt, die Geschicke seines Landes auf ganz subtile Weise zu beeinflussen. So lernt er bei Astrologen, Ärzten und Kennern von Aromen und Gewürzen, um auch die letzten Tricks und Kniffe zu beherrschen. Doch als er endlich nach jahrelanger Ausbildung in der Lage ist, seine Mitmenschen durch selbst zubereitetes Essen nach seinem Willen zu lenken, setzt er seine Bestrebungen auf eine einzige Sache: Es muss ihm gelingen seine Angebetete aus den Fängen des Harems zu befreien, um mit ihr ein gemeinsames Leben aufbauen zu können. Als Eigennutz an die Stelle von Weitsicht tritt, wendet sich sein Schicksal nochmals – Geschmacksverstehen kann man nur mit reinem Herzen und ohne Berechnung werden und selbst wenn man schon einer ist, sollte man die Menschen niemals aus den Augen verlieren …


Meinung


Saygin Ersin, der als Schriftsteller und Drehbuchautor tätig ist, schafft mit diesem Roman ein echtes, beeindruckendes orientalisches Märchen, welches nicht nur die Gerüche, Bilder und Farben des Orients heraufbeschwört, sondern auch eine Botschaft an den Leser vermittelt. Der Text ist weniger historisch inspiriert, als zunächst erwartet, entwickelt sich in seinem Verlauf zu einer Geschichte in der Begriffe wie Mut, Wunschdenken, Eigenverantwortung und Schicksal immer größere Bedeutung erlangen und zeigt auf harmonische, ausgewogene Art und Weise, wie es einem Menschen gelingen kann, nachdem er seine Gefühlswelt analysiert hat, sich mit Einfallsreichtum und Beharrlichkeit an die Realisierung seiner Träume zu wagen.

Der Schreibstil und die Erzählweise erinnern an Geschichten aus 1001 Nacht. Der Leser befindet sich am Palast des Sultans und wird Zeuge von diversen Intrigen, von Machtbesessenheit und Willkür. Auch die Bilder des Harems mit wunderschönen Frauen in zartfließenden Gewändern, aber auch die Maschinerie der Königsküche mit all ihren Hierarchien, die ein ganz eigener, spezieller Ort ist, wird anschaulich dargestellt.

Der Autor setzt sein Augenmerk einerseits auf den Verlauf der Handlung, die Orte wechseln, die Gönner und Feinde des Küchenmeisters werden andere, die Befreiung einer Haremsdame hat oberste Priorität, doch er vergisst auch nicht die charakterliche Formung seines Hauptprotagonisten. Ein zunächst ehrgeiziger, zielstrebiger junger Mann, der durch die Einflüsse seiner Umgebung heranwächst und erkennt, dass er nicht allein dafür verantwortlich ist, ob sein Lebensziel erreichbar bleibt, sondern dass er auf dem Weg auch seine Mitmenschen mit ihren Stärken und Schwächen, ihren Hoffnungen und Abneigungen mit einbeziehen muss, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen.

Auch die Liebe, die innigen Gefühle für eine Frau stehen hier im Raum, sind erkennbar und stetig vorhanden, doch sie bilden lediglich den Erzählrahmen, es ist kein herkömmlicher Roman über eine zum Unglück verdammte Romanze, es ist vielmehr Gleichnis und Fabel über die Kunst sein Leben im Einklang mit Herz und Verstand zu gestalten und den rechten Weg zu finden, auf dem es Zweifel und Rückschläge gibt aber auch Hoffnung und Zukunft.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen märchenhaften, schillernden, orientalischen Roman über die Liebe zum Kochen, zum guten Geschmack und zu einer zauberhaften Frau, für die es notwendig ist, die Sterne am Himmel neu zu ordnen und das Leben zielstrebig auszurichten. Weder ausgesprochen historisch noch realistisch aber einfach zum Träumen schön.

Veröffentlicht am 25.09.2017

Die unheimliche Botschaft aus der Vergangenheit

SOG
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„Für Märtyrer hatte am Ende niemand Bewunderung übrig, höchstens nach ein paar hundert Jahren. Und selbst dann war diese Bewunderung zu teuer erkauft.“

Inhalt

Kommissar Huldar von der isländischen Polizei ...

„Für Märtyrer hatte am Ende niemand Bewunderung übrig, höchstens nach ein paar hundert Jahren. Und selbst dann war diese Bewunderung zu teuer erkauft.“

Inhalt

Kommissar Huldar von der isländischen Polizei steht vor einem weiteren mysteriösen Fall seiner Karriere. Von einem Mann wurden erst die Hände, wenig später die abgetrennten Füße gefunden und vom Opfer fehlt noch jede Spur. In der Zwischenzeit ergeben sich aber weitere Tötungsdelikte, die allesamt zusammenzuhängen scheinen. Nachdem die Opfer eine kurze Warnung erhalten haben, werden sie wenige Tage später selbst grausam hingerichtet. Huldar stößt auf einen Zusammenhang zwischen den Morden, nachdem er einen Fall neu aufrollt, der schon Jahre zurückliegt. Damals hat ein Schüler die Todesfälle aus der Gegenwart angekündigt, indem er die Initialien der Opfer in einem Schulaufsatz verewigte. Ebenjener Schüler scheint nun, als Erwachsener in die Mordserie verwickelt zu sein, doch eine stichhaltige Verbindung lässt sich nicht herstellen. Erst als Huldar entdeckt, wer der Vater des jungen Mannes ist und wie dessen Vergangenheit aussah, scheint sich eine dramatische Verkettung der Umstände abzuzeichnen …

Meinung

Dieser isländische Thriller aus der Feder der bekannten Autorin Yrsa Sigurdardóttir ist mein erstes Buch von ihr und damit auch das erste dieser Reihe, wobei es sich bereits um den zweiten Band rund um den Ermittler Huldar und seine rechte Hand die Psychologin Freyja handelt. Gerade zu Beginn des Buches fehlte mir der persönliche Background und ich konnte das Zusammenspiel der Ermittler nur durch Erahnen erschließen. Deshalb empfehle ich an dieser Stelle die Chronologie einzuhalten. Ansonsten kann man den Fall aber auch sehr gut isoliert lesen, weil er in sich geschlossen ist und keine Fragen offenlässt.

Die Autorin webt ein feines Netz aus kausalen Zusammenhängen und unvorhersehbaren Wendungen, so dass der Spannungsfaktor sehr hoch ist und es von der ersten bis zur letzten Seite Freude macht, den Verlauf der Ermittlungen zu verfolgen. Sie legt dabei großen Wert auf die umfassende Charakterisierung ihrer Protagonisten und widmet sich auch der psychologischen Seite der Verbrechen und ihrer Wurzeln in der Vergangenheit. Dadurch kann der Leser schon bald erahnen, welches Motiv den Verbrechen zu Grunde liegt, auch wenn er noch überhaupt nicht abschätzen kann, welcher Täter in Frage kommt. In angenehmer Reihenfolge wechseln dabei die Passagen zwischen den polizeilichen Fortschritten und den tatsächlichen Bedrohungen des nächsten Opfers. Dieser Perspektivenwechsel wird hier kontinuierlich eingesetzt und ergibt damit ein rundes Gesamtbild, dem man anmerkt, wie viel Hintergrund sich zwischen der Tat und der Ursache eigentlich verbirgt.

Dieses Buch ist für mich dennoch eher ein Kriminalfall als ein Thriller, einmal abgesehen von den grausamen Tötungsmethoden liegt der Fokus doch sehr stark auf der Polizeiarbeit und weniger auf der Motivation und den Gedankengängen des Täters. Außerdem bekommt der menschliche Faktor zwischen den Mitarbeitern der Polizeibehörde einen für mich nicht ganz so interessanten Stellenwert. Zwischendurch unternimmt der Leser immer wieder Ausflüge in das schwierige Privatleben des Kommissars, der zwischen zwei Frauen schwankt und sich mit deren Eifersucht auseinandersetzen muss. Klare Sache, diese kleine aber andauernde Nebenhandlung hat mich ziemlich kalt gelassen, wobei vielleicht genau dieser Punkt die Reihe an sich rechtfertigt. Möglicherweise interessiert es den Leser, wie die Lovestory von Huldar/ Freya/ Erla weitergeht, für mich bringt das keinen Zusatznutzen.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen isländischen Thriller, der mit einer komplexen Handlung aufwartet und sich richtig gut lesen lässt. Ein gelungener Mix aus Ermittlungsfall, persönlichem Schicksal und dem Versagen der Justiz im gesellschaftlichem Rahmen. Den ersten Band „DNA“ möchte ich nun gerne nachträglich kennenlernen, weil mich sowohl der Schreibstil als auch der Fall sehr für sich einnehmen konnten. Eine Leseempfehlung spreche ich für alle Liebhaber von hintergründiger Spannungsliteratur aus, die nicht auf bloße Action und willkürliches Morden setzen, denn hier hat alles eine Bedeutung und einen Sinn.

Veröffentlicht am 21.09.2017

Die lange Flucht im Untergrund

Underground Railroad
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„Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage im Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“

Inhalt

Cora wird als Kind einer Sklavin ...

„Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage im Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“

Inhalt

Cora wird als Kind einer Sklavin mitten hinein in ein menschenunwürdiges Leben geboren. Sie wächst auf einer Baumwollplantage in Georgia auf und wird mit 10 Jahren von ihrer Mutter im Stich gelassen, als diese beschließt, zu fliehen und der Farm unerlaubter Weise den Rücken zu kehren. Fortan muss sich das Mädchen allein durchschlagen und wird auch bald unter Ihresgleichen ausgebeutet und in die Hob verbannt, einen Ort an dem all jene leben, von denen niemand etwas wissen will und die gnadenlos aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Demütig erträgt Cora ihr Leid, bewahrt sich aber auch ihren Stolz und beginnt erst ernsthaft über die eigene Flucht nachzudenken, nachdem ihr der junge Sklave Caesar den Vorschlag gemacht hat, mit ihr gemeinsam über die sagenumwobene „Underground Railroad“ – einer Eisenbahnlinie unter der Erde, dem unausweichlichem Schicksal zu entkommen. Gemeinsam gelingt es ihnen dank einiger Verbündeter, die gefährliche Reise anzutreten und weiter nördlich ein besseres Zuhause zu finden. Doch ihre Häscher sind ihnen dicht auf den Fersen und der Abstand wird immer geringer. Als die beiden schließlich getrennt werden, muss sich Cora alleine durchschlagen, wenn sie überleben will. Ihre Odyssee durch das Land beginnt, gebeutelt von Verrat, gemildert durch wenige Menschen, die ein Herz haben, reist sie von Bundesstaat zu Bundesstaat und begegnet dem ganzen Ausmaß der Sklaverei, erkennt die vielen Formen der Gewalt und hofft dennoch auf ein Leben in Freiheit, wenn auch in ferner Zukunft …

Meinung

Der amerikanische Autor Colson Whitehead hat mit diesem Roman ein ganz besonderes Buch geschaffen, indem sich auf angenehme Art und Weise Realität und Fiktion vermischen. Seine erfundene Eisenbahnlinie unterhalb der Erde mit dunklen Stationen in engen Tunneln ist zwar erfunden, doch die Organisation selbst, die es einigen Leibeigenen ermöglicht hat, ein besseres Leben in einem anderen Land zu finden, gab es sehr wohl. Doch nicht nur dieser gelungene Mix macht den Roman so besonders, sondern in erster Linie der schonungslose Blick auf ein düsteres Kapitel der Menschheitsgeschichte. Sehr detailliert und ausdauernd beschreibt er die Sklaventreiberei, die alltäglichen Lebensumstände dieser „Untermenschen“, die von ihren Besitzern schlimmer noch als manches Tier behandelt werden. Und so kommt einen die Aussage des Buches nicht wie ein trauriges Einzelschicksal vor, sondern wie ein Schreckensbildnis der Tyrannei. Gerade dieser historische, undankbare Aspekt, der zwischen Willkür, Gräueltaten und Massenmord angesiedelt ist, untermalt die gesamte Geschichte und brennt sich ins Gedächtnis des Lesers.

Dabei legt Whitehead großen Wert auf die Charakterisierung seiner Protagonisten, die der Geschichte die notwendige Innerlichkeit geben. Ihre Handlungen und Gedanken werden vortrefflich eingefangen und sehr menschlich und direkt wiedergegeben. Fast wie der Tropfen auf dem heißen Stein erscheint dieses willkürliche Betrachten eines erbarmungswürdigen Lebens, doch niemals gewinnt das Mitleid die Oberhand sondern vielmehr die Wut auf all jene, die es vermocht haben, Menschen wie Abfall zu behandeln. Und so offenbart sich dem Leser die Hölle, deren Wurzeln zwar in der Vergangenheit liegen aber auch heute noch unerschütterliche Präsenz haben.

Ein kleiner Makel, der keiner ist, weil er hervorragend zur Geschichte passt, ist diese allesumfassende Schwere, die bedrückende Stimmung und dieser viel zu kleine Hoffnungsschimmer, der nicht einmal glimmt, geschweige denn brennt. Stellenweise mochte ich das Buch mit all seinen Facetten nicht wahrnehmen, weil ich immer noch geglaubt habe, dass am Ende des Weges etwas wartet, für dass sich dieses dargestellte Leben lohnt. Doch so gut, wie sich das Ende des Textes in das Gesamtkonzept des Buches einfügt, mir war die Geschichte etwas zu düster und schwer, auch und vor allem, wegen der Echtheit der Gefühle und der Realitätsnähe, die man trotz aller Fiktion sehr unmittelbar spürt.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen wichtigen zeitgenössischen Roman, der der Thematik Sklaverei, Ausbeute und Misshandlung einen sehr hohen Stellenwert einräumt und Geschichte greifbar macht. Zurecht hat dieses Buch seine Auszeichnungen bekommen und es ist ein nachhaltiges, wenn auch schwer verdauliches Werk über Menschen und die Auswüchse ihrer Unbarmherzigkeit, die sich in einer maßlosen Selbstüberschätzung äußern.